21. September 2016

Der Nichterfinder des Pulvers

Was haben ein syrischer Arzt und ein senegalesischer Ministrant gemeinsam?

In beiden Fällen handelt es sich um Metaphern, Projektionen der politischen Meinung von Personen und Gruppen, die auf dem Rücken potenzieller Biografien einen von Tag zu Tag hässlicher werdenden politischen Streit austragen. Sie stehen sinnbildlich für den Verlauf der Diskussion.
Der syrische Arzt ist ein Exponent der ersten Phase der Flüchtlingskrise - der "Willkommenskultur"- bzw. "Alle-Rein"-Phase. Er versinnbildlicht das Ausblenden der Probleme, die eine massenhafte, ungesteuerte Zuwanderung mit sich bringt. Und darum ist es auch kein Wunder, dass der syrische Arzt kein Bänker oder Rechtsanwalt ist, obwohl man diesen Berufsgruppen wohl eine ebenso günstige Sozialprognose ausstellen kann. Gemäß dem Diktum "Wir bekommen Menschen geschenkt" (Göring-Eckardt) muss der natürlich einen nützlichen, ja gar heilenden Beruf haben. Natürlich blieben die Probleme nicht aus, und der syrische Arzt wurde seinen Kreatoren mit genüsslicher Häme um die Ohren gehauen - meistens in dem Sinne, dass wohl - euphemistisch formuliert - sexuelle Belästigung irgendwie zum Curriculum der medizinischen Fakultät der Universität Aleppo gehöre.

Nun hat sich nach einem Jahr sowohl die Faktenlage als auch die Stimmung gewandelt. Aktuell ist der größte Zustrom gestoppt, an den syrischen Arzt glauben nicht mal mehr die, die ihn propagiert haben, jedenfalls würden sie sonst nicht immer höhere Aufwendungen für Integration, sondern mehr Planstellen an staatlichen Krankenhäusern fordern. Und diejenigen, die ehedem für Zäune mit fakultativem Schusswaffengebrauch geworben haben, konzentrieren sich - nebst einer minutiösen Analyse des genauen Grades, in welchem die Bundeskanzlerin an Kretinismus leidet - vor allem darauf, wie man die ungebetenen "Flüchtilanten" - am besten noch vor der eben genannten - wieder los wird. 

Doch einer steht dem Ganzen im Weg - Auftritt: der senegalesische, fußballspielende Ministrant. Im Gegensatz zum syrischen Arzt kann auch dessen Provenienz eindeutig nachgewiesen werden. Er wurde von einem Politiker ins Rennen geschickt, nach dem zwar ein Pulver benannt ist, von dem man aber getrost bezweifeln kann, dass er es erfunden hat (das an sich ist noch keine Tragödie, sondern soll schon mal vorkommen).

Nun hat der senegalesische Ministrant einen vergleichsweise schlechten Start. Denn die Qualität dieser Aussage ist in ihrem Kontext sowas von unterirdisch, dass man entweder einen Streich von Eckhard Henscheid vermuten möge (immerhin wurde die Aussage im Rahmen einer Veranstaltung der Mittelbayerischen Zeitung geäußert), oder aber der Urheber steht wirklich als Namenspate für einen Begriff, der gemeinhin für eine deutlich unterdurchschnittliche Auffassungsgabe steht. 

Da ist zunächst einmal der Wortlaut: Zweifelt die AfD nur an der grundsätzlichen Integrationsfähigkeit von Zuwanderern, so ist sie für Scheuer sogar "das Schlimmste" - Integration als Abschiebehindernis ist zu bekämpfen. Ist dann ein straffälliger Asylbewerber "das Beste", weil man ihn - zumindest in der Theorie - leichter los wird? Die Kölner Damenwelt könnte dieser These mit Skepsis begegnen. Und so steht der senegalesische Ministrant - spiegelbildlich zum syrischen Arzt - für die hyperventilierende "Alle-wieder-raus"-Phase, die bisher von der AfD geprägt wurde und in die der Generalsekretär der CSU nun einstimmt. Warum der besorgte Bürger dann die Kopie und nicht das Original wählen soll, weiß wahrscheinlich nicht mal er selber. 

Aber es gibt noch eine weitere Dimension der Scheuerheit in seiner Aussage: Nicht nur, dass der Generalsekretär der CSU - immerhin der politische Erbe von Strauß, Stoiber, Gauweiler und Guttenberg - unklug daran tut, sich den Zorn der Kirche einzuhandeln. Die hat in ihrer marx_istischen Borniertheit gar nicht verstanden, was eigentlich der Knackpunkt ist: Anstatt zu lamentieren, dass die "vielen in Deutschland lebenden Migranten (...) das Gefühl (bräuchten), willkommen zu sein, sehen sie den eigentlichen Punkt nicht - nämlich dass die Aussage in direkter Weise der Kirche schadet. Denn aufgrund des im christlich-leitkulturellen Abendland grassierenden Priestermangels ist die Kirche tatsächlich auf Zuwanderung angewiesen - auf beiden Seiten des Altares. Schon jetzt haben knapp 17% der in Deutschland tätigen Priester eine ausländische Staatsbürgerschaft. Vielleicht seltener aus dem Senegal, der zu 95% muslimisch ist, was aber ein CSU-Generalsekretär nicht zu wissen braucht. Aber aus gut katholischen Ländern wie Polen (wenn man noch die polnischstämmigen Priester aus zweiter Generation hinzurechnet, kommt man wahrscheinlich auf über 20%), den Philippinen, aber auch mehr und mehr Indien. Und wenn man die Gottesdienstbesucher anschaut, zeigt sich oft ein ähnliches Bild. Immer häufiger gibt es z. B. Messen in polnischer Sprache (wo bleibt da der Verfassungsschutz?), weil die Polen oft die einzigen sind, die die Fahne des christlichen Abendlands auch im Alltag hochhalten und nicht nur dann, wenn es gegen den Islam geht. 

Während sein Chef Seehofer mit politischer Instinktsicherheit einen "Vorrang für Zuwanderer aus unserem christlich-abendländischen Kulturkreis" fordert und damit eine Rückkehr zum zerbröselten Markenkern der CHRISTLICHEN Union ermöglichen will (mit der man nebenbei Merkel ordentlich unter Druck setzen kann), stellt General Scheuer klar, dass ihn das vor den musulmanischen Horden zu rettende christliche Abendland einen feuchten Kehricht interessiert.

Im Endeffekt entwertet und konterkariert Scheuer den eigentlich richtigen Punkt, nämlich seinen Nachsatz, dass das Asylrecht für den senegalesischen Ministranten nicht zuständig ist. Denn solange er klar und deutlich zum Ausdruck bringt, dass er selbst diejenigen, die nach den höchst eigenen Kriterien eine tatsächliche Bereicherung wären, nur als schlimmste Belastung versteht, so ist auch nicht zu erwarten, dass ausgerechnet derjenige eine qualifizierte Zuwanderung auf die Beine stellen wird.

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Meister Petz

© Meister Petz. Titelvignette: Archbishop Peter and Altar Servers. Von arundel and brighton unter CC BY-ND 2.0 lizenziert. Für Kommentare bitte hier klicken.