23. September 2016

Marginalie: Wir schaffen das nicht. "Rückführung"

Manchmal sind es die kleinen, versteckten Meldungen, unauffällig in den hinteren Seiten der Printmedien verborgen, oder auf den Netzportalen der größeren Outlets allein durch eine kurze, kaum auusagekräftige Kurzzeile verlinkten Meldungen, die die gutes Korrektiv zu den allfälligen Spins des tagespolitischen Geschäfts bilden und diese erst in ein aussagekräftiges Verhältnis rücken. Wer vor gut zwanzig Tagen über die Aussage "unser aller Domina und Geiselnehmerin" (Michael Klonovsky) aufgeschreckt worden ist, das Gebot der Stunde heiße jetzt "Rückführung"  -

Das Wichtigste sei nun, abgelehnte Asylbewerber abzuschieben. Man müsse verstärkt auf die Sorgen der Bevölkerung eingehen, sagte sie laut Teilnehmerangaben. Um solchen Flüchtlingen helfen zu können, die wirklich Hilfe bräuchten, und die Akzeptanz dafür in der Bevölkerung zu erhalten, müsse man entschlossen jene in ihre Heimat zurückschicken, die nicht schutzbedürftig seien.
 „Für die nächsten Monate ist das Wichtigste Rückführung, Rückführung und nochmals Rückführung“, wurde Merkel zitiert. Es könnten nur jene bleiben, die wirklich verfolgt sind. (Die Welt vom 3. Sept, 2016)

- der darf sich beruhigt zurücklehnen. Bangemachen gilt nicht; auch für die Große Politik: the show must go on, und eine Gefahr zur Umsetzung einer solchen radikalen Umsteuerung der hierzulande geübten Praxis droht nicht einmal ansatzweise.

Auf den Boden der Tatsachen zurück holt diese Meldung, die am vergangenen Freitag, den 16. September 2016, in der Druckausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf Seite 5 plaziert wurde - der gekürzte Abdruck einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters. (Da die Kurzmeldung nur in der Printausgabe zugänglich ist, tippe ich diese Fassung kurz ab; bis auf die Überschrift ist sie mit der Reuters-Depesche wortidentisch; der Link auf die vollständige Agenturmeldung erfolgt weiter unten.)

Abschiebeabkommen mit Kabul
Ein Sprecher des Innenministeriums sagte am Donnerstag (= 15.9.) in Berlin, die seit Januar laufenden Verhandlungen zwischen Deutschland und Afghanistan über eine gemeinsame Absichtserklärung...

Es handelt sich also, anders als es die Überschrift suggeriert, um eine reine "Absichtserklärung". Ohne verbindlichen Wert. 

... hätten "gute Fortschritte" gebracht. Eine Eingung gebe es aber noch nicht. Ein Abschluss werde noch im laufenden Jahr angestrebt.

Es handelt sich also um eine absolute Nullmeldung, um den täglichen Leerausstoß einer Bundesbehörde in Richtung der Öffentlichkeit, wenn es nichts Inhaltliches zu vermelden gibt. Interessant wird es im Folgenden, wo die Dimensionen des Avisierten benannt werden:

Die "Bild"-Zeitung berichtete, das Abkommen solle im Oktober stehen. Die Regierung in Kaul akzeptiere aber nicht mehr als 50 Afghanen plus Begleitschutz pro Chartermaschine. Allerdings gilt dies durchaus als Erfolg. Andee Länder wie Marokko und Algerien, mit denen Rücknahmeabkommen bestehen, akzeptieren Rückführungen etwa nur mit Linienmaschinen, wo nur bis zu fünf abzuschiebende Personen Platz finden.
Das Interessante an dieser Luftbuchung sind die Details, die in solchem Zusammenhang über die tatsächlich gegebenen Verhältnisse jenseits der vollmundigen Champagnerverlautbarungen erführt. Nicht das Land, das vom Zustrom der Menschen aus diesen Ländern betroffen ist, von deren unberechtigem Aufenthalt und, um es einmal vorsichtig zu formulieren, Forderungen nebst Betragen, bestimmt den Kurs, sondern die dritte Welt, aus denen diese stammen und zu deren bedingungsloser Rücknahme sie sich mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen verpflichtet haben. Das Beste ist freilich der Part, den die FAZ aus der Reuters-Meldung herausgekürzt hat. Dort geht es, wie man bei einer Netzsuche nach der Originalmeldung binnen Sekunden eruieren kann, mit Tunesien weiter:

Von den Maghreb-Staaten akzeptiert nur Tunesien Charterflüge mit maximal 20 Landsleuten.
 In diesem Jahr sind bis August bereits 43.000 neue Flüchtlinge aus Afghanistan in Deutschland registriert worden. Sie sind nach Syrern die zweitgrößte Gruppe der Flüchtlinge. Im ersten Halbjahr wurde mit einer Quote von 44,5 Prozent nicht mal jeder zweite Asylantrag anerkannt. Die Innenministerkonferenz hatte schon im Dezember die Ansicht vertreten, dass die Sicherheitslage in Afghanistan eine Rückkehr ausreisepflichtiger Personen grundsätzlich erlaube. Auch Innenminister Thomas de Maiziere hat mehrfach darauf verwiesen, dass es Gebiete in dem Land gibt, in dem die Sicherheitslage vergleichsweise stabil sei, vor allem in großen Städten.
Im ersten Halbjahr 2016 wurden laut Innenministerium 18 Afghanen in ihr Heimatland abgeschoben. Zugleich gab es bis Ende August 2825 freiwillige geförderte Ausreisen. Auf diesen soll einem Sprecher zufolge auch künftig der Schwerpunkt liegen. Die bekommen dann etwa Transportkosten erstattet oder eine Reisebeihilfe. Ende Juli lebten laut Ausländerzentralregister 232.200 Afghanen in Deutschland. Knapp 15.000 seien ausreisepflichtig, 13.800 besitzen allerdings eine Duldung.
Derzeit setzen die radikal-islamischen Taliban ihren Vormarsch in Afghanistan allerdings fort. Die Sicherheitslage hat sich seit Ende des Nato-Kampfeinsatzes 2014 massiv verschlechtert. Die Taliban halten inzwischen mehr Gebiete als je zuvor seit ihrem Sturz 2001. Im vergangenen Herbst konnten sie auch kurzzeitig die Stadt Kundus unter ihre Kontrolle bringen, wo die Bundeswehr lange stationiert war. 
(Reuters, 15. September 2016, "Verhandlungen zu Abschiebeabkommen mit Afghanistan kommen voran")
(Als Fußnote darf sich der geneigte Leser fragen, welchen Erfolg volle Dreizehn Jahre Kampfeinsatz der NATO unter dem Mandat der UN, zusammen mit GIZ und THW,  im primitivsten Winkel der 4. Welt gezeitigt haben. Außer Spesen.)

Wenn man dazu die, nein, nicht verschämte, sondern schlicht unverschämten Meldung nimmt, die heute durch die Medien ging: daß sich im diesem Land mittlerweile mehr als eine halbe Million Menschen aufhält, deren Asylanträge ablehnend beschieden sind und die somit, in gutem Bürokratesisch, "über keinen Aufenthaltstitel verfügen" -
In Deutschland leben fast 550.000 abgelehnte Asylbewerber. Drei Viertel von ihnen hielten sich bereits seit mehr als sechs Jahren im Land auf, berichtete die „Bild“-Zeitung am Mittwoch und berief sich dabei auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion. Abgeschoben wurden von Januar bis Ende Juli lediglich 13.134 Ausländer.
Demnach zählte die Bundesregierung Ende Juni insgesamt 549.209 Asylbewerber, die trotz erfolgter Ablehnung ihres Antrags in Deutschland geblieben sind.
(Die Welt, 22.09.2016)

- dann dürfte auch mathematisch weniger Beschlagenen eine Ahnung zuwachsen, daß es sich um ein Sisyphusunternehmen handeln würde, dessen Durchführung wohl eher auf Jahrhunderte als auf Jahrzehnte anzusetzen wäre. Schließlich ist der laufende Nachschub keineswegs auf Null oder ein minimales Ausmaß reduziert. Wenn denn irgendjemand im Ernst vorhätte, mit der Rückführung, der Ausweisung, der Ausschaffung Ernst zu machen. Der Ist-Zustand der Dinge, nach drei Jahren der Explosion der Zuwandererzahlen, nach weit mehr als einem Jahrzehnt, in dem diese Zustände bekannt sind (wenn auch nicht, zu keinem aktuellen Zeitpunkt, das Ausmaß, auf das sie akkumuliert waren), im Monat XIII der Ägide Wir schaffen das, macht eins deutlich: Niemand hat die Absicht, das auch nur schaffen zu wollen.




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Ulrich Elkmann






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