18. September 2016

Mimimi

Mimimi ist ein wunderschönes und ausgesprochen praktisches Wort. Es ist unglaublich hilfreich, wenn es darum geht sachliche Auseinandersetzung erst gar nicht bestreiten zu müssen und den adressierten Personen von vorneherein die Berechtigung zu entziehen sich zu beschweren.
So spart man sich nicht nur die Auseinandersetzung, man kann auch gleichzeitig ein Statement darüber abgeben, dass die Adressierten eigentlich eine Bande von Weicheiern sind, die gefälligst vom Herd wegbleiben sollen, wenn sie das Feuer nicht vertragen. Wunderschön. Einfach. Unsachlich. Und furchtbar praktisch.
Da ich keinen Facebookaccount habe, niemandem auf Twitter folge und auch ansonsten nicht unbedingt den neuen Medien anhänge, war mir das Wort Mimimi eigentlich eher als eine Äusserung des von mir hochgeschätzten Wissenschaftlers Beaker, Assistent von Dr. Honigtau Bunsenbrenner, bekannt. Aber, um das Kind gleich beim Namen zu nennen, seit sich die Anschläge auf die AfD häufen, ist es mir leider auch in diversen anderen Kontexten aufgefallen. Und nicht im positiven Sinne.
Sicher, als die erste Torte flog,haben es die meisten vermutlich viele noch witzig gefunden. Und von einem Anschlag zu sprechen, wäre wohl auch tatsächlich etwas Mimimi gewesen. Der kurz vorher stattgefundene, und weniger bekannte, Brandanschlag (da ist das Wort dann doch) auf das Auto der "Getorteten" war dann vielleicht dann doch nicht so Mimimi, zeigte aber bereits damals auf den sozialen Medien das Muster und die Marschrichtung klar auf (soll die dumme Tante sich halt nicht so anstellen). Als die gefrorene Torte dann Jörg Meuthen knapp verfehlte, war es wieder Mimimi, jedenfalls fand eine Auseinandersetzung darüber nicht statt. Sollen sich halt immer noch nicht so anstellen. Und vorgestern war es dann eben das Auto von Frauke Petry. Wobei, dem Himmel sei dank, im Moment ein technischer Defekt nicht ausgeschlossen werden kann, und, wenn es sich um keinen Defekt handelt, die Geschichte ja ohnehin nicht mehr interessant ist, weil die Medienöffentlichkeit inzwischen weiter gezogen ist (und Autos brennen ja bekanntlich ständig wegen technischer Defekte aus. Zumindest in Berlin.). Irgendwie höre ich schon wieder nur Mimimi. Wie lange ist eigentlich etwas Mimimi? Beaker ist ja bekanntlich, entgegen aller wissenschaftlichen Wahrscheinlichkeit, nie ernsthaft zu schaden gekommen.
Rudi Dutschke dagegen ist tot. Mimimi anyone? Oder ist es erst dann kein Mimimi mehr, wenn jemand erschossen worden ist? Oder reichen schon gebrochene Knochen? Ist ne ganz ernsthafte Frage. Weil gebrochene Knochen mit Sicherheit nicht mehr fern sind. Menschen, die Autos anzünden, Scheiben einwerfen, Buttersäure abkippen und mit Eis auf andere werfen, werden auch kein Problem damit haben den einen oder anderen Arm oder Schädelknochen zu zertrümmern. Und da sind wir bald. Mimimi? Wie würden Sie sich fühlen, lieber Leser, wenn Sie mit ihren Kindern zuhause sind, und jemand einen Stein durch das Fenster ihres Nachbarzimmers wirft? Doch nicht so Mimimi? 
Ich kann nur hoffen, dass wenn sich die Eskaltion wieder ein bischen weiter getrieben hat, und ich habe wenig Zweifel, dass das irgendwann passieren wird, dem einen oder anderen das Mimimi im Halse oder wenigstens in der Tastatur stecken bleibt. Ich kanns jedenfalls nicht mehr hören. Muss immer erst jemand drauf gehen, bis ein Nachdenken einsetzt ? Musste Dutschke erst die Kugeln im Kopf haben, bis man bei Springer begriffen hat, wohin die Eskalation führt? Mimimi, ich weiss. Und Frau Petry kann sich halt ein neues Auto kaufen. Ist ja auch was schönes.


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Llarian

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