In Mali leben etwa 30 verschiedene Ethnien, mit zum Teil großen kulturellen und sprachlichen Unterschieden. Und doch funktioniert das Zusammenleben überraschend gut. Natürlich ist die Bindung an die Ethnie stärker als die an den Staat. Und doch möchten die meisten Malier nicht, dass die nationalen Grenzen verändert werden. Sie fühlen sich den Angehörigen ihrer Ethnie, die in einem anderen Land leben, durchaus verbunden, aber würden trotzdem nicht fordern, dass dafür die nationalen Grenzen verschoben werden.
Viele Malier wissen, dass die Grenzziehung zwar willkürlich war, aber heute dennoch eine sinnvolle Notwendigkeit ist. Wenn die malische Fußballnationalmannschaft spielt, stehen alle Malier hinter ihr; gleichgültig, welcher Ethnie sie angehören.
Es gibt darüber hinaus sogenannte Verschwisterungen zwischen den Ethnien, z.B. zwischen den Bozo und den Peulh. Das kann bedeuten, dass man sich den gleichen Lebensraum teilt, aber unterschiedliche Lebensgrundlagen hat. Bei den beiden genannten Ethnien funktioniert das so, dass die Bozo vom Fischfang leben und die Peulh von ihren Viehherden. Auch Hochzeiten sind über die Grenzen der Ethnien möglich.
Die einzigen Malier, die sich hier nicht einbinden wollen, sind die Tuareg. Zwischen ihnen und den anderen Ethnien bestehen auch keine "Verschwisterungen" oder dergleichen. Zwar hat der malische Staat in den vergangenen 15 Jahren versucht, die Tuareg mehr einzubinden, aber gebracht hat das nichts. Es ist ein jahrhunderteralter Konflikt zwischen den ehemaligen Herren der Wüste und den negroiden Afrikanern.
Der Konflikt ist vergleichbar dem zwischen Kurden und Türken. Die Kurden sind ja eben keine "Bergtürken", sondern eine eigene Ethnie mit eigener Sprache und einer eigenen Kultur. Auch sie siedeln über viele nationale Grenzen hinweg und fordern einen eigenen Staat. Dies tun die Tuareg seit vielen Jahrzehnten, bisher ohne Erfolg. Dabei gab es in den vergangenen Jahrzehnten auf beiden Seiten schwere Übergriffe und viel Hass.
Dass sich malische Soldaten in Sévaré und Mopti an Tuareg vergriffen haben sollen, wundert mich nicht. Ich habe es wirklich oft erlebt, wie ansonsten ruhige Malier richtig wütend und hasserfüllt wurden, wenn die Sprache auf die Tuareg kam. Und mein guter Bekannter Mohammed, ein Tuareg und Souvenirverkäufer aus Sévaré, der mir gegenüber immer ausgesprochen höflich und korrekt war, hat gegenüber Maliern oft einen Ton angeschlagen, den ich nicht anders als rassistisch bezeichnen kann.
In diesem Konflikt spielen starke Minderwertigkeitsgefühle auf der einen Seite und Überheblichkeit auf der anderen Seite eine Rolle. Als die Tuareg-Rebellen die ersten Städte im Norden einnahmen, liefen ganze Divisionen von malischen Soldaten zu ihnen über. Diese Divisionen bestanden überwiegend aus Tuareg, und die restlichen Malier haben das zu Recht als Verrat empfunden. Alle standen zusammen in der größten Krise des Landes, nur die Tuareg nicht. Diese haben nicht nur den Konflikt begonnen, sie haben dann sogar ihre ehemaligen Kameraden bekämpft und oft genug getötet.
Dieser Konflikt ist nicht zu lösen, und alles läuft meines Erachtens auf eine Teilautonomie dieser Region hinaus. Das Problem ist nur, dass man in diesem Gebiet reiche Erdölvorkommen und andere Bodenschätze vermutet. So etwas lässt sich kein Staat der Welt freiwillig entgehen.
Gaddafi hat diesen Konflikt lange gesteuert, um Einfluss auf Mali zu nehmen. Wenn nötig, hat er die Tuareg in Mali angestachelt zu rebellieren (und Waffen geliefert), oder er hat sie zurückgehalten. Gaddafi wollte an das malische Öl, und dafür hat er dieses Gebiet so instabil gehalten, dass keine westliche Firma dort fördern konnte.
2006 hat Gaddafi eine Woche lang Mali besucht. Am Ende seiner Reise hat er sich in Timbuktu mit Tuareg-Rebellen getroffen, die im Rest Malis als Terroristen gesucht wurden. Was für ein Affront gegenüber dem malischen Präsidenten, der ihn eine Woche persönlich begleitet hatte!
Er hat dort eine Rede gehalten, bei der der malische Rundfunk nach einer halben Stunde die Live-Übertragung abgeschaltet hat aus Angst, diese Rede könnte in ganz Mali dazu führen, gegen "Christenschweine" und "Kreuzzügler" vorzugehen, wie er es in der Rede gefordert hatte.
Eine Woche nach Gaddafis Besuch in Timbuktu haben die Tuareg-Rebellen auch tatsächlich einen blutigen Überfall auf eine Kaserne durchgeführt. Gaddafi war zwar ungemein populär in Mali (wie übrigens auch Robert Mugabe), aber jeder wusste, dass er ein doppeltes Spiel spielt.
Mali war nie eine Musterdemokratie, sondern eine der besten Schein-Musterdemokratien, die es in Afrika je gab. Wer genauer hingeschaut hat, konnte das schnell erkennen. Wenn heute westliche Diplomaten sagen, dass man ihnen "Seife in die Augen geschmiert habe" (so kürzlich Wolfgang Bauer in "Zeit-Online" unter der Überschrift "Freudenfeste und Lynchjustiz"), dann empfinde ich das als ein Eingeständnis, dass man einfach nicht genau genug hingeschaut hat.
Mali war auch nie ein gelungenes Beispiel für Entwicklungshilfe, sondern im Gegenteil ein Beispiel dafür, wie staatliche Entwicklungshilfe einen echten langfristigen und nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung lähmt. Auch das hätte man beizeiten erkennen können.
Mali ist aber auch kein failed state, denn das Leben in Mali geht weiter. Meine malischen Freunde und Kollegen berichten mir, wie alltäglich ihr Leben teilweise weitergeht. Aber der Krieg ist eine Zäsur. Allen ist nun klar, dass etwas falsch gelaufen ist. Die politische Elite wartet ab, denn im Hintergrund lauert der Putschistenführer, der eigene politische Ambitionen hat.
Und die Tuareg, die für die Krise mitverantwortlich sind, haben bereits offen Ansprüche auf eine Anerkennung eines eigenen Staates angemeldet. Malische Soldaten mögen bis Gao und Kidal vordringen, der ethnische Konflikt wird bestehen bleiben.
Das dòòni dòòni (bambara für "nach und nach" im Sinne von "es wird schon wieder") hat nicht funktioniert; ebenso wenig wie der vielgerühmte consensus malien, also der Wille, dass alle mit allem einverstanden sein müssen, bevor man etwas entscheidet (Schamkultur). Ich persönlich bete für das Land und seine wunderbaren Menschen, aber ich bin Realist genug, um zu wissen, dass die gesellschaftlichen und strukturellen Probleme, die ich genannt habe, schwer wiegen und es keine einfache Lösung dafür geben wird.
Viele Malier wissen, dass die Grenzziehung zwar willkürlich war, aber heute dennoch eine sinnvolle Notwendigkeit ist. Wenn die malische Fußballnationalmannschaft spielt, stehen alle Malier hinter ihr; gleichgültig, welcher Ethnie sie angehören.
Es gibt darüber hinaus sogenannte Verschwisterungen zwischen den Ethnien, z.B. zwischen den Bozo und den Peulh. Das kann bedeuten, dass man sich den gleichen Lebensraum teilt, aber unterschiedliche Lebensgrundlagen hat. Bei den beiden genannten Ethnien funktioniert das so, dass die Bozo vom Fischfang leben und die Peulh von ihren Viehherden. Auch Hochzeiten sind über die Grenzen der Ethnien möglich.
Die einzigen Malier, die sich hier nicht einbinden wollen, sind die Tuareg. Zwischen ihnen und den anderen Ethnien bestehen auch keine "Verschwisterungen" oder dergleichen. Zwar hat der malische Staat in den vergangenen 15 Jahren versucht, die Tuareg mehr einzubinden, aber gebracht hat das nichts. Es ist ein jahrhunderteralter Konflikt zwischen den ehemaligen Herren der Wüste und den negroiden Afrikanern.
Der Konflikt ist vergleichbar dem zwischen Kurden und Türken. Die Kurden sind ja eben keine "Bergtürken", sondern eine eigene Ethnie mit eigener Sprache und einer eigenen Kultur. Auch sie siedeln über viele nationale Grenzen hinweg und fordern einen eigenen Staat. Dies tun die Tuareg seit vielen Jahrzehnten, bisher ohne Erfolg. Dabei gab es in den vergangenen Jahrzehnten auf beiden Seiten schwere Übergriffe und viel Hass.
Dass sich malische Soldaten in Sévaré und Mopti an Tuareg vergriffen haben sollen, wundert mich nicht. Ich habe es wirklich oft erlebt, wie ansonsten ruhige Malier richtig wütend und hasserfüllt wurden, wenn die Sprache auf die Tuareg kam. Und mein guter Bekannter Mohammed, ein Tuareg und Souvenirverkäufer aus Sévaré, der mir gegenüber immer ausgesprochen höflich und korrekt war, hat gegenüber Maliern oft einen Ton angeschlagen, den ich nicht anders als rassistisch bezeichnen kann.
In diesem Konflikt spielen starke Minderwertigkeitsgefühle auf der einen Seite und Überheblichkeit auf der anderen Seite eine Rolle. Als die Tuareg-Rebellen die ersten Städte im Norden einnahmen, liefen ganze Divisionen von malischen Soldaten zu ihnen über. Diese Divisionen bestanden überwiegend aus Tuareg, und die restlichen Malier haben das zu Recht als Verrat empfunden. Alle standen zusammen in der größten Krise des Landes, nur die Tuareg nicht. Diese haben nicht nur den Konflikt begonnen, sie haben dann sogar ihre ehemaligen Kameraden bekämpft und oft genug getötet.
Dieser Konflikt ist nicht zu lösen, und alles läuft meines Erachtens auf eine Teilautonomie dieser Region hinaus. Das Problem ist nur, dass man in diesem Gebiet reiche Erdölvorkommen und andere Bodenschätze vermutet. So etwas lässt sich kein Staat der Welt freiwillig entgehen.
Gaddafi hat diesen Konflikt lange gesteuert, um Einfluss auf Mali zu nehmen. Wenn nötig, hat er die Tuareg in Mali angestachelt zu rebellieren (und Waffen geliefert), oder er hat sie zurückgehalten. Gaddafi wollte an das malische Öl, und dafür hat er dieses Gebiet so instabil gehalten, dass keine westliche Firma dort fördern konnte.
2006 hat Gaddafi eine Woche lang Mali besucht. Am Ende seiner Reise hat er sich in Timbuktu mit Tuareg-Rebellen getroffen, die im Rest Malis als Terroristen gesucht wurden. Was für ein Affront gegenüber dem malischen Präsidenten, der ihn eine Woche persönlich begleitet hatte!
Er hat dort eine Rede gehalten, bei der der malische Rundfunk nach einer halben Stunde die Live-Übertragung abgeschaltet hat aus Angst, diese Rede könnte in ganz Mali dazu führen, gegen "Christenschweine" und "Kreuzzügler" vorzugehen, wie er es in der Rede gefordert hatte.
Eine Woche nach Gaddafis Besuch in Timbuktu haben die Tuareg-Rebellen auch tatsächlich einen blutigen Überfall auf eine Kaserne durchgeführt. Gaddafi war zwar ungemein populär in Mali (wie übrigens auch Robert Mugabe), aber jeder wusste, dass er ein doppeltes Spiel spielt.
Mali war nie eine Musterdemokratie, sondern eine der besten Schein-Musterdemokratien, die es in Afrika je gab. Wer genauer hingeschaut hat, konnte das schnell erkennen. Wenn heute westliche Diplomaten sagen, dass man ihnen "Seife in die Augen geschmiert habe" (so kürzlich Wolfgang Bauer in "Zeit-Online" unter der Überschrift "Freudenfeste und Lynchjustiz"), dann empfinde ich das als ein Eingeständnis, dass man einfach nicht genau genug hingeschaut hat.
Mali war auch nie ein gelungenes Beispiel für Entwicklungshilfe, sondern im Gegenteil ein Beispiel dafür, wie staatliche Entwicklungshilfe einen echten langfristigen und nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung lähmt. Auch das hätte man beizeiten erkennen können.
Mali ist aber auch kein failed state, denn das Leben in Mali geht weiter. Meine malischen Freunde und Kollegen berichten mir, wie alltäglich ihr Leben teilweise weitergeht. Aber der Krieg ist eine Zäsur. Allen ist nun klar, dass etwas falsch gelaufen ist. Die politische Elite wartet ab, denn im Hintergrund lauert der Putschistenführer, der eigene politische Ambitionen hat.
Und die Tuareg, die für die Krise mitverantwortlich sind, haben bereits offen Ansprüche auf eine Anerkennung eines eigenen Staates angemeldet. Malische Soldaten mögen bis Gao und Kidal vordringen, der ethnische Konflikt wird bestehen bleiben.
Das dòòni dòòni (bambara für "nach und nach" im Sinne von "es wird schon wieder") hat nicht funktioniert; ebenso wenig wie der vielgerühmte consensus malien, also der Wille, dass alle mit allem einverstanden sein müssen, bevor man etwas entscheidet (Schamkultur). Ich persönlich bete für das Land und seine wunderbaren Menschen, aber ich bin Realist genug, um zu wissen, dass die gesellschaftlichen und strukturellen Probleme, die ich genannt habe, schwer wiegen und es keine einfache Lösung dafür geben wird.
Diarra
© Diarra. Der Verfasser hat von 2004 bis 2008 und wieder von 2009 bis 2012 in Mali gelebt und gearbeitet. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Ein Baobab (Affenbrotbaum) in Mali. Diese Bäume sehen äußerlich groß, stark und gesund aus, sind innerlich aber oft hohl und werden deshalb von starken Winden leicht umgeknickt - ein Sinnbild für Mali. Eigene Aufnahme des Verfassers. (Für eine vergrößerte Ansicht bitte zweimal auf das Bild klicken).