4. Februar 2013

Gestern bei Jauch: Katholische Kliniken, die "Pille danach" und ein absurder Dogmatismus

Ich schreibe nur ungern etwas gegen die christlichen Kirchen, nicht die evangelische und nicht die katholische. Das tun die meinungsbeherrschenden Medien zu Genüge. Ich will nicht in diese Kerbe hauen; nicht beim Mobbing gegen unsere christlich-abendlän­di­sche Tradition mitmachen. Aber es gibt Grenzen dessen, was ich als Liberaler nachvollziehen kann.

Wie sehr die dominierenden Medien, allen voran die öffentlich-rechtlichen, gegen die katholische Kirche vorein­genommen sind, wird durch den Titel der gestrigen Sendung "Günther Jauch" illustriert: In Gottes Namen – wie gnadenlos ist der Konzern Kirche?.

Infamer geht es schwerlich. Die Kirche wird zu einem "Konzern" erklärt, im heutigen Deutschland eine Invektive. Daß sie "gnadenlos" sei, wird vorausgesetzt. Gefragt wird nur noch, wie sehr. Man stelle sich eine Jauch-Sendung unter der Überschrift "Wie gnadenlos ist der Islam?" vor. Es gäbe einen Aufschrei der politisch Korrekten.

Es ging um ein Thema, das vor einer Woche zugunsten der kuriosen Diskussion um den Blick auf den Busen verschoben worden war (siehe Brüderle, Himmelreich, "Stern", der Blick auf den Busen - eine Luxus-Diskussion nach deutscher Art; ZR vom 1. 2. 2013). Und das war nun allerdings ein ernsthaftes Thema: Katholische Krankenhäuser, die - zwei nacheinander - eine vergewaltigte Frau abgewiesen haben, weil die Ärzte sich nicht in der Lage sahen, die "Pille danach" zu verschreiben.

Diese Sendung ist heute überwiegend verrissen worden. In der FAZ beklagte der sonst kundige Christian Geyer einen "Eiertanz um die Phantompille". In der "Welt" fand es Nina Paulsen mitteilenswert, daß das Publikum gelegentlich lachte. Wie zu erwarten, marschierte "Spiegel-Online" ganz weit vorn, dessen Autor Mathias Zschaler die Katholen in der Nähe der Dschihadisten verortete:
Es galt, Einblick zu nehmen in eine Parallelwelt, die zwar vom säkularen Staat finanziert wird, jedoch ihre eigenen befremdlichen Regeln hat; die durch den Betrieb von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern im wahrsten Sinne mitten unter uns ist, aber zugleich fernab jeder Lebensrealität agiert. Und da als Verkünder der einzig wahren Lehre auch noch eine Art katholischer Ajatollah zugegen war, glitt die Veranstaltung gelegentlich ins Bizarre.
Das ist Schmutzjournalismus. Damit will ich nichts zu tun haben.

Aber ich kann diese katholische Haltung nicht nachvollziehen. Ich verstehe nicht, was der Erzbischof Kardinal Meisner meint. Mir ist es nicht nachvollziehbar, wie jemand eine derart rigorose Moral predigen kann wie der katholische TV-Chefredakteur Martin Lohmann, der allen Ernstes erklärte, daß er seiner Tochter, wäre sie vergewaltigt worden, das Austragen des Kindes dringend nahelegen würde.



Diese Sendung war gut. Niemand war aufgeregt. Die Positionen wurden vorgetragen. Ich habe von Details erfahren, die ich nicht gewußt hatte.

Das Problem ist die, sagen wir, Metaphyisik der katholischen Kirche. Sie verkündet, und läßt keinen Widerspruch gelten: In dem Augenblick, in dem ein Ei befruchtet wird, entsteht ein Mensch.

Dieses befruchtete Ei hat keine Ähnlichkeit mit einem Menschen. Es kann nichts empfinden, nicht fühlen und nicht denken. Es ist eine Körperzelle wie jede andere, in der Haut des Oberbauchs oder in der Leber.

Aber, sagt die katholische Lehre, diese befruchtete Eizelle hat doch das Potential, zu einem Menschen zu werden.

Ja, in der Tat. Aristoteles hat das erkannt, in seiner Unterscheidung zwischen δύναμις und ἐνέργεια; zwischen der Möglichkeit und der Wirklichkeit. Aber wieso verdient Dasjenige, das eine Möglichkeit hat, denselben Schutz wie das Wirkliche?

Die katholische Lehre ist, nicht unähnlich dem Marxismus, auf Voraussetzungen gebaut, aus denen Korrolare abgeleitet werden. Die Voraussetzungen muß man glauben. Den Ableitungen daraus kann man sich, wenn man intelligent und ehrlich ist, überhaupt nicht entziehen.

Das mag durchaus intellektuell faszinierend sein. Ein solches Gedankengebäude ist immer beeindruckend. Nur führt seine Konfrontion mit der realen Welt zu Konsequenzen, die so lachhaft sind, daß ich die Lacher in Jauchs gestrigem Publikum gut verstehen kann.



Die "Pille danach" hat, darüber ist man sich ja einig, den Sinn, eine unerwünschte Schwangerschaft - etwa nach einer Vergewaltigung - zu verhindern.

Aber nun kommt das große Problem, das Katholiken, jedenfalls deren Oberen, umtreibt: Tut sie das, indem sie die Befruchtung verhindert? Oder doch auch, indem sie die Einnistung des schon befruchteten Eis unterbindet? Das eine wäre nötigenfalls nach katholischer Lehre erlaubt, das andere unter keinen Umständen.

Nun weiß das die Wissenschaft offenbar nicht so sehr genau. Also wollen die einen Katholiken - in dieser Talkshow vertreten durch den Erzkonservativen Martin Lohmann - auf der sicheren Seite sein und die "Pille danach" lieber ganz verbieten; für Katholiken. Also wollen andererseits die liberaleren Katholiken es so sehen, wie es in der FAZ Michael Geyer dargelegt hat, gestützt auf eine Erläuterung der Pressestelle des Erzbistums Köln:
In der Erläuterung wird zunächst eingeräumt, dass man die Wirkprinzipien der "Pille danach" de facto wissenschaftlich oft gar nicht sauber voneinander trennen kann. Es gehöre nun einmal zur Eigenart solcher wissenschaftlichen Erkenntnisse, "dass sie nicht selten kontrovers sind". Anstatt nun die Losung auszugeben, die Lohmann in die Erklärung Meisners hineinlesen will: Im Zweifel Hände weg von der "Pille danach", erläutert die Pressestelle: Im Zweifel kommt es auf "die Absicht" an, nur die Befruchtung, nicht aber die Nidation verhindern zu wollen. Wenn eine solche Absicht bestehe, könne man die Nidationshemmung als unerwünschte Nebenfolge in Kauf nehmen. (...) "Solche Effekte sollten selbstverständlich minimiert werden. Ganz ausschließen kann man sie nie".
Ja, mit dem Auslegen von verkündeter Wahrheit ist es eben nicht leicht. Man kann das so sehen oder auch anders. Lohmann hat den Kardinal Meisner dringend gebeten, seine Stellungnahme zu erläutern. Ob nicht jeder das für sich selbst entscheiden könnte, ganz ohne die Erläuterung des Kardinals?



Mir ist diese ganze dogmatische Denkweise so fremd, daß ich Schwierigkeiten habe, mich überhaupt in sie hinein­zu­versetzen. Eine Frau ist vergewaltigt worden. Sie will das Kind nicht haben, das zur Hälfte ihr Kind wäre und zur Hälfte das Kind eines Verbrechers. Also hat man ihr gefälligst zu helfen. Wo ist das Problem? Wie können sich andere Menschen anmaßen, dieser betroffenen Frau in ihre Entschei­dung hineinzureden?
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Joachim Kardinal Meisner, gemalt von Gerd Mosbach 2010. Vom Autor Gemos unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported-Lizenz freigegeben.