10. Februar 2013

Der Skandal in der Causa Schavan

Wie es in Universitäten zugehen sollte, wie es in ihnen zugeht, das weiß kaum jemand so gut wie Kurt Biedenkopf, studierter Jurist, Politologe und National­ökonom. In den unruhigen Jahren zwischen 1967 und 1969 war er, damals noch keine vierzig, Rektor der Ruhr-Universität Bochum. Jetzt, mit 83 Jahren, ist er noch immer akademisch aktiv; als Forschungsprofessor am Wissenschafts­zent­rum Berlin für Sozialforschung.

Kurt Biedenkopf hat sich gestern in der "Welt" so deutlich zum Fall Schavan geäußert, wie man sich überhaupt nur deutlich äußern kann. Er hat seinen Kollegen von der Universität Düsseldorf ein miserables Zeugnis ausgestellt. Dort, beim Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität, sieht Biedenkopf den "wirkliche[n] Skandal in der Causa Schavan".

Dieser Fakultätsrat hat ein Verfahren zur Aberkennung des Doktorgrads eröffnet, ohne die Betroffene auch nur zu informieren. Sie erfuhr davon aus der Zeitung.

Dieser Fakultätsrat hat kein einziges Gutachten eingeholt. Kein fachlich Qualifizierter, kein externer Gutachter wurde gehört, wie das im Fall Guttenberg selbstverständlich geschehen war.

Es gab und gibt statt Gutachten allein eine, so die Pressestelle der Universität, "Sachverhaltsmitteilung" des Judaisten Stefan Rohrbacher.

Ausführliche Stellungnahmen von Fachleuten, darunter der Pädagoge Helmut Fend, von dem Annette Schavan abgeschrieben haben soll, wurden von diesem Fakultätsrat souverän ignoriert (siehe "Zwischen Guttenbergs und Schavans Doktorarbeiten liegen Welten". Nebst einer Anmerkung zur seltsamen Stellungnahme eines linken Politologen; ZR vom 18. 10. 2012).

Kurt Biedenkopf schreibt, daß "Zitiermängel" in Schavans Dissertation unbestritten seien. Würde man allen in Deutschland Promovierten, denen in ihrer schriftlichen Promotionsleistung Zitiermängel unterlaufen sind, den Doktor­grad entziehen, dann würde dieses Land allerdings in großer Zahl seine Doktoren verlieren.

Es geht nicht um Mängel. Es geht darum, ob Annette Schavan vorsätzlich getäuscht hat. Der Jurist Biedenkopf:
Die Fakultät hätte deshalb ihre Feststellungen des Sachverhaltes verbinden müssen mit Beweisen dafür, dass die festgestellten Regelverletzungen von Annette Schavan vorsätzlich und in vorsätzlicher Weise planmäßig herbeigeführt wurden. Ihre Mitglieder hätten, schon mit Blick auf die schwerwiegenden Konsequenzen ihrer Entscheidung, beweisen müssen, dass es sich um vorsätzliche Plagiate und um vorsätzliche Täuschung handelte.
Das hätte besser als jeder andere Annette Schavans Doktorvater Gerhard Wehle beurteilen können. Er wurde von diesem Fakultätsrat nicht um eine Stellungnahme gebeten. Dieser Rat wollte sich offenkundig nicht von Kundigen beraten lassen.

Der Jurist Biedenkopf sarkastisch zu dieser Verfahrensweise einer philosophischen Fakultät:
Zwar kann ich nicht ausschließen, dass in philo­sophi­schen Fragen Feststellungen zugleich als Beweise angesehen werden, weil man philosophische Wahr­hei­ten, anders als reale Sachverhalte, nicht beweisen kann. Aber hier handelt es sich nicht um Philosophie, sondern um harte Realität.
Das Gutachten, das dann keines sein sollte, wurde dem "Spiegel" zugespielt; schon das ein Skandal (siehe Plagiatorin Schavan?; ZR vom 15. 10. 2012).

Dies habe, so rekonstruiert es Biedenkopf, die "Fakultät in eine missliche Lage" gebracht:
Im Grunde waren ihr durch die präjudizierende Wirkung der Veröffentlichung von jetzt an die Hände gebunden. Würde sie das Votum Rohrbachers korrigieren und die Behauptung, Annette Schavan habe vorsätzlich gehandelt, streichen – was in der Fakultät erwogen wurde –, würde sie nicht nur ihr Fakultätsmitglied Rohrbacher im Regen stehen lassen.

Die Medien, die sich eben auf die "CDU-Politikerin" eingeschossen hatten, würden ihr die Korrektur nicht verzeihen.
Eine "Verletzung ihrer wissenschaftlichen Sorgfaltspflicht" hätten seine Düsseldorfer Kollegen damit begangen, schreibt Biedenkopf.

Ein vernichtenderes Urteil über Wissenschaftler gibt es nicht. Biedenkopf abschließend:
Die Zeit wird kommen, in der die heutigen Mitglieder der Philosophischen Fakultät ihren Studentinnen und Studenten werden erklären müssen, wie sich ihr jetziges Verhalten mit dem Anspruch vereinbaren lässt, den eine Universität einlösen muss, die den Namen Heinrich Heine trägt.
Dieser Fakultätsrat, der wissenschaftliche Ansprüche in der Dissertation Annette Schavans verletzt sah, hat selbst nicht einmal minimalen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Er hat das Ansehen der Heinrich-Heine-Universität aufs Schwerste geschädigt.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette vom Autor Kurt Steinhausen / Radio Day unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported-Lizenz freigegeben. Bearbeitet. Mit Dank an Frank Böhmert.