26. August 2007

Randbemerkung: Die Konstante im Leben des Lothar Bisky

Lothar Bisky "Bild am Sonntag" ein Interview gegeben. Aus diesem Interview wird heute in den Medien zitiert, und zwar durchweg ein Satz, in dem Bisky die Existenz eines Schießbefehls an der Grenze der DDR bezweifelt.

Der "Tagesspiegel" zum Beispiel zitiert das so: " 'Für mich ist nicht belegt, dass es einen generellen Schießbefehl gab. Denn den hätte nur der Nationale Verteidigungsrat beschließen können. In dieser Form ist er meines Wissens nicht dokumentiert', sagte Bisky in der 'Bild am Sonntag'."

Überschrift beim "Tagesspiegel": "Bisky bezweifelt allgemeinen Schießbefehl an DDR-Grenze". Ähnlich titelt das ZDF: "Bisky bezweifelt allgemeinen DDR-Schießbefehl". Bei "Spiegel Online" lautet der Titel: "Bisky zieht Schießbefehl in Zweifel".

Ist das eine Meldung wert? Mir scheint das nicht so.

Denn die gesamte DDR-Nomenklatura bezweifelt ja die Existenz eines "Schießbefehls". Und natürlich haben sie Recht, Krenz und Genossen: So wenig, wie Hitler jemals einen Befehl zur Ermordung der europäischen Juden unterzeichnet hat, so wenig hat der Nationale Verteidigungsrat der Deutschen Demokratischen Republik einen Schießbefehl verabschiedet.

Wie es war, das war kürzlich hier zu lesen: Die Grenzsoldaten wurden zum Schießen auf Flüchtende ausgebildet, und sie wurden bei der täglichen "Vergatterung" mündlich darauf hingewiesen, daß auf Flüchtende zu schießen war.

Wer einen Flüchtling erschossen hatte, der kam nicht etwa vor ein Kriegsgericht, sondern er erhielt - wie es zum Beispiel in diesem Gerichtsurteil festgestellt wurde - eine Belobigung und eine Geldprämie.

Daß ein Soldat, der befehlswidrig einen Flüchtling erschossen hätte, dafür belobigt worden wäre, ist undenkbar. Also gehorchte derjenige, der das tat, einem Schießbefehl.



Nun gut. Bisky arbeitet mit demselben dialektischen Trick wie Krenz und andere Angehörige der DDR-Nomenklatura: Er weist darauf hin, daß es keinen schriftlichen Schießbefehl von Honecker oder dem Nationalen Verteidigungsrat gab und möchte damit den Eindruck erwecken, es habe überhaupt keinen Schießbefehl gegeben.

Wobei er - wie auch schon der Geschäftsführer seiner Partei, Bartsch, - mit sozusagen kindlicher Naivität auf die Gesetze der DDR verweist. So, als hätten die für die "Staatsmacht" jemals bindende Kraft gehabt.



Also, daß Bisky sich zum Schießbefehl so äußert wie die gesamte Riege der einst Mächtigen in der DDR, zu der er gehörte, ist nicht verwunderlich und keine Schlagzeile wert.

Aber ein anderer Satz aus diesem Interview erscheint mir sehr interessant. Auszug aus dem Interview:
Frage: Sie waren Mitglied der SED, der PDS, der Linkspartei und nun der Linken. Klingt eher wendig als vertrauenerweckend.

Antwort: Demokratischer Sozialist bin ich immer geblieben. Das ist die Konstante in meinem Leben.
"Demokratischer Sozialist" war Bisky also seinem Selbstverständnis nach, als er in der DDR lebte. Als er diesem Staat als hoher Funktionär diente. Als das sich zutrug, was hier zu lesen ist.

Das allerdings schiene mir eine Meldung in den Medien wert gewesen zu sein. Denn viele bei uns - vermutlich die Mehrheit der Deutschen - glauben ja, daß Bisky und Genossen mit der "Konstanten" in ihrem Leben gebrochen haben. Daß sie ihren Irrtum eingesehen haben und Demokraten geworden sind; in der Tradition von Arthur Koestler, Ernst Reuter, Wolfgang Leonhard, Manès Sperber.

Nein, das haben sie nicht. In dieser Tradition stehen sie nicht, Lothar Bisky und seine Genossen. Bisky hat als das, was er für einen demokratischen Sozialisten hält, die Diktatur in der DDR in führenden Funktionen unterstützt. Er hält sich heute unverändert für einen demokratischen Sozialisten.



Es gibt noch eine Passage in dem Interview, die nachgerade unfaßbar ist. Bisky sagte: "Aber ich kenne eine Reihe von jungen Männern, die an der Grenze Dienst getan haben und die nicht geschossen haben. Der kürzlich verstorbene Schauspieler Ulrich Mühe war einer von ihnen. Man musste nicht schießen."

Zynischer geht's kaum noch.

Natürlich hoffte jeder der Wehrpflichtigen, die zu diesem Dienst geschickt wurden, daß er nicht in die Situation kommen würde, entweder auf einen Flüchtling zu schießen oder dienstlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Natürlich hat es Anständige gegeben, die Nachteile auf sich genommen haben, weil sie nicht einen Menschen ermorden wollten. Das als Beleg gegen die Existenz eines Schießbefehls anzuführen ist absurd.

Und Ulrich Mühe ist bekanntlich an dem, was Biskys Staat ihm als Soldaten der Grenztruppe abverlangte, fast zerbrochen. Wenn jetzt der Kommunist Bisky diesen Mann sozusagen als Kronzeugen anführt, dann kann einen wirklich der Ekel überkommen.

Manchmal blitzt hinter der Maske des Biedermanns, mit der Bisky herumläuft, derjenige auf, der er wirklich ist.

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