22. Februar 2020

Erfurt: ein kleiner Zwischenruf



Oder Neudeutsch: ein OT (im Protokoll von Plenarsitzungen folgt nach solchen Intermezzi der Vermerk: "leichte Unruhe im Plenum").

Als Frau Merkel, vor nun vier Jahren, beim Zusammenkommen der CDU im Kielwasser der mecklenburg-vorpommerischen (vorpommeranischen? vorpommeresken? Pommes schwarz-rot?) Landtagswahlen im Oktober 2016 auf Weihnachtslieder und Blockflötenspiel als Quintessenz deutscher Kulturpflege abhob, sorgte das für nicht geringem Spott in den sozialen Medien. Um pars pro toto Die Welt zu zitieren:

Sie schlug vor, Liederzettel zu kopieren und jemanden aufzutreiben, der Blockflöte spielen kann. „Ich meine das ganz ehrlich. Sonst geht uns ein Stück Heimat verloren.“
Jetzt, im Zuge der Erfurter Zäsur, da sich das politische Establishment dieses Landes endlich daranmacht, das Risiko des unberechenbaren Wählervotums auf ein angemessenes Maß zurückzustutzen, auf das es nicht mehr an der Bildung zielführender Seilschaften und vorher festgelegter Deals hinderlich sein möge,  in dessen Verfahrenskorrektur jetzt der originelle Vorschlag auf dem Tisch liegt, doch bitte das Stimmverhalten von Abgeordneten der parlamentarischen Opposition im Vorab per Losverfahren (*) verpflichtend festzulegen, bekommt die damalige kryptische Einlassung auf einmal, um es mit der Wendung des unvergessenen Karl Kraus zu sagen, "einen Beigeschmack von Wahrheit":

Zugleich versichert der Landtagsabgeordnete Volker Emde, einer der vier CDU-Unterhändler, bei den Gesprächen: „Wir stellen das Wahlergebnis sicher.“ ... Es sei auch ein Losverfahren der CDU-Fraktion über das Abstimmungsverhalten der einzelnen Abgeordneten denkbar, sagte Emde. (Tagesspiegel)



Wir sollten nicht vergessen, daß Frau Merkels politische Sozialisation sich im weiland besten deutschen Staatswesen vollzogen hatte und "Blockflöten," als politische Vokabel verwendet, sich in diesem Soziotop nicht nur auf erzgebirgische Schnitzereien und Jahresendflügelfiguren bezog.

*PS: Der Protokollant kann dem Vorschlag des Losverfahrens in politicis durchaus einiges abgewinnen. Freilich nur, wenn als stringent in allen Bereichen des politischen Lebens Anwendung findet: von der Ersetzung der Wahlergebnisse, etwa bei der Ausfüllung des Wahlzettels (hier darf man angesichts der großen Zahl der einfließenden Zufallszahlen darauf vertrauen, daß das statistische Mitteln im Sinn der Gauss'schen Normalverteilung greift), bis hin zu den Entscheidungen bei Parlamentsvoten. Ein besseres Resultat als bei der gegenwärtigen Devolution und Dysfunktionalität unsere Politik, die wir seit Jahren präsentiert bekommen und für deren Steigerung keine Obergrenze auszumachen ist, wäre jedenfalls garantiert. 

PPS: Für alle, die sich fragen, warum die Neuwahl in Thüringen unter der Interimsregierung Ramelow erst in 14 Monaten, für den April 2021, angesetzt ist, könnte der folgende Hinweis zur Klärung beitragen:


PPPS, 23:11. Noch zum vorigen. Der kleine Zyniker erlaubt sich, solches mit Ja ne, iss klar zu kommentieren.

Die Union dagegen rauscht in den Umfragen Richtung zehn Prozent ab, seit sie gemeinsam mit AfD und FDP den Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich gegen alle politische Vernunft ins Amt gehievt hat. Bei raschen Neuwahlen drohten Thüringens einstiger Staatspartei herbe Verluste. Abgeordnete müssten dann um ihre Mandate bangen - und manche gar um ihre Pensionsansprüche.
Altersentschädigungen erhalten Thüringer Abgeordnete erst nach sechs Jahren. Sechs CDU-Parlamentarier erreichen diese Frist erst in einigen Monaten. Ob das in den Überlegungen der Christdemokraten eine Rolle spielt, bleibt Spekulation. (SPON)
(Zur allfälligen Erinnerung: Das Angebot von Herrn Ramelow an die Adresse der CDU war: Frau Lieberknecht, frühere Ministerpräsidentin des Landes und Mitglied der CDU, als Interimspräsidentin für 70 Tage zur Vorbereitung von Neuwahlen zu akzeptieren. Die CDU hat sich hingegen dafür entschieden, einen Ministerpräsidenten der mehrfach umbenannten SED auf 14 Monate im Amt zu sehen. Man kann dies machen. Nur sollte man nicht erstaunt sein, wenn die Wähler, die bislang ihr Kreuzchen bei den nominell Christdemokratischen gesetzt haben, dergleichen bei der nächsten anstehenden Gelegenheit angemessen honorieren.)


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U.E.

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