Es war schon ein lustiges Husarenstück, das die Thüringer AfD (ja, die Höcke-AfD) da zusammengebracht hat. Statt sich mit der ihr zugedachten Rolle am Katzentisch zufrieden zu geben, wählte man, scheinbar recht unerwartet, halt geschlossen den Kandidaten der FDP und -schwupps- war dieser dann Ministerpräsident von Thüringen. Der Coup war von A-Z gut geplant, er war unerwartet, er war angetäuscht (man stellte ja einen eigenen Kandidaten auf) und er war richtig zeitlich durchgeführt in genau dem Wahlgang, wo er Sinn machte.
Und die politische Wirkung war verheerend. Die SED wurde mit Anlauf brüskiert, der sich sicher als Sieger empfindende Ramelow bekam eine knallharte Watschen ins Gesicht. Die Landeschefin der SED, stilsicher in der richtigen Partei, kam dann auch gleich dem Wunsch nach Ehrlichkeit nach und fiel perfekt aus der Rolle der angeblichen Demokratin indem sie den obligatorischen Blumenstrauß auf den Boden warf. Zumindest wird dabei deutlich was vom Kreidefressen der SED am Ende zu halten ist.
Weit spannender dagegen die Reaktion der kleinen und großen Politik. Während die "kleinen" Tänzerchen (früher hätte man Hassprediger gesagt) von Böhmermann bis zu Pöbel-Stegner den üblichen Schaum vor dem Mund entwickelten (was jetzt wirklich nicht schwer vorherzusehen war), waren die Reaktionen ihrer Vortänzer von durchaus ungewohnter Deutlichkeit und Einigkeit. Um nicht zu sagen geradezu panisch wenn nicht hysterisch. Ein unglaublicher Tabubruch habe stattgefunden, Weimar wird heraufbeschworen und die braunen Schatten der Vergangenheit konnten gar nicht deutlich genug in jedes Mikrofon gesprochen werden, dass passender oder unpassenderweise gerade da war.
War war denn eigentlich passiert? Ein MP wurde gewählt. Damit ist (erstaunlicherweise?) genau gar keine Verpflichtung eingegangen. Der MP kann die AfD genauso liegen lassen wie vorher (was er wohl nach eigenem Bekunden auch tun will). Es ist für seine Amtsführung vollkommen egal wer ihn gewählt hat. Deutschland hatte auch vor der AfD einen bestimmten Prozentsatz an echten Extremisten. Die haben durchaus auch gewählt. Hat das schon einmal jemanden gestört? Wieso soll das ein Skandal sein? Umgekehrt wird der Schuh allerdings deutlich passender: Es ist offenkundig überhaupt kein Skandal, wenn die SED, die Partei der Mauermörder, der bekennenden Kommunisten, Antisemiten und "Systeminfragesteller" einen eigenen MP stellt, aber ein Skandal wenn ein Demokrat mit den Stimmen von Extremisten ein solches Amt bekommt.
Geradezu absurd schlecht war dann die Reaktion der Parteivorsitzenden. Waren die Reaktion von Esken, Baerbeck und Company noch vorhersehbar (wollte man wirklich von einem Totalausfall wie Esken irgendetwas geistreiches erwarten?), so waren die Reaktionen von Lindner und Karrenbauer nicht nur inhaltlich am linken Mainstream angesiedelt, sie offenbaren auch gleichzeitig ein sehr seltsames Verständnis der von diesen doch so viel beschworenen Demokratie. Karrenbauer meinte direkt ihrem Landesvorband per Präsidiumsbeschluss befehlen zu dürfen was dieser zu tun und zu lassen habe und findet einen MP von der FDP schlimmer als eine Duldung der SED durch die eigene Partei. Schlimmer noch war aber die Reaktion von Lindner, der nun offensichtlich durch die Pressemangel, durch die er die letzten 2 Jahre gedreht wurde ("lindnern") so sehr in Mitleidenschaft gezogen wurde, dass er seinem Parteifreund(!) erst einmal den direkten Rücktritt nahelegte und sich direkte Neuwahlen wünschte. Davon mal ab, dass wir in Deutschland nicht "wählen bis das Ergebnis passt" so wird aus diesem Wunsch etwas anderes deutlich: Das auch er einen FDP-MP für einen schlimmeren Betriebsunfall hält als einen SED-MP. Denn genau das wäre ja das Ergebnis einer Neuwahl, da sich die Mehrheitsverhältnisse kaum ändern werden (nach dem Coup allenfalls noch ein bischen für die AfD) und die SED sich kaum noch einmal so übertölpeln lassen würde.
Lindner als auch Karrenbauer ist dabei auch etwas anderes gemein: Die Idee, dass die lokalen Verbände halt für die Partei auch schon mal in das eigene Schwert springen sollen. Denn unzweifelhaft würde ein jetziges Schmeissen genau dazu führen: Die FDP würde -zurecht- aus dem Landtag fliegen (vermutlich für immer), die CDU würde noch ein paar Sitze mehr verlieren. Aber Haupstache in Berlin gibt es gute Presse.
Das Absurdeste am Ganzen ist aber noch etwas anderes: Das keiner von den großen und kleinen Hampelmännern mal auf die Idee kommt, es einfach mal ausgehen zu lassen. Kemmerich regiert mit einer Minderheit. Etwas anderes hätte die SED auch nicht getan. Der einzige(!) echte Unterschied besteht darin, dass Kemmerich das Pech haben könnte per 2/3-Mehrheit abgesägt zu werden, während Ramelow sich immer auf seine Kader mit Sperrminorität hätte verlassen können. Aber das isses dann auch. Das die SPD das partout nicht will ist, angesichts ihrer derzeitigen Fahrt vor die Wand, nachvollziehbar. Das aber Karrenbauer und Lindner das auch bekämpfen sagt über die große Politik in Deutschland bei weitem mehr aus und bei weitem schlimmeres.
Aus einem kleinen Ereignis etwas großes zu folgern ist immer gewagt und oftmals falsch. Es erscheint mir dennoch nicht ausgeschlossen, dass die geradezu hysterische Reaktion aus der linken Ecke der Republik sich weniger aus reiner Empörung speist (dafür wäre dann Claudia Roth eher der Spitzenvertreter) als einer zunehmenden Angst vor Machtverlust. In Thüringen kommen gleich zwei Dinge zusammen: Der Verlust der Macht der SED und gleichzeitig das Husarenstück der AfD. Die Ausfälle der Landeschefin der SED sprechen da Bände. Die linke Hegemonie bekommt zunehmende Risse und das verursacht Angst. Die für mich eigentlich spannende Frage ist die Reaktion des gemeinen Bürgers auf dieses massive Aufbäumen des politisch-medialen Betriebes. Wir reden seit einigen Jahren davon das der Mehltau langsam aufbricht und die Hegemonie Löcher bekommt. Wenn sich der Mainstream nicht durchsetzt, wenn sich in Thüringen die Dinge normalisieren und der Mensch auf der Strasse nur mit den Schultern zuckt, dann hat die Republik an diesem Tage mehr gewonnen als nur eine Wahl.
Ich denke wir verdanken heute der AfD einiges. Denn lange hat niemand mehr das politische System in Deutschland in seiner Hässlichkeit und Verzweifelung so deutlich vorgeführt. Dafür muss man, so absurd es ist, der Höcke-AfD tatsächlich dankbar sein. Man muss sie nicht mögen. Aber der Eulenspiegel, den sie hier ausgegraben hat, ist auch nicht dafür da, dass man gerne hinein sieht.
Llarian
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