Wenn Wahlen etwas
veränderten, dann wären sie längst abgeschafft, lautet ein Bonmot, das dereinst
eher in linken Kreisen die Runde machte. Wenn Wahlen etwas verändern, dann
werden sie abgeschafft, könnte man die Posse nach der Kür des FDP-Mannes Thomas
Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten in Anlehnung an diesen
Sponti-Spruch trefflich kommentieren.
Zur Causa Kemmerich wurde
vielleicht schon von jedem alles gesagt. Auch in diesem Blog war der Vorgang
bereits Gegenstand mehrerer Beiträge. Ich möchte hier nicht die Argumente
wiederholen, weshalb die von der Bundeskanzlerin geforderte und vom Gros des
politisch-medialen Mainstreams herbeigetwitterte Rückgängigmachung der in Rede
stehenden Wahl eine Todsünde wider elementare demokratische Prinzipien
darstellt, von denen man dachte, dass sie zumindest bei der Union, der FDP, der
SPD und den Realo-Grünen außer Streit stehen. Nein, ich möchte im Folgenden
näher darlegen, weshalb sich die letztendlich auf kurze Sicht erfolgreichen
Hysterie-Ausbrüche des Meinungshegemons mittel- bis langfristig (aus der
Perspektive der entsprechenden Akteure) als kontraproduktiv erweisen werden.
Ein Aspekt der thüringischen Landesvater-Elektion, dem in der Debatte viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, ist der Umstand, dass diese Wahl geheim war. Die im Sozialkundeunterricht und in Einführungsvorlesungen in das Verfassungsrecht gelehrte Binsenweisheit besagt, dass es Sinn des Wahlgeheimnisses ist, die Freiheit der Wahl abzusichern. Niemand soll aus Angst vor staatlichen (in Diktaturen, die ja zumeist auch Urnengänge inszenieren, um sich einen demokratischen Anstrich zu geben) oder wirtschaftlich-sozialen Konsequenzen (die auch in Rechtsstaaten drohen) davon abgehalten werden, sein Kreuz dorthin zu setzen, wo seine wahre politische Präferenz liegt.
(Exkurs: Letzteres ist mutatis mutandis übrigens ein starkes
Argument gegen die auch von vermeintlichen Liberalen befürwortete
Klarnamenpflicht im Internet, die man freilich schon mit der füglichen Erwägung
ablehnen kann, dass es in Deutschland weiterer Gängelungen des Bürgers ohnehin
nicht bedarf.)
Der Fall Kemmerich(s) hat
einen weiteren Schutzzweck des Wahlgeheimnisses aufgezeigt: Der siegreiche Kandidat
soll sich nicht dafür rechtfertigen müssen, von wem er aller Wahrscheinlichkeit
nach (auch) gewählt wurde beziehungsweise: Er soll die Wahl auch dann annehmen
dürfen, wenn (auch) die Falschen für ihn gestimmt haben. Diese relativ simple
Einsicht hätte sich der politisch-mediale Mainstream zu Eigen machen sollen,
denn gerade in den östlichen Bundesländern könnte eine Ministerpräsidentenkür künftig
durchaus auch vom Votum der AfD abhängen, wenn im Übrigen entlang der
überkommenen Linien (bürgerlich: CDU und, wo sie im Parlament vertreten ist,
FDP; links: SED und, wo sie im Landtag vertreten sind, Grüne und SPD – man entschuldige
diese Sottise, die ich mir nicht zu verkneifen vermochte) angekreuzt wird.
Freilich: Wenn Bodo
Ramelow, der von den Leitmedien zum lupenreinen Demokraten und über die
ideologischen Gräben hinweg beliebten Regierungschef stilisiert wurde, gemäß
Alexander Gaulands Anregung mit AfD-Beitrag zum Ministerpräsidenten Thüringens
gewählt würde, so fände man von der WELT bis zur TAZ sicher zahlreiche Gründe,
weshalb dasselbe nicht das Gleiche ist. Aber beim einen oder anderen Wähler
würde sich vielleicht doch die Überzeugung Bahn brechen, dass die
Diskursgouvernanten damit einmal wieder die üblichen Doppelstandards
wegzudiskutieren versuchen.
Doch nicht nur, weil man
sich selbst blockiert, wenn man jegliche Unterstützung durch die bösen Buben (und
Mädchen) dem Anathema anheimstellt, oder aber weil man unglaubwürdig auftritt,
wenn man die Hand je danach umdreht, ob ein Nichtlinker oder ein Linker mit AfD-Stimmen
gewählt wird; auch aus einem anderen Grund hat sich der politisch-mediale
Mainstream in der Causa Kemmerich maximal töricht verhalten.
Das linke Lager hätte dem
Ministerpräsidenten Kemmerich, dessen Wahl man in dem hier zu entfaltenden
Alternativszenario akzeptiert hätte, im Sinne einer Fundamentalopposition
jegliche Zusammenarbeit verweigern können. Ein solches Vorgehen ist in einer
Konkurrenzdemokratie, wie sie in Deutschland herrscht, nicht zu beanstanden.
Kemmerich wäre dann, wenn er eigene Projekte hätte durchsetzen wollen, auf den
Zuspruch der AfD angewiesen gewesen. Eine Koalition mit der Höcke-Truppe (und
der CDU) wäre freilich nicht in Frage gekommen, weil dies angesichts der
erwartbaren Reaktionen einen politischen Suizid Kemmerichs bedeutet hätte. Einer
Tolerierung im Sinne eines Blankoschecks für eine CDU-FDP-Koalition hätte die
AfD zweifellos nicht zugestimmt. Dies hätte letztlich eine Schachmatt-Situation
für Kemmerich mit sich gebracht, weil diesem die Zustimmung der AfD zu seinen
Vorhaben als Ausweis inakzeptabel rechter Politik angekreidet worden wäre und
er linkere Inhalte nicht hätte verwirklichen können, weil dies am Widerstand
der Volksfront und der Rechtspopulisten
gescheitert wäre. Eine in dieser Weise handlungsunfähige Regierung Kemmerich
wäre wohl bald Geschichte gewesen und dies wäre – ich wiederhole mich – durch
in demokratisch-rechtsstaatlicher Hinsicht hoffähige Mittel erreicht worden.
Stattdessen hat der
politisch-mediale Mainstream in einer Weise reagiert, welche ganz und gar nicht
dazu angetan war, die in AfD-affinen Kreisen frequente Klage über eine DDR 2.0 Lügen
zu strafen. Was bei besonnener Reaktion des Diskursherrschers (lediglich) ein
gelungener Coup Höckes (und vielleicht auch des AfD-Bundesvorstandes?) gewesen
wäre, ist durch die Entgleisungen, die sich die Mehrheit der Journalisten und der
tonangebenden Politiker von der CSU bis zur SED geleistet haben, zu einem
veritablen Volltriumph der AfD geworden. Selten hat das – ich formuliere dies
jetzt einfach mal so – Establishment dieses Landes seine hässliche Fratze so ungeschminkt
gezeigt wie in der Causa Kemmerich.
Noricus
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