12. Mai 2019

Und sie diskutieren doch: Wie und warum in Frankfurt nicht geschehen ist, was sonst so häufig passiert

Mit den Worten „Es kam diesmal anders“ lässt Thomas Thiel auf FAZ.net seinen sehr lesenswerten Artikel über eine an der Universität Frankfurt abgehaltene, im griffigen Journalisten-Jargon als „Kopftuchkonferenz“ bezeichnete Veranstaltung beginnen. Tatsächlich: Der auf Twitter erschienene Hashtag #schroeter_raus, unter dem von einem letztlich unidentifizierten Autor nicht nur zur Absage des Debattentermins, sondern auch zu einer Entlassung von dessen Organisatorin, der in der Bankenmetropole lehrenden Ethnologin Susanne Schröter, aufgerufen wurde, führte trotz Unterstützung seitens der Lobby der Verhüllungsfreunde nicht zu dem erwartbaren Geschehensablauf. Vielmehr fand der Gedankenaustausch statt; von einer Emeritierung der Professorin ist keine Rede.

Solcherart spielten sich vergleichbare Situationen freilich nicht immer ab, wie die durch Susanne Schröter selbst erfolgte Ausladung des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, im Jahr 2017 belegt. Die NZZ ordnet die damalige Reaktion der Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam richtig ein: Seinerzeit sprachen sich nämlich sowohl eine nicht unbeträchtliche Anzahl Lehrender als auch der Allgemeine Studentenausschuss (AStA – in der Eigenbezeichnung wohl eher „Studierendenausschuss“) dagegen aus, Wendt, dem man zweifellos ein großes Bewusstsein für Publicity nachsagen kann, was seine Dämonisierung als Hassfigur der Linken aber nicht rechtfertigt, einen Platz auf dem Podium einzuräumen.
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Dass hinsichtlich der Veranstaltung „Das islamische Kopftuch - Symbol der Würde oder der Unterdrückung?“ niemand aus dem universitären Funktionärsbereich Schröter in den Rücken fiel, sondern ihr derselbe von der Hochschulpräsidentin und sogar vom AStA vielmehr gestärkt wurde, genau das ist der Unterschied zu dem in Deutschland inzwischen sattsam bekannten Ritual des Einknickens infolge sich durch Multiplikatoren-Fürsprache wie ein Lauffeuer ausbreitenden Empörungsgezwitschers.

Weshalb die relevanten Akteure den offenen Diskurs dieses Mal nicht in die Bleikammern des Nichthilfreichen verbannten, lässt sich nicht so leicht sagen: Skeptiker werden das Thema als ausschlaggebendes Element dieser Entwicklung hervorheben. Denn in puncto Kopftuch prallen zwei linke Ideologielinien ungebremst aufeinander: Zum einen die altlinke Tradition, die Herrschaftsverhältnisse auch bei Religionen kritisiert, und deren klassischer Feminismus ein nur an Frauen adressiertes Verschleierungsgebot, das noch dazu mit der Hintanhaltung männlicher Begehrlichkeiten begründet wird, strikt ablehnt. Zum anderen die victimhood culture, in der einer erhofften Einheitsfront an Mühseligen und Beladenen das Feindbild des alten, weißen Mannes gegenübersteht, wobei freilich zwischen den Opfergruppen eine Hierarchie vorausgesetzt wird, die es einer privilegierten Frau europäischer Abstimmung verwehren soll, negative Urteile über den Islam auszusprechen.

Um es polemisch und dadurch etwas knackiger zu formulieren: Die Misandrie einer Alice Schwarzer ist farben- und kulturblind, während sich die Feministinnen aus der Generation Schneeflocke eine Statistik der beim Oktoberfest begangenen Sexualdelikte zurechtphantasieren, um über die Ereignisse auf der Kölner Domplatte schweigen zu können. Die Angst, eines imaginierten „antimuslimischen Rassismus“ (ein „Kategorienfehler“, wie Hansjörg Müller in der NZZ zutreffend schreibt) geziehen zu werden, sticht die Kritik am real existierenden Sexismus.

Vielleicht, um das Argument zum Abschluss zu bringen, war der Ausgang der hier erörterten Angelegenheit nur Zufall. An einer anderen Universität, an der sich das neulinke Narrativ einer größeren Anhängerschaft erfreut, wäre die Diskussion vielleicht von den lieben Kollegen und dem AStA verhindert worden. Aber es gibt auch Anlass für eine optimistischere Interpretation: Möglicherweise bekommt das akademische Milieu langsam Bauchschmerzen, dass in Deutschland und Europa eine ähnliche Entwicklung einsetzen könnte, wie sie an amerikanischen Universitäten schon gang und gäbe ist. Vielleicht wird mehr und mehr Journalisten unwohl dabei, wie sehr sie auch durch ihren eigenen Haltungsexhibitionismus zur Verengung des Raumes des Sagbaren beigetragen haben, wenn die negative Bewertung des Auftrittes einer in den Medien offenbar präsenten, dem Verfasser dieser Zeilen bislang aber völlig unbekannten Zeitgenossin mit Migrationshintergrund zum Rassismusvorwurf führt.

Die Nagelprobe wird aber erst dann bestanden sein, wenn Diskussionsveranstaltungen zu Themen, die – anders als das islamische Kopftuch – im linken Spektrum nicht kontrovers diskutiert werden, sondern zu denen dort eine einhellige, dogmatische Meinung vorhanden ist, nicht vom Gegenwind der an einer Absetzung des Termins interessierten Kreise verweht werden. Dazu ist es erforderlich, dass sich die sogenannte Zivilgesellschaft nicht mit den Verbotsbefürwortern solidarisiert, sondern auch das Rederecht derjenigen verteidigt, deren Auffassungen sie mehrheitlich für falsch hält.

In Deutschland wird viel zu viel darüber gestritten, ob jemand eine bestimmte Ansicht äußern darf, als über die Frage, ob er mit seinen Gedanken Recht hat. Wenn die Debatte auf der Zulässigkeitsebene verbleibt und deshalb eine inhaltliche Behandlung des Gesagten entfällt, lässt dies mit der Zeit die Fähigkeit zur Diskussion in der Sache verkümmern. Diese sehr bedenkliche Entwicklung ist zweifellos auch für das niedrige Niveau des hiesigen öffentlichen Diskurses verantwortlich. Dass gerade die Linke, die sich traditionell in einem Gefühl der eristischen Überlegenheit gegenüber der Rechten sonnt, heute so große Angst vor einem argumentativen Austausch mit dem politischen Antipoden hat, ist wohl eine Manifestation des maliziösen Humors der Geschichte.

Noricus

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