27. Mai 2019

Ibiza-Affäre: Königs- und Bauernopfer

Sebastian Kurz und seine Übergangsregierung sind Geschichte. Der Nationalrat hat sämtlichen Mitgliedern des Kabinetts um den ÖVP-Shootingstar das Misstrauen ausgesprochen. Ist der 32-Jährige in seinem (jedenfalls für einen Politiker und im Vergleich zum Verfasser dieser Zeilen) zarten Alter bereits ein Gescheiterer?

Ich glaube nicht: Eigentlich hätte es für Kurz nicht besser laufen können. Bei der Europawahl fuhr seine Partei satte Gewinne ein – in dem österreichischen Bundesland, das der endunterfertigte Autor (vor allen anderen) liebt, kamen die Schwarzen auf wahrlich volksparteiliche 44 Prozent – und die motley crew der Unterstützer des Absetzungsantrages – SPÖ, FPÖ und JETZT (Liste Pilz) – dürfte nicht viel mehr einen als ihre Abneigung gegen Sebastian Kurz. Anders gesagt: Das Volk hat für den jungen Kanzler gestimmt, eine Politikerelite gegen ihn. Das ist eigentlich der perfekte Märtyrerstatus, wie ihn die Blauen so gern für sich verbuchen würden.
­
Und wenn die nunmehr aufkeimende Vermutung Boden gewinnt, dass Kurz seinen Innenminister Herbert Kickl weghaben wollte, weil er argwöhnte, dass sein Regierungskollege von dem Video gewusst habe und dessen Wirken im BVT-Skandal von einem Wunsch nach Inbesitznahme der betreffenden Aufzeichnungen getragen gewesen sei, dann würde auch jeder verstehen, weshalb der scheidende Bundeskanzler eine Neubesetzung des Sicherheitsressorts zur Voraussetzung für eine Fortsetzung der Koalition aus ÖVP und FPÖ erhob.

Um einschätzen zu können, in welch vergleichsweise komfortabler Position sich Kurz nunmehr befindet, sollte man sich die möglichen Alternativszenarien vor Augen führen: Hätte der Regierungschef das Bündnis mit den sogenannten Rechtspopulisten trotz Kickls Verbleib im Amt gewahrt, wäre er vom ideologischen Gegner einschließlich eines erklecklichen Teils der österreichischen und ausländischen Medien zerfleischt worden. Hätte er das Misstrauensvotum überstanden, wäre er einige Monate lang ein Bundeskanzler ohne Parlamentsmehrheit gewesen und hätte ihn die Majorität im Hohen Haus somit auflaufen lassen können. So aber ist Kurz der Mann, der nach seinem moralischen Kompass gehandelt hat und – wie sein von der katholischen Kirche kanonisierter Vornamensspender – von den Pfeilen einer seinen Überzeugungen feindlichen Machtphalanx durchbohrt worden ist.

*
**

Während sich mit Kurz der König selbst geopfert hat, wohlgemerkt aus einem riskanten Kalkül heraus, wird dem interessierten Publikum, was die Urheberschaft an dem nunmehr berühmt-berüchtigten Video betrifft, eine derart abstruse Geschichte aufgetischt, dass es schon fast wehtut, sich mit dieser auseinandersetzen zu müssen: Demnach sollen ein Wiener Rechtsanwalt, ein Detektiv und zwei „Sicherheitsexperten“ aus Abneigung gegen die FPÖ den Plan für die kompromittierende Filmaufnahme geschmiedet haben. Als Lockvogel sei eine bosnische Agrarwissenschaftsstudentin ausgesucht worden, die nicht nur mehrere Sprachen beherrsche, sondern mit ihrer Fachkunde in puncto Forst- und Jagdwesen Johann Gudenus für sich habe einnehmen können. Optisch habe man darauf geschaut, dass die vermeintliche Oligarchen-Nichte in Straches Beuteschema passe. Die Tagesgage für die Protagonistin habe sich auf 6.000 bis 7.000 Euro belaufen. Die ganze Aktion habe insgesamt 400.000 Euro gekostet. Ein deutscher Verein habe schließlich den Streifen um 600.000 Euro, bezahlt in Krügerrand-Goldmünzen, gekauft. Das schreibt nicht nur die Krone, sondern in den wesentlichen Zügen und zugestandenermaßen in der Folge des Boulevardblatts zum Beispiel auch die Wiener Zeitung.

Mir erscheint diese Story doch reichlich hanebüchen: Vier „Idealisten“ (salvierende Anführungszeichen) geben für ihren privaten Kampf gegen rechts fast eine halbe Million aus, finden die Idealbesetzung für den Vizekanzler-Köder, riskieren dabei (jedenfalls der beteiligte Rechtsanwalt) ein zumindest temporäres Berufsverbot – dies alles mit der Ungewissheit, ob Strache nicht doch den Braten riechen (oder der Lockvogel ein doppeltes Spiel aufziehen) und sich das Ausgabenbudget dann als Fehlinvestition erweisen würde. Vielleicht bin ich zu abgebrüht, aber das klingt mir doch zu sehr nach einem linksaktivistischen Märchen. Ich halte die Hypothese, dass der Film ein seinerzeit nicht mehr benutztes Relikt aus dem Nationalratswahlkampf 2017 oder das Produkt geheimdienstlicher Arbeit ist, nach wie vor für am wahrscheinlichsten. Aber ich lasse mich natürlich gerne eines Besseren belehren.

*
**

Für 21 Uhr ist offenbar eine Erklärung des Bundespräsidenten geplant. Interimskanzler soll – so meldet jedenfalls die Kleine Zeitung – der bisherige Finanzminister Hartwig Löger werden.

Noricus

© Noricus. Für Kommentare bitte hier klicken.