Wenn mich meine
Erinnerung nicht trügt, so habe ich den Namen Michael Wendler zum ersten Mal in
Berichten über einen Markenrechtsstreit gelesen. Falls Ihnen der besagte Herr
gänzlich unbekannt ist, werte Leserschaft, so drückt sich darin nicht ein
Mangel an Bildung, sondern vielmehr sogar ein Übermaß derselben aus. Denn
intellektuelles Niveau wird ja gerne in der Distanz zu den Lustbarkeiten des
breiten Publikums gemessen.
Michael Wendler ist, wie uns die Wikipedia aufklärt, „Sänger
und Songschreiber“ und damit wohl genau die Kategorie einer öffentlichen
Person, an der Interesse zu hegen dem durchschnittlichen Adressaten des Stern von dessen Redaktion unterstellt
wird. Der Tonkünstler, so ist einem Eintrag im Online-Auftritt des Hamburger Wochenmagazins zu entnehmen, buchte nach allerlei Irrungen und Wirrungen für
sich und seine bessere Hälfte zwei Plätze in einem Flugzeug von Miami nach
Mallorca. So weit, so unspektakulär. Als problematisch an der Reservierung erwies
sich, dass die beiden Sitze nicht nur nicht nebeneinander, sondern auch in
unterschiedlichen Preisgruppen gelegen waren: der eine in der business, der andere in der economy class. Auch die Tränen seiner
18-jährigen Freundin, die – wie man als Sänger und Songschreiber wissen sollte
– nicht lügen (ich spreche von den Tränen, von den Freundinnen will ich nichts
gesagt haben), bewegten den 46-jährigen Barden – wir verhandeln ein
Boulevardthema, dabei gehören Altersangaben zur lex artis – nicht dazu, mit dem Platz in der Holzklasse
vorliebzunehmen und seiner Angebeteten die komfortablere Reisemöglichkeit zu offerieren,
was das Nachrichtenmagazin entsprechend kritisch anmerkt.
Aber warum sollte Wendler
seiner Laura (ausgerechnet! Petrarca lächelt vom Pegasus-Rücken herab) eine
derart schöne Geste angedeihen lassen? Sie werden, geschätzte Leserschaft, am
Ende immer bei der folgenden Antwort landen: „Weil ein Gentleman das täte.“
Wendler, Jahrgang 1972,
gehört freilich zu der ersten Post-68er-Generation, für die das (Vor-)Bild des
klassischen Kavaliers wohl schon reichlich démodé
war. Und unsere hoffnungsvollen Millennials, jedenfalls solche, die in der
Großstadt leben und beruflich irgendwas mit Medien machen (und von der
deutschen Rechtschreibung herausgefordert werden), stehen dem Ideal des Gentlemans mit äußerst zwiespältigen Gefühlen gegenüber. Sind chevalereske
Verhaltensweisen also – horribile
cogitatu et horribilius dictu – Attribute des alten, weißen Mannes?
Der cavalier ist nichts anderes als der Ritter und wie dieser ein
hybrides Geschöpf: Einerseits verlangte man von den Mitgliedern des Wehrstandes
toxische Männlichkeit, zumal sanfteres Betragen im Krieg und in der Fehde eher
wenig Erfolg verhieß. Andererseits sollten sich die edlen Herren – zumindest
gegenüber ebenbürtigen Damen und Fräulein – nicht wie ungehobelte Bauernflegel
oder liederliche Wüstlinge gerieren.
Der im französischen
Absolutismus seiner einstigen militärischen Funktion entkleidete und zu
sinnlosem Hofschranzentum degradierte (das alte Soldatentum nur noch in Duellen
hochhaltende) Adel dürfte die standesgemäßen Verhaltensnormen fortentwickelt
und dabei das klassische Instrumentarium der galanterie geschaffen haben. In einer vor Zofen und Kammerdienern
nur so wimmelnden Filterblase übernimmt der aristokratische Mann gegenüber der
von ihm begehrten gleichrangigen Frau Handreichungen, welche normalerweise von
den Domestiken zu verrichten wären, und wendet ihr in einer Welt der Eitlen und
Schönen dadurch Aufmerksamkeit zu.
Das zu wirtschaftlicher
Macht gekommene Bürgertum nahm zwecks Verfeinerung der eigenen Manieren
schließlich Anleihen bei den Blaublütigen. Mit dem Einzug der Massenkultur im
20. Jahrhundert wurden das In-den-Mantel-Helfen und Türaufhalten dann zum
Gemeingut korrekten Benehmens, bis im Gefolge feministischer Debatten solche
Liebenswürdigkeiten in die Kritik gerieten.
Wie unser historischer
Exkurs gezeigt hat, sind toxische Maskulinität und galanterie die beiden Gesichter eines janusköpfigen Männerbildes
(der Ritter als Krieger und als Frauenverehrer), das in dieser Form nur in der
faustischen Kultur entstanden ist. In allen anderen patriarchalischen
Gesellschaften – das heißt: fast überall auf der Welt – fehlt das Kavalier-Ideal,
was für die conditio feminina nicht
unbedingt von Vorteil ist. Und so mag es kaum verwundern, dass misogyne
abendländische Intellektuelle neidvoll gen Osten schielten und mit „unsrer
altfranzösischen Galanterie und abgeschmackter Weiberveneration, dieser
höchsten Blüthe christlich-germanischer Dummheit“ (Arthur Schopenhauer, Über die Weiber) rein gar nichts anzufangen
wussten.
Freilich steht in der
okzidentalen Gegenwart nicht nur die toxische Männlichkeit, sondern auch der
Gentleman-Kodex unter Beschuss. Letzterer wird bezichtigt, seinerseits die
Herrschaftsverhältnisse zwischen den Geschlechtern zu zementieren, Frauen im
Ergebnis herabzuwürdigen („Ich bin doch nicht zu dumm, um eine Tür selbst zu
öffnen“) und allenfalls einen Trostpreis für fortbestehende
Ungerechtigkeitsempfindungen zu bilden („Was nützt mir eine Einladung zum
Abendessen, wenn die gender pay gap
nicht geschlossen wird?“). Virilitätsentgiftete junge Männer scheinen auch von
jeglichen Kavaliersrelikten befreit zu sein und als ebenso
weichgespültes wie zerquältes Gesamtpaket jedenfalls für einige ihrer Altersgenossinnen nicht besonders attraktiv zu sein. Vielleicht ist der
Gentleman aber auch gar kein Widerpart zur toxischen Männlichkeit, sondern lediglich
eine Sublimierung derselben und ohne diese nicht vorstellbar. Der zur Schaffung
der menschlichen Gesellschaft angeblich erforderlichen Überwindung der
männlichen Gesellschaft fällt der Kavalier wohl so oder so zum Opfer.
Noricus
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