19. Mai 2019

Der dritte Mann oder: Wer steckt hinter dem Ibiza-Video, das die österreichische Politik erschüttert?

Tragik und Komik liegen bekanntlich eng beieinander. Und so ist es wohl die personale, letztlich vielleicht nur aus seinem charakterlichen Habitus erklärbare Tragik des Heinz-Christian Strache, dass er, obwohl im Laufe des nunmehr berühmt-berüchtigten Abends des 24. Juli 2017 eine „eingefädelte Falle“ witternd, in diese getappt ist. Die Komik der Begebenheit liegt darin, in welch unvergleichlich plumper Art und Weise sich der zurückgetretene FPÖ-Chef bei der Zusammenkunft auf Ibiza um Kopf und Kragen geredet hat.

Wenn man die in den letzten Tagen ohnehin reichlich zur Anwendung gelangte Recht-und-Moral-Brille beiseitelässt, so ist der völlige Mangel an Format, der sich in Straches redseliger Prahlerei manifestiert, das eigentlich Verstörende an dem der Süddeutschen Zeitung und dem Spiegel zugespielten Video. Zutreffend stellt Claudius Seidl in einem nunmehr hinter die Bezahlschranke verschobenen Beitrag für die FAZ fest, dass patentierte bad guys ganz anders in eine solche Begegnung gegangen wären.
­
Dies würde aber den Schluss nahelegen, dass Strache und sein – in den veröffentlichten Ausschnitten der Filmsequenz den Buffo-Part übernehmender – Parteifreund Johann Gudenus keine Bösewichte, sondern übersichtlich strukturierte Zeitgenossen sind, die noch nicht einmal mit den allgemein bekannten Grundregeln der Konspiration vertraut sind beziehungsweise solche Kautelen außer Acht lassen, wenn ihnen alkoholische Getränke und weibliche Reize (der vermeintlichen Oligarchen-Nichte) die Zunge lockern. Muss man vor solchen Rechtspopulisten wirklich Angst haben?

Da der objektive Befund, wie er in dem Video dokumentiert ist, außer Streit steht und lediglich die Ernsthaftigkeit und Veridizität der Strache’schen Äußerungen Diskussionsgegenstand ist – der ehemalige Bundesminister spricht von ethanol- und hormonbedingtem, gegenstandslosem Maulheldentum, die gegenläufige Extremposition unterstellt ihm den Plan für einen schleichenden Staatsstreich –, haben sich die Medien nun auf die Frage des Urhebers des Videos und der diesem vorausgegangenen Schritte kapriziert.

Laut der bislang insoweit unbestrittenen Darstellung Straches sei der weibliche Lockvogel an den (bekanntermaßen russophilen) Johann Gudenus kurz nach dessen Vaters Tod herangetreten, dies mit der Bekundung, an der Pacht oder am Kauf eines im Eigentum seiner Familie stehenden Eigenjagdgebiets interessiert zu sein (so verstehe ich, ins Juristische übersetzt, Straches diesbezügliche Wortspenden). Die Frau habe auch behauptet, lettische Staatsbürgerin (und damit Unionsbürgerin) zu sein, sich in Österreich niederlassen und dort investieren zu wollen. Über Monate hinweg habe die „reiche Russin“, wie sie in der Berichterstattung mit einer knackigen Alliteration genannt wurde, zu Gudenus ein Vertrauensverhältnis aufgebaut und diesem schließlich mitgeteilt, sie wolle Strache kennenlernen. Ich referiere diese Behauptungen in großer Ausführlichkeit, weil sie eine Vermutung, die auf den ersten Blick nach Aluhutträger-Geschwätz klingen würde, plausibel macht.

Es ist zwar bestätigt, dass Jan Böhmermann schon lange vor der Publikation des Videos von diesem oder doch den darin festgehaltenen Dialogen wusste; und es gibt Hinweise darauf, dass das Zentrum für politische Schönheit vorab zumindest über das Wesentliche informiert war. Meines Erachtens ist es gleichwohl wenig wahrscheinlich, dass der Hinterhalt, in den Strache und Gudenus gelaufen sind, aus dem Milieu der Kämpfer gegen rechts stammt. Sowohl Böhmermann als auch das Zentrum sind auf Öffentlichkeitswirkung bedacht. Eine Aktion, die über Monate hinweg bei völligem Stillschweigen entwickelt werden muss, ist zweifellos nicht das Ding dieser Applaus von der richtigen Seite heischenden Zeitgenossen, die noch dazu bisher den Beweis ihrer strategischen Cleverness schuldig geblieben sind, dafür aber ausreichend Anlass gegeben haben, sie eines gewissen Narzissmus zu zeihen. Ein Narzissmus, der, wenn dessen Träger von politisch letalem Material gegen Strache erfahren, nicht mehr an sich halten und seine Freude darüber, dass Österreich bald vom imaginierten Faschismus befreit sein würde, nicht mehr verbergen kann, mag einen Dritten dazu bewegen, sich dieser kommunikativen Eitelkeiten zu bedienen, um von seiner eigenen Verwicklung in die Angelegenheit abzulenken.

Wenn man alle diese Umstände in Betracht zieht, erscheint die auch in der Presse vorgebrachte Hypothese, dass ein westlicher Geheimdienst der FPÖ wegen deren Putin-Verehrung einen Knockout verpassen wollte, gar nicht so abwegig. Ob die betreffenden Schlapphüte das Manöver selbst gestartet haben oder sich bei einer zunächst im Giftschrank verschwundenen Konserve des – als klassischer Schuss nach hinten geendeten – dirty campaigning der SPÖ vor der letzten Nationalratswahl bedienen konnten, mag dahinstehen.

Die Theorie, wonach Bundeskanzler Sebastian Kurz hinter der Video-Publikation stehen soll, überzeugt mich hingegen nicht. Denn wenn der Regierungschef die Koalition mit seinem Juniorpartner hätte beenden wollen, hätte er in den letzten Wochen dazu reichlich Gelegenheit gehabt, zumal die FPÖ auf die betreffenden Skandale und Skandälchen in einer nahezu bestürzend unsouveränen Weise reagiert hat: Die Aufregung um das sogenannte „Rattengedicht“ hätte man etwa mit dem philologischen Argument beschwichtigen können, dass auch das (offenbar autochthone) lyrische Ich in dem Poem eine Ratte ist und deshalb das an Tiervergleichen Verwerfliche, nämlich dass das für die eigene Gruppe selbstverständlich in Anspruch genommene Menschsein einer anderen Community abgesprochen wird, gerade nicht zum Tragen kommt. Ich glaube, dass Kurz an einer Fortsetzung seiner erfolgreichen Reformpolitik interessiert ist. Dass diese nach derzeitigem Stand nur in einer Koalition mit der FPÖ realisiert werden kann, sagt weniger über den Bundeskanzler als vielmehr über die österreichische Parteienlandschaft aus (die in ihrer traurigen Gestalt der deutschen nur um wenig nachsteht).

Eigentlich schlüge jetzt die Stunde der freien, investigativen Medien. Denn natürlich ist es von öffentlichem Interesse, und zwar nicht nur in Österreich, zu erfahren, wer hinter dem Ibiza-Video und den es vorbereitenden Legendenbildungen steht. Hier könnten sich unsere Journalisten wirklich mit sauberer Recherche-Arbeit auszeichnen. Ob sie dies wollen, so freudentrunken sie gegenwärtig über die Beseitigung des bösen Drachen sind, ist allerdings fraglich.

Noricus

© Noricus. Für Kommentare bitte hier klicken.