Björn Höcke hat die AfD-Strategie der "sorgfältig geplanten Provokation" erfolgreich angewendet. Mit der Gewissheit im Rücken, dass seine Vorstandskollegen ihm entweder zustimmen oder sich aus Gegnerschaft zu Petry auf seine Seite schlagen, konnte er eines der letzten nicht herbeiphantasierten Tabus brechen - nämlich einen Schlussstrich mit der Nazivergangenheit von rechts zu verkünden (von links geht das unter dem Deckmantel der Israelkritik mittlerweile ganz gut).
Mir geht es hier nicht darum irgendwelche Apologeten der Rede oder sein anschließendes Halbdementi zu entkräften - damit sollen sich die Parteigremien oder Wähler der AfD beschäftigen, wenn sie sich die Frage stellen, ob sie ihn für tragbar oder unterstützbar halten. Da habe ich keine Aktien, drum kann es mir auch vollkommen egal sein, ob das tatsächlich Höckes innerste Überzeugung ist oder nur ein PR-Gag - die Rede ist in der Welt und wird diskutiert - auch hier im kleinen Zimmer. Und da der User schattenparker eine Frage zum Inhalt gestellt hat, möchte ich gerne darauf eingehen und meine Sicht schildern.
Die Frage lautet:
Inzwischen wird die dritte Generation geboren, die nicht mehr am Krieg teilgenommen hat. Es war schon nicht mehr meine Schuld, was in diesem Krieg passierte, erst recht nicht die meiner Kinder und schon gar nicht die der jetzt kommenden Enkel. Ich glaube ja auch sonst nicht an Kollektivschuld. Und ich glaube nicht an die Erbsünde, die auf allen Menschen qua Geburt lastet (was für eine perfide Perversion kirchlicher Machtpolitik). Warum sollte ich aber dann an eine Erbsünde aus dem zweiten Weltkrieg glauben?
Die Frage nach der Kollektivschuld und dem Schlussstrich taucht seit Kriegsende in unterschiedlichen Kontexten auf - zu Beginn der Bundesrepublik, um die wieder zu den Stützen der Gesellschaft gehörenden Täter reinzuwaschen (das Strauß zugeschriebene Recht, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen ist hier sprichwörtlich). Dann in den Siebzigern als Vorwand, um die Existenz Israels zu bekämpfen (Judenknacks), schließlich der Vorwand der Instrumentalisierung durch die USA, Israel (gelegentlich in Verbindung mit mehr oder weniger weitgehender Holocaustleugnung) von Nationalisten rechter wie auch linker Prägung.
Letztere sind für die Betrachtung Höckes besonders interessant, da seine Apologeten sich explizit auf sie in Person von Augstein sen. und Walser beziehen. Walsers Rede ist ein für einen Romancier erstaunlich unstrukturiertes Konglomerat aus den verschiedensten Motiven, einen Schlussstrich herbeizuwünschen (vor allem aber: Überdruss), von denen einer regelmäßig unterschlagen wird, damit der Walser bequem in der rechten Ecke stehen bleiben kann: Nämlich die symbolische Forderung nach der Begnadigung des Topas. Eine Volte der Schlussstriche von Auschwitz über Brüssel nach Ost-Berlin unter dem Motto: "In einer Welt, in der alles gesühnt werden müßte, könnte ich nicht leben". Darauf muss man erstmal kommen: Da mühen sich Generationen von Schlussstrich-Befürwortern (ich hätte jetzt fast "Schlussstricher" geschrieben, aber das pun not intended hätte mir wohl keiner geglaubt) mit dem Argument, aus einer nicht (mehr) vorhandenen Individualschuld könne keine Kollektivschuld abgeleitet werden. Unser Bodenseehecht zäumt dagegen das fliehende Pferd einfach von hinten auf und plädiert auf Freispruch aus Mangel an 16 Millionen Komplizen.
Das erste Argument hat ja isoliert betrachtet durchaus etwas für sich - eine Kollektivschuld kann nicht mehr als die Summe individueller Verfehlungen konkreter Personen sein. Soweit d'accord. Aber reicht das für eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad"?
Um die Frage zu beantworten, kommt man nicht drum rum, sich Gedanken über das Thema nationale Identität zu machen. Höcke führt gerne seine Herkunft aus einer Vertriebenenfamilie an (in der Rede vor allem, um sich von seinem beim Dresdner Publikum wohn nicht wohlgelittenen "Wessitum" zu distanzieren). Das ist eine der (hoffentlich) wenigen Gemeinsamkeiten, die mich mit ihm verbinden - väterlicherseits aus dem Hultschiner Ländchen und mütterlicherseits aus dem Elsass sowie aus dem Vorarlbergischen. Für mich bedeutet dass eine Bestätigung meiner ohnhin gefestigten Überzeugung, dass die Nationalität etwas völlig Kontingentes ist - zu anderen Zeiten oder unter leicht veränderten Vorzeichen könnte ich Franzose, Tscheche, Pole, Österreicher sein. Dies gilt natürlich nicht nur für Menschen, sondern auch für Staaten - Nationen wandeln sich, oft unabhängig von den landsmannschaftlichen Zugehörigkeiten ihrer Bewohner. Das kann für Konflikte sorgen, muss es aber nicht. Ich war lange Zeit skeptisch gegenüber der "Nation-durch-Gewohnheit"-Theorie des geschätzten Kollegen R.A., kann ihr aber zunehmend mehr abgewinnen. Kurz gesagt, eine Nationalität ist für mich ein nützliches Konstrukt, aber mehr auch nicht. Aus dieser Sicht fällt es mir natürlich leicht, ein derartig individualistisch begründetes Argument anzunehmen.
Aber was macht ein völkischer Nationalist wie Höcke, der eine - wenn auch daniederliegende - kollektive Identität der Nation als Volkskörper beschwört und von "den großen Wohltätern, den bekannten weltbewegenden Philosophen, den Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern" schwärmt. Nun, Heidegger ist tot, Wagner ist tot, Humboldt auch und Rudolf Diesel seit dem VW-Skandal sogar noch mehr. Zudem: wenn wir uns neben dem Mahnmal der Schande auch noch Denkmale für irgendwelche Sieger in nicht lokalisierbaren Schlachten genehmigen, dann scheint das Volk nicht nur einen Körper zu haben, sondern auch ein Gehirn mit einem - zwar selektiv, aber immerhin - funktionierenden Gedächtnis. Und hier liegt die Antwort, warum gerade Höcke über historische Schandtaten nicht den Mantel der Geschichte ausbreiten sollte, begründet. Eine Nation, die laut ihm so vor Tugenden strotzt, aber nicht einmal über die Grundtugend der Ehrlichkeit verfügt; eine Nation, die vorgibt, lediglich aus Fachkräften (Philosophen, Musikern, Entdeckern und Erfindern) zu bestehen und ihre Verbrecher verschweigt, ist - in Höckes Diktion - eine Lügennation.
Herr Höcke, haben Sie endlich Mut zur Wahrheit!
Inzwischen wird die dritte Generation geboren, die nicht mehr am Krieg teilgenommen hat. Es war schon nicht mehr meine Schuld, was in diesem Krieg passierte, erst recht nicht die meiner Kinder und schon gar nicht die der jetzt kommenden Enkel. Ich glaube ja auch sonst nicht an Kollektivschuld. Und ich glaube nicht an die Erbsünde, die auf allen Menschen qua Geburt lastet (was für eine perfide Perversion kirchlicher Machtpolitik). Warum sollte ich aber dann an eine Erbsünde aus dem zweiten Weltkrieg glauben?
Die Frage nach der Kollektivschuld und dem Schlussstrich taucht seit Kriegsende in unterschiedlichen Kontexten auf - zu Beginn der Bundesrepublik, um die wieder zu den Stützen der Gesellschaft gehörenden Täter reinzuwaschen (das Strauß zugeschriebene Recht, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen ist hier sprichwörtlich). Dann in den Siebzigern als Vorwand, um die Existenz Israels zu bekämpfen (Judenknacks), schließlich der Vorwand der Instrumentalisierung durch die USA, Israel (gelegentlich in Verbindung mit mehr oder weniger weitgehender Holocaustleugnung) von Nationalisten rechter wie auch linker Prägung.
Letztere sind für die Betrachtung Höckes besonders interessant, da seine Apologeten sich explizit auf sie in Person von Augstein sen. und Walser beziehen. Walsers Rede ist ein für einen Romancier erstaunlich unstrukturiertes Konglomerat aus den verschiedensten Motiven, einen Schlussstrich herbeizuwünschen (vor allem aber: Überdruss), von denen einer regelmäßig unterschlagen wird, damit der Walser bequem in der rechten Ecke stehen bleiben kann: Nämlich die symbolische Forderung nach der Begnadigung des Topas. Eine Volte der Schlussstriche von Auschwitz über Brüssel nach Ost-Berlin unter dem Motto: "In einer Welt, in der alles gesühnt werden müßte, könnte ich nicht leben". Darauf muss man erstmal kommen: Da mühen sich Generationen von Schlussstrich-Befürwortern (ich hätte jetzt fast "Schlussstricher" geschrieben, aber das pun not intended hätte mir wohl keiner geglaubt) mit dem Argument, aus einer nicht (mehr) vorhandenen Individualschuld könne keine Kollektivschuld abgeleitet werden. Unser Bodenseehecht zäumt dagegen das fliehende Pferd einfach von hinten auf und plädiert auf Freispruch aus Mangel an 16 Millionen Komplizen.
Das erste Argument hat ja isoliert betrachtet durchaus etwas für sich - eine Kollektivschuld kann nicht mehr als die Summe individueller Verfehlungen konkreter Personen sein. Soweit d'accord. Aber reicht das für eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad"?
Um die Frage zu beantworten, kommt man nicht drum rum, sich Gedanken über das Thema nationale Identität zu machen. Höcke führt gerne seine Herkunft aus einer Vertriebenenfamilie an (in der Rede vor allem, um sich von seinem beim Dresdner Publikum wohn nicht wohlgelittenen "Wessitum" zu distanzieren). Das ist eine der (hoffentlich) wenigen Gemeinsamkeiten, die mich mit ihm verbinden - väterlicherseits aus dem Hultschiner Ländchen und mütterlicherseits aus dem Elsass sowie aus dem Vorarlbergischen. Für mich bedeutet dass eine Bestätigung meiner ohnhin gefestigten Überzeugung, dass die Nationalität etwas völlig Kontingentes ist - zu anderen Zeiten oder unter leicht veränderten Vorzeichen könnte ich Franzose, Tscheche, Pole, Österreicher sein. Dies gilt natürlich nicht nur für Menschen, sondern auch für Staaten - Nationen wandeln sich, oft unabhängig von den landsmannschaftlichen Zugehörigkeiten ihrer Bewohner. Das kann für Konflikte sorgen, muss es aber nicht. Ich war lange Zeit skeptisch gegenüber der "Nation-durch-Gewohnheit"-Theorie des geschätzten Kollegen R.A., kann ihr aber zunehmend mehr abgewinnen. Kurz gesagt, eine Nationalität ist für mich ein nützliches Konstrukt, aber mehr auch nicht. Aus dieser Sicht fällt es mir natürlich leicht, ein derartig individualistisch begründetes Argument anzunehmen.
Aber was macht ein völkischer Nationalist wie Höcke, der eine - wenn auch daniederliegende - kollektive Identität der Nation als Volkskörper beschwört und von "den großen Wohltätern, den bekannten weltbewegenden Philosophen, den Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern" schwärmt. Nun, Heidegger ist tot, Wagner ist tot, Humboldt auch und Rudolf Diesel seit dem VW-Skandal sogar noch mehr. Zudem: wenn wir uns neben dem Mahnmal der Schande auch noch Denkmale für irgendwelche Sieger in nicht lokalisierbaren Schlachten genehmigen, dann scheint das Volk nicht nur einen Körper zu haben, sondern auch ein Gehirn mit einem - zwar selektiv, aber immerhin - funktionierenden Gedächtnis. Und hier liegt die Antwort, warum gerade Höcke über historische Schandtaten nicht den Mantel der Geschichte ausbreiten sollte, begründet. Eine Nation, die laut ihm so vor Tugenden strotzt, aber nicht einmal über die Grundtugend der Ehrlichkeit verfügt; eine Nation, die vorgibt, lediglich aus Fachkräften (Philosophen, Musikern, Entdeckern und Erfindern) zu bestehen und ihre Verbrecher verschweigt, ist - in Höckes Diktion - eine Lügennation.
Herr Höcke, haben Sie endlich Mut zur Wahrheit!
Meister Petz
© Meister Petz. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an schattenparker.