19. Oktober 2007

Das Attentat von Karachi: Was müßte man, was darf man im Bild zeigen?

Heute Abend habe ich die Informationen über das Attentat von Karachi verfolgt, indem ich zwischen CNN und Al Jazeera English hin- und hergeschaltet habe.

Weitgehend stimmte die Art der Berichterstattung überein: Es gab die üblichen Informationen über die Details des Anschlags, es gab Inverviews mit Vertretern der pakistanischen Parteien, es gab politische Analysen von Redakteuren.

Auch in der politischen Bewertung gab es kaum Unterschiede.

Bei beiden Sendern standen die beiden naheliegenden Fragen im Mittelpunkt, wer hinter den Attentaten steht und welche Folgen sie für die politischen Aussichten Bhuttos haben würden. Das Spektrum der Antworten, das die Kommentatoren und Interview- Partner gaben, war ebenfalls sehr ähnlich: Ein Attentat von Islamisten oder die Tat eines Geheimdienstes? Wird es nun einen Mitleids- Effekt geben, oder wird das Attentat die Anhänger Bhuttos im Gegenteil abschrecken? Wird Bhutto jetzt aufgeben oder erst recht kämpfen?

Und doch gab es einen augenfälligen Unterschied zwischen der Berichterstattung der beiden Sender; augenfällig im Wortsinn: Die Bilder aus Karachi waren radikal verschieden.

Beide Sender hatten zwar lange Sequenzen von Aufnahmen vom Ort des Attentats. Aber welch ein Unterschied!

Bei CNN sahen diese Bilder so aus, wie wir das vom TV her gewohnt sind: Man sah Flammen, Rettungswagen, Rettungskräfte mit Bahren, aufgeregte Menschen.

Al Jazeera zeigte das zwar auch, aber dazu Bilder, wie sie in unserem TV nicht zu sehen sind und es eben auch bei CNN nicht waren: Menschen, denen Glieder abgerissen worden waren. Körper - man sah nicht, ob noch lebend oder schon tot -, die von vier Männern an den Extremitäten gepackt und weggeschleppt wurden. Ganze Haufen von Leichen. Blutüberströmte Opfer. Also die fürchterliche Realität eines solchen Anschlags. Der ganze menschliche Jammer hinter Meldungen wie "Der Anschlag forderte mehr als 100 Opfer".



Als der (arabischsprachige) Sender Al Jazeera Bilder von den Mordtaten irakischer Terroristen zeigte und man ihm das vorwarf, wurde erwidert, in der arabischen Welt gebe es hinsichtlich solcher Bilder nun einmal andere Maßstäbe als in den westlichen Medien. Bis zu einem gewissen Grad gilt das offensichtlich auch für Al Jazeera English; einen im übrigen hervorragenden Nachrichten- Sender, der CNN oder BBC International in keiner Weise nachsteht (von denen er viele Journalisten abgeworben hat).

In den meisten westlichen Ländern gibt es strenge Regelungen für das, was gezeigt werden "kann" und was nicht. Nicht gezeigt werden kann das, was "schockieren" könnte, was als "nicht jugendfrei" zu betrachten ist. Also der Tod von Menschen, schlimme Verletzungen, exzessive Gewalt. Auch Leichen werden in der Regel nicht gezeigt, jedenfalls nicht von nahe.

Dafür gibt es sehr gute Gründe, auf die ich gleich komme. Wie immer man diese Gründe bewertet - eine offensichtliche Konsequenz dieser Regelungen ist, daß Kriege, Katastrophen, Attentate so gezeigt werden, wie sie überhaupt nicht sind. Das Essentielle daran - das Leid, die Verletzungen, der Tod - wird weggefiltert.

Al Jazeera tut das nicht; jedenfalls längst nicht in dem in den westlichen Medien üblichen oder auch vorgeschriebenen Maß. Was ich heute Abend bei Al Jazeera über die Folgen des Attentats gesehen habe, ist ungleich wahrer als das, was CNN zeigte (oder was man in deutschen Nachrichtensendungen sah).



Es ist wahrer - aber ist es auch erlaubt? Eine Frage, die natürlich schon lange diskutiert wird. Sie wurde in Deutschland vor einem halben Jahrhundert besonders heftig diskutiert, als der "Spiegel" während des Ungarn- Aufstands 1956 mehrere Seiten mit großformatigen Bildern gebracht hatte, die im Detail zeigten, wie Aufständische einen Geheimdienstler lynchten.

Damals, in der Nachkriegszeit, waren die Restriktionen noch längst nicht so streng wie heute. Ich erinnere mich aus meiner Kindheit an ein Foto in der Illustrierten "Quick", das die auf Stangen gespießten Köpfe von Opfern der Kommunisten im Korea- Krieg zeigte.

Ich erinnere mich noch daran, weil mich dieses Foto fürchterlich entsetzt hat und ich noch Monate danach davon geträumt habe; wie auch von manchen der anderen Entsetzlichkeiten, die man damals im Bild sehen konnte.

Was auf ein, vielleicht das stärkste, Argument für strenge Restriktionen hinweist: Den Jugendschutz.

Ein zweites Argument lautet, daß die Darstellung der fürchterlichen Realität verrohend wirke, nicht nur auf Jugendliche. Daß durch eine Flut solcher Bilder das Entsetzliche zur Norm wird, daß eine Abstumpfung einsetzt.

Drittens wird argumentiert, daß ja auch Darstellungen wie bei Al Jazeera keineswegs "die Wirklichkeit" widerspiegeln. Nicht nur, weil zwischen der Wirklichkeit und dem Zuschauer die Arbeit des Kamermanns, des Cutters, des Regisseurs steht. Sondern auch, weil allein die Darstellung im Medium des Fernsehens Unwirklichkeit schafft. Und damit auch - das ist der Kern dieses Arguments - das dargestellte menschliche Leiden unweigerlich zum Gegenstand eines Voyeurismus wird, bei dem sich ins Mit- Leiden oft auch die Lust am Schauen wie am Schaudern wird; Hinrichtungen waren ja einmal Volksbelustigungen.



Man kann sich diesen Argumenten nicht verschließen. Oder, richtiger formuliert, ich kann mich ihnen nicht verschließen.

Aber mit großem Unbehagen. Im Grunde wäre es am besten, von Kriegen und Attentaten gar keine Bilder zu zeigen, statt sie so zu zeigen, wie sie überhaupt nicht sind. Was wir zu sehen bekommen, informiert nicht, sondern es desinformiert uns. Was CNN aus Karachi gezeigt hat, ist, indem es die herumliegenden menschlichen Glieder, die schreienden Schwerverletzten, dieses ganze Blutbad nicht gezeigt hat, eine Lüge in Bildern gewesen.

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