2. Februar 2013

Sieben Jahre als Deutscher in Mali – Erfahrungen und Folgerungen (3): Die Schamkultur und das Fehlen einer freien Presse / Ein Gastbeitrag von Diarra

Es gibt in Mali keine echte Pressefreiheit. Zwar gibt es viele kleine lokale Radios, die gut informieren, aber diese haben nur regionale Bedeutung. Überregionale Zeitungen oder unabhängige Fernseh­sender existieren praktisch nicht. Der einzige malische Sender (ORTM) berichtet regierungsnah. Reiche Malier empfangen natürlich über Satellit frankophone Sendungen aus Paris oder Nordafrika, aber die Mehrheit der Malier hatte lange Zeit keinen Zugang zu unabhängigen und gut recherchierten Informationen. Erst durch das Internet und französische Radioprogramme ändert sich das nach und nach.

Wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen kommen ja gerade dann zustande, wenn Fehler richtig erkannt, öffentlich benannt (!) und dann abgestellt werden. Der Kommunismus ist nicht zuletzt daran gescheitert, dass er diesen inneren Prozess der kritischen und öffentlichen Selbstanalyse nicht zugelassen hat. Auch die fehlende Pressefreiheit in Mali hat bisher diese notwendige innere Selbstreinigung verhindert.

Das hat nach meiner Überzeugung auch etwas mit der afrikanischen Form der Schamkultur zu tun. Nicht nur, dass es zu wenige Menschen gibt, die lesen und schreiben können. Eine freie Presse ist zudem vom System der afrikanischen Schamkultur her nur sehr schwer aufrechtzuerhalten. Sie widerspricht den tiefsten inneren Empfindungen für "richtig" oder "falsch".

Man kritisiert öffentlich keinen Höherstehenden – fertig. Traut sich doch einmal ein Journalist, über die Geliebte des Präsidenten zu berichten, wird er sehr bald entlassen; und sein Chefredakteur gleich mit. Berichtet ein Radiomoderator darüber, dass die Frau des Präsidenten in Paris viel Geld für Kleider ausgegeben habe, wird er direkt nach der Sendung von Unbekannten zusammengeschlagen. Beides ist in Mali so passiert, aber kaum jemand hat dagegen protestiert.

So wurde auch über den drohenden Konflikt im Norden praktisch nichts Relevantes berichtet, bis es zu spät war. Ein kritischer Artikel hätte ja bedeutet, dass man etwas gegen den Präsidenten und die Armeeführung schreibt.

Als gut informierter Deutscher war ich zwar nicht auf den Putsch vorbereitet, aber ich wusste, dass es eine reale Bedrohung durch Entführungen und durch die Islamisten gab. Ich habe daher bestimmte Dinge unterlassen, wie z.B. nächtliche Überlandfahrten oder Besuche in Gegenden nördlich von Sévaré. Die Malier dagegen waren nicht ausreichend und angemessen informiert und daher mit der Realität völlig überfordert.

Natürlich gab es viele Berichte von Augenzeugen und noch mehr Gerüchte über die Situation im Norden. Aber das, was man gehört hatte, wurde weder von unabhängigen malischen Medien noch durch staatliche Stellen bestätigt. Bis zum Putsch im März 2012 lief meines Wissens im staatlichen Rundfunk kein einziger Bericht über die Lage im Norden, obwohl bereits die Städte Kidal und Gao in die Hand der Rebellen gefallen waren.

Noch im Februar 2012 war ich auf einem Treffen mit einem Minister aus dem Kabinett des Präsidenten, bei dem der Minister fest behauptete, dass der Aufstand der Tuareg, der ja zu diesem Zeitpunkt schon in vollem Gange war, kein Problem für den malischen Staat sei; schließlich seien nur 10% der Malier Tuareg. "Mit diesen 10% werden wir fertig" so sein Fazit.

Die Teilnehmer dieses Treffens haben diese Behauptung nicht hinterfragt, obwohl unter ihnen bereits die ersten Flüchtlinge aus Gao saßen, die es eigentlich besser hätten wissen müssen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Tuareg längst mit den Islamisten verbündet, und aus dem lokalen Aufstand war ein geopolitischer Konflikt geworden. Doch qualifizierte und unabhängige Informationen darüber waren politisch nicht erwünscht und wurden von der Mehrheit der Malier auch nicht eingefordert; da zeigte sich eben die Schamkultur.

Die unverantwortliche Nachlässigkeit der malischen Regierung der realen Bedrohung aus dem Norden gegenüber hätte eigentlich einer Korrektur durch unabhängige Medien bedurft. Aber diese entfiel völlig, während zugleich ein unglaubliches Informationsbedürfnis bestand. Pressefreiheit ist ein hohes Gut, und sie sorgt dafür, dass eine Gesellschaft innerlich stabil bleibt. In Mali war das nicht der Fall.



Noch eine Nachbemerkung: Auch deutsche Medien haben sich, was den Beginn dieser Krise angeht, nicht mit Ruhm bedeckt. Sie haben kaum über diese Krise berichtet, die sich schon lange abzeichnete. Als z.B. Ende 2011 ein deutscher Tourist in Timbuktu erschossen wurde, waren etwa zwei Stunden nach der Tat im Internet bei bbc-africa-online bereits der Name des Deutschen und die genauen Hintergründe der Tat zu lesen. In den Online-Ausgaben der deutschen Leitmedien war tagelang überhaupt nichts darüber zu erfahren.

Mittlerweile berichten deutsche Medien regelmäßig und weitgehend angemessen über den Verlauf und die Hintergründe des Krieges. Aber auch jetzt noch gibt es Details, die mir nicht gefallen wollen.

Warum wird z.B. nicht berichtet, dass bei der Eroberung der Stadt Konna durch die Islamisten als erstes die katholische Kirche zerstört wurde und dass gezielt nach Christen in der Stadt gesucht wurde? „Spiegel-Online“ brachte am Montag einen ausführlichen Bericht über die Einnahme Konnas durch die Islamisten und dann jetzt die Rückeroberung durch die Franzosen; aber auch darin wird nichts davon berichtet. Warum? Ich glaube, auch in Deutschland müssen wir für echte Pressefreiheit kämpfen.
Diarra



© Diarra. Der Verfasser hat von 2004 bis 2008 und wieder von 2009 bis 2012 in Mali gelebt und gearbeitet. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Ein Baobab (Affenbrotbaum) in Mali. Diese Bäume sehen äußerlich groß, stark und gesund aus, sind innerlich aber oft hohl und werden deshalb von starken Winden leicht umgeknickt - ein Sinnbild für Mali. Eigene Aufnahme des Verfassers. (Für eine vergrößerte Ansicht bitte zweimal auf das Bild klicken).