Gestern erschien in der FAZ ein Artikel über Gewalt gegen Polizeibeamte und das Klagen der Gewerkschaften darüber. Dazu hat die Journalistin Friederike Haupt einen Artikel aus dem "Hamburger Abendblatt" vom 24. August 2011 ausgegraben, in dem der Professor für Polizeiwissenschaften Rafael Behr behauptet hatte, die Polizei jammere zuviel über die Gewalt gegen ihre Beamten.
Der Blogger Christian Wickert berichtete am folgenden Tag recht zeitnah über den Streit, den dieser Vorwurf sogleich ausgelöst hat. (Criminologia.de.) Mehr als anderthalb Jahre dauerte es dann, bis die Sache bei der FAZ angekommen ist; was sie ihren Lesern allerdings verschweigt.
Wird es denn nun schlimmer mit der Gewalt gegen Polizisten oder wird nur zuviel darüber gejammert? Der FAZ-Artikel stellt eine Reihe von Positionen vor, die das Thema von verschiedenen Seiten beleuchten:
- Der Respekt vor der Polizei schwinde, weil Politiker das Handeln der Polizei infragestellten. (Polizei-Gewerkschafter Wendt)
- Die Lage werde schlechtgeredet, um der Polizei Privilegien wie die freie Heilfürsorge zu erhalten. (FAZ-Journalistin Haupt)
- Die drei Polizeigewerkschaften redeten die Lage um die Wette schlimm, um einander Mitglieder abzujagen. (Haupt)
- Das öffentliche Jammern über die Gewalt gegen Polizisten vermindere den Respekt vor ihnen, indem es sie als schwach hinstelle. (Prof. Behr)
- Die Gewalt gegen die Polizei nehme ab, die Polizisten zeigten aber öfter Gewalttaten an, weil sie selber häufiger angezeigt würden und dem zuvorkommen wollten. (Udo Behrendes, Polizeipräsidium Köln)
- Der demografische Wandel (weniger junge Männer) führe zu weniger Gewaltakten gegen die Polizei. (Kriminologe Pfeiffer)
Das ist zum Teil offenbar dummes Zeug, anderes klingt interessant. Da es die FAZ jedoch vorzieht, diese Fragen auf eine unsachliche und polemische Weise zu behandeln, kann man den Artikel eigentlich rasch aus der Hand legen oder wegklicken.
Wäre da nicht noch das Wort "Polizeiwissenschaft".
Nanu, was ist denn das? Jedenfalls wird ein solches Fach seit einigen Jahren tatsächlich an Universitäten gelehrt, etwa in Bochum. Wir haben hier offenbar eine im Entstehen begriffene neue Wissenschaft vor uns.
Ergibt eine solche "Polizeiwissenschaft" aber auch einen Sinn?
Mir scheint, wenn sich Soziologen, Juristen, Politologen, Verwaltungswissenschaftler und Psychologen mit der Polizei beschäftigen, dann betreiben sie im Rahmen ihres jeweiligen Fachs ernsthafte Wissenschaft, auch wenn sie sich nur schwer untereinander verständigen können. Dreht man jetzt den Spieß um, und eröffnet eine eigenständige Polizeiwissenschaft, dann fällt zwar das Verständigungsproblem weg, da sich alle Beteiligten mit der Polizei auskennen und ein Überblickswissen in den relevanten Fächern haben: doch kann man sich fragen, ob dann nicht die Wissenschaft dabei ebenfalls wegfällt. Vielleicht ist es ein ganz gutes Fach für die Berufsausbildung. Aber "Police Science", ich weiß nicht.
Danke an tekstballonnetje für den Hinweis. Der Beitrag Prof. Behrs im "Hamburger Abendblatt" ist nur für Abonnenten zugänglich. Die "Märkische Allgemeine" brachte kürzlich ein interessantes Interview mit Rafael Behr zum Thema.
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