Wer ist die Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika? Das hängt davon ab, wie man "Regierung" übersetzt. "Administration", das ist der Präsident mit seinem Kabinett und der ihm unterstellten Verwaltung, wie bei uns. Wenn man aber auf die WebSite US Government geht und dort Federal Government auswählt, dann sieht man, was in den USA die eigentliche Regierung ist: Die Gesamtheit der drei Gewalten, also der Exekutive, der Legislative und der Judikative. Die Administration, das ist nur der Executive Branch, der exekutive Zweig dieser Regierung.
Dieses Verständnis von "Regierung" wird traditionsgemäß zelebriert, wenn der Präsident die State of the Union Address vorträgt. Dann versammelt sich das gesamte Federal Government - der Präsident, die Abgeordneten beider Häuser des Kongresses, die Mitglieder des Obersten Gerichts; dazu traditionell die Spitzen des Militärs.
Man tagt im Repräsentantenhaus, das dann mit ungefähr 1000 Menschen gefüllt, im Grunde überfüllt ist. Dessen Abgeordnete sitzen auf ihren angestammten Plätzen (die Republikaner übrigens, vom Präsidium aus gesehen, links und in Sitzplänen traditionell mit roter Farbe dargestellt, die Demokraten blau dargestellt und rechts).
Vor ihnen wurden Stühle für die hundert Senatoren aufgestellt. (Genau genommen sind es nicht hundert, denn je ein Demokrat und ein Republikaner sind zu Hause geblieben, um für den Fall eines Anschlags auf die Versammlung den Senat weiter zu repräsentieren). Auch der Supreme Court, auch die Spitzen des Militärs haben ihre Sitzreihen.
Die Zuschauertribüne ist natürlich randvoll, und während der Rede des Präsidenten wird die Kamera immer wieder auf sie schwenken. Vor allem, wenn der Präsident einen der dort sitzenden Bürger persönlich anspricht, der sich besonderen Verdienst erworben hat; wie dieses Jahr Wesley Autrey, der in der New Yorker U-Bahn einen Menschen geretttet hat.
Das Ritual ist genau festgelegt: Ein Herold (Sergeant of Arms) kündigt den Präsidenten an, der durch ein Spalier von Menschen geht, händeschüttelnd, Bemerkungen austauschend. Er begibt sich zunächst zum Präsidium, das gemeinsam vom Präsidenten (jetzt erstmals von der Präsidentin; englisch heißen sie Speaker)) des Abgeordnetenhauses und dem Vizepräsidenten (zugleich Speaker des Senats) gebildet wird, und überreicht ihnen je ein Exemplar seiner Rede.
Das alles ist von viel Applaus begleitet, oft in Form von Standing Ovations; wie überhaupt während der ganzen Rede eine positive Atmosphäre herrscht. Oft applaudieren alle, oft nur eine Seite. Mißfallenskundgebungen gibt es so gut wie nie. Zwischenrufe wären undenkbar.
Ich beschreibe das so ausführlich, weil es auf uns Kontinentaleuropäer mit unserer Tradition der parlamentarischen Demokratie sehr fremd wirkt. Nicht auf Briten freilich, denn es ist gewissermaßen eine republikanische Variante der britischen Thronrede.
Der US-Präsident ist eben (auch) ein Wahlmonarch auf Zeit. Er ist zugleich Chief Executive, wie ein Kanzler oder Premierminister, und Head of State, wie ein Bundespräsident oder eine Königin.
Er verköpert die Regierung - Administration - , für die er als Parteimitglied steht, aber er verkörpert zugleich auch die Gemeinsamkeit aller Amerikaner, das Federal Government, zu dem auch die anderen Gewalten und zu dem beide Parteien gehören.
Die State of the Union Address bringt das beides zum Ausdruck: Der Präsident artikuliert seine eigene Politik, aber er spricht zugleich auch im Namen der Nation.
Diese Gemeinsamkeit der Nation ist in den USA traditionell in Kriegszeiten besonders stark. Auch der Irak- Krieg wurde von beiden Parteien gebilligt. Der Präsident hat in seiner gestrigen Rede daran erinnert:
Eine Oppositionsführerin, die dem Präsidenten immer wieder applaudiert, bei allen Meinungsverschiedenheiten; wie gestern Nancy Pelosi Präsident Bush. Ein Senat, bei dessen Anhörungen man oft nicht weiß, ob ein Senator der Republikaner oder der Demokraten sich äußert, wenn man die Person nicht kennt. Das kennzeichnet diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit; nicht nur jetzt, wo die Situation sie erzwingt.
Diese erbitterte, feindselige, oft persönlich herabsetzende Art, wie in unserem parlamentarischen System Regierung und Opposition miteinander umgehen, ist den USA fremd.
Bill Schneider, der kenntnisreiche politische Kommentator von CNN, hat gestern vor der Übertragung der Rede des Präsidenten gesagt, man dürfe nie vergessen, daß die USA eine "popular democracy" seien. Er meinte damit, daß die Abgeordneten und Senatoren stark auf die Stimmung ihrer Wähler zuhause reagieren.
Und da liegt wohl, was den Irak angeht, das zentrale Problem: Die Amerikaner sind in ihrer Mehrheit kriegsmüde. Sie hatten sich, wie vermutlich auch ihr Präsident, einen schnellen Sieg und danach eine friedliche Besatzungszeit vorgestellt, in der der demokratische Irak entstehen würde - wie in Deutschland, wie in Japan nach dem Zweiten Weltkrieg.
Was jetzt gekommen ist, das hatten sie nicht gewollt. Auch der Präsident sieht das so: "This is not the fight we entered in Iraq, but it is the fight we're in."; das sei nicht der Kampf, in den die USA eintraten - aber es sei nun einmal der Kampf, in dem sie sich jetzt befinden. Vor dem man, so sieht es der Präsident, nicht einfach davonlaufen kann, wenn es schwieriger wird als erwartet.
Die Senatoren und Abgeordenten beider Parteien befinden sich damit im Konflikt zwischen der Strategie des Präsidenten und den Wünschen der Mehrheit ihrer Wähler. Der Präsident ist entschlossen, den Sieg doch noch zu erreichen; jedenfalls alles dafür zu tun. Viele Wähler würden am liebsten einen Truppenabzug sehen; zwar nicht sofort, aber bald.
Das ist nicht miteinander vereinbar. Die Demokraten sitzen zwischen Baum und Borke; aber zwischen Fight und Flight gibt es eben keinen Mittelweg. Das heißt, es gibt ihn schon - nicht fliehen, aber auch nicht kämpfen. Aber das wäre das Schlimmste.
Dieses Verständnis von "Regierung" wird traditionsgemäß zelebriert, wenn der Präsident die State of the Union Address vorträgt. Dann versammelt sich das gesamte Federal Government - der Präsident, die Abgeordneten beider Häuser des Kongresses, die Mitglieder des Obersten Gerichts; dazu traditionell die Spitzen des Militärs.
Man tagt im Repräsentantenhaus, das dann mit ungefähr 1000 Menschen gefüllt, im Grunde überfüllt ist. Dessen Abgeordnete sitzen auf ihren angestammten Plätzen (die Republikaner übrigens, vom Präsidium aus gesehen, links und in Sitzplänen traditionell mit roter Farbe dargestellt, die Demokraten blau dargestellt und rechts).
Vor ihnen wurden Stühle für die hundert Senatoren aufgestellt. (Genau genommen sind es nicht hundert, denn je ein Demokrat und ein Republikaner sind zu Hause geblieben, um für den Fall eines Anschlags auf die Versammlung den Senat weiter zu repräsentieren). Auch der Supreme Court, auch die Spitzen des Militärs haben ihre Sitzreihen.
Die Zuschauertribüne ist natürlich randvoll, und während der Rede des Präsidenten wird die Kamera immer wieder auf sie schwenken. Vor allem, wenn der Präsident einen der dort sitzenden Bürger persönlich anspricht, der sich besonderen Verdienst erworben hat; wie dieses Jahr Wesley Autrey, der in der New Yorker U-Bahn einen Menschen geretttet hat.
Das Ritual ist genau festgelegt: Ein Herold (Sergeant of Arms) kündigt den Präsidenten an, der durch ein Spalier von Menschen geht, händeschüttelnd, Bemerkungen austauschend. Er begibt sich zunächst zum Präsidium, das gemeinsam vom Präsidenten (jetzt erstmals von der Präsidentin; englisch heißen sie Speaker)) des Abgeordnetenhauses und dem Vizepräsidenten (zugleich Speaker des Senats) gebildet wird, und überreicht ihnen je ein Exemplar seiner Rede.
Das alles ist von viel Applaus begleitet, oft in Form von Standing Ovations; wie überhaupt während der ganzen Rede eine positive Atmosphäre herrscht. Oft applaudieren alle, oft nur eine Seite. Mißfallenskundgebungen gibt es so gut wie nie. Zwischenrufe wären undenkbar.
Ich beschreibe das so ausführlich, weil es auf uns Kontinentaleuropäer mit unserer Tradition der parlamentarischen Demokratie sehr fremd wirkt. Nicht auf Briten freilich, denn es ist gewissermaßen eine republikanische Variante der britischen Thronrede.
Der US-Präsident ist eben (auch) ein Wahlmonarch auf Zeit. Er ist zugleich Chief Executive, wie ein Kanzler oder Premierminister, und Head of State, wie ein Bundespräsident oder eine Königin.
Er verköpert die Regierung - Administration - , für die er als Parteimitglied steht, aber er verkörpert zugleich auch die Gemeinsamkeit aller Amerikaner, das Federal Government, zu dem auch die anderen Gewalten und zu dem beide Parteien gehören.
Die State of the Union Address bringt das beides zum Ausdruck: Der Präsident artikuliert seine eigene Politik, aber er spricht zugleich auch im Namen der Nation.
Diese Gemeinsamkeit der Nation ist in den USA traditionell in Kriegszeiten besonders stark. Auch der Irak- Krieg wurde von beiden Parteien gebilligt. Der Präsident hat in seiner gestrigen Rede daran erinnert:
We went into this largely united, in our assumptions and in our convictions. And whatever you voted for, you did not vote for failure. (...) We will share ideas for how to position America to meet every challenge that confronts us. We'll show our enemies abroad that we are united in the goal of victory.Man sollte das nicht für reine Rhetorik halten: Zur amerikanischen politischen Kultur gehört diese Gemeinsamkeit aller Demokraten, das Bipartisanship, wenn es um die Interessen der Nation geht.
Wir haben dies weitgehend einmütig begonnen, vereint in unseren Auffassungen und Überzeugungen. Und wofür Sie auch immer gestimmt haben, Sie haben nicht für ein Scheitern gestimmt. (...) Wir werden unsere Vorstellungen darüber austauschen, wie Amerika sich aufstellen muß, um jeder Bedrohung zu begegnen. Wir werden unseren Feinden im Ausland zeigen, daß wir im Ziel des Siegs vereint sind.
Eine Oppositionsführerin, die dem Präsidenten immer wieder applaudiert, bei allen Meinungsverschiedenheiten; wie gestern Nancy Pelosi Präsident Bush. Ein Senat, bei dessen Anhörungen man oft nicht weiß, ob ein Senator der Republikaner oder der Demokraten sich äußert, wenn man die Person nicht kennt. Das kennzeichnet diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit; nicht nur jetzt, wo die Situation sie erzwingt.
Diese erbitterte, feindselige, oft persönlich herabsetzende Art, wie in unserem parlamentarischen System Regierung und Opposition miteinander umgehen, ist den USA fremd.
Bill Schneider, der kenntnisreiche politische Kommentator von CNN, hat gestern vor der Übertragung der Rede des Präsidenten gesagt, man dürfe nie vergessen, daß die USA eine "popular democracy" seien. Er meinte damit, daß die Abgeordneten und Senatoren stark auf die Stimmung ihrer Wähler zuhause reagieren.
Und da liegt wohl, was den Irak angeht, das zentrale Problem: Die Amerikaner sind in ihrer Mehrheit kriegsmüde. Sie hatten sich, wie vermutlich auch ihr Präsident, einen schnellen Sieg und danach eine friedliche Besatzungszeit vorgestellt, in der der demokratische Irak entstehen würde - wie in Deutschland, wie in Japan nach dem Zweiten Weltkrieg.
Was jetzt gekommen ist, das hatten sie nicht gewollt. Auch der Präsident sieht das so: "This is not the fight we entered in Iraq, but it is the fight we're in."; das sei nicht der Kampf, in den die USA eintraten - aber es sei nun einmal der Kampf, in dem sie sich jetzt befinden. Vor dem man, so sieht es der Präsident, nicht einfach davonlaufen kann, wenn es schwieriger wird als erwartet.
Die Senatoren und Abgeordenten beider Parteien befinden sich damit im Konflikt zwischen der Strategie des Präsidenten und den Wünschen der Mehrheit ihrer Wähler. Der Präsident ist entschlossen, den Sieg doch noch zu erreichen; jedenfalls alles dafür zu tun. Viele Wähler würden am liebsten einen Truppenabzug sehen; zwar nicht sofort, aber bald.
Das ist nicht miteinander vereinbar. Die Demokraten sitzen zwischen Baum und Borke; aber zwischen Fight und Flight gibt es eben keinen Mittelweg. Das heißt, es gibt ihn schon - nicht fliehen, aber auch nicht kämpfen. Aber das wäre das Schlimmste.
© Zettel. Titelvignette: George W. Bush bei seiner State of the Union Address am 2. Februar 2005. Als Werk der Regierung der USA in der Public Domain.