28. Februar 2023

Ein Himmelsschauspiel





(Nordlicht am 27. Februar 2023 über dem Mont St. Michael; Aufnahme von Michel Corisier)

Eins muß ich neidlos zugeben: wer immer höheren Ortes für die Regie der tatsächlich hoch über unseren Köpfen stattfindenden Son-et-Lumière-Inszenierungen am nächtlichen Himmel verantwortlich zeichnet, er (oder sie oder es – I’m not assuming their gender, wie man neuerdings auf Deutsch sagt), gibt sich seit Anbruch des Jahrs 2023 alle Mühe, den Erdlingen wirklich beeindruckende Lightshows zu präsentieren. Nachdem ich vor 12 Tagen, m 16. Februar, an dieser Stelle über die Feuerkugel geschrieben habe, die – mit mehreren Stunden Ansage – 3 Tage vorher die Nacht über dem Ärmelkanal kurzfristig zum Tag gemacht hat, um einen Tag später auf die nahe Begegnung zwischen den beiden hellsten Planeten Venus und Jupiter verwiesen habe, die in diesen Tagen unübersehbar gleich nach Sonnenuntergang des Himmel im Westen beherrscht, ist es in der vergangenen Nacht über ganz Norddeutschland – auch hier im Münsterland zu einem weiteren Himmelsschauspiel gekommen, das in unseren Breiten, fast 40 Grad südlich des Nordpols, wirklich Seltenheitswert besitzt: zum Auftreten eines Nordlichts, das nicht anders als „spektakulär“ zu bezeichnen ist.



(Aurora Australis, 27. Februar 2023 übr Neuseeland; Aufnahme Ian Griffin)

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(Über Churchill, Manitoba)



(Über England)

Und um auf das an dieser Stelle gepflegte Thema der „unwahrscheinlichen Zufälle“ zurückzukommen, das sich seit meiner Begleitung des ersten unbemannten Flugs des „Artemis“-Mondflugprogramms wie ein Basso Ostinato durch meine Beiträge zieht: Diese Aurora Borealis erschien fast auf den Tag 85 Jahre und einen Monat nach der letzten solchen Heimsuchung in unseren Breiten.

Daß Arno Schmidt der (indirekte) Namenspatron dieses Netztagebuchs und sein heimlicher Schutzheiliger ist, ist bekannt. Und eben dieser Arno Schmidt, lange bevor er der kauzigste Avantgardeautor der deutschen Nachkriegsliteratur wurde, schreibt am 22. Februar 1938 als 24-jähriger angehender Buchhalter der Textilfirma Greiff & Co.aus den schlesischen Lauban an seinen Schulfreund Heinz Jerofski: „Hast du am 24. Jan. das grosse Nordlicht beobachten können? War eine Lust sage ich dir!“

Auch wenn es mir widerstrebt, den Zahlenfanatiker Schmidt („Hinzu kam noch meine wahnsinnige Lust an Exaktem: Daten, Flächeninhalte, Einwohnerzahlen. Wer die Sein=setzende Kraft von Namen, Zahlen, Daten, Grenzen, Tabellen, Karten, nicht empfindet, tut recht daran, Lyriker zu werden; für beste Prosa ist er verloren“ – legt er seinem Alter Ego Eggers im „Steinernen Herzen“ in den Mund) zu korrigieren, aber wie nicht selten hat ihn sein „gußeisernes Gedächtnis“ ohne die mnemotechnische Räuberleiter seiner Zettelkästen hier gefoppt. Der große magnetische Sonnensturm vom Januar 1938, auch „Fatima-Sturm“ genannt, ließ den Himmel über Europa bis hinunter zur Akropolis in der Nacht von Dienstag, den 25. auf den 26. aufflammen.



(Entwicklung der Sonnenfleckengruppe MWO05726 vom 13. - 22. Januar 1938)

Im Januar 1938 lag der Höhepunkt der Sonnenaktivität des 11-jährigen Sonnenfleckenzyklus (dem 18., nachdem unser Zentralgestirn nach der 72-jährigen Pause des Maunder-Minimums wieder begonnen hatte, „maculae“ zu zeigen) ein gutes halbes Jahr zurück. Auf der Sonnenscheibe waren mehrere große Flecken zu beobachten, denen die größte mit der Bezeichnung MWO05726, mit einer Ausdehnung von gut 150.000 Kilometern seit dem 13 Januar beobachtet worden war, wie er gut 20 Grad nördlich des Sonnenäquators seiner langsame, 27 Tage dauernde Wanderung nach Westen begann. Am 22. Januar kam es in diesem Bereich der Sonnenoberfläche um 5 Uhr, um 9 Uhr und um 10 Uhr Greenwichzeit zu drei heftigen Ausstößen gewaltiger Mengen von Wasserstoffplasma. Als die Gasmassen drei Tage später auf die oberen Atmosphäreschichten der Erde stießen, ergab sich ein Schauspiel, das in den mittleren Breiten Europas in dieser Stärke seit 1709 und in der Vereinigten Staaten seit 1888 nicht mehr gesehen worden war und das in den Linzer „Oberösterreichischen Nachrichten“ vom 26. Januar (Entschuldigung: Jänner) so beschrieben wurde:



(Zeichnungen des Nordlichts vom Januar 1938 über Karanui in Japann. Warum dies von vielen Beobachtern dort als gutes Omen im Krieg Japans gegen China gesehen wurde, dürfte augenfällig sein.)

„In den Abendstunden gab es eine Nordlichterscheinung, über die Meldungen unter anderem aus den österreichischen Bundesländern, dem Deutschen Reich, aus Frankreich und Griechenland vorliegen. Sie trat überall zuerst mit einem roten Schein auf, der dazu führte, dass vielerorts die Feuerwehr alarmiert wurde. … Der Himmel war im Nu in flammende Röte getaucht und leuchtete in einer prächtigen Farbensinfonie. Lichtkegel, wie aus vielen Scheinwerfern ausgestrahlt, sorgten für ein seltene Himmelspracht.“



(NRW: Aufnahme von Chantal Anders aus der Kreis Soest)



(Husum)



(Amrum)

Zu einer solchen Himmelserscheinung kommt es dann, wenn die schnellen, also energiereichen Gasatome auf die Luftmoleküle der Erdatmosphäre stoßen und die von diesen absorbierte Energie zu Quantensprüngen in den äußeren Elektronenschalen führen, die Atome also nach einer solchen „Überladung“ in einem elektrisch neutralen Zustand zurückfallen, die je nach Element Photonen mit verschiedener Wellenlänge freisetzen. Der Großteil dieses Leuchtens wird in Höhen von 120 bis 240 Kilometern erzeugt. Hauptsächlich sind daran die Sauerstoffatome beteiligt, die bei Wellenlängen von 557,7 Nanometern rotes und 630,0 Nanometern rotes Licht aussenden. Und wer sich diesen Verfahren frappant an die Vorgänge erinnert fühlt, die Leuchtstoffröhren erinnert fühlt, hat recht: Es handelt sich um natürliche Neonröhren (nur eben mit anderer Gasfüllung; aber diese sorgen ja auch bei ihren irdischen Pendants für die unterschiedlichen Farben.) Tiefrote und blaue Färbungen der wehenden Himmelsvorhänge gehen auf Stickstoffatome zurück.



(Zur Entstehung der unterschiedlichen Färbungen)

Auch das Nordlicht der vergangenen Nacht war das Resultat eines solchen Koronalen Massenauswurfs, nach seiner englischen Bezeichnung „Coronal Mass Expulsion“ auch im Deutschen mit CME abgekürzt. Vor vier Tagen, am 24. Februar 2023, kam es dort auf der „aktiven Sonnenregion“ mit der Nummer 3229 um 21:30 Uhr MEZ zum Ausbruch einer „Sonnenfackel“ – bei dem für gewöhnlich ein Teil des heißen Gases der Photosphäre der Sonne genügend Energie gebündelt hat, um mehrere hunderttausend Kilometer über die Oberfläche emporzusteigen und dann als Bogen wieder einzutauchen. In diesem Fall reichte diese Energie aus, um einen beträchtlichen Teil davon mit einer Geschwindigkeit von 1294 Kilometern pro Sekunde in Richtung Erde zu schießen. Nach der Nomenklatur der Sonnenforscher hatte dieser Ausbruch eine Stärke von M3,9.



(Zeitrafferausnahme des ersten Auswurfs)



(Zeitrafferausnahme des zweiten, stärkeren Ausbruchs.)

Am Tage darauf, am vergangenen Samstag, kann es in derselben Region zu einem zweiten Ausbruch vom doppelter Stärke (M6,3), der von 14:40 bis 21:27 MEZ dauerte. Und dieses zweite kosmische Unwetter, dieser Sonnensturm der Kategorie G3, war es, das uns in der letzten Nacht dieses Schauspiel beschert hat.



(Gesamtbild der Sonne am 25, Februar 2023; die aktive Region 3229 ist rechts oben gut auszumachen.)









(Auswirkungen des ersten Partikelschauers am 26. Februar)

Die Aufnahmen dieses in verschiedenen Bereichen des sichtbaren Lichts Ausbruchs stammen vom Sonnenobservatorium SDO der NASA, dem Solar Dynamics Observatory, das seit Februar 2010 die Erde auf einer geosynchronen Bahn umläuft du direkt über dem Äquator bei 102 Grad westlicher Länge gut 2000 km westlich der südamerikanischen Westküste über dem Pazifik verankert scheint. Die Mission des gut 1,7 Tonnen schweren Satelliten war ursprünglich auf 5 Jahre angelegt (wie die der der NCC 1971 Enterprise unter Kapitän James Tiberius Kirk), ist aber 2020 bis mindestens zum Jahr 2030 verlängert worden, weil sich wie so oft die kosmischen Botschafter der Menschheit als erheblich robuster erwiesen als es ihre Konstrukteure erhofft hatten.



Zwei kleine Kuriosa zur Nordlichterscheinung 1938 seien noch angemerkt: in den Niederlanden fiel sie in die Woche vor der Geburt des ersten Kinds von Prinzessin Juliana, die später von 1948 bis 1980 Königin der Niederlande werden sollte. Als ihre Tochter eine Woche später geboren wurde, wurde das in den Gazetten, die sich dergleichen nicht entgehen lassen, als ein günstiges Omen gewertet. Und Lucia dos Santos, einzige Überlebende der die Kinder, denen im Sommer 1917 in Portugal die Muttergottes erschienen war, schrieb in der dritten Fassung ihrer Erinnerungen, in denen sie die beiden ersten „Weissagungen von Fatima“ enthüllte, die ihnen bei der dritten Erscheinung Marias im Juli 1917 anvertraut worden waren, daß sich der Satz

A guerra vai acabar, mas se não deixarem de ofender a Deus, no reinado de Pio XI começará outra pior. . Quando virdes uma noite, alumiada por uma luz desconhecida, sabei que é o grande sinal que Deus vos dá de que vai punir o mundo pelos seus crimes, por meio da guerra, da fome e de perseguições à Igreja e ao Santo Padre.


(Der Krieg wird ein Ende nehmen. Wenn man aber nicht aufhört, Gott zu beleidigen, wird unter dem Pontifikat von Papst Pius XI. ein anderer, schlimmerer beginnen. Wenn ihr eine Nacht von einem unbekannten Licht erhellt seht, dann wisst, dass dies das große Zeichen ist, das Gott euch gibt, dass Er die Welt für ihre Missetaten durch Krieg, Hungersnot, Verfolgungen der Kirche und des Heiligen Vaters bestrafen wird.)


Auf eben diese Nordlicht-Erscheinung und den Beginn des Zweiten Weltkriegs bezogen habe. Skeptiker haben darauf hingewiesen, daß.der Text der ersten beiden Prophezeiungen erst 1941 und im Mai 1942 veröffentlicht worden ist, daß der Zweite Weltkrieg erst im August 1939 begann und auch Pius XI. bereits im Februar 1939 gestorben ist. Aber natürlich hat es bis heute manche fromme Seelen nicht davon abgehalten, zu glauben, hier habe es sich um ein göttliches Zeichen sondern um eine nicht um astronomischen, sondern theologischen Sinn himmlische Erscheinung gehandelt.



(Über Stonehenge)



(Über der Flensburger Förder; Langteitbelichtung)



(Über Montana)



(Über Manitoba)



(Über der Kieler Förde; Aufnahme: Tim Eberhardt)



(Über Rügen. Ausnahme Mario Frost)

U.E

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