16. Februar 2023

Beschuss aus dem All





Ich bleibe bei astronomischen Themen, und wie bei meinem letzten Beitrag ist der Anlaß ein aktuelles Ereignis – und wie gestern ist der Grund, warum ich diesen Text nicht „zeitnah“(also vor zwei Tagen) geschrieben habe – ein denkwürdiges Jubiläum. Der unmittelbare Anlaß ist der Meteorit, der in den frühen Morgenstunden am Montag, dem 13. Februar 2023, nicht weit noch Le Havre über den englischen Ärmelkanal als Feuerkugel explodiert ist. Und die Verschiebung um zwei Tage leitet sich aus der Tatsache her, daß heute genau vor zehn Jahren, am 15. Februar 2015, über der russischen Stadt Tscheljabinsk im Ural der größte Meteorit explodiert ist, der die Erde seit dem Einschlag in der Steinernen Tunguska im Juni 1908 getroffen hat. Der Meteorit von Tscheljabinsk war auch der einzige „Treffer aus dem All“ bislang, der tatsächlich zu größeren Schäden geführt hat. Aber der Reihe nach.

I.

Für Schüler und Journalisten gilt seit gut 10 Jahren die Dienstanweisung: nicht aus Wikipedia abschreiben (auch nicht als längeres Zitat). Ich erlaube mir an dieser Stelle einmal eine Ausnahme von diesem Prinzip, dessen Zweck natürlich darin liegt, daß der Schreiber den Inhalt dessen, was er dort kopiert, auch tatsächlich vorher einigermaßen verstanden hat. Aber der Eintrag zu „2023 CX1,“ wie die offizielle Bezeichnung dieses gut einen Meter großen Brockens seit Montag lautet, mutet derart nach dem Drehbuch eines Hollywoodfilms der pyrotechnischen Gebührenklasse an, daß er verdient, hierhergesetzt zu werden – auch wenn er, wie die Formel aus einem anderen Filmgenre lautet, „die Wahrheit, die schlichte Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ darstellt.

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Der ungarische Astronom Krisztián Sárneczky entdeckte ihn weniger als sieben Stunden vor dem Einschlag in der Piszkéstető-Außenstation des Konkoly-Observatoriums im Mátra-Gebirge in Ungarn. 2023 CX1 ist der siebte Asteroid, der entdeckt wurde, bevor sein Einschlag auf der Erde erfolgreich vorhergesagt wurde.

Während einer routinemäßigen Suche nach erdnahen Objekten mit seinem 0,6-Meter-Schmidt-Teleskop nahm Krisztián Sárneczky 2023 CX1 erstmals am 12. Februar 2023 um 20:18:07 UTC auf, als er weniger als 233.000 km von der Erde entfernt war und sich damit innerhalb der Umlaufbahn des Mondes befand. Bei seiner Entdeckung hatte der Asteroid eine scheinbare Helligkeit von 19,4 und bewegte sich mit einer Winkelgeschwindigkeit von 14 Bogensekunden pro Minute und einer Radialgeschwindigkeit von 9 km/s auf die Erde zu. Sárneczky erkannte sofort, dass es sich um ein erdnahes Objekt handelte, erkannte aber erst eine halbe Stunde später, dass es auf Kollisionskurs mit der Erde war. ] Sárneczky gab dem Objekt die vorläufige Bezeichnung Sar2667 und meldete die Entdeckung um 20:49 UTC an die Bestätigungsseite für erdnahe Objekte des Minor Planet Center (MPC) und bat um weitere Beobachtungen von anderen Observatorien. Ab 21:30 UTC beobachteten des Višnjan-Observatoriums in Tičan, Kroatien und bestätigten, dass er auf einen Einschlag mit der Erde zusteuerte.

Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) machte den bevorstehenden Einschlag des Asteroiden über soziale Medien publik. Auf der ganzen Welt beobachteten Astronomen den Asteroiden während seiner Annäherung, um den Einschlagort näher bestimmen zu können. Vor seinem Eintritt in den Erdschatten um 2:50 UTC und damit seinem Unsichtbarwerden erreichte der Asteroid eine maximale Helligkeit von 13 Größenklassen. Die letzte Sichtung des Asteroiden erfolgte am 13. Februar um 02:52:07 UTC durch das automatische Observatorium SATINO in Haute Provence, Frankreich, zwei Minuten nach dem Eintritt in den Erdschatten und sieben Minuten vor dem Aufprall. Zu diesem Zeitpunkt war die Helligkeit von der 13 auf die 16. Größenklasse zurückgegangen; der Asteroid bewegte sich extrem schnell in einer Höhe von 4700 km (2900 Meilen) mit einer Winkelgeschwindigkeit von 1,7 Grad pro Minute.

2023 CX1. trat um 02:59:21 UTC in die Atmosphäre ein und bewegte sich ostwärts über die Küste der Normandie, Frankreich, entlang des Ärmelkanals, wobei er in einen Neigungswinkel von 40-50° fiel. Aufgrund der hohen Eintrittsgeschwindigkeit verglühte er als helle Feuerkugel, die von zahlreichen Augenzeugen in Frankreich, England, Belgien, den Niederlanden und Nordspanien aus gesehen wurde.













Auch wenn dieser Bolide nicht ein paar Stunden vorher gesichtet worden wäre, gäbe es ohne Zweifel eine Menge an Videoaufzeichnungen seines feurigen Endes. Mittlerweile wird der größte teil des Nachthimmels von automatischen Weitwinkelkameras überwacht, die die Registrierung genau solcher Objekte zum Zweck haben. Wie an Anfang des Auszugs erwähnt, handelt es sich um den siebten solchen Himmelskörper, die vor ihrem Aufschlag auf der Erde aufgefunden worden sind und deren Umlaufbahnen daher post festum zu berechnen waren. Im Fall dieses Apollo-Asteroiden mit gut einem Meter Durchmesser handelte es sich um ein Objekt, dessen Umlaufzeit 760 Tage, also etwas mehr als 2 Jahre betrug, dessen sonnennächster Bahnpunkt knapp innerhalb der Erdbahn lag und dessen Aphelion gut 2.37 Astronomische Einheiten, also gut 355 Millionen km von der Sonne entfernt lag (zur Erinnerung, unser roter Nachbarplanet Mars umkreist die Sonne in einer Distanz von durchschnittlich 228 Millionen Kilometern).



(Umlaufbahn von 2023 CX1)

Der erste so aufgespürte Meteorit war im Oktober 2008 das Objekt 2008 TC3, das gut 19 Stunden vor seinem Einschlag in der nubischen Wüste im Norden des Sudans von Richard Kowalski in Tucson, Arizona, entdeckt wurde. Dieser Felsbrocken war schon „eine Hausnummer größer“ – mit gut 4 Metern Durchmesser und eine Masse von 80 Tonnen. Davon überstanden die Reibungshitze beim Erdeintritt mit einer Geschwindigkeit von 12,8 km pro Sekunde nur 600 Bruchstücke mit einer Gesamtmasse von gut 10 Kilogramm, nachdem er in 37 km Höhe explodiert war. Kowalski war es auch, der das nächste himmlische Wurfgeschoß aufspürte, am 1. Januar 2014, 21 Stunden, bevor er über Caracas in die irdische Lufthülle eintrat und schließlich über dem Süden der arabischen Halbinsel zerplatzte. Der Durchmesser dieses Objekts wird auf 2 bis 4 Meter geschätzt.

Zwei Dinge bleiben hier festzuhalten: zwar werden die meisten der gut 6000 Meteoriten, von denen genügend Material bleibt, um den Erdboden zu erreichen nicht vorher aufgefunden. Bei Meteorit von Tscheljabinsk etwa wäre das auch nicht theoretisch möglich gewesen, das er beinahe „aus der Sonne kam“ und ihr Licht jede Entdeckung unmöglich gemacht hätte. Dieser Bolide wies eine Masse von zwölftausend Tonnen bei einem Durchmesser von 18 Metern; zudem bewegte der sich mit einer ungewöhnlich hohen Geschwindigkeit von fast 20 km pro Sekunde – was natürlich in einer entsprechend höheren kinetischen Energie resultierte. Bei der Explosion in 30 km Höhe über dem Erdboden wurde heute von genau 10 Jahren die Sprengkraft von 500 Tonnen TNT freigesetzt; gut das 30fach der Atombombe, die im August 1945 über Hiroshima abgeworfen wurde.

Die Tatsache aber, daß wir mittlerweile in der Lage sind, solche „Bomben aus dem All“ in einer Entfernung aufzuspüren, die zwei Drittel der Monddistanz beträgt, bedeutet aber auch, daß wirklich große, gefährliche Erdbahnkreuzer, wie etwa der Asteroid, dessen Aufprall vor 15 Millionen Jahren das Nördlinger Ries mit seinem Durchmesser von 24 Kilometern hinterließ, oder der Meteorit, der vor 50.000 Jahren den Barringer-Krater mit 1200 Metern Durchmesser in Arizona schlug, wären dementsprechend aus weitaus größerer Distanz aufzufinden. Im zweiten Fall wird der Durchmesser des Impaktors auf 45 Meter bei einer Masse von 300.000 Tonnen geschätzt, beim Ries-Ereignis auf einen Durchmesser von 1500 Metern; damals setzte der Einschlag einer Sprengkraft von 1,8 Millionen (!) Hiroshima-Bomben frei.

Unter den bis zu 10 Meter messenden Erdbahnkreuzern, die bislang registriert worden sind, gibt es keinen, der in den nächsten Jahrhunderten auf einem solchen Kollisionskurs unterwegs ist. Dennoch besteht dieses Risiko weiterhin, wie die oben aufgeführten Beispiele zeigen – auch wenn zwischen den Einschlägen von katastrophaler Zerstörungskraft Tausende, wenn nicht gar Zehntausende von Jahren liegen. Und, Hollywood „Film-Doppel“ von vor 25 Jahren ungeachtet, gäbe es keinerlei Möglichkeit, einen solchen Aufprall zu verhindern. Anders als bei „Deep Impact“ oder dem recht klamaukhaft angelegten „Armageddon,“ die beide im Sommer 1998 um die weltweite Gunst der Kinozuschauer konkurrierten, ließe sich nicht in der Frist von wenigen Wochen ein bemanntes (oder automatisiertes) Raumschiff ausrüsten (oder gar konstruieren!), um ein solches Trumm mit einer Atombombe in kosmischen Staub zu zerpulvern. Aber bei einer Vorwarnzeit von einigen Tagen oder gar Wochen ließen sich immerhin Evakuierungsmaßnahmen einleiten und die Menschen in den betroffenen Gebieten entsprechend vorwarnen. Und die Tatsache, daß es in der Nacht von Sonntag auf Montag möglich war, in nur fünf Stunden den tatsächlichen Einschlagort auf nur wenige Kilometer genau vorauszuberechnen, zeigt vor allem eins: die Menschheit ist, anders als Pessimisten gerne betonen, durchaus nicht hilflos gegenüber solchen Heimsuchungen.

II.
Ich bin in meinen letzten Beiträgen immer wieder auf Parallelen zurückgekommen, die sich zwischen dem, was zurzeit „am Himmel gesehen wird,“ und Passagen in alten, längst mehr oder minder verschollenen Texten der technologisch-spekulativen Unterhaltungsliteratur, kurz „Science Fiction“ genannt, finden lassen. Auch bei diesem gibt es sie. Der letzte spektakuläre Niedergang einer Feuerkugel“ fand vor 7 Monaten, am 7. Juli 2022 statt, als in den frühen Morgenstunden ein Meteor den Himmel über der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile in gleißendhelles Licht tauchte. Und zu den wenigen, nun, „extrinsischen“ Daten, die allen passionierten Lesern des Genres parat sind, ist das Wissne, daß es sich beim 7. Juli um den Geburtstag von Robert A. Heinlein handelt – neben Isaac Asimov und Arthur C. Clarke der dritte aus der Trias der „großen Klassiker“ aus der „klassischen Zeit“ des Genres. Und Heinleins berühmtester (oder berüchtigster, je nach Temperament des Lesers) Roman, „Starship Trooper“ aus dem Jahr 1959, der vom Krieg der irdischen Weltraumsoldaten gegen die Bedrohung durch die insektenähnlichen „Bugs“ handelt, setzt damit ein, daß die Mutter des Protagonisten Johnny Rico beim Einschlag eines Meteoriten ums Leben kommt, mit denen die Bugs Rio de Janeiro auslöschen – zum Zeitpunkt, als Heinlein sein Buch schrieb, noch die Hauptstadt Brasiliens (die Staffelübergabe an Brasilia erfolgte am 21. April 1960).









(Santiago de Chile, 7. Juli 2022)

Es kommt aber noch besser.

A. Hyatt Verrill (1871-1954) ist, anders als Heinlein, ein Autor früher Magazin-Science-Fiction, dessen Namen und Werk ebenso der „Furie des Verschwindens“ anheimgefallen ist wie die übrigen Autoren, die ich in aller Regel aus dem Schutt der Archive zutage fördere. Es gehörte zu den ersten eigenständigen Beiträgern zum ersten ausschließlich auf dieses Genre beschränkten Magazins, Amazing Stories, dessen erste Nummer im März 1926 mit der Datumsangabe „April“ an die amerikanischen Kioske kam. Zum größten Teil bestritt Herausgeber Hugo Gernsback den Inhalt der beiden ersten Jahrgänge mit Nachdrucken, schon um seiner Leserschaft und prospektiven Autoren vorzuführen, was er sich unter „Scientifiction“ nach der Art von Poe, H. G. Wells und Jules Verne vorstellte. Ab dem Oktober 1926 war Verrill einer der ersten originären Zuträger mit der zweiteiligen Fortsetzungsgeschichte „Beyond the Pole,“ der in den nächsten 8 Jahren noch 24 weitere folgten, zumeist mit einer Länge zwischen 40 und 70 Standarddruckseiten (Amazing Stories erschien im Großformat und mit Zweispaltendruck). Dabei handelte es sich oft um sogenannte „Lost-World“-Geschichten, bei denen die holzschnittartig gezeichneten Protagonisten auf verschollene Hochkulturen in den Urwäldern Südamerikas stießen. Die technischen Spekulationen und die populäre Vermittlung schlichter physikalischer Gegebenheiten, die die eigentliche Stoßrichtung von Gernsbacks pädagogischem Eros bildete, waren Verrills Sache nicht. Die schlichten Handlungen, der weitgehend fehlende Schwung und die endlosen Referate über Geographie und Ethnologie führten dazu, daß diese Texte auch in den 50er und 60er Jahren, als auf SF spezialisierte Verlage von Ace Books oder Ballantine den Fundus der alten Groschenhefte in Buchform nachdruckten, unbeachtet blieben. Einig der kurze Roman „When the Moon Ran Wild“ aus dem Jahr 1931 wurde – unter anderem Autorennamen von Verlag Consul in Manchester, der auf den boomenden SF-Trend der frühen sechziger Jahre aufspringen wollte, als Taschenbuch herausgebracht.

Dabei unterschied sich Verrill (der mit 56 Jahren der bei weitem Älteste auf Gernsbacks Autorenstall war) in einer Beziehung von seinen Kollegen: anders als sie schrieb er nicht ausschließlich für die Pulpmagazine mit ihren Themen von schlichten Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten (wobei der Ritter dem Zeitgeist gemäß durch die Helden des Wilden Westens ersetzt worden waren). Statt dessen veröffentlichte Verrill neben seiner Tätigkeit als Groschenheftschreiber im Lauf seines Lebens immerhin 105 „richtige“ Bücher – zumeist populär gehaltene Sachbücher für jugendlicher Leser über Biologie, über die Völker Nord- und besonders Südamerikas („The Boy’s Book of Whalers,“ Strange Monsters and Their Stories,“ „The Incas‘ Treasure Cove,“ oder auch „The Home Radio: How to Use and Make It“ von 1922, als es noch keine Radios in Fachgeschäften zu kaufen gab), aber auch drei Abenteuerromane über die „Boy Adventurers.“ Daß Verrill heute selbst bei guten Kenners der Genregeschichte völlig in Vergessenheit geraten ist, ist angesichts seines schütteren Autorentalents in keiner Weise überraschend. Und trotzdem…



(Titelbild von Hans W. Wessolowski, 1894-1948)

In der gut 32.500 Wörter (gut 50 Druckseiten) umfassenden Erzählung „Death from the Skies,“ im Oktober 1929 in Amazing Stories erschienen, beginnen „die Ereignisse der Jahre 1932 bis 1934,“ die der Erzähler seinem Neffen im fernen Zukunftsjahr 1972 als alter Mann erzählt, damit, daß Meteore von Himmel fallen und gezielt eine der großen Hauptstädte der Erde nach der anderen auslöschen. Und die erste Metropole, die dieses Schicksal erleidet, ist Santiago de Chile, das der Erzähler, der sich auf einer archäologischen Expedition in Südamerika befindet, anschließend in Augenschein nimmt.



Die weitere Handlung ist an dieser Stelle nur insofern interessant, weil sie deutlich macht, wie dürftig es um Verrills Fabulierungskünste bestellt war – etwas, das er mit vielen seiner Autorenkollegen für die SF-Magazine jeder Jahre teilt. Es stellt sich heraus, daß die Meteoriten von den Marsbewohnern gestartet werden, die gezielt die Erdbewohner vernichten wollen; zum Glück bestehen sie aus einem auf Erden unbekannten Metall, daß durch Strahlungen beschleunigt werden kann; eine weitere Strahlung, die von den eingeschlagenen Brocken ausgeht, sorgt dafür, daß im Umkreis von vielen Meilen um die Einschlagsstelle die Menschen tot zu Boden sinken. Unsere Helden brauchen nur die „Polarisierung“ der ersten Strahlung umzukehren, um die anfliegenden Geschosse nicht nur abzulenken, sondern schnurstracks auf ihrem Kurs an ihren Starpunkt zurückkehren zu lassen. Das solcherart umgedrehte Bombardement sorgt dafür, daß die marsianische Zivilisation ihre Attacke auf Terra nicht übersteht, und die vermeintlichen Strahlentoten lassen sich durch therapeutische Anwendung einer zweiten Dosis wieder aus ihrer Stasis erwecken – eine Volte, die sich Verrill bei Coman Doyles Professor-Challenger-Erzählung „The Poison Belt“ von 1913 abgeschaut haben dürfte.



Ich bahnte mir den Weg durch die Menge und mir stockte der Atem, als ich die furchtbare, unglaubliche Meldung las, die aus Santiago de Chile gefunkt worden war. Ein großer Meteor war im Herzen der großen chilenischen Hafenstadt gefallen. Fast die ganze Stadt lag in Ruinen. Gebäude, die auf den steilen Hängen errichtet waren, warn umgestürzt und hatten die tiefer gelegenen Stadtbezirke unter sich begraben. Schiffe, die im Hafen lagen, waren gesunken oder gekentert. Alle Nachrichtenverbindungen waren unterbrochen. Die Stadt stand in Flammen, ein loderndes Inferno, dem man sich nicht nähern konnte. Trotz des Risikos hatten sich Flugzeuge genähert, gekreist und über die Zerstörung berichtet. Der Verlust an Menschenleben, so wurde befürchtet, war enorm. Bislang gab es keine Meldungen über Überlebende, keine Flüchtenden hatten die umliegenden Dörfer oder Städte erreicht.,

Mindestens einer der Meteore war im Zentrum eingeschlagen. Die Wahrscheinlichkeit, die bei eins zu mehreren Millionen lag, war eingetroffen. Angesichts der Katastrophe, die uns besonders naheging, weil wir je gesehen hatten, die der Meteor niederging, verfielen wir in Schweigen und verspürten jeden Appetit. Wir fragten uns, welche Meßergebnisse wir wohl bei späteren Untersuchungen erhalten würden. Als der folgende Funkspruch eintraf, brachte er noch schlimmere Nachrichten. Die Stadt stand immer noch in Flammen; niemand hatte sich ihr nähern können, aber soweit bekannt war, war kein einziger Einwohner am Leben geblieben. Noch schlimmer: auch auf jedem Schiff im Hafen war jegliches Leben ausgelöscht worden, und in den Vorstädten von Valparaiso waren Hunter ums leben gekommen. Menschen, die den Verstand verloren hatten, irrten umher, überall lagen Leichen, die keine Anzeichen von Verletzungen aufwiesen, und immer noch starben die Menschen oder sanken leblos zu Boden.

Es wurden alle Anstrengungen unternommen, um Hilfsgüter, Sanitäter und Unterstützung in die betroffenen Gebiete zu bringen, aber die Oberleitungen der Bahnstrecken waren zerstört, mehrere Brücken waren eingestürzt und die Stadt konnte nur auf dem Luftweg erreicht werden.

Es war furchtbar, es war grauenhaft, eine schrecklichere Katastrophe als der Ausbruch des Pelee auf Martinique. Der Verlust an Menschenleben war kaum einzuschätzen. Vielleicht waren es 50.000, vielleicht 100.000, oder noch mehr. Aber als wir das Abendessen beendet hatten, hatten wir die Zerstörung von Valparaiso schon fast wieder vergessen angesichts der Funkmeldung, die uns aus Arlington erreichte. Es war die kurze, knappgehaltene Mitteilung, daß Kansas City von einem weiteren Meteor getroffen worden war. Schon wieder war das Risiko von eins zu Millionen war geworden; schon wieder hatte ein Aerolith rein zufällig ins Schwarze getroffen.





Der Kleine Zyniker merkt an, daß den Lesern von Verrills Schreckensvision im Oktober 1929 tatsächlich, zumindest metaphorisch gesprochen, "der Himmel auf den Kopf" fiel - freilich auf eine etwas andere Art, als am 25. Oktober mit dem "Black Friday" die Weltwirtschaftskrise begann.

Zwei kurze Fußnoten: beim Meteorit von Tscheljabinsk handelte es sich um das letzte "tagesaktuelle Thema," auf das der unvergessene Begründer dieses Netztagebuchs, Zettel, vor seinem plötzlichen Herztod zehn Tage später ausführlich eingagengen ist: "Was ist eigentlich ein Meteorit? Ein Asteroid? Eine Sternschnuppe?" vom 15. Februar sowie "Die Fakten zum Meteoriteneinschlag im Ural" und "Millionen von Asteroiden. Was kann man gegen diese Gefahr tun?" vom Tag darauf. Ich selber äußere mich hier ja oft zu Themen aus dem Bereich Raumfahrt und Astronomie, aber meine beiden Beiträge, die sich explizit mit dem Thema "Bomben aus dem All" (und was man dagegen tun kann) stammen aus dem letzten halben Jahr: "Zeitmarke. Vor 50 Jahren: Stippvisite aus dem All" vom 11. August 2022 und "DART" vom 26. September 2022.
U.E.

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