24. Februar 2023

Zeitmarke: Vor 100 Jahren erschien mit "Weird Tales" das erste Genre-Magazin





(Oktober 1933; Titelbild von Margaret Brundage für die erste Folge von "The Vampire Master")

„Ein solches ist das ‚Unheimliche.‘ Kein Zweifel, daß es zum Schreckhaften, Angst- und Grauenerregenden gehört, und ebenso sicher ist es, daß dies Wort nicht immer in einem scharf zu bestimmenden Sinne gebraucht wird, so daß es eben meist mit dem Angsterregenden überhaupt zusammenfällt.“ (Sigmund Freud, „Das Unheimliche,“ Imago, H. 5/6, 1919)


Auf den Tag genau läßt es sich nicht mehr ausmachen, aber wenn man die angekündigten Erscheinungsdaten in den nachfolgenden Nummern ansieht, dann muß es in den Tagen kurz vor oder nach dem Sonntagabend des 18. Februar 1923 gewesen sein, als an die Zeitungs- und Magazinkioske der Vereinigten Staaten die erste Ausgabe eines neuartigen Magazins ausgeliefert wurde, das es in dieser Form bislang nicht gegeben hatte und dessen Zuschnitt bis heute auf dem Gebiet des spekulativ-phantastischen Erzählens prägend nachwirkt: „Weird Tales,“ das sich im Untertitel als „das einzigartige Magazin“ (The Unique Magazine) vorstellte, mit der Datumsangabe „März 1923.“ Für den verhältnismäßig hohen Preis von 25 Cent – was auf heutige Kaufkraft umgerechnet ungefähr 4,5 US-Dollar entspricht, wurden dem Leser, der sich von dem recht ungelenk und wenig ansprechendem Titelblatt von R. R. Epperly nicht abschrecken ließ, dem wurden auf den folgenden 190 doppelspaltig bedruckten Seiten im für ein „Pulp-Magazin“ echt kleinen Format von 15 mal 23 Zentimetern nicht weniger als 26 Geschichten aus dem Bereich geboten, den Herausgeber Edwin Baird in seiner knappen Anmoderation so umriß:

Horrorerzählungen, oder „Gänsehaut-Geschichten“ werden von den meisten Herausgebern für gewöhnlich abgelehnt – egal wie interessiert sie auch seine mögen. Sie sind der Ansicht, daß sie der Leserschaft nicht gefallen. Wir sind anderer Ansicht. Wir glauben daran, daß es Tausende – vielleicht Hunderttausende – von aufgeweckten Lesern gibt, die eine Gänsehaut zu schätzen wissen. Von daher: „Weird Tales“

Jede Geschichte in dieser Ausgabe von WEIRD TALES stellt einen bemerkenswerten Höhepunkt menschlicher Phantasie dar: einige befassen sich mit Schrecken, andere handeln meisterhaft „verbotene“ Themen wie Wahnsinn, einige mit dem Übernatürlichen und andere mit dem Schrecken der wirklichen Welt. Ein Ausbruch aus den gewohnten Pfaden – das ist der Grund für WEIRD TALES.


Und dieses – zugegeben recht schemen- und geisterhafte – Programm versuchten Baird und seine beiden Nachfolger als Herausgeber einzulösen, die das „Magazin, das niemals stirbt“ schließlich nach 279 Ausgaben im September 1954 sein Ende fand – in einem Jahr, als bereits mehr als die Hälfte der 46 Millionen US-amerikanischen Haushalte über einen Fernseher verfügten und dieser neue „magische Kanal“ (Marshall McLuhan) für die hunderte von bunten und anspruchslosen Groschenheftreihen aller Gattungen das Aus als Trägermedium bunter und seichter Unterhaltung bedeutet hatte. (Die „Pulps“ waren nicht das einzige Opfer dieser Entwicklung: in den 1960er folgten ihnen die sogenannten „Slicks,“ die auf Hochglanzpapier gedruckten Journale von „Collier’s Magazine“ oder die „Saturday Evening Post“.)

­ * * *



Im Zug der Entstehung eines großstädtischen, mittelständischen Lesepublikums ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, das das Bedürfnis nach massenhafter, preiswerter Unterhaltung und Information in Wort und, ein Novum: in Bild hatte, kam es nach dem Entstehen der ersten Magazine wie dem „Atlantic Monthly“ (gegründet 1857) oder „Harper’s Weekly“ (gegründet ebenfalls 1857) zu einer weiteren Spezialisierung: monatliche Unterhaltungsmagazine, deren Schwerpunkt spannende Unterhaltungslektüre aller Art darstellte, ohne tiefergehende Ansprüche in Sachen tagespolitischer Debatten oder sonstiger „Fragen der Zeit“ anzumelden: die „soziale Frage,“ DAS polit-korrekte Thema der Gründerzeit, findet in diesen Blättern schlicht nicht statt. Hätte Charles Dickens seine Laufbahn als Schriftsteller 40 Jahre später begonnen, so wäre er niemals der Klassiker der viktorianischen Ära geworden, zum dem ihm Titel wie „Oliver Twist“ oder „Bleak House“ gemacht haben.



(Juni 1933. Margaret Brundage für die Conan-Erzählung "Black Colossus")

Das erste Magazin, daß hier einen überwältigenden Erfolg verzeichnen konnte, war „The Strand Magazine,“ dessen erste Nummer im Januar 1891 in London erschien und mit seinen großzügig bebilderten Photoreportagen neue Maßstäbe setzte. Die Erzählungen und in Fortsetzungen abdeckten Romane erstreckten auf alle Bereiche: von den Kinderbüchern von Edith Nesbit, bis zu historischen Romanen (man ist ganz verblüfft, wenn man in dieser allersten Ausgabe drei Erzählungen von Alphonse Daudet findet, einen Auszug aus Lermontovs „Ein Held unserer Zeit“ und Alexander Puschkins „Pik-Dame“). Das Rückgrat des neuen Magazins bildeten die Abenteuer des „beratenden Detektivs“ mit Wohnsitz in der Baker Street 221B, angefangen mit „A Scandal in Bohemia“ im Juli 1891 bis zu seinem Verschwinden in den Tiefen des Reichenbachfalls („The Final Problem,“ Dezember 1893). Andere Blätter folgten dem verlegerischen Erfolgsrezept, etwa Cassell’s Magazine, aus dem ich an dieser Stelle zwei Texte entnommen habe, das 1857 (schon wieder!) als wöchentliches Familienblatt begonnen hatte, unter Herausgeber Max Pemberton ab 1892 zu einem etwas schlichteren Pendant des „Strand“ mutierte und 1912 ganz auf den Trend zur rasant-seichten Triviallektüre umschwenkte, wie sie die Groschenhefte der „Pulps“ (so genannt nach der „Pulpe“, dem billigen Holzfaserbrei, aus denen des Druckpapier gefertigt wurde.)

Gut ein Jahrzehnt nach der Jahrhundertwende erfolgte dann, diesmal auf dem Zeitschriftenmarkt auf der anderen Seite des „großen Teichs,“ eine weitere Spezialisierung. Während diese Magazine bis dahin Unterhaltung aus allen Sparten der Gebührenklasse „Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten“ präsentiert hatten (oder, wie der Geheimbde Rath aus Weimar geschrieben haben könnte: „And if your children should pen books / spare them, good fortune: robbers, knights, and spooks!“) beschränkten sich neue Journale auf einen Bereich der Speisekarte. Das erste und im Nachhinein renommierteste war „Adventure,“ dessen erste Ausgabe im November 1910 erschien und sich bis Anfang 1971 aus dem Markt halten konnte – zunächst im zweiwöchigen Rhythmus, bis die mageren Zeiten der Weltwirtschaftskrise 1933 zum monatlichen Turnus führten. „Adventure“ brachte das, was sein Titel versprach – und nur das. Für die nächsten 10 Jahre blieb „Adventure“ einsamer Vorreiter; aber auf dem umkämpften und sich ausweitenden amerikanischen Magazinmarkt kam es Anfang der 1920er Jahre geradezu zu einer Wucherung der Genre-Erschließung: Am 5. Oktober 1915 kam mit „Detective Story“ im Verlag Street & Smith das erste Krimi-Magazin auf den Markt, am 12. Juli 1919 folgten mit „Western Story“ aus dem gleichen Haus das erste Heft, das ausschließlich harten Männern mit Fünf-Gallonen-Hüten und Revolvern gewidmet war, die erste Ausgabe von „Sea Stories“ folgte im Februar 1922. „Black Mask,“ das einzige dieser Hefte, das bis heute bei Lesern außerhalb des englischen Sprachbereichs „ein Begriff“ ist, weil Dashiell Hammetts Sam Spade und Raymond Chandlers Philip Marlowe auf seinen Seiten ihre ersten Fälle durchstanden und das Genre des „hard boiled detective“ begründeten, folge im April 1920. Der Untertitel „An Illustrated Magazine of Detective Mystery, Adventure, Romance, and Spiritualism“ macht schon klar, daß zu diesem Punkt die Linie des Magazins so schwammig angelegt war wie später die von „WT.“ Eine weitere Parallele bestand in der Krudität von Titelbild und Innenillustrationen.

Und mit “Love Story” erschloß sich Street & Smith schließlich ab dem 1. August 1921 den dritten erfolgreichen Sektor für diese Art Massenliteratur. Wildwestgeschichten und Herzschmerzschmonzetten bildeten das größte Segment dieses Marktes. In hunderten von Reihen, deren Titel alle zum Verwechseln ähnlich klingen, gab es bis zum Ende des Booms in den 1950er Jahren gut 10.000 Hefte zum ersten und 7000 im zweiten Bereich. „Love Story“ war das auflagenstärkste Pulp-Magazin überhaupt und erlebte bis Ende der 20 Jahre Auflagenhöhen von 600,000 Exemplaren. „All Love Story,“ „Love Tales,“ „Breezy Stories,“ „Pep Tales,“ „Ranch Romances“ sind nur ganz wenige Namen aus dieser Liste, von denen einige wie „Spicy Adventure Stories“ oder „Gay Parisienne“ (1930-1938) vom Titel und Aufmachung her erheblich mehr „Frivolität“ und „Gewagtheit“ versprachen, als sie einlösten.

Und beim Stichwort “Gay Parisienne“ bin ich bei zwei abschließenden Schlenkern durchs Beet dieser literarischen Sumpfblüten angelangt. Zum einen brachte diese Spezialisierung 10 weitere Jahre danach, kurzlebige Journale mit überaus beschränktem Portfolio hervor: „Zeppelin Stories“ (4 Ausgaben, Mai bis August 1929) für die Flieger-Abenteuer; „Wall Street Stories“ mit dem Untertitel „A Million-Dollar Collection of Money-Making Stories,“ das nach seiner ersten Ausgabe vom März 1929 umgehend pleite ging; oder „Gun Molls Magazine,“ das es zwischen Oktober 1929 und April 1932 immerhin auf 20 Ausgaben brachte und sich ausschließlich den Gangsterbräuten vom Typ Bonnie Parker & Clyde Barrow widmete.





("Gun Molls," Juni 1931)

Und der letzte verbliebene Titel aus der Spalte „Schmetterlinge im Bauch“ trug den Titel „Gay Love Stories“ (55 Ausgaben zwischen Dezember 1942 und Sommer 1960), bei dem man heutigen Nachgeborenen erst schonend erklären muß, daß dieses „gay“ so gar nichts mit dem aktuellen Verständnis dieses Wortes zu schaffen hat, sondern wirklich nur „heiter,“ „vergnügt“ oder „fröhlich“ bedeutet

(Und damit erklärt sich auch die Wahl des Zitats am Auftakt dieses Beitrags. Während „The Strand“ oder auch der „New Yorker“ (zuerst 1925 erschienen und somit auch ein Kind jener Jahre) sich im Titel etwa an Lokalitäten orientieren, heben die Genre-Magazine reißerische Adjektive aufs Titelblatt: „Erstaunliche Geschichten“ (Astounding Stories), „Verblüffende Geschichten“ (Amazing Stories), „Packende Wundergeschichten“ (Thrilling Wonder Stories) – und eben „Weird.“ Wobei diese Vokabel im Deutschen kein präzises Äquivalent aufweist – so wie „unheimlich“ nicht „uncanny“ deckungsgleich ist, obwohl sich beide überschneiden. Gemäß der Wörterbuchdefinition meint „weird“ vor allem „strange, odd, bizarre“, suggeriert aber eben deutlich eine Beimengung der Un- oder Übernatürlichen, die in Adjektiven wie „seltsam“ oder „merkwürdig“ fehlt.

II.

Um auf „Weird Tales“ zurückzukommen: All dieser Wust, von „Sweetheart Stories“ (324 Ausgaben 1925 bis 1943) bis „Basketball Stories“ (1 Ausgabe 1937) all das ist heute vollkommen vergessen, ein Kuriosum der Unterhaltungsbranche, so verschollen wie die aberhunderte gotischer Schauerromane, die ihnen 100 Jahre vorausgingen, zu 99 Prozent so ungelesen wie unlesbar; die Texte, die sie abdruckten, sind so verweht wie die Namen der Lohnschreiber, die für einen halben oder einen ganzen Cent Tag für Tag Varianten des Immergleichen im Rekordtempo tippten – so wie etwa Christian Heinrich Spieß (1755-1799) und sein Roman „Die Geheimnisse der Alten Egipzier.“ Sie haben ihre Genres nicht geprägt, sie haben keine neuen Impulse gegeben. Nirgendwo finden sie sich in Anthologien nachgedruckt. Friede ihrer Asche.

Bis auf „Weird Tales.“ Dieses Magazin, und die auf das Gebiet der entstehenden Science Fiction spezialisierten Magazine, für die im vielen Fällen die gleichen Autoren schrieben, haben dem Bereich der Literatur, der sich zwischen den drei Eckpolen „SF,“ „Fantasy“ und „Horror“ erstreckt, in ganz eigener Weise geprägt. Das gilt nicht nur für den US-amerikanischen und den davon beeinflußten restlichen englischen Sprachraum – es gilt auch dort, wo diese Werke durch Übersetzungen aus der Zeit nach 1945 stilbildend gewirkt haben. Ohne den Stempel des ersten SF-Magazins, „Amazing Stories“ ab 1926 und vor allem „Astounding Stories,“ nachdem John W. Campbell Jr. Im ab dem Sommer 1939 eine ganz neue Ausrichtung, ein Programm und einen neuen Autorenstamm gegeben hatte, hätte sich die SF nicht zu der Art von Literatur entwickelt, als die wir sie heute kennen. Das gilt auch für die Schauerliteratur, für die Weird Tales steht – und insbesondere für zwei Bereiche davon, die erst in diesem Magazin entstanden sind: der „kosmische Schrecken,“ der vor allem mit dem Namen H. P. Lovecraft verbunden ist, und die Sword-and-Sorcery, auch „Heroische Fantasy“ genannt, deren Themen und Ambiente Robert E. Howard ab 1932 mit seinen Geschichten um Conan den Barbaren ein für allemal prägte. Es gilt aber auch für ein Gros der Werke anderer Stammautoren des Magazins wie Robert Bloch oder Ray Bradbury. Das Oeuvre von Autoren wie Stephen King oder dem vor fünf Monaten gestorbenen Peter Straub ist ohne die Prägung durch dieses Magazin nicht denkbar.



(Die erste Ausgabe vom März 1923)

Von all dem ist aber in der allersten Inkarnation des „einzigartigen Magazins,“ in den ersten dreizehn Ausgaben, die bis zum Mai 1924 an die Kioske ausgeliefert wurden, nichts zu spüren – oder doch nur in sehr bescheidenem Maß. Von den „großen Drei“, die dem Magazin sein ganz eigenes Flair verliehen, nachdem Farnworth Wright an der Ausgabe vom November 1924 das Szepter übernommen hatte, finden sich dort nur ein paar kleine Erzählungen von Lovecraft, die zuvor schon in den hektographierten Blättern der „Amateur Press Associations,“ zu deren Mitglied er zählte, publiziert worden waren: „Dagon“ in der Ausgabe vom Oktober 1923 und „The Picture in the House“ im Dezember 1923; als erste „originäre Beiträge“ brachte das Magazin im Februar 1924 „The Hound“ und im darauffolgenden Monat „The Rats in the Walls.“ Robert E. Howards erste Erzählung, „Spear and Fang“ erschien erst im Juli 1925, Clark Ashton Smiths „The Ninth Skeleton“ im September 1928. Der Name von Seabury Quinn, der der am häufigsten gedruckte Zuträger des Magazins wurde, erscheint zuerst im Oktober 1923 unter der Erzählung „The Phantom Farmhouse.“



(August 1923, "Mally" für "Sunfire")

Ansonsten werden die Beiträge dieses ersten Jahre dominiert von Namen wie Mabelle McCalment, Oscar Schisgal, Harry Anable Kniffin, Mrs. Harry Pugh Smith und Myrtle Levy Gaylord gezeichnet

In den 279 Ausgaben von Weird Tales, die bis 1954 erschienen, taucht der Name von Seabury Quinn in mehr als der Hälfte, nämlich 165 Mal, auf. Aber die erste Folge der Fährnisse des „okkulten Detektivs“ Jules de Grandin und seines getreuen Dr. Trowbridge, die zur populärsten Serie des Magazins avancierte, „The Pavillon on the Links“ erschien erst im Oktober 1925.Von da an wurden die beiden Herren fast Monat für Monat in dem Städtchen Harrisonville im verschlafendsten New Jersey von jedem erdenklichen dämonischen Janhagel heimgesucht, zu stets erneuten Erstaunen des guten Doktor, daß es Vampire, Teufelsanbeter, schwarze Magie, Voodooflüche, Werwölfe und Verwandtes tatsächlich gibt. Oder, wie Dr. van Helsing in Hamilton Deanes Bühnenadaptation von „Dracula“ aus dem Jahr 1924 sein Publikum gemahnt, bevor der Vorhang fällt: “When you get home tonight and the lights have been turned out and you are afraid to look behind the curtains and you dread to see a face appear at the window - why, just pull yourself together and remember that after all … THERE ARE SUCH THINGS."

(Eine kleine Anekdote sei hier noch angehängt: Quinn, dessen Lebensdaten memotechnisch günstig ausfallen – er wurde am 1.1.1889 geboren und trat am 24.12.1969 von der irdischen Bühne ab – übte im Zivilstand einen Beruf aus, der ihn idealerweise für den Umgang mit Untoten und Spuk prädestinierte: es war Versicherungsfachmann im Dachverband der amerikanischen Bestattungsunternehmer und Herausgeber von dessen Branchenmagazin „Casket and Sunnyside.“ Einer naturgemäß nicht bestätigten Anekdote waren de Grandin und Dr. Trowbridge vor allem bei den weiblichen Lesern – die einen erheblichen Anteil stellten – so beliebt, daß Quinn beim Besuch eines Etablissements im Rotlichtbezirk von Chicago von den Damen „eine Nacht frei Haus“ angeboten bekam.)

III.

Edwin Baird (1886-1954) der für die neugegründete Rural Publishing Company in Chicago die Herausgabe des Magazins übernommen hatte, geriet damit von Anfang an in finanzielle Schwierigkeiten. Die Auflagenhöhe der Anfangsmonate reichte nicht dazu aus, die Produktionskosten und Autorenhonorare abzudecken; und nach 14 Monaten befanden sich die Gründer Jacob Clark Hennenberger und J. M. Lansinger, mit 40.000 gegenüber der Druckerei in Verbindlichkeit. Lansinger trennte sich daraufhin von seinem Kompagnon setzte nur das zweiten Magazin, das finanziell erfolgreiche „Real Detective Tales“ fort; während Hennenberger die Titelrechte an seinem Magazin der Druckerei überschrieb, die daraufhin eine neue Produktionsfirms mit den Namen Popular Fiction Publishing Co. gründete, für die Farnsworth Wright (1888-1940) die weitere Herausgabe übernahm.



(C. Barker Petrie Jr für "Drome," Januar 1927)

Unter Wright gewann das Magazin die Statur, die es bis heute zu DEM klassischen Magazin seiner Gattung gemacht hat. Auch die Aufmachung, die in den frühen Jahren von Popular mit Titelbildern von Andrew Brosnatch, Hugh Rankin und C. C. Senf nicht wirklich einen Quantensprung nach oben vollzogen hatte, gewann erheblich an Profil, als Margaret Brundage ab dem September 1932 begann, mit ihren großformatigen Farbkreidezeichnungen das Gros der Titel zu bestreiten. Daß ein hoher Anteil dieser Titelbilder spärlich bis gar nicht bekleidete junge Damen als Blickfang präsentierte, verdankte sich weniger dem lasziven Gehalt der Texte als der Tatsache, daß solche Motive die Auflage über die Normalmarke von 100.000 trieben (unter den Kommentatoren aus der sich ausbildenden Fanszene hatte die Künstlerin deshalb den Namen „Margaret Bondage“). Besonders Seabury baute oft Szenen, die sich entsprechend bebildern ließen, in seine Geschichten ein und erhielt so einen Bonus von 25 Prozent über dem üblichen halben bis ganzen Cent pro Wort, die das Magazin als Standard für seine Autoren zahlte. Bei den Illustratoren kamen ab 1936 mit Virgil Finlay und Hanns Bok ab 1941 auch Zeichner hinzu, die zumindest Kennern der Genregeschichte heute noch geläufig sind.



(Brundage für die Conan-Erzählung "Queen of the Black Coast," März 1934)

Allerdings war Weird Tales nur noch ein Schatten seiner selbst, nachdem Wright nach der Ausgabe vom März 1940 die Herausgeberschaft an Dorothy McIlwraith abgegeben hatte, weil ihm seine Parkinson-Erkrankung die Arbeit unmöglich machte. Howard hatte im Sommer 1936 Selbstmord begangen, als seine Mutter im Sterben lag, Lovecraft war im März 1937 an Magenkrebs gestorben, und nach dem Umzug des Verlags nach New York im Herbst 1938 konnte Ms. Brundage ihre empfindlichen Originale nicht mehr persönlich bei der Redaktion in der North Michigan Avenue 840 abliefern.

Dominiert wurde das Magazin ab diesen Jahren von den Erzählungen von August Derleth,, der zusammen mit seinem Autorenkollegen Donald Wandrei den Kleinverlag Arkham House gegründet hatte, um Lovecrafts Werk davor zu bewahren, in den vergilbenden Seiten der alten Magazinausgaben in Vergessenheit zu geraten. (Ein ähnliches Verfahren pflegten auch Wright und McIlwraith. Es dürfte wohl kein Magazin auf der Welt gegeben haben, das im Lauf seines Bestehens so viele „klassische Nachdrucke“ aus den eigenen, oft nur 5 oder 6 Jahren zurückliegenden beständen gebracht hat, wie Weird Tales.) Dazu zählten auch „postume Zusammenarbeiten,“ bei denen er Fragmente oder verworfene Entwürfe Lovecrafts verwertete und dabei ziemlich eigenwillig mit den Vorgaben des „Cthulhu-Mythos“ umging. Derleth war ein Vielschreiber vor dem Herrn, aber als Schöpfer phantastischer Literatur kaum mehr als ein mäßig begabter Routinier.

Auch die Geschichten von Manly Wade Wellman, die sich durch ein atmosphärisch dicht geschildertes Lokalkolorit aus den Appalachen North Carolinas, aber wenig sonst auszeichnen, trugen ihr Teil dazu bei, daß die Jahrgänge dieser Spätzeit etwa zur Hälfte einen angenehm plätschernde Zeitvertreib darstellen, daß ihnen die Aura, bengalische Einfärbung fehlt, die man vorher in seinen besten Momenten dort finden konnte – etwa in Howards „The Mirrors of Tuzun Thune“ (September 1929), C. L. Moores erster Northwest-Smith-Geschichte „Shambleau“ (November 1933) oder Everil Worrells „The Canal“ (Dezember 1927) oder Lovecrafts kosmischen Traumausflügen in „The Dreams in the Witch-House“ (1932).

Als am bedeutendsten aus dieser Spätphase für die zukünftige Entwicklung des Genres darf man wohl die frühen Erzählungen von Ray Bradbury werten, der seine ersten Gehversuche als professioneller Erzähler ab 1943 dort unternehmen durfte. Von den 27 Texten, die in seiner ersten Buchveröffentlichung „Dark Carnival“ (1947 bei Arkham House in einer Auflage von 3112 Exemplaren erschienen und in leicht veränderter Zusammenstellung seit 1955 unter dem Titel „The October Country“ immer wieder neu aufgelegt), sind 16 zwischen 1943 und 1946 dort zuerst erschienen, von „The Wind“ (März 1943) bis „The Handler“ (Januar 1947). Stephen King schrieb 1982 in seiner Tour d’Horizon in Sachen Gänsehaut-Literatur, Danse Macabre, dieser Sammlung komme für die moderne Schauerliteratur der Rang zu, den Sherwood Andersons „Winesburg, Ohio“ für die moderne amerikanische Literatur als Ganzes einnehme. Und damit ist nicht nur gemeint, daß sich Bradbury dabei ausdrücklich an Andersons Vorbild orientiert hat.



Februar 1936, Virgil Finlay für "The Globe of Memories")



(Hannes Bok, November 1941)



(Boris Dolgov, November 1946)



(Boris Dolgov, März 1947. Archetypisciher wird es nicht...)

IV.

Und mit dem Namen Derleth ist auch der weitere Weg dieses Weird-Tales-Ambientes, dieses „Sounds,“ angerissen. Angefangen mit den Nachdrucken und Anthologien in Arkham House haben sich meist kleinere Liebhaberverlage in den letzten diesem Textkorpus angenommen (Howard und Lovecraft bilden hier die Ausnahme; wobei Lovecraft es mittlerweile sogar bis ins amerikanische Pendant zur französischen Bibliothéque de la Pleiade geschafft hat, der Library of America, die 2005 eine Kollektion von 22 seiner Erzählungen und der Titel „Tales,“ ediert von Peter Straub, in die Reihe ihrer Klassiker aufgenommen hat.

Die vierteljährlich erscheinende Hommage „Weird Tales,“ von 1988 bis 2004 bei Terminus erschienen ist, herausgegeben von Darrell Schweitzer, und die seit 2004 in immer größeren Abständen bei Wildside Press fortgesetzt wird, ist eindeutig ein nostalgisches Liebhaberunternehmen: in einer Auflage von höchsten 1000 bis 2000 Exemplaren, in liebevoller Aufmachung, die sich an die Zeiten Brundages in Finlays anlehnt, wobei die meisten Ausgaben schwerpunktmäßig dem Werk einzelner zeitgenössischer Autoren gewidmet sind, die sich in dieser Tradition sehen, wie Tanith Lee oder Ramsey Campbell. Aber genau wie die Werksausgaben von Autoren wie Robert Aickman oder Walter de la Mare, die in ähnlicher Weise bei Verlagen wie Ash Tree Press erschienen sind, sind es Liebhabereien, liebenswerte Schnörkel, die aber gar nichts mit der gegenwärtigen Unterhaltungsindustrie zu tun haben.

V.



Man liest in Überblicken über die Geschichte der „Fantastika,“ wie der Kritiker John Clute diese Trias aus Horror, Fantasy und SF vor Jahren einmal getauft hat, bei „Weird Tales“ handele es sich nicht um das erste genuine Genremagazin, daß sich ausschließlich diesem Bereich gewidmet habe. Diese Ehre würde dem Journal „Der Orchideengarten“ zukommen, das in den Zeit unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in München, im Dreiländerverlag, herausgegeben vom österreichischen Autor Karl Hans Strobl, vom Januar 1919 bis November 1922 mit 51 Ausgaben erschienen ist. Der Untertitel „Phantastische Blätter“ verstärkt diesen Eindruck noch. Und völlig abwegig ist ein solches Urteil nicht. Nur kann dieses Urteil, wenn man sich die Mühe macht, leicht revidiert werden, seit die Universität Heidelberg alle drei Jahrgänge digitalisiert hat, wo sie auf Mausklick auf der Webseite der Universität aufrufbar sind. (Auch zahlreiche Ausgaben von Weird Tales kann man heute nachlesen, ohne erst in Antiquariaten nach zerbröselnden Relikten forsten zu müssen, die sorgfältiger angefaßt werden müssen als die Schätze eines Pharaonengrabs. Wer sich trotz allem der Mühe unterziehen möchte, sich den Inhalt jener ersten Ausgabe vom März 1923 anzutun, kann das etwa hier und hier tun.)



In den Jahrzehnten nach seiner Einstellung sind Ausgaben des „Orchideengartens“ rar geworden; zum Sammlerstück wurde das Magazin hauptsächlich durch die zahlreichen Graphiken im expressionistischen Stil, mit denen die Texte ausgeschmückt wurden, unter anderem mit Nachdrucken von Doré, Beardsley und Originalradierungen und Kohlezeichnungen von Alfred Kubin, Heinrich Kley und Otto Muck. Aber bei den Texten dominieren zumeist altbekannte nachdrucke von Edgar Allan Poe, von Victor Hugo („Der letzte Tag eines Verurteilten“) oder Fjodor Sologub. Die original erschienenen Erzählungen stammen zumeist von Verfassern, die außer diesen kurzen Auftritten namenlos geblieben sind und bei denen es sich um oft ungelenke Fingerübungen in Stil der Grotesken handelt, wie sie etwa auch im „Simplicissimus“ von Gustav Meyrink erschienen und in „Der deutschen Spießers Wunderhorn“ (1913) gesammelt wurden. Außer zwei Beiträgen von Alexander Moritz Frey findet man dort nur vier Erzählungen des Herausgebers Karl Hans Strobl als Originalbeiträge; bei namhaften deutschsprachigen Erzähler jener Zeit wie eben Meyrink, Hanns Heinz Ewers, Leo Perutz, Georg von der Gabelentz fehlen völlig. Auch nach der Einstellung des Magazins ist niemals für Anthologien aus diesem Fundus geschöpft worden.

Bei solcher Durchsicht wird schnell deutlich, daß diese hefte zur Präsentation der Druckgraphik dienten, gewissermaßen Albenmappen mit redaktioneller Beilage waren. Der Aufbau eines Autorenstamms, eines ans Magazin gebundenen Lesepublikums, Stammautoren, die diese Leserschaft ansprechen sollten – und ein Austausch über die Inhalte der letzten Ausgaben, die er in der Leserbriefspalte „The Eyrie,“ der Adlerhorst, in Weird Tales von Anfang an stattfand: all das glänzt hier durch Abwesenheit.

Insofern kann man als Genrekenner mit gutem Gewissen bei der Ansicht bleiben, daß das erste wirkliche Genremagazin, das diesen Namen auch verdient hat, zuerst vor einem Jahrhundert in Chicago das Licht der Welt erblickt hat.





U.E

© U.E. Für Kommentare bitte hier klicken.