„Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“ Mark Twain
„Wie immer, so habe ich auch hier versucht, auf dem Wege friedlicher Revisionsvorschläge eine Änderung des unerträglichen Zustandes herbeizuführen.“ (Adolf Hitler, Erklärung der Reichsregierung vor dem Deutschen Reichstag, 1. September 1939)
„Хорошо известно, что на протяжении 30 лет мы настойчиво и терпеливо пытались договориться с ведущими странами НАТО о принципах равной и неделимой безопасности в Европе.“ (Влади́мир Пу́тин, 24 февраля 2022 года)
„Es ist eine Tatsache, daß wir in den letzten 30 Jahren geduldig versucht haben, mit den führenden NATO-Staaten zu einer Einigung über die Grundlagen einer gleichen und unteilbaren Sicherheit in Europa zu gelangen.“ (Wladimir Putin, Fernsehansprache vom 24. Februar 2022)
„Es ist eine Lüge, wenn in der Welt behauptet wird, daß wir alle unsere Revisionen nur unter Druck durchzusetzen versuchten.“ (Adolf Hitler, ebd.)
„Мы никому и ничего не собираемся навязывать силой.“ (Wladimir Putin, ebd.)
„Es ist nicht unsere Absicht, irgendjemandem irgendetwas mit Gewalt aufzuzwingen.“
„. Alle diese Gebiete verdanken ihre kulturelle Erschließung ausschließlich dem deutschen Volk … Danzig wurde von uns getrennt … Sie kennen … die endlosen Versuche, die ich zu einer friedlichen Verständigung über das Problem Österreich unternahm und später über das Problem Sudetenland, Böhmen und Mähren. Es war alles vergeblich.“ (Adolf Hitler, ebd.)
„Восемь лет, бесконечно долгих восемь лет мы делали всё возможное, чтобы ситуация была разрешена мирными, политическими средствами. Всё напрасно.“ (Wladimir Putin, ebd.)
„Acht Jahre lang, acht endlos lange Jahre, haben wir alles getan, um die Situation mit friedlichen, politischen Mitteln zu lösen. Es war alles vergebens.“
„Deutschland hat keine Interessen im Westen. Unser Westwall ist zugleich für alle Zeiten die Grenze des Reiches.“ (Adolf Hitler, ebd.)
„При этом в наши планы не входит оккупация украинских территорий.“ (Wladimir Putin, 24.2.2022)
„Unsere Pläne sehen nicht vor, ukrainisches Gebiet zu besetzen.“
„Die dort (i.e. in Polen) lebenden deutschen Minderheiten [wurden] in der qualvollsten Weise mißhandelt.“ (Adolf Hitler, ebd.)
„Её цель – защита людей, которые на протяжении восьми лет подвергаются издевательствам, геноциду со стороны киевского режима.“ (Wladimir Putin, 24.02.2022)
„Ihr Ziel (i.e. der „militärischen Spezialoperation“) ist es, die Menschen zu schützen, die seit acht Jahren der Unterdrückung und dem Mord durch das Regime in Kiew ausgesetzt sind.“
„Danzig war und ist eine deutsche Stadt. Der Korridor war und ist deutsch.“ (Adolf Hitler, 1.9.1939)
„Ещё раз подчеркну, что Украина для нас – это не просто соседняя страна. Это неотъемлемая часть нашей собственной истории, культуры, духовного пространства.“ („Обращение по поводу событий на Украине,“ 21 февраля 2022 г.)
„Ich möchte noch einmal betonen, daß die Ukraine für uns nicht nur ein Nachbarland darstellt. Sie ist untrennbarer Teil unsere Geschichte, Kultur und unseres geistlichen Raums.“ (Wladimir Putin, Ansprache über die Lage in der Ukraine, 21. Februar 2022)
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Ob Mark Twain wirklich der Urheber des Satzes „History doesn’t repeat, but it does often rhyme“ ist, ist sehr zweifelhaft, obwohl diese Sentenz dem Erfinder von Tom Sawyer und Huckleberry Finn seit gut einem halben Jahrhundert immer wieder zugeschrieben wird. In seinen Werken ist sie bislang nicht aufgefunden worden. Somit dürfte es sich damit verhalten wie mit dem Wunsch „Mögest du in interessanten Zeiten leben!“, bei dem es sich auch ersichtlich nicht um einen alten chinesischen Fluch handelt. Der Wahrheitsgehalt bleibt davon natürlich unbetroffen. Und es handelt sich offensichtlich um eine Replik auf den Satz „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“ („Those who cannot remember the past are condemned to repeat it“), der sich tatsächlich so im Werk „The Life of Reason“ aus dem Jahr 1905 des spanisch-amerikanischen Philosophen George Santayana (1863 bis 1952) findet. (Das vollständige Zitat aus Kapitel 1, „Reason in Common Sense,“ lautet: „Das Wesen des Fortschritts besteht nicht in der Veränderung, sondern in der Bewahrung. Wenn alles verändert wird, bleibt nichts übrig, das noch weiter verbessert werden könnte, und es ist keine Richtung mehr zu erkennen, in der künftige Verbesserungen vorgenommen werden könnten. Und wenn die Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht bewahrt werden – so wie es bei Wilden der Fall ist – ist man zu ewiger Unmündigkeit verdammt. Diejenigen, die sich nicht an das Vergangene erinnern können, sind dazu verurteilt, es zu wiederholen.“)
Als Präsident Putin vor einem Jahr in seiner öffentlichen Begründung für die „militärische Spezialoperation“ die „Entnazifizierung und Entmilitarisierung“ („демилитаризации и денацификации“) der Ukraine zum Ziel erklärte, haben darin viele westliche Beobachter ein Echo der Schlußerklärung der Konferenz von Potsdam vom August 1945 erkannt, weil diese beiden Punkte zu den dort geforderten „vier Ds“ für das besiegte Deutschland gehörten (Denazifizierung, Demilitarisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung). Heute, genau ein Jahr nach dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine, scheint eine gute Gelegenheit, auf andere Echos hinzuweisen, die sich in den Rechtfertigungen finden, die der Reichkanzler des Deutschen Reichs und der Präsident der Russischen Föderation öffentlich erklärt haben – über einen zeitlichen Abgrund von 82 Jahren hinweg.
Dafür, daß Putins Denken geradezu obsessiv von historischen Parallelen und symbolischen Gesten bestimmt zu sein scheint, gibt es einen erstaunlichen blinden Fleck in dieser Sicht auf die Geschichte, ausgeblendet vielleicht auf die Fixierung auf die Vision eines „Neurussland“ als einer Einheit aus Russland, Weißrussland und der Ukraine, die als so naturgegeben und unausweichlich geschildert wird wie die „Diktatur des Proletariats“ im Sozialismus: Wenn die Ukraine integraler Bestandteil der russischen Kernlande ist (jeder, der sich mit ihrer Geschichte befaßt hat, weiß, daß sie es nicht ist): und jede Macht, die einen Überfall auf russisches Territorium unternimmt, damit den Keim des eigenen Untergangs legt (wie einst Napoleon und Hitler), dann scheint ein Schluß daraus nachgerade zwingend. Oder, um den bekannten Spruch des Orakels von Delphi über den kleinasiatischen König Krösus zu variieren:
...τὠυτὸ αἱ γνῶμαι συνέδραμον, προλέγουσαι Πούτινσῳ, ἢν στρατεύηται ἐπὶ Ουκρανία, μεγάλην ἀρχὴν μιν καταλύσειν. (Herodot, Historien, Buch I,53)
„Dies weiß ich, und kann es voraussagen: wenn Putin gegen die Ukraine Krieg führt, wird er ein großes Reich zerstören.“
Das obige Florilegium ist nicht von mir zusammengestellt. Mein Beitrag beschränkt sich auf die Verifizierung des Textes und das Zitieren im jeweiligen deutschen oder russischen Original. Die Rede Hitlers vor dem Deutschen Reichstag am 1. September 1939 findet sich hier dokumentiert; die Fernsehansprachen Wladimir Putins vom 21. Februar und 24. Februar 2022 finden sich auf der offiziellen Webseite des Kreml.
U.E.
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