Liest man dieser Tage (gerade gestern) mal wieder Zeitung und kommt das Stichwort auf das allgegenwärtige Virus, respektive die staatlichen Maßnahmen, steht in gefühlt jedem zweiten Artikel der Wunsch der Frau Bundeskanzler die akuten Maßnahmen oder die vorgeschlagenen nachzuschärfen. Da wo orange das neue schwarz ist, scheint die Nachschärfung die neue Alternativlosigkeit zu sein. Ich will es gleich vorweg nehmen, schon die permanent und dauerhaft bemühte Vokabel der Schärfung löst inzwischen bei mir ähnliches, körperliches Unbehagen aus wie ein Bild von Karl Lauterbach.
Wobei man sagen muss, dass dieser penetrante Wunsch nach Nachschärfung wenigstens ein Gutes hat: Er zeigt relativ gnadenlos die Verlogenheit der Regierung und insbesondere der Regierungschefin auf, ebenso die massive Bestrebung nach totalitärer Macht. Denn eine echte Begründung gibt es dafür .... leider nicht. Man kann sicher darüber streiten, ob es nun die staatlichen Maßnahmen sind oder schlicht die natürliche Grenze der Ausbreitung, die wir auch bei jeder Grippe beobachten, aber die letzten Wochen hat sich die Zahl der offiziellen Corona-Fälle nicht mehr erheblich erhöht. Die angebetete Zahl der Neuinfektionen pro Tag hat sich irgendwo um 20.000 eingependelt, teilweise darunter. Unabhängig davon wie viel reales Geschehen dort wirklich festgestellt wird, ist die Dynamik, die man im Oktober als Grundlage für den neuen Lockdown unter anderem Namen zugrunde legte, nicht mehr zu beobachten. Die Zahl der ("Mit-Corona-")Toten weist derzeit noch ein Wachstum auf, allerdings in keinem Vergleich zu den Zahlen vom Frühling. Selbst bei einer Beibehaltung des Wachstums sind in diesem Jahr keine Zahlen zu erwarten, die den Frühling einholen können und selbst diese waren in der Gesamtsterbestatistik kaum signifikant und keinesfalls außergewöhnlich.
Aber Frau Kanzler will nachschärfen, ebenso ihr Apparat und ihre Zuträger. Sie setzt als Grundlage keine Todesfälle oder Dynamik ein, sie setzt den selbst und willkürlich festgelegten Wert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner ein (und denkt sich gleich den nächsten aus). Der sehr praktisch ist, denn er wird vor April nächsten Jahres nicht ernsthaft erreicht werden können. Es ist ein völlig sinnfreies Ziel und ich unterstelle, selbst ein so ignoranter Mensch wie Angela Merkel, weiß das durchaus. Selbst Klabauterbach wird es wissen und das will schon viel heißen.
Aber dennoch kann gar nicht genug nachgeschärft werden, die Politik übertrifft sich derzeit gegenseitig mit Forderungen. Warum? Weil wir eine fatale Dynamik erleben. Durch die Beseitigung des politischen wie medialen Pluralismus gibt es in Deutschland nahezu keine oppositionelle Position mehr, zumindest keine, die überhaupt noch groß diskutiert werden kann. Wenn sie überhaupt erwähnt wird, dann nur um sie moralisch abzuwerten. Gegner, Kritiker, Zweifler, sie alle sind Coronaleugner (der Zungenschlag des Holocaust-Leugners wird nicht einmal mehr verborgen), sie sind Covidioten, die man am liebsten mundtot machen würde, wo es zumindest kein Skandal mehr ist ihnen den Entzug der medizinischen Versorgung anzudrohen, wenn man sie nicht gleich in die Psychiatrie stecken will. Dabei geht es nicht einmal um den Standpunkt, es zeigt wie verroht die Debatte geworden ist und wie wenig politische Kultur in Deutschland noch vorhanden ist.
Gleichzeitig ist die Radikalität politisch ausgesprochen opportun, sie wird vom Wähler goutiert, so lange es nur die anderen erwischt. Und es macht sich bezahlt: Klabauterbach, ein abgehalfterter Hinterbänkler, der Zeit seiner politischen Laufbahn nicht einmal in seiner eigenen Partei für fünf Cent ernst genommen wurde, hat plötzlich Schlagzeilen in der Blöd-Zeitung. Merkel, eigentlich seit mehr als einem Jahr eine lahme Ente, weil sie langsam von dem Fiasko ihrer Politik eingeholt wird, hat plötzlich wieder Zustimmungswerte wie seit Ewigkeiten nicht. Und Markus Söders, seine Zeichens Provinzlord von bayrischen Gnaden, wird als ernsthafter Kanzlerkandidat gehandelt.
Und das strahlt aus: Andere Politiker sehen das. Und wir haben eine totale Selbstverstärkung. Jeder springt auf den Zug auf, keiner hält mehr dagegen, denn zum einen kann das die Karriere kosten, zum anderen will jeder seinen Platz an der Sonne. Die Politik, seit Jahren in Deutschland auf dem absteigenden Beliebtheitsast, sieht sich plötzlich in die Rolle des Volksretters gehoben.
Es gibt ein simples, wenn auch nicht genaues, Wort dafür: Hysterie. Was wir erleben ist eine emotionale Selbstverstärkung in einer kleinen Bedrohung, die zum Weltuntergang erhoben wird. Das erleben wir nicht das erste mal (allerdings seit langer Zeit in dieser Heftigkeit). Bei Fukushima sprach der hochverehrte Gründer dieses Raums von kollektiver Besoffenheit. Und er hatte absolut Recht. In einer völligen Verkennung realer Gefahren waren in Deutschland in kurzer Zeit die Jod-Tabletten ausverkauft und die jahrzehntelang sichere Stromversorgung politisch abgeschafft. Heute bezahlen wir nicht mit unserer Versorgungssicherheit oder günstigen Strompreisen, heute bezahlen wir mit Grundrechten und hunderttausenden Existenzen. Für eine Gefahr, die, bei Licht betrachtet, in keinem Verhältnis zu den Kosten steht. Wir benehmen uns, als Gesellschaft, hochgradig hysterisch: "Wir werden alle sterben." Und unsere Politik und Medien, eigentlich die Instrumente, die uns gerade davor bewahren sollten, verstärken die Hysterie noch massiv, um davon zu profitieren.
Aber wir sterben nicht. Und das nicht, weil die Politik so große Dinge vollbringt, oder weil Lieschen Müller ihrer Nachbarn denunziert, dass der Weihnachten mit seiner Familie verbringt. Wir sterben nicht, weil das nie anstand. Es stand genauso wenig an, wie das Sterben des Waldes, wie der Tod durch BSE, wie der Tod durch Kernschmelze, wie das Ersticken an CO2. Es stand einfach nie an. Und das nicht, weil die Politik so toll gehandelt hat, sondern weil es generell nie anstand. Und es steht auch diesmal nicht an.
Was dagegen ansteht sind die Folgen der Hysterie und das Verhalten das wir darauf aufbauen. In Deutschland ist es in Jahrzehnten zu keinem nennenswerten Unfall in einem Kernkraftwerk gekommen. Aber die Folgen des Fukushima-Hysterie spüren wir heute umso schwerer. Wir würden sie eigentlich, rein rational, gerne abschütteln. Aber wir können nicht, weil wir dann zugeben müssten, dass wir aus nackter Panik eine dumme Entscheidung getroffen haben (Die Politik kann das erste recht nicht.). Wir werden auch nicht an Corona sterben, jedenfalls nicht mehr als an einer harten Grippewelle. Aber die Kosten der Hysterie, die werden wir noch sehr lange und bitterböse bezahlen müssen. Diese Kosten sind nicht schicksalhaft, sie sind selbst gewählt.
Llarian
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