Vieles ist in der Flüchtlingskrise geschrieben, vieles gesagt worden; einer langfristigen Lösung harrt sie freilich noch immer. Manchmal aber, so scheint mir, gebiert Politik diplomatische Stilblüten, von denen man nur hoffen kann, daß sie von den betreffenden Partnern übersehen werden und die geeignet sind, dem Beobachter den Schamesröte ins Gesicht zu treiben. Eine solche Stilblüte hat jüngst Peter Altmaier, Kanzlerinvertrauter und Koordinator für Flüchtlingsfragen im Kanzleramt, in einem heute veröffentlichten Interview auf Welt Online zum besten gegeben. Auf den jüngsten Deal mit der Türkei angesprochen, sagte er:
Der Gipfel war ein Wendepunkt: Wir haben zum ersten Mal die konkrete Chance, die Flüchtlingskrise zu lösen, ohne unsere humanitären Ansprüche aufzugeben. Schon seit November sind die Flüchtlingszahlen, die von der Türkei auf die griechischen Inseln kommen, kontinuierlich gesunken. Von 7000 am Tag im Oktober auf 2000 im Februar. Im März sind es bisher etwa 1400 am Tag. Das liegt nicht nur am Wetter, sondern auch daran, dass die Arbeit der letzten Monate Früchte trägt.
Verfügt die Bundesregierung über eine Zeitmaschine? Altmaier insinuiert, daß ein gerade einmal eine Woche altes Abkommen mit der Türkei, das bislang weder installiert noch in Kraft getreten ist, gleichsam rückwirkend zu einer Reduzierung der Flüchtlingszahlen beigetragen habe.
Abseits vom Wetter, das ist jedem Beobachter klar, haben ausschließlich die Maßnahmen Österreichs und der Balkanstaaten, die ihre Grenzen bereits vor Wochen zu schließen begonnen haben, zur momentanen Reduktion der Flüchtlingszahlen geführt. Nicht nur, daß Altmaier diesen Umstand schlicht ignoriert und den Erfolg dieser Reduzierung der Bundesregierung ans Revers heftet. Die eigentliche Frechheit erfolgt im Interview kurz darauf, indem er Österreich, getreu dem jüngsten Merkelschen Mantra, eine weitere Ohrfeige verpaßt:
Wir haben in dieser Krise über viele Monate mit Österreich sehr eng und gut zusammengearbeitet. Trotzdem haben wir die Entscheidung, einseitig die Grenzen zu schließen, für unglücklich und nicht hilfreich gehalten.
Man muß sich das nochmal bei Licht anschauen: die deutsche Regierung fährt seit Monaten den Karren der Flüchtlingskrise in den Schlamassel und stößt die europäischen Partner vor den Kopf bis zur diplomatischen Selbstisolation. Dann schaffen die Balkanländer und Österreich Fakten, die kurzfristig zu einer Reduktion der Flüchtlingszahlen führen. Dies kritisiert die Bundesregierung mit Formulierungen, die z. T. hart an der diplomatischen Schmerzgrenze sind oder aber an formale Denkstörungen in psychiatrischen Kontexten erinnern ("Kann nicht sein, daß irgendwas geschlossen wird."), um sich zu guter Letzt die Erfolge der österreichischen Politik auf die eigene Fahne zu schreiben. Dreister geht es wohl kaum. Man kann nur hoffen, daß das Interview mit Altmaier im europäischen Ausland nicht allzu aufmerksam gelesen wird. Letzte Reste nicht zerschlagenen Porzellans sind vermutlich immer noch da.
Andreas Döding
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