7. März 2016

Gedanken zu den Deutschen: Eine neue Serie in Zettels Raum.



Was ist eigentlich deutsch?

Eine gute Frage? Oder doch eher eine dumme Frage? Beides vermutlich. Aber mit Sicherheit eine, mit der sich zu beschäftigen zumindest ein bisschen lohnt. In dieser Serie möchte ich mich mit Eigenschaften beschäftigen, die ich in Deutschland wahrzunehmen glaube. Es sind Dinge, die mich massiv ärgern, es sind Dinge die mich freuen, Dinge die ich merkwürdig finde wie auch Dinge, die nur auf den ersten Blick selbstverständlich erscheinen. Vieles mag nur meiner eigenen Wahrnehmung entsprechen, so ist diese Serie vielleicht noch ein bisschen subjektiver als sonst. Vielleicht macht sie das aber auch gerade interessant.
Die erste Eigenschaft, die ich aufgreife, ist keine sympathische. Es ist auch sicher nicht die wichtigste, aber es ist eine, die mir in der letzten Woche wieder und wieder begegnet ist, und sie erscheint mir inzwischen so allgegenwärtig zu sein, dass ich ihr den Platz einräume, zuerst erwähnt zu werden. Sie gehört zu den sieben Todsünden und würde man 100 zufällig ausgewählte Deutsche auf der Strasse fragen, würden davon keine 2 diese Eigenschaft als „typisch deutsch“ bezeichnen. Die meisten wären auch schwer beleidigt, wenn man es auch nur in einen solchen Kontext bringen würde. Ich dagegen denke, sie ist inzwischen sehr deutsch geworden, sie ist derart verbreitet das sie wie selbstverständlich bedient wird und schon die Diskussion darüber als Affront betrachtet wird.
Die Rede ist, Sie werden es längst wissen, lieber Leser, vom Neid. Schon die Diskussion von Neid in Deutschland ist schwierig, da Formalzuordnung und Verhalten in einem völlig schizophrenen Verhältnis stehen. Einerseits ist die Eigenschaft des Neides in aller Regel negativ konnotiert, andererseits ist das Zeigen und Schüren von Neid überhaupt kein Problem, so lange das Wort selber maskiert werden kann. In der Regel findet die Verbrämung über den Begriff der Gerechtigkeit statt, so kann der Neider vor sich selber (aber vor allem vor anderen) gerade stehen und sich darauf berufen, es ginge ihm um Gerechtigkeit und mit Neid habe sein Gefühl und seine Forderung nichts zu tun. Ein vielleicht kleines, aber doch recht treffendes Beispiel liefert hier die deutsche Wikipedia, die schon in weiser Voraussicht(!) der Diskussion auf ihrer Seite zum Neid, direkt die Verbrämung mitliefert. Und das bitte in Fettdruck, damit ein unvorsichtiger Leser das nicht zufällig überliest. Die englische Wikipedia hat das scheinbar nicht nötig, der Begriff wird ausgesprochen neutral erklärt und irgendwelche Maskierungen erscheinen den dortigen Autoren nicht notwendig zu sein. Wie schon angedeutet, alleine die Unterschied zwischen diesen beiden Seiten der Wikipedia sagt einiges über das spezielle deutsche Verhältnis zum Neid aus.
Die Maskierung selber ist nach Meinung dieses Autors nicht einmal besonders stichhaltig. Wenn es in Deutschland eine Neiddebatte gibt, dann sind in 99 Prozent der Fälle vor allem Menschen gemeint, die man selber als reich wahrnimmt, sich selber nimmt die so um Gerechtigkeit bemühte Person nahezu grundsätzlich aus. Es gehört aber ebenso zu den simplen Fakten, dass Deutschland im Vergleich zur restlichen Welt unglaublich reich ist. Selbst die deutsche Unterschicht gehört im weltweiten Vergleich zu den obersten zehn Prozent, sei es bezogen auf verfügbares Einkommen, Wohnraum, Ernährung, Gesundheit oder auch daraus resultierende Lebenserwartung. DAS wiederum ist mit der so angestrebten Gerechtigkeit nahezu nie gemeint. Wer in Deutschland von Gerechtigkeit redet, meint in 99% andere, vor allem diejenigen die mehr haben als er oder sie. Abgeben will auch von den Gerechtigkeitspredigern nahezu niemand (denn das wäre ja freiwillig problemlos möglich). Und damit haben wir in aller Regel das (recht hässliche) Gesicht des Neides.
Und es ist allgegenwärtig. Dieser Autor hat das (zweifelhafte) Vergnügen ab und zu einige Nachrichtenseiten aus dem IT-Bereich zu lesen. Nennen wir sie mal heise und golem. Dort gibt es jeweils auch ein (bisweilen sehr unterirdisches) Forum (vom Niveau tun sich beide nicht viel). Ebenso gibt es dort ab und zu auch mal ein Thema über diesen und jenen Milliardär, beispielsweise Bill Gates oder Mark Zuckerberg. Der sich in solchen Debatten zeigende Vulgärneid ist für sich schon abstoßend, bezeichnender ist aber noch, dass nahezu niemand widerspricht oder Dinge in Frage stellt. Das Zuckerberg etwas entwickelt hat, was von Milliarden Menschen genutzt wird, ist dabei vollkommen belanglos, man gönnt ihm seine Milliarden nicht. Es ist „ungerecht“. Das Zuckerberg in Form eines Produktes, das so viele Menschen für nützlich halten, mehr geleistet hat, als nahezu alle Beteiligten einer solchen Diskussion zusammen, ist dabei irrelevant. Es ist „nicht gerecht“. Und keiner widerspricht. Man gefällt sich in seiner "Gerechtigkeit".
Ein weiteres (fast noch unsympathischeres) Beispiel beobachten wie derzeit gegenüber Flüchtlingen. „Die“ kriegen alles hinten rein geschoben. „Die“ haben überhaupt nichts dafür getan. „Die“ kosten uns alle nur Geld. Nun: Wenn wir über Gerechtigkeit reden, im Sinne von „wer viel hat, muss dem, der wenig hat, abgeben“, dann ist das natürlich Unsinn. „Die“ sind verdammt arm. Darüber kann man eigentlich sachlich kaum ernsthaft diskutieren. Wenn jemand gerade mal einen Koffer und ein Handy besitzt, keine Ausbildung hat und sich in einem Land befindet, dessen Sprache er nicht spricht, dann ist der eine ganz arme (!) Wurst. Und trotzdem gönnt man der armen Wurst das Handy nicht. Oder das Taschengeld. Mit der Begründung das derjenige dafür ja nicht gearbeitet habe (plötzlich eine ganz andere, nahezu diametral andere, Definition von angeblicher Gerechtigkeit). Nun, wer hat denn Zuckerberg geholfen, als er seine Firma hochgezogen hat? Jedenfalls nicht das Forenvolk von heise. 

Man kann nicht beides haben: Da ist es mal die eine, dann wieder die andere Gerechtigkeit. Beide sind grundsätzlich widersprüchlich. Aber man kann Neid aus beiden Richtungen haben. Man kann Neid haben und dem anderen etwas nicht gönnen. Das geht problemlos für die Milliarden von Herrn Zuckerberg, ebenso wie das Taschengeld des Asylanten. Neid geht immer. Jemanden etwas nicht gönnen, aus welchen Gründen auch immer, geht immer.
Neid ist eine durch und durch üble Emotion. Er löst nicht nur Agressionen gegen Dritte aus, er frisst und nagt auch an dem, der den Neid empfindet. Entsprechend sollte man meinen, dass wir als Gesellschaft daran interessiert wären den Neid zu bekämpfen und einzudämmen. Die englischsprachige Gesellschaft scheint zumindest sehr interessiert daran zu sein, zumindest wenn man an dieser Stelle wieder den Wikipedia Artikel heranzieht, der der Überwindung von Neid ein Unterkapitel widmet. Fast überflüssig zu sagen, dass sich im deutschen Gegenstück nichts dergleichen befindet. Die deutsche Gesellschaft dagegen kultiviert den Neid geradezu und die Politik hat auch wenig anderes zu tun, als eben diesen zu füttern. Neidreflexe werden von nahezu allen Parteien (vielleicht mit Ausnahme der FDP) großflächig bedient, da tun sich auch links und rechts nicht viel. Gemeinsamer Neid kann eben auch ein verbindendes Element zwischen Extremisten sein, da sind sich dann auch NPD und SED erstaunlich einig.
Und damit sind wir auch bei dem eigentlichen Problem: Wenn eine Gesellschaft eine solche Emotion derart selbstverständlich erlebt, wenn die Negativität des eigenen Gefühlslebens so extrem ausgeblendet wird, hat das selbstredend irgendwann sehr starke Auswirkungen auf Gesetzgebung und Zusammenleben. Und ich denke: Keine besonders positiven. 

­
Llarian


© Llarian. Für Kommentare bitte hier klicken.