Was ist
eigentlich deutsch?
Eine gute
Frage? Oder doch eher eine dumme Frage? Beides vermutlich. Aber mit Sicherheit
eine, mit der sich zu beschäftigen zumindest ein bisschen lohnt. In dieser
Serie möchte ich mich mit Eigenschaften beschäftigen, die ich in Deutschland
wahrzunehmen glaube. Es sind Dinge, die mich massiv ärgern, es sind Dinge die
mich freuen, Dinge die ich merkwürdig finde wie auch Dinge, die nur auf den
ersten Blick selbstverständlich erscheinen. Vieles mag nur meiner eigenen
Wahrnehmung entsprechen, so ist diese Serie vielleicht noch ein bisschen
subjektiver als sonst. Vielleicht macht sie das aber auch gerade interessant.
Die erste
Eigenschaft, die ich aufgreife, ist keine sympathische. Es ist auch sicher
nicht die wichtigste, aber es ist eine, die mir in der letzten Woche wieder und wieder
begegnet ist, und sie erscheint mir inzwischen so allgegenwärtig zu sein, dass
ich ihr den Platz einräume, zuerst erwähnt zu werden. Sie gehört zu den sieben
Todsünden und würde man 100 zufällig ausgewählte Deutsche auf der Strasse
fragen, würden davon keine 2 diese Eigenschaft als „typisch deutsch“
bezeichnen. Die meisten wären auch schwer beleidigt, wenn man es auch nur in
einen solchen Kontext bringen würde. Ich dagegen denke, sie ist inzwischen sehr
deutsch geworden, sie ist derart verbreitet das sie wie selbstverständlich
bedient wird und schon die Diskussion darüber als Affront betrachtet wird.
Die Rede
ist, Sie werden es längst wissen, lieber Leser, vom Neid. Schon die Diskussion
von Neid in Deutschland ist schwierig, da Formalzuordnung und Verhalten in
einem völlig schizophrenen Verhältnis stehen. Einerseits ist die Eigenschaft
des Neides in aller Regel negativ konnotiert, andererseits ist das Zeigen und
Schüren von Neid überhaupt kein Problem, so lange das Wort selber maskiert
werden kann. In der Regel findet die Verbrämung über den Begriff der
Gerechtigkeit statt, so kann der Neider vor sich selber (aber vor allem vor
anderen) gerade stehen und sich darauf berufen, es ginge ihm um Gerechtigkeit
und mit Neid habe sein Gefühl und seine Forderung nichts zu tun. Ein vielleicht
kleines, aber doch recht treffendes Beispiel liefert hier die deutsche Wikipedia,
die schon in weiser Voraussicht(!) der Diskussion auf ihrer Seite zum Neid,
direkt die Verbrämung mitliefert. Und das bitte in Fettdruck, damit ein
unvorsichtiger Leser das nicht zufällig überliest. Die englische Wikipedia hat
das scheinbar nicht nötig, der Begriff wird ausgesprochen neutral erklärt und irgendwelche Maskierungen erscheinen den dortigen Autoren nicht notwendig
zu sein. Wie schon angedeutet, alleine die Unterschied zwischen diesen beiden
Seiten der Wikipedia sagt einiges über das spezielle deutsche Verhältnis zum Neid aus.
Die
Maskierung selber ist nach Meinung dieses Autors nicht einmal besonders
stichhaltig. Wenn es in Deutschland eine Neiddebatte gibt, dann sind in 99
Prozent der Fälle vor allem Menschen gemeint, die man selber als reich wahrnimmt,
sich selber nimmt die so um Gerechtigkeit bemühte Person nahezu grundsätzlich
aus. Es gehört aber ebenso zu den simplen Fakten, dass Deutschland im Vergleich
zur restlichen Welt unglaublich reich ist. Selbst die deutsche Unterschicht
gehört im weltweiten Vergleich zu den obersten zehn Prozent, sei es bezogen auf
verfügbares Einkommen, Wohnraum, Ernährung, Gesundheit oder auch daraus
resultierende Lebenserwartung. DAS wiederum ist mit der so angestrebten
Gerechtigkeit nahezu nie gemeint. Wer in Deutschland von Gerechtigkeit redet,
meint in 99% andere, vor allem diejenigen die mehr haben als er oder sie.
Abgeben will auch von den Gerechtigkeitspredigern nahezu niemand (denn das wäre
ja freiwillig problemlos möglich). Und damit haben wir in aller Regel das (recht hässliche) Gesicht des Neides.
Und es ist
allgegenwärtig. Dieser Autor hat das (zweifelhafte) Vergnügen ab und zu einige
Nachrichtenseiten aus dem IT-Bereich zu lesen. Nennen wir sie mal heise und
golem. Dort gibt es jeweils auch ein (bisweilen sehr unterirdisches) Forum (vom
Niveau tun sich beide nicht viel). Ebenso gibt es dort ab und zu auch mal ein
Thema über diesen und jenen Milliardär, beispielsweise Bill Gates oder Mark
Zuckerberg. Der sich in solchen Debatten zeigende Vulgärneid ist für sich schon
abstoßend, bezeichnender ist aber noch, dass nahezu niemand widerspricht oder
Dinge in Frage stellt. Das Zuckerberg etwas entwickelt hat, was von Milliarden
Menschen genutzt wird, ist dabei vollkommen belanglos, man gönnt ihm seine
Milliarden nicht. Es ist „ungerecht“. Das Zuckerberg in Form eines Produktes,
das so viele Menschen für nützlich halten, mehr geleistet hat, als nahezu alle
Beteiligten einer solchen Diskussion zusammen, ist dabei irrelevant. Es ist „nicht
gerecht“. Und keiner widerspricht. Man gefällt sich in seiner "Gerechtigkeit".
Ein
weiteres (fast noch unsympathischeres) Beispiel beobachten wie derzeit
gegenüber Flüchtlingen. „Die“ kriegen alles hinten rein geschoben. „Die“ haben
überhaupt nichts dafür getan. „Die“ kosten uns alle nur Geld. Nun: Wenn wir
über Gerechtigkeit reden, im Sinne von „wer viel hat, muss dem, der wenig hat,
abgeben“, dann ist das natürlich Unsinn. „Die“ sind verdammt arm. Darüber kann
man eigentlich sachlich kaum ernsthaft diskutieren. Wenn jemand gerade mal einen
Koffer und ein Handy besitzt, keine Ausbildung hat und sich in einem Land befindet,
dessen Sprache er nicht spricht, dann ist der eine ganz arme (!) Wurst. Und
trotzdem gönnt man der armen Wurst das Handy nicht. Oder das Taschengeld. Mit
der Begründung das derjenige dafür ja nicht gearbeitet habe (plötzlich eine
ganz andere, nahezu diametral andere, Definition von angeblicher Gerechtigkeit).
Nun, wer hat denn Zuckerberg geholfen, als er seine Firma hochgezogen hat?
Jedenfalls nicht das Forenvolk von heise.
Man kann
nicht beides haben: Da ist es mal die eine, dann wieder die andere
Gerechtigkeit. Beide sind grundsätzlich widersprüchlich. Aber man kann Neid aus
beiden Richtungen haben. Man kann Neid haben und dem anderen etwas nicht
gönnen. Das geht problemlos für die Milliarden von Herrn Zuckerberg, ebenso wie
das Taschengeld des Asylanten. Neid geht immer. Jemanden etwas nicht gönnen,
aus welchen Gründen auch immer, geht immer.
Neid ist
eine durch und durch üble Emotion. Er löst nicht nur Agressionen gegen Dritte
aus, er frisst und nagt auch an dem, der den Neid empfindet. Entsprechend
sollte man meinen, dass wir als Gesellschaft daran interessiert wären den Neid
zu bekämpfen und einzudämmen. Die englischsprachige Gesellschaft scheint
zumindest sehr interessiert daran zu sein, zumindest wenn man an dieser Stelle
wieder den Wikipedia Artikel heranzieht, der der Überwindung von Neid ein
Unterkapitel widmet. Fast überflüssig zu sagen, dass sich im deutschen
Gegenstück nichts dergleichen befindet. Die deutsche Gesellschaft dagegen
kultiviert den Neid geradezu und die Politik hat auch wenig anderes zu tun, als
eben diesen zu füttern. Neidreflexe werden von nahezu allen Parteien
(vielleicht mit Ausnahme der FDP) großflächig bedient, da tun sich auch links
und rechts nicht viel. Gemeinsamer Neid kann eben auch ein verbindendes Element
zwischen Extremisten sein, da sind sich dann auch NPD und SED erstaunlich
einig.
Und damit
sind wir auch bei dem eigentlichen Problem: Wenn eine Gesellschaft eine solche
Emotion derart selbstverständlich erlebt, wenn die Negativität des eigenen
Gefühlslebens so extrem ausgeblendet wird, hat das selbstredend irgendwann sehr
starke Auswirkungen auf Gesetzgebung und Zusammenleben. Und ich denke: Keine
besonders positiven.
Llarian
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