27. Januar 2016

Wenn Geschichte neu geschrieben wird. Ein Gedankensplitter zu einem Skandal der keiner mehr sein darf.


Eigentlich wollte ich nur einen unschuldigen Artikel zu Glyphosat schreiben. Glyphosat ist ein Pflanzengift, das in der Landwirtschaft eingesetzt wird, um alle möglichen Sorten von Unkraut zu bekämpfen. Es gilt in geringen Mengen als unbedenklich (da der Wirkmechanismus sich auf die Photosynthese auswirkt und die meisten Menschen, -hier muss auch der Grüne von nebenan stark sein- nicht in der Lage sind Photosynthese zu betreiben). Wie dem auch sei, Glyphosat ist das derzeitige neue Kampagnenprojekt der Landwirtschaftsveränderer, zumal damit gleich mehrere Ziele auf einmal bekämpft werden können (konventionelle Landwirtschaft, amerikanische Großindustrie, Genindustrie). 

Um einige Hintergrundinformationen zu dem Artikel zu sammeln, habe ich mich also mit den größten Lebensmittelskandalen (denn darum geht es ja im Kern) der letzten Jahrzehnte beschäftigt. Machen Sie an dieser Stelle den Test mit sich selber, lieber Leser, was meinen Sie, ist der größte Lebensmittelskandal der letzten Jahre in Europa oder Deutschland gewesen?
Vermutlich werden Sie auf BSE getippt haben und damit haben Sie, was die Zahl der Toten angeht, in Europa auch recht (es sind knapp 180 Menschen daran gestorben). Aber dann wird’s schwierig. Vielleicht wäre ihnen das Gammelfleisch eingefallen. Sorry, kein Gewinner, wenn sich jemand auch nur den Magen verdorben hat, dann eher an der Berichterstattung. Oder der Eier-Dioxin Skandal ? Nein, leider auch kein Gewinner, auch hier hat sich niemand gefunden, der tatsächlich geschädigt wurde. Nein, der Gewinner wäre ein anderer: Es wäre der EHEC-„Skandal“ von 2011 mit 53 Toten. Skandal deshalb in Anführungszeichen weil er, seit man mehr über die Ursachen weiß, nahezu nirgendwo mehr von Skandal gesprochen wird. Und damit sind wir –endlich- beim Thema diesen Artikels. 2011 traten in Deutschland vermehrt schwere Durchfallerkrankungen auf, die auch in Einzelfällen zum Tode der betreffenden Person führten. Ausgelöst wurden diese in aller Wahrscheinlichkeit durch einen Stamm von pathogenen Coli-Bakterien (EHEC), die die Betroffenen mit der Nahrung aufgenommen haben. Bestritten wird dies allenfalls und nur noch von Foodwatch, doch dazu später mehr. Ebenso gilt es als vergleichsweise sicher, dass die Bakterien von einem -jetzt kommts- Bio-Hof aus Niedersachsen, stammten. Der letzte Nachweis konnte nie geführt werden, da die Proben von dem Hof selber nicht positiv getestet wurden (aus welchem Grunde auch immer), allerdings ist die Indizienkette, die zu dem Hof als Quelle führte, sehr belastend.
Das wäre an für sich alles Schnee von gestern, wenn da nicht dieser wunderschöne „Bericht“ in der deutschen Wikipedia wäre. Prinzipiell sollte die Wikipedia ja alles wichtige zusammenfassen, aber sie schafft es auf mehreren Seiten, mit nahezu 60 Quellenverweisen, nicht ein einziges mal das Wort „Bio“ auch nur auftauchen zu lassen (mal ab von einer Biotonne). Das es sich um einen Skandal um Bionahrung, respektive um einen Bio-Vorzeigebetrieb, gehandelt hat, geht völlig (!) unter. Googelt man den Skandal bei den Tageszeitungen ergibt sich nahezu dasselbe Bild: Das Wort Bio wird an jeder Stelle vermieden, so gut es geht. Und das vorher erwähnte Foodwatch versucht es gleich mit einer Verschwörungstheorie, indem es unterstellt, die Ursachen seien nie wirklich ausreichend erforscht worden (Eine ähnliche Denkschule sucht auch heute noch nach dem Führerbefehl zur „Endlösung“).
So wird natürlich die Geschichte umgeschrieben. Der größte Foodskandal der letzten Jahre hat nichts mehr mit Bioanbau zu tun, Vegetarier leben sowieso gesünder und industriell hergestellte Lebensmittel sind gefährlich und falsch. Sucht man im Netz nach den vorgeblichen Skandalen um Dioxin im Ei oder um das Gammelfleisch bekommt man von gutmeinenden Redakteuren vor allem einen Rat: Essen Sie Bio. Am besten vegetarisch, noch besser vegan.
Jetzt kann man natürlich der Meinung sein, dass vegetarische Ernährung gesünder ist. Oder vegane besonders human. Man kann auch der Meinung sein, dass pasteurisierte Milch ungesund sei und man mit Frischmilch viel besser fahre (diese unselige wie dumme Debatte habe ich schon viel zu oft erlebt). Etc. etc. etc. Aber warum muss man die Wahrheit dann verbiegen? Wieso muss man aus einem Bio-Skandal eine Verschwörungstheorie basteln, warum muss man Skandale hochschreiben, die keine sind, warum muss man die Wahrheit erfinden? In wenigen Jahren wird sich niemand mehr erinnern was eigentlich 2011 passiert ist, und die „Story“, die von Journalisten und „Wikipedianten“ in die Welt geschrieben wurde, wird Wahrheit werden.
 
Llarian


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