25. Mai 2014

Hitzköppe an die Macht?


Wer in den letzten Wochen durch deutsche Städte gegangen ist, dem werden die vor Wahlen üblichen Plakate der unterschiedlichen Parteien aufgefallen sein. Es ist fraglich, in wie fern jetzt tatsächlich eine gehaltvolle Aussage auf einem kleinen Plakat untergebracht werden kann. Aber darum geht es auch nicht. Es geht viel mehr darum, sich bekannt zu machen und im Bewusstsein der Wähler präsent zu sein. Nur so bringt man potentielle Wähler, wenn überhaupt, dazu sich näher oder auch nur oberflächlich mit einer Partei auseinander zu setzen und nur so kommt überhaupt eine Partei für Stimmen in Frage. Neben der Funktion die notwendige, aber bei weitem nicht hinreichende Voraussetzung für Wählerstimmen namens Aufmerksamkeit zu schaffen, erfüllen die Wahlplakate noch einen von den Parteien nicht gewollten, aber unvermeidbaren Nebeneffekt: Sie machen einem klar, wen man auf gar keinen Fall wählen will. Sie lösen unbewusste Abwehrreflexe aus, wenn die Mentalität, die in einem Plakat zum Ausdruck kommt, einem ganz und gar unsympathisch ist. Manchmal drängen sich genau diese Plakate besonders prägnant ins Bewusstsein — aber als Negativbeispiel, dass den Kreis der noch in Frage stehenden Optionen, zwischen denen man noch bewusst abwägen muss, erfrischend einschränkt.

Eine der zur Europawahl antretenden Parteien, Pro NRW, brachte dabei, gleichwohl schon vorher keine von mir in Betracht gezogene Option, noch einmal mit einem Slogan auf ihren Wahlplakaten für jeden intuitiv verständlich die Mentalität und Gefühle ihrer Zielgruppe prägnant und einprägsam zum Ausdruck:
WUT IM BAUCH? LASS ES RAUS!
Es ist schade, dass, durch den inflationären Gebrauch des Rechtspopulismusvorwurfs von interessierter Seite sowie der Gleichsetzung von allen nicht im linksgrünen Zeitgeist schwimmenden Parteien mit einem primitiven Stammtisch frustrierter, miesepetriger Ewiggestrieger, mal wieder eine Beschreibung genau in dem Moment entwertet ist und all ihre Bedeutung verloren hat, in dem sie offensichtlich zutreffend wäre. Kein Vergleich zur gesitteten, fest in unseren zivilisatorischen und freiheitlich-demokratischen Grundwerten verankerten AfD würde Pro NRW recht tun. Wie würden Sie sich fühlen, wenn sie solch emotionale Wallungen im Alltag verspüren, das Sie es kaum noch an sich halten können wie es in der anvisierten Zielgruppe der Pro-Bewegung der Fall ist — und niemand nimmt ihr Bauchgefühl ernst? Wenn "Wut im Bauch" nur als eine Phrase für trockenes Ökonomendenken durch unaufgeregt, gesittete Professoren wie Bernd Lucke interpretiert würde, wo es in ihnen doch brodelt und Sie die ganze Welt an ihrem Gefühlsleben teilhaben lassen wollen?

Da würde Sie sich doch auch irgendwie verarscht fühlen — was eine andere parteipolitische Vertretung dieser Zielgruppe auch bereits 2013 in ihren Wahlwerbespots und auf ihren Plakaten mit der unvergleichbaren Ästhetik frustrierter, ausgegrenzter Hass- und Wutgefühle zum Ausdruck gebracht hat. Auch diese Partei trat diesmal wieder an.

Man sollte die zum Ausdruck gebrachten Wutgefühle ernst nehmen und nicht durch unangemessene Gleichsetzungen verharmlosen. Man sollte insbesondere nicht mehr Menschen durch Ausgrenzung in dieses Milieu drängen, als sich dort schon natürlich ansammeln. Linke selber haben immer wieder dargelegt, dass Ausgrenzung Menschen nur in die Radikalität führt. 

Vor allem aber möchte ich solche Wüteriche, wie auch immer sie nun dazu geworden sind, nicht in einer Machtposition sehen.

Der Slogan von Pro NRW ließe sich, angesichts seiner Platzierung auf einem Wahlplakat, nämlich auch als die Parole "Hitzköppe an die Macht" zusammenfassen.
Techniknörgler


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