11. Mai 2014

Egal ist Achtundachtzig!

Der obige, nun wahrlich nicht sonderlich originelle, Spruch wird manchmal als Antwort auf ein unangemessenes "Ist doch egal!" eines Gesprächspartners gegeben. "Egal ist Achtundachtzig"; weil von hinten wie von vorn gelesen, von links wie rechts, selbst auf den Kopf gestellt bleibt diese Ziffernfolge in derselben Gestalt. Das Vorhalten des Beispiels der 88 soll dem Gegenüber begreiflich machen, was wirklich egal ist - im Gegensatz zu seinem offenbar leichtfertigen Gerede.
Und mehr ist da auch nicht. Die 88 ist keine vermeintliche "Glückszahl" wie die 7 oder die 3, und keine "Unglückszahl" wie die 13. Sie hat keinen mysteriös-dunklen Beiklang wie die 666 und auch keine erotische Konnotation wie die 69. Die 88 hat keine tiefere Bedeutung, mit ihr verbindet man nichts. Ihr gebührte eigentlich keine besondere Beachtung, bis sie als Codezeichen von Neonazis "enttarnt" wurde. Mittlerweile dürfte aber jeder auch nur halbwegs politisch interessierte Bürger wissen, dass die vormals unschuldige 88 von den braunen Kameraden gern als Zifferncode für das doppelte H verwendet wird.
Seitdem man dies außerhalb der rechtsextremen Kreise spitzgekriegt hat, wird die 88 (wie auch andere Zahlen oder entsprechende Buchstabenfolgen) "politisch verfolgt", was mitunter seltsame Blüten treibt. 
Vorbeigegangen ist dies nun aber anscheinend an einem multikulturellen Team, welches für einen Waschmittelproduzenten eine Kampagne, passend zur Fußball-WM, kreierte. 88 Waschladungen statt, wie gewöhnlich, 83 sollte man aus einer Packung heraus sauber bekommen. Schwups, landete die 88 prominent auf dem Sondergebinde und sofort erhob sich ein "Shitstorm" in den social medias.  
Dass sich dort schnell Empörungstsunamis entladen, dürfte mittlerweile keine Überraschung mehr sein. Das ist keine Nachricht. Dass man hierzulande alles tut, um auch nur die an den Haaren herbeigezogenste Nähe zu irgendwelcher Nazisymbolik zu vermeiden ist auch klar. Aber dieser Absatz in einem WAZ-Artikel hinterließ bei mir nur noch ungläubiges Kopfschütteln:
"Während die physische Geste des Hitler-Grußes verboten ist, hängt die rechtsradikale Bedeutung von "88" vom Kontext ab. In einem Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 12. September 2005 heißt es, es sei davon auszugehen, dass der verfassungswidrige Symbolgehalt der Zahl "88", lediglich in rechtsextremen oder in polizeilichen, juristischen und besonders interessierten Kreisen bekannt sei. Die Verwendung der "88" sei deshalb nicht unbedingt strafbar."
Nochmal: Es ging hier um eine Waschmittelreklame. Es geht hier um eine Zahl, wie sie uns täglich begegnen kann. Und da muss eine Zeitung den Leser darüber aufklären, dass die Verwendung dieser Zahl nicht unbedingt strafbar sei? Damit es demnächst keine öffentliche Verbrennung von Mathe- und Telefonbüchern gibt? Damit sich Horden von Literaturwissenschafts- und Germanistikstudenten nicht sogleich bemüßigt fühlen, den deutschen Literaturbestand auf die Verwendung von vermeintlich kriminellen Zahlen- und Buchstabencodes zu filzen? 
Sorry, aber es ist nur noch peinlich, wie hier und anderswo nach versteckter Symbolik an den unschuldigsten Stellen gesucht wird. Man sollte sich langsam mal vor Augen führen, an welche Adressaten sich Symboliken wenden und auf welche Weise sie dies tun. Eine starke und selbstbewusste Gruppe wird sich starker und unverwechselbarer Symbole bedienen. Sei es ein Halbmond, ein Davidstern, eine geballte rote Faust oder eben ein Hakenkreuz. Diese Symbole zeigen nach innen und außen, wer sich dahinter versammelt. Eindeutig und unverwechselbar.
Wenn nun aber eine Splittergruppe schon auf ihre starken Symbole verzichten muss und sich stattdessen auf Codes zurückzieht, die im täglichen Leben allgegenwärtig sind, dann ist diese Randgruppe anscheinend in einer äußerst schwachen Position. Und es spricht definitiv nicht für das Selbstbewusstsein einer Gesellschaft, wenn diese hysterisch über jedes noch so schwache Stöcklein springt, und beginnt Jagd zu machen auf eben diese, sich hinter unschuldigen Zeichen versteckenden, angeblichen Geheimcodes.
Es ist ein Armutszeugnis, wenn sich maßgebliche Teile der Gesellschaft auf eine absurde Hexenjagd begeben und nach geheimen Zeichen genau dort suchen, wo sich bestimmt keine Unholde gegenseitig ihres Daseins versichern. Bauer Horst Hansen will sich einfach seine Initialen aufs KfZ-Zeichen schreiben lassen, wie sich Leonie-Lara einfach ihren Geburtsjahrgang 1988 darauf verewigen lassen möchte. Und 83 plus 5 Waschladungen sind nun mal 88, das ist Mathematik, keine Nazisymbolik. Oder glaubt irgendjemand, dass durch das aus dem Verkehr ziehen der inkriminierten Waschpulvergebinde Fackelzüge Ewiggestriger durch deutsche Supermärkte verhindert wurden? Glaubt irgendjemand ernsthaft daran, dass sich Jungnazis im Schatten beeindruckender Waschmittelkarton-Pyramiden versammelt hätten, wenn der Firma nicht aufmerksame Bürger in letzter Minute in den Arm gefallen wären? 
Es ist absurd, es ist armselig, es ist lächerlich. Und es ist vor allem sinn- und endlos. Man kann nicht jedes "Zeichen" einer unbeliebten Gruppe verfolgen, wenn diese jeden Quark mit einer hineingeheimnisten Botschaft aufladen kann. Es ist ja gerade Ziel und Zweck solcher Codesymbolik, sich möglichst unangreifbar zu machen. Wenn der Staat und seine staatstragenden Bürger und Institutionen dieser Codierungsspirale nun hechelnd folgen, blasen sie die richtunggebenden Akteure lediglich künstlich auf, geben ihnen eine Bedeutung die sie nicht haben.
Und nebenbei veranlassen weltbewegende Probleme wie dieses, normale Menschen wie mich dazu, den Kampf gegen rechts nur noch als hysterische Clowneske wahrzunehmen.
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Calimero


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