Nein, in die Überschrift hat sich kein Fehler
eingeschlichen; die Beerdigung von Atommüll ist nicht das Thema dieses
Beitrags. Gleichwohl soll im Folgenden von Zerfallserscheinungen die Rede sein,
allerdings bezogen auf politische Allianzen und Verortungen.
Erling Plaethe hat vor kurzem über das Ende des bürgerlichen Lagers nachgedacht. Man könnte sich nun die Frage stellen, ob die verflossene Bundestagswahl die politische Blockbildung in diesem Land nicht überhaupt im Innersten erschüttert hat.
Erling Plaethe hat vor kurzem über das Ende des bürgerlichen Lagers nachgedacht. Man könnte sich nun die Frage stellen, ob die verflossene Bundestagswahl die politische Blockbildung in diesem Land nicht überhaupt im Innersten erschüttert hat.
Nehmen wir etwa die Alternative für Deutschland (AfD): Aufgrund wohlbekannter Heuristiken wird diese Partei von den üblichen Verdächtigen ins rechtspopulistische Eck gestellt. Blendet man diesen bias aus, so ergibt sich ein ziemlich rätselhaftes Bild: Die Funktionärsebene der AfD rekrutiert sich aus Angehörigen des gehobenen Bürgertums; die Partei findet unter anderem bei enttäuschten Konservativen und Liberalen, aber offenbar auch bei bisherigen Linksparteiwählern Zuspruch.
Den Beinahe-Erfolg von Lucke & Co. in erster Linie auf Proteststimmen zu schieben ist ein verlockender, wenn auch vielleicht etwas zu simpler Erklärungsversuch: Denn möglicherweise manifestiert sich in der AfD das Modell einer Programmpartei, deren Wähler und Sympathisanten nicht aus einem homogenen Milieu stammen. Von einer Catch-all-party nach dem Vorbild der Union unterscheidet die AfD eben ihr klar umrissenes inhaltliches Profil. Dieses zieht augenscheinlich Stimmbürger aus den unterschiedlichsten Schichten an. Überkommene Links-Rechts-Barrieren werden somit durchlässig.
Einen Riss im Gebälk des parteipolitischen Blockhauses könnte auch eine Neupositionierung der Grünen verursachen: Nachdem mit einem dezidiert linken Programm an der Urne kein Blumentopf zu gewinnen war, muss sich die erwachsen gewordene Partei wohl endlich Folgendes eingestehen: Ihre wohlsituierten Wähler streben zwar nach einer ökologischen, gegenderten und auch anderweitig schmutzfreien Umgebung, goutieren aber einen gegen sie selbst geführten Klassenkampf mitnichten. Wollen die Grünen auf ihre nichtorganisierte Klientel zugehen, so müssen sie sich in die sogenannte Mitte der Gesellschaft begeben – und dort sitzt einsam und mächtig die Union.
Für die SPD hätte die Zentripetalbewegung der Grünen den Verlust des Wunschkoalitionspartners zur Folge: Der „Alten Tante“ bliebe dann nichts anderes übrig, als ihren Abgrenzungskurs gegen die Linke aufzugeben und das thematische Gängelband abzuschütteln, an dem sie sich – mit wenig ersprießlichen Resultaten – von der Ökofraktion nun schon seit Jahrzehnten herumführen lässt. Die einstige Arbeiterpartei müsste wieder die Perspektive des sogenannten kleinen Mannes einnehmen, was mit künstlicher Stromverteuerung oder der Schaffung einer Transferunion wohl kaum in Einklang zu bringen ist.
Eines jedenfalls scheint festzustehen: In das doch ziemlich festgefahrene Parteiengefüge der Republik ist Bewegung gekommen. Dies muss aber nicht zwingend etwas Gutes bedeuten.
Noricus
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