In Deutschland gibt es kaum eine politische Formel, die
öfter verwendet, um nicht zu sagen missbraucht wird, wie der Ruf nach dem
demokratischen Rechtsstaat. Wer immer sich auf den demokratischen Rechtsstaat
oder die Demokratie schlechthin beruft, kann sich sicher sein, Applaus von
allen Seiten zu bekommen und hat sich gerade selber in ein zwar selbstgerechtes
aber immerhin moralisches Licht gerückt. Man ist ja Demokrat und als solcher
ist es einstweilen auch wurscht welche Schweinereien man gerade wieder ausgeheckt
hat, denn diese werden ja durch die Demokratie legitimiert. Macht man sich die
Mühe auf Wikiquote mal nachzuschlagen, wer die dort am meisten zitierte Person
zum Thema Demokratie ist, dann ist man erst einmal überrascht: Es ist Sarah
Wagenknecht. Das mag zwar an dem doch recht tiefroten Hintergrund vieler
Wikipedia Autoren liegen, aber es sollte einem schon zu denken geben, wenn
jemand, dessen Traumvorstellung von Deutschland die einer stalinistischen
Gewaltdiktatur entspricht, so ein starker Befürworter und Redner für die
Demokratie ist.
Mir gibt das allerdings zu denken, allerdings nicht erst
seit ich das nachgeschlagen habe, die Problematik der Demokratie an sich geht
mir seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, durch den Kopf. Was genau ist eigentlich
Demokratie? Demokratie ist zunächst nichts anderes als die Herrschaft der
Mehrheit. Das mag parlamentarisch organisiert sein (wie in Deutschland), es mag
präsidial orientiert sein (wie in den USA), es kann auch die
Entscheidungsfindung über Volksabstimmungen sein (wie in der Schweiz), das
gemeinsame Prinzip ist der Souverän und dieser ist das Volk.
Es gibt nicht wenige Leute die versuchen aus der Demokratie
mehr zu machen, die versuchen Grundrechte als Teil der Demokratie zu erklären,
aber bei ehrlicher Betrachtung steckt das nicht im Begriff drin. Die Weimarer
Republik gilt gemeinhin als demokratisch, und viele Grundrechte, die wir heute
als selbstverständlich betrachten, waren in Weimar keinesfalls
selbstverständlich. Ebenso gelten in der heutigen Zeit elementare Grundrechte
wie beispielsweise das Recht zur freien Meinungsäußerung, auch alles andere als
absolut. Wie man es dreht und wendet, Demokratie ist nicht gleichbedeutend mit
einem bestimmten Kanon an Grundrechten oder einem Rechtsstaat. So gibt es nicht
weniger Länder weltweit, die durchaus demokratischen Prinzipien folgen, die man
aber selbst bei viel gutem Willen kaum als Rechtsstaat bezeichnen kann.
Ich will gerne zugeben das Rechtsstaaten gerne demokratische
Strukturen aufweisen und das mehr Demokratien Rechtsstaaten sind, als andere
Staatsformen, aber identisch ist es deswegen nicht. Das schwierige ist zumindest für mich, dass ich ein
absoluter und glühender Anhänger des verfassten Rechtsstaates bin, ich kenne
kein politisches Konzept das ich für wichtiger halte als einen Kanon von
Grundrechten und einen ordentlichen Rechtsweg, um diese durchzusetzen.
Aber damit steht man schon mal im Widerspruch zur
Demokratie. Wie neigen dazu, eben weil die Demokratie so einen guten Ruf hat,
zu meinen, dass Mehrheiten immer zu guten und vor allem richtigen
Entscheidungen tendieren. Das ist falsch. Und Beispiele gibt es durchaus.
Paradebeispiel sind – wie ja meistens in Deutschland – die
Nazis. Die Nazis errangen in demokratischen Wahlen durchaus ganz erhebliche
Anteile am politischen Gestaltungsspielraum. Auch wenn die Machtergreifung das
demokratische Prinzip beendete, so muss man schon so fair sein zu erkennen,
dass es demokratische Prinzipien waren, die die Nazis erst in die Lage
versetzte die Macht zu ergreifen. Eben aus demselben Grund findet man auch
gerne mal den Begriff „Machtübergabe“ statt Machtergreifung, was den
eigentlichen Vorgang 1933 durchaus recht gut beschreibt.
Beispiele aus heutiger Zeit existieren durchaus ebenso. Hugo
Chavez wurde mit demokratischen Mitteln Präsident, auch Robert Mugabe bediente
sich der Demokratie und der türkische Ministerpräsident Erdogan ist für den
interessanten Satz bekannt: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir
aufsteigen, bis wir am Ziel sind.“
Anders gesagt: Demokratie ist kein Schutz vor staatlichem
Unrecht. Wobei man hier einschränken muss, dass der Begriff Unrecht schon
schwierig ist, wenn wir alles der demokratischen Legitimation unterordnen. In
der Konsequenz bedeutet dies allerdings das Dinge wie Unterdrückung anderer
Meinungen über Beschränkung der Freizügigkeit bis zum Völkermord unter
Umständen nicht mehr als Unrecht definiert werden können.
Es gibt das schöne Bonmot: Demokratie ist, wenn zwei Wölfe
und ein Schaf gemeinsam entscheiden, was es zum Essen gibt. Der Satz mag recht
blöd sein, trägt aber doch eine tiefe Wahrheit in sich. Interessen von Bevölkerungsgruppen können
diametral unterschiedlich sein und in einer Demokratie wird sich immer die
Mehrheit durchsetzen.
Kommen wir noch einmal kurz zu Frau Wagenknecht: Natürlich
ist sie eine „Demokratin“. Was sollte sie auch sonst sein? Staatsstreiche sind
in Deutschland kaum mehr möglich, aber stille Machtübernahme, mit einer
wachsenden und wachsenden Neidbevölkerung, die funktioniert durchaus. Denn auch
hier sollte man sich keine Illusionen machen: Wenn es die Möglichkeit gäbe,
dass per Abstimmung einen negativen Sympathieträger (und Projektionsfläche für
Neidgedanken) wie beispielsweise ein
Josef Ackermann, zu enteignen, dann würde genau das passieren. Und genau
darauf spekuliert eine Frau Wagenknecht.
Am Ende erlaube ich mir mal ein paar ketzerische
Überlegungen: Ich bin gar nicht so sicher, wie ich den Wert der demokratischen
Teilhabe für mich bewerten soll. Demokratische Teilhabe ist am Ende eine
Ausübung von Macht. Nur habe ich daran eigentlich gar kein Interesse. Ich will
eigentlich nur in Ruhe gelassen werden. Gäbe es als Alternative einen
Nachtwächterstaat, der sich rein auf seine Kernbereiche Justiz, Verteidigung
und Infrastruktur zurückzöge, dann wäre der Wert der demokratischen Teilhabe
nur sehr gering, denn es gäbe nur wenig zu entscheiden. Warum soll ich darüber
entscheiden wie andere zu leben haben?
Ich will eigentlich weder ein Wolf noch ein Schaf sein, ich will mein
eigenes Abendessen kochen. Insofern: Ja, ich gehe wählen. Grundsätzlich. Aber
ich finde es nicht so wichtig wie die Freiheit morgen noch meine Meinung sagen
zu können und übermorgen in meinen Haus tun zu können, was ich will.
Llarian
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