3. Oktober 2013

Von Wölfen und Schafen. Ein Gedankensplitter zu Demokratie und Rechtsstaat.


In Deutschland gibt es kaum eine politische Formel, die öfter verwendet, um nicht zu sagen missbraucht wird, wie der Ruf nach dem demokratischen Rechtsstaat. Wer immer sich auf den demokratischen Rechtsstaat oder die Demokratie schlechthin beruft, kann sich sicher sein, Applaus von allen Seiten zu bekommen und hat sich gerade selber in ein zwar selbstgerechtes aber immerhin moralisches Licht gerückt. Man ist ja Demokrat und als solcher ist es einstweilen auch wurscht welche Schweinereien man gerade wieder ausgeheckt hat, denn diese werden ja durch die Demokratie legitimiert. Macht man sich die Mühe auf Wikiquote mal nachzuschlagen, wer die dort am meisten zitierte Person zum Thema Demokratie ist, dann ist man erst einmal überrascht: Es ist Sarah Wagenknecht. Das mag zwar an dem doch recht tiefroten Hintergrund vieler Wikipedia Autoren liegen, aber es sollte einem schon zu denken geben, wenn jemand, dessen Traumvorstellung von Deutschland die einer stalinistischen Gewaltdiktatur entspricht, so ein starker Befürworter und Redner für die Demokratie ist.
­Mir gibt das allerdings zu denken, allerdings nicht erst seit ich das nachgeschlagen habe, die Problematik der Demokratie an sich geht mir seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, durch den Kopf. Was genau ist eigentlich Demokratie? Demokratie ist zunächst nichts anderes als die Herrschaft der Mehrheit. Das mag parlamentarisch organisiert sein (wie in Deutschland), es mag präsidial orientiert sein (wie in den USA), es kann auch die Entscheidungsfindung über Volksabstimmungen sein (wie in der Schweiz), das gemeinsame Prinzip ist der Souverän und dieser ist das Volk. 

Es gibt nicht wenige Leute die versuchen aus der Demokratie mehr zu machen, die versuchen Grundrechte als Teil der Demokratie zu erklären, aber bei ehrlicher Betrachtung steckt das nicht im Begriff drin. Die Weimarer Republik gilt gemeinhin als demokratisch, und viele Grundrechte, die wir heute als selbstverständlich betrachten, waren in Weimar keinesfalls selbstverständlich. Ebenso gelten in der heutigen Zeit elementare Grundrechte wie beispielsweise das Recht zur freien Meinungsäußerung, auch alles andere als absolut. Wie man es dreht und wendet, Demokratie ist nicht gleichbedeutend mit einem bestimmten Kanon an Grundrechten oder einem Rechtsstaat. So gibt es nicht weniger Länder weltweit, die durchaus demokratischen Prinzipien folgen, die man aber selbst bei viel gutem Willen kaum als Rechtsstaat bezeichnen kann.

Ich will gerne zugeben das Rechtsstaaten gerne demokratische Strukturen aufweisen und das mehr Demokratien Rechtsstaaten sind, als andere Staatsformen, aber identisch ist es deswegen nicht. Das schwierige ist zumindest für mich, dass ich ein absoluter und glühender Anhänger des verfassten Rechtsstaates bin, ich kenne kein politisches Konzept das ich für wichtiger halte als einen Kanon von Grundrechten und einen ordentlichen Rechtsweg, um diese durchzusetzen.
Aber damit steht man schon mal im Widerspruch zur Demokratie. Wie neigen dazu, eben weil die Demokratie so einen guten Ruf hat, zu meinen, dass Mehrheiten immer zu guten und vor allem richtigen Entscheidungen tendieren. Das ist falsch. Und Beispiele gibt es durchaus. 

Paradebeispiel sind – wie ja meistens in Deutschland – die Nazis. Die Nazis errangen in demokratischen Wahlen durchaus ganz erhebliche Anteile am politischen Gestaltungsspielraum. Auch wenn die Machtergreifung das demokratische Prinzip beendete, so muss man schon so fair sein zu erkennen, dass es demokratische Prinzipien waren, die die Nazis erst in die Lage versetzte die Macht zu ergreifen. Eben aus demselben Grund findet man auch gerne mal den Begriff „Machtübergabe“ statt Machtergreifung, was den eigentlichen Vorgang 1933 durchaus recht gut beschreibt. 

Beispiele aus heutiger Zeit existieren durchaus ebenso. Hugo Chavez wurde mit demokratischen Mitteln Präsident, auch Robert Mugabe bediente sich der Demokratie und der türkische Ministerpräsident Erdogan ist für den interessanten Satz bekannt: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind.“

Anders gesagt: Demokratie ist kein Schutz vor staatlichem Unrecht. Wobei man hier einschränken muss, dass der Begriff Unrecht schon schwierig ist, wenn wir alles der demokratischen Legitimation unterordnen. In der Konsequenz bedeutet dies allerdings das Dinge wie Unterdrückung anderer Meinungen über Beschränkung der Freizügigkeit bis zum Völkermord unter Umständen nicht mehr als Unrecht definiert werden können.

Es gibt das schöne Bonmot: Demokratie ist, wenn zwei Wölfe und ein Schaf gemeinsam entscheiden, was es zum Essen gibt. Der Satz mag recht blöd sein, trägt aber doch eine tiefe Wahrheit in sich.  Interessen von Bevölkerungsgruppen können diametral unterschiedlich sein und in einer Demokratie wird sich immer die Mehrheit durchsetzen. 

Kommen wir noch einmal kurz zu Frau Wagenknecht: Natürlich ist sie eine „Demokratin“. Was sollte sie auch sonst sein? Staatsstreiche sind in Deutschland kaum mehr möglich, aber stille Machtübernahme, mit einer wachsenden und wachsenden Neidbevölkerung, die funktioniert durchaus. Denn auch hier sollte man sich keine Illusionen machen: Wenn es die Möglichkeit gäbe, dass per Abstimmung einen negativen Sympathieträger (und Projektionsfläche für Neidgedanken) wie beispielsweise ein  Josef Ackermann, zu enteignen, dann würde genau das passieren. Und genau darauf spekuliert eine Frau Wagenknecht. 

Am Ende erlaube ich mir mal ein paar ketzerische Überlegungen: Ich bin gar nicht so sicher, wie ich den Wert der demokratischen Teilhabe für mich bewerten soll. Demokratische Teilhabe ist am Ende eine Ausübung von Macht. Nur habe ich daran eigentlich gar kein Interesse. Ich will eigentlich nur in Ruhe gelassen werden. Gäbe es als Alternative einen Nachtwächterstaat, der sich rein auf seine Kernbereiche Justiz, Verteidigung und Infrastruktur zurückzöge, dann wäre der Wert der demokratischen Teilhabe nur sehr gering, denn es gäbe nur wenig zu entscheiden. Warum soll ich darüber entscheiden wie andere zu leben haben?  Ich will eigentlich weder ein Wolf noch ein Schaf sein, ich will mein eigenes Abendessen kochen. Insofern: Ja, ich gehe wählen. Grundsätzlich. Aber ich finde es nicht so wichtig wie die Freiheit morgen noch meine Meinung sagen zu können und übermorgen in meinen Haus tun zu können, was ich will.

Llarian

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