26. Juni 2006

Randbemerkung: Nichtfremdenfeindschaft

Wenn man Fußball im TV sieht, dann sollte man Partei ergreifen. Der Spaß ist höchstens halb so groß, wenn man das Spiel aus der Position des Neutralen betrachtet. Das ist, als würde man einem Gottesdienst ohne jedes heilige Gefühl beiwohnen. Oder ein Theaterstück ohne ästhetisches Interesse sehen.

Wenn man einen Kampf miterlebt, dann muß man, wenn man ihn genießen will, mitfiebern, also Partei sein.

Manchmal ist es in dieser WM einfach, sich für eine Partei zu entscheiden. Offensichtlich dann, wenn unsere deutschen Jungs spielen. Oder wenn der eine oder der andere Spielausgang für sie günstig wäre. Mexiko zB war mein Favorit gegenüber Argentinien, weil die Mexikaner natürlich der leichtere Gegner für Deutschland gewesen wären.



Aber Holland gegen Portugal? Ich weiß gar nicht auf Anhieb, ohne nachzusehen, wann der Sieger auf Deutschland treffen könnte, vorausgesetzt, wir gewinnen gegen Argentinien. Und es wäre auch egal, denn die beiden Mannschaften scheinen mir etwa gleich stark zu sein.

Dennoch habe ich keinen Augenblick gezögert, mich für meinen Favoriten zu entscheiden: Portugal natürlich.

Warum? Ich liebe Portugal oder die Portugiesen nicht besonders. Ich bin noch nie in Portugal gewesen. Holland dagegen - da habe ich mal ein Jahr gearbeitet, und es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre ich auf Dauer ein Gastarbeiter in Holland geworden; wer weiß, irgendwann vielleicht ein eingebürgerter Holländer.

Ich habe nichts gegen dieses Land. Ganz im Gegenteil: Ich mag seine Liberalität, die Offenheit und Freundlichkeit der Menschen. Ich habe dafür sogar das holländische Essen in Kauf genommen und den krächzenden Umlaut-Singsang der holländischen Sprache.



Warum also war ich so eindeutig auf der Seite der Portugiesen? Obwohl die Holländer mir viel näher stehen als die Portugiesen?

Nun, just deswegen.



Im Sport scheint es ein einfaches Gesetz zu geben: Je näher dir jemand ist, umso heftiger ist die Rivalität.

Davon leben das "Lokalderby". Dortmund gegen Schalke, Bremen gegen Hamburg, Nürnberg gegen München: das sind die heißen Spiele, die die Gemüter erregen, bei denen die Fans sich in die Haare kriegen. Aber Berlin gegen Freiburg? Bochum gegen St. Pauli? Da ist man gut Freund, geht vor oder nach dem Spiel gemeinsam ein paar Bierchen trinken, Fiege oder Astra.



Warum diese nicht Fremden-, sondern sozusagen Nichtfremdenfeindschaft?

Nun, zum Teil hat das sicher den trivialen Grund, daß man einander kennt, einander besucht. Daß die Fans der beiden Seiten eben häufiger und zahlreicher aufeinanderprallen, wenn man benachbart wohnt, als wenn man durch tausend Kilometer getrennt ist.

Aber ich glaube nicht, daß das die ganze Erklärung ist. Ich neige zu einer soziobiologischen Deutung des Phänomens:

Der Fremde, einerseits, ist bedrohlich, weil man nicht weiß, was er im Schilde führt, weil er eine unbekannte Gefahr darstellt. Aus dieser atavistischen Reaktion speist sich die Vorsicht gegenüber den ganz Anderen, oft die Feindschaft ihnen gegenüber.

Der Nahe, andererseits, ist in einer ganz anderen Hinsicht bedrohlich: Er ist der unmittelbare Rivale. Mit ihm konkurriert man sozusagen täglich um Ressourcen - um Wohnung, Nahrung, die Gunst des anderen Geschlechts.

Mit dem Nachbarn darf man es einerseits nicht verderben, aber andererseits muß man vor ihm immer auf der Hut sein. Er ist unser Nächster, und deswegen lieben wir ihn nicht. Oder vielmehr: In die Liebe mischt sich immer auch etwas anderes - die Konkurrenz, die Rivalität.



Und wenn er, der Nahe, der Konkurrent, eins auf den Deckel kriegt, dann ist das halt besonders schön. Denn dann rückt man selbst automatisch eins nach oben.

So ist es mir heute Abend gegangen: Als die Holländer raus waren, ging mir durch den Kopf: Jetzt wäre es auch nicht mehr so schlimm, wenn Klinsis Truppe im Viertelfinale scheitern würde.

Zumindest können uns die Kaasköppe dann nicht auslachen.