4. Juni 2006

Adieu, Schrippe-Forum!

Schrippes Polit-Forum ist vor einigen Tagen von Parsimony aus einem formalen Grund geschlossen worden.

Ich habe in diesem Forum jahrelang geschrieben; oft längere Beiträge, die besser in einen Blog gepaßt hätten. Das Ende des Schrippe-Forums ist für mich der Anlaß, "Zettels Raum" einzurichten; unabhängig davon, ob es ein Nachfolgeforum geben wird und ob ich dann ggf. dort schreiben würde.

Zugleich möchte ich damit den thematischen Horizont erweitern. Über das "Polit-" im Titel von Schrippes Forum habe ich mich ja schon gelegentlich hinweggesetzt, indem ich zu natur- und geisteswissenschaftlichen und zu literarischen Themen gepostet oder ein paar Gedanken zu Alltäglichem aufgeschrieben habe. Derartiges wird in "Zettels Raum" mehr Platz bekommen, auch wenn die Politik weiter ein Thema bleibt.

Wer also weiter das eine oder andere von Zettel lesen und darüber diskutieren möchte, der ist eingeladen, die Beiträge in diesem Blog in Augenschein zu nehmen und ggf. zu kommentieren. Im "Normalbetrieb" werden Kommentare innerhalb von 24 Stunden freigeschaltet. Wenn ich einmal länger offline bin, dann wird das rechtzeitig mitgeteilt.

Beiträge, die Unhöflichkeiten oder persönliche Angriffe gegen andere Poster enthalten, werden nicht freigeschaltet; ebensowenig Beiträge mit Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat.



Das Ende von Schrippes Forum ist auch der Anlaß für den folgenden kleinen Rückblick, der gewissermaßen die Brücke vom Schrippe-Forum zu "Zettels Raum" schlagen soll.

Über Ergänzungen und vor allem über Korrekturen, falls meine Erinnerung in dem einen oder anderen Punkt ungenau sein sollte, würde ich mich freuen.




Als ich - es mag sechs Jahre her sein - beim Herumsurfen zufällig auf das Schrippe-Forum gestoßen bin, war es ein Forum von jungen Leuten, Schülern wohl hauptsächlich. Mit seltsamen Nicks wie "Abu El Mot", "Elto" und "Sparrowhawk", die mir wenig sagten.

Mit dem Nick "Schrippe" konnte ich mehr anfangen - offenbar ein Berliner.

Der einzige weibliche Postername aus dieser Zeit, an den ich mich erinnere, war "Carla", die mir durch eine bissige Intelligenz und eine ungewöhnliche Gründlichkeit auffiel. Ihre Beiträge habe ich über die Jahre immer besonders gern gelesen; sie ragten heraus.



Mir gefiel damals, als ich das Forum kennenlernte, das muntere, freche Diskutieren; bei manchen Postern auch eine bemerkenswerte Kreativität und Ironie.

Also habe ich dort mal probeweise etwas geschrieben. Und bin fast sofort mit Schrippe aneinandergeraten. ;-)

Es ging darum, ob die PDS eine Neugründung war oder die umbenannte SED. Schrippe stritt heftig für die Neugründung, ich für die Umbenennung. Am Ende haben wir uns darauf verständigt, einfach direkt bei der PDS anzufragen, und die haben es uns auch prompt und sehr freundlich gesagt.

Daß Schrippe dieses sozusagen empirische Verfahren gut gefunden und sein Ergebnis sofort akzeptiert hat - das hat mich sehr für ihn eingenommen. Obwohl ich ihn (damals vermutlich sehr zu Recht) für eine Rote Socke hielt; und er mich (ganz zu Unrecht) für einen finsteren Reaktionär.

Meine Wertschätzung für Schrippe hat alle Stürme des Forums überstanden. Er hat sich immer fair, tolerant und liberal verhalten. Mit ihm zu diskutieren war mir stets ein besonderes Vergnügen - obwohl oder weil wir meist verschiedener Meinung waren.



Ungefähr um die Zeit, als ich das Schrippe-Forum kennenlernte, bin ich auch auf ein weiteres Forum aufmerksam geworden. Oder vielmehr war es so, daß ich darauf aufmerksam gemacht worden bin. Das geschah so:

Ich hatte irgendwo in einem Forum, dessen Namen ich nicht mehr weiß, etwas Politisches geschrieben. Daraufhin fragte mich ein "Infotalk", ob er diesen Text in sein Forum übernehmen könne. Ich stimmte zu, und so geriet ich in das alte "Infotalk"-Forum.

Dort schrieben Leute mit ebenfalls seltsamen Nicks wie "Taraxacum", "Chronist" und "Holy Ghost" - und ein gewisser "Politischer Beobachter", der, kaum daß ich meine ersten Beiträge geschrieben hatte, mit heftigen Attacken gegen mich loslegte. Ich habe ihn später, im Lauf der Jahre, unter unzähligen Nicks erlebt und erlitten. In letzter Zeit scheint er sich auf einen einzigen Nick festlegen zu wollen - ww7 oder Webwatch.



Auch sonst ging es in diesem Infotalk-Forum damals ziemlich heftig zu. Ich verstand allmählich, daß "Chronist", ebenso wie "Infotalk" und "Taraxacum", nicht nur weiblich, sondern auch ein- und dieselbe Frau waren - Regina, in verschiedenen Funktionen. Sie stand damals in heftigen Kämpfen mit einer Reihe von Leuten, die ich als "Viererbande" in Erinnerung habe. Ich habe an ihrer Seite mitgestritten, und das hat eine freundliche Beziehung hervorgebracht, die lange hielt.

Als Folge der damaligen Konflikte verschwand das alte Infotalk, aber bald gab es ein neues unter demselben Namen, wenn auch mit einem etwas anderen Konzept - ein neues Forum, in dem ich nun ebenso schrieb wie bei Schrippe; und allmählich nahm die Kommunikation zwischen den beiden Foren zu.

Auch andere begannen in beiden Foren zu schreiben. Als das Infotalk-Forum eine Zeitlang geschlossen war, wechselten viele zu Schrippe, und als Infotalk wieder zur Verfügung stand, wurde es ihnen zur Gewohnheit, in beiden Foren zu schreiben.



Schrippes Forum war damals ein dezidiert linkes Forum - bis zum Schluß zeugten die Banner zum "Freitag", zur "Jungen Welt" usw. von dieser anfänglichen Ausrichtung - , und Infotalk war ein eher rechtes Forum.

Daß man dennoch Kontakt hielt und allmählich zu "Schwesterforen" wurde, hat mir altem Liberalen immer sehr gut gefallen. Lange war es so, daß ich bei Infotalk mit meinen liberalkonservativen Positionen eher der linke Liberale war - und im Schrippe-Forum mit denselben Positionen eher der rechte Konservative.

Die Kommunikation zwischen den "Schwesterforen" ist beiden gut bekommen. Schrippes Forum hatte, als es geschlossen wurde, einen ziemlich stabilen Platz in den Top 100 von Parsimony erreicht. Die Zahl der täglichen Besuche lag zum Schluß um die 600, manchmal bis 800; die der täglichen Pageviews um die 4000, manchmal bis über 5000. Das Infotalk-Forum war nicht ganz so stark gewachsen, hatte (und hat weiter) aber auch einen sehr guten Besuch.



Als es geschlossen wurde, hatte das Schrippe-Forum aber nicht nur ein ziemlich stetiges Wachstum (vor allem in den letzten eineinhalb Jahren) hinter sich, sondern auch viele Konflikte und Ärgernisse. Ich war manchmal nahe daran, dort nicht mehr zu schreiben, und hatte das auch einige Male schon angekündigt. Aber irgendwie ging es immer weiter.

Es gab eine Phase heftiger Pöbeleien, bei denen einige Poster sich durch ein sehr rüdes Verhalten hervortaten. Teilweise nahm das den Charakter von Stalking und von versuchtem Mobbing an, das sich vor allem gegen die Figur Zettel richtete.

Ich habe das mit Erstaunen, auch mit Amüsement, verfolgt. Daß erwachsene Menschen sich wie Kinder benehmen - und es waren noch dazu nicht die dümmsten - , hat mich schon a bisserl fasziniert. "Foren als Gelegenheiten zur Regression" -, das wäre mal ein interessantes Untersuchungsthema.

Aber es war oft schon auch unangenehm und verletzend, ständig beschimpft zu werden. Daß ich es durchgestanden habe, hatte auch was damit zu tun, daß ich es grundsätzlich falsch finde, Aggressionen nachzugeben. Solche Methoden dürfen nicht dadurch belohnt werden, daß sie ihr Ziel erreichen.



Im letzten Jahr hatte sich das allmählich wieder gegeben; auch dadurch, daß von einigen aus dem Schrippe-Forum ein weiteres Forum gegründet worden war, in das sich die Pöbeleien überwiegend verlagerten.

Jedoch trat in den vergangenen Monaten eine andere Entwicklung ein, die das Forum bereits - für die meisten wohl kaum bemerkbar - in eine Krise geführt hatte, bevor es von Parsimony geschlossen wurde.

Diese Entwicklung bestand darin, daß das Forum nicht nur längst kein linkes Forum mehr war, sondern daß immer mehr Beiträge, auch ganze Threads, in der Tendenz politisch weit rechts von der Mitte lagen. Das zeigte sich vor allem bei zwei "großen Diskussionen" - der über Churchill und der über das Gewaltverbrechen in Potsdam und das Vorgehen der Bundesanwaltschaft. Beileibe nicht alle, die heftigste Kritik an Churchill und an Nehms Vorgehen übten, waren Rechtsradikale oder gar Rechtsextreme. Aber diese letzteren befanden sich doch unversehens sozusagen in einem Chor, in dem sie besonders laut sangen.



Schrippe hatte schon in den letzten Jahren, in denen er im RL sehr stark beschäftigt gewesen waren, nicht mehr die Zeit gefunden, sich eingehend dem Forum zu widmen. Diese unübersehbare Rechtsentwicklung verstärkte seine Distanz von dem Forum. Ich hatte darüber mit ihm einen Mailwechsel, in dem wir überlegt haben, ob und ggf. wie das Forum weitergeführt werden könnte. Auch andere hat Schrippe dazu konsultiert.

In diese Überlegungen platzte die Schließung des Forums hinein. Wie oft im Leben hat ein äußeres Ereignis uns die Entscheidung sozusagen aus der Hand genommen.



Es waren interessante Jahre im Schrippe-Forum. Jahre, in denen ich es genossen habe, die Arbeit am Bildschirm immer mal wieder zu unterbrechen und mich bei a bisserl Streit und Anpflaumerei zu entspannen.

Ich habe dabei viel gelernt - nicht nur über die jeweiligen Themen, sondern das eine oder andere auch über Menschen. Die beruflichen und privaten Arten der Kommunikation unterliegen ja immer gewissen Regeln; und im Forum habe ich neue Regeln - bzw die Abwesenheit von Regeln ;-) - kennengelernt.



Es war "Schrippes Forum" in mehr als einem formalen Sinn. Seine unbeirrbare Freundlichkeit, seine Fairness, seine leise, aber manchmal durchaus bestimmte Art hat es ermöglicht, daß wir Anderen, Heftigeren so lange und (meist) vergnüglich streiten konnten.

Dafür dankt
sehr herzlich
Zettel