3. März 2016

Zitat des Tages: Der tiefe Sinn des Verhinderns

Der Aufstieg Donald Trumps zum fast unvermeidbaren Präsidentschaftskandidaten verleiht Hillary Clintons Kampagne endlich einen tieferen Sinn. Sie muss Amerika, ja die ganze Welt vor diesem Mann bewahren.
(Veit Medick auf Spiegel Online)


Kommentar:

Wenn Sie Hillary Rodham Clinton fragen würden, worin der tiefere Sinn liegt, dass sie die 45. Präsidentin der Vereinigten Staaten werden will, wäre das wahrscheinlich nicht die Antwort, die sie geben würde. Vordergründig würde sie ihr Wahlprogramm zum Besten geben, dem Land zu dienen usw., und selbst wenn man in der Lage wäre, ihre persönlichen Motive zu ergründen, dann kämen bei der als sehr ehrgeizig bekannten Politikerin höchstwahrscheinlich der Reiz der Macht und des Amtes zum Vorschein. Aber welche intrinsische Motivation soll es bieten, das kleinere Übel zu sein?

Nun mag man einwenden, dass der amerikanische Wahlkampf seit Angedenken darin besteht, den politischen Gegner schlecht zu machen und somit den Wählern zu signalisieren: "Ich bin gekommen, um den da zu verhindern". Aber da steckt auch viel Folklore und nationales Pathos drin, denn im Grunde genommen schert es viele Amerikaner abgesehen von Sympathie oder Antipathie im Alltag recht wenig, wer da im Weißen Haus sitzt. Die Erwartungen sind einfach geringer, dass das Regierungshandeln einen konkreten und spürbaren Einfluss hat. 

Im Gegensatz dazu steht Europa, und allen voran Deutschland. Hier ist das Verhindern ein Wert an sich. Nicht umsonst ist der einzige Passus des Amtseides, den die meisten Bürger aus dem Gedächtnis aufsagen können "Schaden von ihm wenden". Oder haben Sie schon mal gehört, dass bei einer der so häufigen Klagen, dieser Kanzler oder jene Kanzlerin habe "den Amtseid gebrochen", der Vorwurf lautete, sie habe "Deutschlands Nutzen nicht gemehrt"?


Wo man hinschaut, wird verhindert. Viele Bürger finden sich zusammen, um eine Autobahn, eine Stromleitung, einen Atommülltransport oder ein Freihandelsabkommen zu verhindern. Die Polizei und die Presse halten Informationen zurück, um Fremdenfeindlichkeit zu verhindern. Und die Politik steht in der Pflicht. Von Merkel wird erwartet, die Flüchtlingsströme zu verhindern, und wenn sie dem nicht nachkommt, dann muss sie verhindert werden. Dass das Verhindern grenzenlos gedacht werden kann, sieht man an der geradezu megalomanen Vorstellung, man könnte einen Anstieg der globalen Temperatur von mehr als 2 Grad verhindern. Aber egal, wie groß der Anlass und die dafür erforderlichen Anstrengungen sein mögen - die Bedrohung wird immer als maximal empfunden.

Nun spricht ja nichts dagegen, wenn man versuchen will, Entwicklungen, die man für ungünstig hält, etwas Besseres entgegenzusetzen. Aber das passiert ja in der Regel nicht. Fragt man einen Stromtrassengegner, wo der Strom nach dem Ausstieg aus der konventionellen Erzeugung herkommen soll, wird er in der Regel irgendwas von dezentraler Versorgung bei gleichzeitiger Verstaatlichung daherfaseln. Fragt man, wie ich gestern in einer spannenden Debatte im kleinen Zimmer, wer denn im Falle einer erfolgreichen Verhinderung eines weiteren Regierens von Angela Merkel Kanzler werden sollte, so scheint das gar keine so große Rolle zu spielen. Das Ziel des Verhindern genügt sich häufig selbst.

Aber zurück zu Trump: Ich glaube nicht, dass er ein guter Präsident wäre. Nicht wegen seiner schrillen Rhetorik oder weil er unberechenbar wäre, sondern weil er in gewisser Hinsicht schon berechenbar ist. Ein berechenbarer Putin-Fan, der auf Ausgleich mit Russland setzt. Viele Deutsche wissen in ihrem Republikaner-Verhinderungsreflex gar nicht, dass sie einige Ziele und Vorstellungen mit ihm teilen. 

Das Interessante ist ja, dass das Ganze auf den ersten Blick unglaublich konservativ erscheint. Man will eine Veränderung verhindern, weil man am Bestehenden hängt und Angst vor dem Neuen hat. Allerdings hat das Ganze einen Haken: Die Verhinderung hat immer einen konkreten Umstand im Auge. Das kann bei einem komplexen Gesamtzusammenhang oft mehr Unbekanntes und neue Risiken umfassen, als man bei seiner Fixierung auf den konkreten Anlass vermuten wird. Ich möchte das den Bremer-Stadtmusikanten-Effekt nennen: Die Bremer Stadtmusikanten möchten nachvollziehbarerweise verhindern, dass ihnen in ihrer konkreten Situation noch mehr Leid geschieht. Aber die Entscheidung, nach Bremen zu gehen, beruht nicht darauf, dass die Stadt in der PISA-Studie so gut abschneidet oder überhaupt musikalische Umschulungen für Weckdienste, Wachpersonal, Mäusefänger und Lastenträger bietet. Die Begründung lautet ganz banal: "Was Besseres als den Tod finden wir überall". Im Grunde genommen also eine emotionale Momententscheidung.

Beispiele dafür finden sich zu Hauf, allen voran die Energiewende. Aber auch jeder, der schon mal versucht hat, einen 10km-Autobahnstau zu umfahren, und dabei auf den eingeschlagenen Schleichwegen noch mehr Zeit verloren hat, als wenn er sich durchgequält hätte, weiß, wovon die Rede ist.

Verhindern ohne zu gestalten ist keine Politik.

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Meister Petz

© Meister Petz. Titelvignette: Die Bremer Stadtmusikanten geschaffen von Gerhard Marcks am Bremer Rathaus. Vom User Wuzur unter CC BY 3.0 lizenziert. Für Kommentare bitte hier klicken.