5. Juni 2006

Daily Soap und Sommerpause

Wenn ich am Rechner Routinearbeiten erledige, läuft meist im Hintergrund das TV.

Ich suche mir dazu redundante Sendungen aus, die nur einen kleinen Teil der Aufmerksamkeit absorbieren; andererseits aber doch genug, um das von der Routinearbeit nur unzureichend beanspruchte Gehirn mit a bisserl mehr Input zu versorgen, der das retikuläre Aktivierungssystems in Schwung hält. Musik hat eine ähnlich aktivierende Funktion, aber ich ziehe eine Art der Stimulation vor, die mit ein wenig mehr Ablenkung einhergeht.

CNN ist dafür ideal. Erstens, weil weltweit viel weniger an Nachrichten erzeugt werden, als ein Sender braucht, der 24 Stunden nur Nachrichten sendet. Also wiederholt sich vieles. Zweitens, weil Nachrichten - News - gerade das nicht sind, was ihr Name verspricht: Etwas Neues. Das meiste, was passiert, ist schon xfach passiert; das scheinbar Neue ist in Wahrheit nur eine Variante des längst Bekannten - das Wetter spielt verrückt, ein Politiker warnt vor diesem und jenem, im Irak werden Menschen ermordet, schon wieder ist ein Prominenter gestorben, dergleichen. Das zu erfassen erfordet wenig Gehirnkapazität.

Auch Parlamentsreden sind sehr geeignet. Phoenix überträgt stundenlang Bundestagsdebatten; sonntags oft den ganzen Nachmittag lang historische Debatten. Der französische Parlamentssender LCP berichtet ähnlich unverdrossen aus der Assemblée Nationale. Auch bei derartigen Übertragungen liegt die Redundanz auf der Hand.



Seit einiger Zeit ist bei mir ein dritter Typ von Sendungen hinzugekommen: Die Daily Soap. Ich bin zufällig beim Zappen darauf gestoßen. So etwas läuft bei fast allen Sendern, meist am Nachmittag oder am Vorabend, offenbar mit vielbeschäftigten Hausfrauen als Zielgruppe und vielleicht denjenigen, die von der Arbeit nach Hause kommen und so geschafft sind, daß sie nur noch Einfachstes erfassen können.

Diese Daily Soaps sind auf einfachste intellektuelle und emotionale Bedürfnisse zugeschnitten. Also variieren sie Schnittmuster menschlicher Grundsituationen - Liebe, Krankheit, Tod, Aufstieg und Fall, Zuneigung und Neid. Die Daily Soaps ähneln den Kolportageromanen des 19. Jahrhunderts, wie sie uns von Karl May her bekannt sind: "Das Waldröschen", "Die Liebe des Ulanen", "Deutsche Herzen, Deutsche Helden".

Die Handlung des Kolportageromans, der Daily Soap hat keinen Spannungsbogen. Sie besteht aus einer ihrem Wesen nach endlosen Aneinanderreihung immer derselben Motive und Situationen. Fortsetzbar ad infinitum, wie das Schütteln eines Kaleidoskops, das aus denselben Elementen immer neue Variationen erzeugt.



Die Daily Soap ist damit die bisher vollkommenste Form des TV. Fernsehen, das bedeutet die Trivialisierung des Spectaculums; so wie der Kolportageroman die Trivialisierung des Literarischen war.

An die Stelle des einzelnen, festlichen Ereignisses - der Theateraufführung, des Konzerts, des Auftretens von Gauklern, Sängern und Poeten, auch noch der Filmvorführung - tritt eine endlose, gleichförmige Folge solcher Ereignisse, die eben durch diese Gleichförmigkeit ihren Ereignis-Charakter verlieren. Das einst Herausgehobene wird alltäglich, so wie unser Essen eine Folge unaufhörlicher Festmahle ist, gemessen an den Eßgewohnheiten anderer Zeiten und Kulturen.

Als das TV in Deutschland begann, hatte es diese Vollkommenheit der Gleichförmigkeit noch nicht erreicht. Als täglich wiederkehrende Sendung gab es nur das zu schauen, was eben so hieß - die "Tagesschau". Die meisten anderen Sendungen waren Unikate - Theaterübertragungen, Kulturfilme, "Fernsehspiele", die in Realzeit im TV-Studio wie auf einer Theaterbühne gespielt wurden, weil es noch gar nicht die Möglichkeit zur Magnetbandaufzeichnung (die "Ampex-Maschine", die erst Ende der fünfziger Jahre aufkam) gab.

Allmählich erschienen dann "Serien" - die freilich immer noch nicht seriell waren, für heutige Verhältnisse. Spiel- und Talkshows von Frankenfeld und Kulenkampff, die vielleicht einmal im Monat, allenfalls wöchentlich gezeigt wurden. Von der ersten Talkshow - "Je später der Abend" mit Dietmar Schönherr - wurden gerade mal 22 Folgen ausgestrahlt, auf zwei Jahre (1973 und 1974) verteilt. Von einer der ersten "Familienserien", den "Unverbesserlichen" mit Inge Meysel und Joseph Offenbach, wurden nur sieben Folgen produziert - und das in einem Zeitraum von mehr als fünf Jahren!

Richtig international aufzuholen begann das deutsche TV erst mit der "Lindenstraße", dem ersten Beispiel für dieses Formats der nicht endenwollenden Freuden und Leiden immer derselben Leute. Beim Talk-Format erfolgte der Durchbruch mit Gottschalks Late Night Show (ab 1992); damit begannen die uns heute selbstverständlichen Talksshows, in denen derselbe Moderator uns, in immer derselben Dekoration und demselben Programmablauf, täglich oder fast täglich zu unterhalten trachtet.





Die Sommerpause ist eine alte Erfindung, wohl ursprünglich aus dem Kulturleben des begüterten Bürgertums stammend. Die Schichten, die im 19. Jahrhundert das hauptsächliche Theater- und Konzertpublikum ausmachten, pflegten im Sommer die Stadt zu verlassen. Man zog auf sein Landgut oder in die "Sommerfrische", wo sich die Hitze des Sommers kommod ertragen ließ. Also schlossen in dieser Zeit die Theater und Konzerthäuser, und ein Teil der Künstler zog ihrem Publikum nach - man bot Sommerfestspiele und Freilichttheater, heute mit einem dämlichen Anglizismus "Sommer-Festivals" geheißen.



Wann genau das Fernsehen in Deutschland damit begonnen hat, diese Sitte der Sommerpause zu imitieren, weiß ich nicht. Vielleicht läßt sich auch gar kein genauer Beginn ermitteln. Es geschah wohl eher schleichend. Moderatoren nahmen im August ihren Urlaub, und ihre Show fiel so lange aus. Teure Produktionen wurden im Sommer abgesetzt, weil ein Volk im Urlaub ihnen nicht die gewünschten Einschaltquoten liefern würde. Serien wurden aus demselben Grund unterbrochen.

Im Lauf der Jahre dehnten sich die Pausen aus. Dieses Jahr starteten Jauch und Dittsche schon Ende Mai in diese "Sommer"-Pause; bei noch eher winterlichen Temperaturen und eineinhalb bis zwei Monate, bevor die meisten Zuschauer ihren Sommeruraub antreten können.




Die Zuschauer scheinen es den Sendern kaum zu verübeln. Warum nicht? Ich behaupte, daß das etwas mit den Daily Soaps zu tun hat. Genauer: Mit der Art von TV, überhaupt von Unterhaltung, die durch sie verköpert wird.

Wie erwähnt: Was bis zum Ausbruch des TV-Zeitalters ein Ereignis gewesen war - das Spectaculum, die Theateraufführung, Gaukeleien -, ist vom TV zum ständigen, gleichförmigen täglichen Allerlei gemacht worden.

Man schluckt es, man genießt es vielleicht - wie das tagtägliche Festmahl, das wir uns leisten. Aber irgendwann ist man gesättigt. Es ist die Sättigung mit Jauchs Charme und Dittsches verzweifeltem Verstehenwollen, mit Harald Schmidts süffissanter Intelligenz, Domians Mitfühlen und mit Julias Leiden, mit allen diesem more of the same, die uns die Sommerpause nicht nur ertragen, sondern geradezu genießen läßt.

Sie ist angenehm, diese Sommerpause - angenehm wie die Fastenzeit und der Rahmadan.