28. Februar 2017

Aschermittwoch der Jongleure

Der Jongleur kann von den drei bis fünf Bällen oder Keulen immer nur zwei mit der Hand halten, die andern müssen in der Luft sein, das ist die große Kunst. Unsere Kirchenvertreter wollen das jetzt auch hinkriegen: Evangelische und katholische Kirche in der Hand, die ökumenische und das Gottesreich in der Luft. Beim Luther-Fest „Wie im Himmel so auf Erden“ soll es noch viel toller werden: Himmel und Erde in den Händen, in der Luft die Verbindung alles Getrennten im Gottesreich. Denn: Martin Luther wollte die Kirche ja nicht spalten, sondern reformieren. „Wie im Himmel, so auf Erden" ist das Leitwort des geplanten Ökumenischen Festes im September in Bochum. Da ist aber etwas zu Boden gefallen.

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Das vollständige Zitat aus dem Vaterunser lautet: „Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden.“ Sein Wille, nicht unserer. Der Wille Gottes wurde laut Johannes am Abend vor seinem Leiden von Jesus so formuliert: „Bewahre sie, damit sie eins sind wie wir. – Alle sollen eins sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. – Sie sollen eins sein, wie wir eins sind, - sie sollen vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt …“ (Joh 17,11.21-23). Viermal hat der Evangelist hier als Testament Jesus um die Einheit beten lassen. Johannes ahnte: Die Jünger hören es, aber sie werden es nicht tun, sondern sich zerstreiten.

Die Deutsche Bischofskonferenz, die Evangelische Kirche in Deutschland, der Deutsche Evangelische Kirchentag und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken laden gemeinsam zu einem großen Ökumenischen Fest am 16. September 2017  nach Bochum ein. Im Rahmen des gemeinsamen Christusfestes 2017 möchten sie, so sagen sie, unter dem Leitwort "Wie im Himmel, so auf Erden" ein Zeichen der Verbundenheit untereinander und der Sendung in die Welt setzen.

Wie hieß es in Joh 17? „Damit die Welt erkennt …“, dass sie nicht zusammen für die Welt wirken wollen? Es genügt nicht, zusammen die Kreuze für den Tempelbergbesuch abzulegen.

Ich schreibe als Katholik. Es ist ein so schönes Wort: Endlich der Himmel auf Erden. Wie könnten sich Karl Marx und Friedrich Nietzsche freuen, dabei zu sein. Aber es wird nur zu einer Beschwörung reichen: Wir feiern, dass wir Jesus Christus gemeinsam haben, denn im Übrigen sind wir versöhnte Verschiedenheit.

Auch das, wäre es richtig verstanden, ein schönes Wort. Theologisch-kulturelle, spirituelle, liturgische Vielfalt und doch geeintes Volk Gottes. Leider ist es aber bei den meisten nur eine Ausrede, ein Pflaster über der Wunde, eine Formel der endgültigen Resignation, gar ein Ritus der Beerdigung der ökumenischen Sehnsucht. Gerade gab es in München die erste katholische Segnung einer Ehescheidung. Die Absegnung der Kirchenspaltung hat sich still und heimlich schon vollzogen.

Man fürchtet die Einheit als Uniformismus und Zentralismus, man will sie gar nicht mehr, aber schämt sich, es zuzugeben. Und nun meine Gegenfragen: Warum wisst ihr so genau, dass das zweite und das dritte Rom aus Starrsinn die Einigung vermeiden und verhindern. Und wir? Und was ist mit der Konkurrenz durch die wachsenden Pfingstkirchen, die charismatischen Freikirchen? Diese Kirchen machen schon 27% der christlichen Denominationen aus. Die Katholiken 49%, Protestanten, Anglikaner, Baptisten und Methodisten zusammen 14% (lt. "World Christian Database"). Und warum lasst ihr völlig außer Betracht, dass es eine Urspaltung gab und bis heute gibt, ein „Urschisma“ (Kardinal Kasper), die Trennung vom Judentum? Jesus bat in jedem Fall um die Einheit seiner Jünger aus Israel mitten im Volk der Ersten Liebe Gottes. Vor lauter Luther wurde der jüdische Ölbaum vergessen, auf dem wir als Zweige sitzen. Wie sagte Jesus? „Wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt; aber ihr habt nicht gewollt. Darum wird euer Haus verlassen.“ (Mt 23,37-38 = Lk 13,34-35)

Unter den Religionen in der Welt sehen die Anteile so aus: Christen 32%, Muslime 23%, Religionslose 16%, Hindus 15%, Buddhisten 7%, Volksreligionen 6%. Und Juden? 0,22% (lt. Adherents.com). Misst man den Nachrichtenwert und die Schlagzeilen, rücken die Juden aber weit nach oben. Natürlich, weil Israel als Sündenbock und Ärgernis gilt.

Eine Delegation der evangelischen Kirche Deutschlands und Kardinal Reinhard Marx waren zu einer Doppelaudienz bei Papst Franziskus. Der Papst blieb bei der Sache: „Ich wünsche Ihnen, dass Sie auf diesem segensreichen Weg des geschwisterlichen Miteinanders vorankommen und mutig und entschlossen auf eine immer vollkommenere Einheit hin fortschreiten. Wir haben die gleiche Taufe: Wir müssen zusammen gehen, ohne müde zu werden!‘“ (radio vatican 6.2.2017).

In der Presse schaute die Wirklichkeit anders aus: Welt-Autor Lucas Wiegelmann kommentierte das Treffen als „belanglos". In der Kunst jedoch, mit vielen Worten nichts zu sagen, hätten die beiden Kirchen „längst zur vollen Einheit gefunden". Die Ökumene komme nicht mehr voran, weil das Ziel unklar sei. „Die Kirchen würden ihren Gläubigen viel Frust ersparen, wenn sie es bei diesem Status quo beließen, statt ständig die Schimäre einer Einheit heraufzubeschwören, die sie ohnehin nicht ernsthaft anstreben", so Wiegelmann. (pro. Christliches Medienmagazin, 7.2. 2017)

Papst Franziskus hatte schon anlässlich des Ad-limina-Besuchs der deutschen Bischöfe in Rom die Erosion des Glaubens in Deutschland beschrieben.1 Überall engagiere sich die Kirche im sozial-karitativen Bereich und im Schulwesen, aber der Gottesdienstbesuch und das sakramentale Leben schwänden stark. „Angesichts dieser Tatsachen ist wirklich von einer Erosion des katholischen Glaubens in Deutschland zu sprechen“, sagt der Papst. Er rügt die „Tendenz zu fortschreitender Institutionalisierung der Kirche. Es werden immer neue Strukturen geschaffen, für die eigentlich die Gläubigen fehlen.“ Man setze das Vertrauen auf die Verwaltung, auf den perfekten Apparat. Die übertriebene Zentralisierung hindere ihre missionarische Dynamik, anstatt zu helfen.

Der Priester Thomas Frings, Großneffe des bekannten ehemaligen Kardinals, hörte die Pfarreiarbeit auf und ging zur Besinnung in ein Kloster. Jetzt erschien sein Buch mit dem Titel „Aus, Amen, Ende?“

Martin Luther schrieb 1522 in der Vorrede zum Römerbrief das kurze, aber umstürzende Sätzlein: „Daher Christus alleine den Unglauben Sünde nennet.“ Dass wir nicht mehr an die Möglichkeit, also auch das Gebot der Einheit der Kirche glauben, wäre also kein Fortschritt, sondern eine Sünde, ein Wegschreiten von Jesu Sache?

Ich schlage den Veranstaltern des Festes in Bochum vor, zur Erläuterung ihres Leitwortes aus Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, die er an Papst Leo X. im Herbst 1520 sandte und auch in deutscher Fassung publizierte, die Schlusssätze (Zum dreißigsten) vorzulesen. Sie deuten das erlöste Leben eines Christenmenschen der Nächstenliebe:

„Durch den Glauben fähret er über sich in Gott, aus Gott fähret er wieder unter sich durch die Liebe, und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe, gleich wie Christus sagt, Johann. 1,51: ‚Ihr werdet noch sehen den Himmel offen stehen und die Engel auf- und absteigen über den Sohn des Menschen.‘ Siehe, d a s ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten, welche alle andere Freiheit übertrifft wie der Himmel die Erde. Das gebe uns Gott, dass wir diese Freiheit recht verstehen und behalten! Amen.“

Wir müssen die Zeichen der Zeit verstehen und uns an den Kopf greifen statt als Luftikusse mit dem Erbe zu jonglieren. Martin Luther wollte die Kirche nicht spalten, sondern reformieren. Das sagen jetzt alle, sonst könnten wir die Spaltung ja nicht feiern. Aber Luther war ehrlicher als wir Heutigen. Am 18. Februar 1546 ist er gestorben. Man fand einen Zettel (in Latein) auf seinem Schreibtisch:

„Den Vergil in den Bucolica und Georgica kann niemand verstehen, wenn er nicht fünf Jahre Hirt oder Bauer gewesen ist. Den Cicero in seinen Briefen versteht niemand (so meine ich), wenn er nicht zwanzig Jahre in einem großen Staatswesen tätig gewesen ist. Die heiligen Schriften meine niemand genügend geschmeckt zu haben, wenn er nicht hundert Jahre mit den Propheten Gemeinden geleitet hat. - Wir sind Bettler. Das ist wahr.“

Ludwig Weimer

1 Ansprache von Papst Franziskus beim Ad-limina-Besuch für die deutschen Bischöfe am 20. November 2015; (Volltext)


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