28. August 2006

Randbemerkung: Die Moral eines Mörders

Knut Folkerts ist ein vierfacher Mörder. Am 7. April ermordete er in Karlsruhe gemeinsam mit drei Komplicen Siegfried Buback, Wolfgang Göbel und Georg Wurster. Am 22. September 1977 ermordete er in Utrecht Arie Kranenburg. Die ersten drei Morde waren kaltblütig geplant gewesen. Seinen vierten Mord beging Folkerts, als Polizisten ihn zu fassen versuchten.

Für die drei Morde in Karlsruhe und andere schwere Straftaten wurde Folkerts zu zweimal lebenslänglichem Freiheitsentzug verurteilt, aber nach 18 Jahren entlassen. Für den vierten Mord wurde er in den Niederlanden zu 20 Jahren verurteilt. Die Niederlande haben jetzt ein Strafvollstreckungsbegehren gestellt, um zu erreichen, daß auch diese Strafe vollstreckt wird. Das Verfahren darüber ist beim Landgericht Hamburg anhängig.

Soweit die Fakten. Es geht mir bei den folgenden Überlegungen nicht darum, ob es richtig ist, jemanden, der zu zweimal Lebenslänglich verurteilt ist, bereits nach 18 Jahren zu entlassen; ebensowenig darum, ob er seine in den Niederlanden ausgesprochene Strafe verbüßen oder ob man ihm diese erlassen sollte. Das mögen die Juristen und die Rechtsphilosophen entscheiden.

Was mich interessiert, das ist die Haltung des Mörders zu seinen Taten.



Knut Folkerts ist kein gewöhnlicher Mörder. Daß jemand innerhalb eines Jahres vier Menschen ermordet, kommt ja nicht sehr häufig vor.

Er ist auch kein gewöhnlicher Mörder, was seine Motivation angeht. Diese war, so sagt er es jedenfalls, politisch. Ob das verwerflicher oder minder verwerflich ist als eine Tat aus persönlichen Motiven, darüber kann man streiten. Zudem ist unklar, wieweit bei Folkerts und seinen Komplicen das, was sie als "politisch" sahen, zumindest überlagert war vom Haß auf ihre Opfer; ähnlich wie bei vielen NS-Tätern. Wer - wie die Mörder Schleyers - schreibt, man habe des Opfers "klägliche und korrupte Existenz beendet", der läßt eine Mißachtung von dessen Menschenwürde erkennen, die große Nähe zur "Untermenschen"-Ideologie der KZ-Mörder aufweist.



Nun steht also die Entscheidung des Hamburger Landgerichts darüber an, ob Folkerts die in den Niederlanden verhängte Strafe verbüßen muß. Und in dieser Situation hat Folkerts dem Journalisten Michael Sontheimer vom Berliner Büro des "Spiegel" ein Interview gegeben.

In dem Interview geht es zunächst um dieses niederländische Ersuchen. Folkerts sagt dazu, was vermutlich viele in seiner Lage sagen würden: Daß dies "politisch motiviert" sei, weil in den Niederlanden der "Rechtspopulismus stark" sei. Daß er "ausreichend gebüßt" habe. Daß er den "Todesschuß" (das Wort "Mord" kommt weder dem Interviewer noch Folkerts über die Lippen) "bedaure". Und er schließt diesen Teil des Interviews mit dem Lamento ab, das die Verlautbarungen der RAF in den siebziger Jahren monoton begleitet hat: Er sei nach seiner Festnahme in Holland von Polizisten(!) "geschlagen, mißhandelt und gedemütigt" worden - und habe deswegen(!) damals nicht sein Bedauern gegenüber den Angehörigen(!) ausgedrückt.

Er bedauert, sagt Folkerts. Er sagt nicht, daß er bereut. Er spricht nicht von seiner Schuld.



Im zweiten Teil des Interviews geht es um die RAF allgemein und Folkerts' Rolle. Sontheimer fragt ihn, ob er auch seinen Einstieg in die RAF bedaure. Darauf antwortet Folkerts keineswegs mit "ja". Sondern er schildert langatmig den "langen Weg" zu seiner "Radikalisierung"; daß die RAF "etwas in Richtung Befreiung und soziale Gerechtigkeit" habe bewirken wollen. Er liefert Erklärungsversuche, Rechtfertigungsversuche. Und nochmals ein ausgiebiges Lamento über seine Haftbedingungen. Über das Schicksal seiner drei deutschen Opfer verliert er kein Wort. Kein Bedauern, noch weniger Reue.

Und ein kritisches Fazit nur insofern, als Folkerts einräumt, die "Theorie und Praxis der RAF" habe sich "als falsch erwiesen", er habe sich für die "Beendigung des bewaffneten Kampfs der RAF" ausgesprochen und er treffe sich mit anderen aus der RAF, um "kritisch unsere Vergangenheit aufzuarbeiten".



Man lag politisch falsch, das räumt Folkerts ein. Daß er seine Verbrechen bereut, davon findet sich in dem Interview kein Wort. Von den Morden an Buback, Göbel und Wurster ist in dem Interview überhaupt nicht die Rede (was freilich auch dem Interviewer Sontheimer anzulasten ist, der danach gar nicht fragt).

Also ein uneinsichtiger - früher hätte man gesagt "ein verstockter" - Mörder. Einer, der nicht von Schuld und Reue spricht, sondern von "falsch". Offenbar, so könnte man folgern, einer jener Verbrecher, denen alle moralischen Maßstäbe fehlen. Der zynische, kalte Kriminelle. Auch bei den Nazi-Mördern gab es diesen Typus.

Spricht er also gar nicht über Moral, dieser Knut Folkerts? Oh doch. Er sagt dazu zwei Sätze:

  • "Was wir als herrschende Moral vorgefunden haben, ließ Ungeheuerliches zu ..." und

  • "... der RAF ist es nicht gelungen, glaubhaft eine andere Moral zu entwickeln und zu praktizieren".

  • Ungeheuerlich, so glaubt der Mörder Folkerts offenbar immer noch, waren nicht seine Taten und die seiner Komplicen - sondern es war die "herrschende Moral".

    Er meint, es sei nicht gelungen, eine andere Moral zu praktizieren. Da allerdings irrt er. Die Moral, die die RAF praktiziert hat, war ja anders, und zwar sehr glaubhaft anders. Sie wurde mit Blut glaubhaft gemacht - glaubhafter kann jemand seine Moral kaum machen.

    Es war die Moral von Menschen, die in ihrer Arroganz und Verstiegenheit glaubten, sich über die Gesetze des Staats, die Regeln der Mitmenschlichkeit hinwegsetzen und für ihre verschrobenen Ziele Menschen verstümmeln und ermorden zu dürfen.



    Mich würde es interessieren, ob es ehemalige Angehörige der RAF gibt, die ihre Schuld akzeptieren; die eingesehen haben, daß kein Bürger das Recht haben kann, anderen Bürgern seine politischen Vorstellungen mit dem Mittel des Mords aufzuzwingen.