Randbemerkung: Gefahren und ihre Wahrnehmung
An diesem Wochenende, liest man heute in Spiegel-Online, sind mindestens sieben Menschen bei Badeunfällen zu Tode gekommen.
Bis Ende Juni waren es, laut dem DLRG-Sprecher Martin Janssen, bereits 250 Menschen in Deutschland, die beim Baden ertranken oder sonstwie umkamen. Das sind mehr Tote als in Jahren mit einem kühlen Sommer, aber nicht so sehr viel mehr. Im Durchschnitt sind es in der ersten Jahreshälfte ungefähr 175 Tote.
In französischen Zeitungen gibt es eine Rubrik "Faits Divers", Vermischtes. Und im Sommer haben darin viele dieser Zeitungen eine Unterkategorie: "Les Noyades" - die Ertrinkungen. Täglich wird über die - sozusagen - neuesten Ertrunkenen berichtet, in einer festen Rubrik.
Faits Divers - kleine, vermischte Meldungen. Man liest das, schüttelt den Kopf und ist nicht sonderlich erschüttert - es sei denn, der Unfall geschah in der eigenen Umgebung, oder das Opfer ist für den Leser aus einem anderen Grund persönlich interessant.
Nehmen wir an, die sieben Toten des jetzigen Wochenendes wären nicht an unterschiedlichen Stellen ertrunken, sondern, sagen wir, alle zugleich bei beim Untergang eines Ausflugsdampfers ums Leben gekommen. Dann würde das nicht in einem kleinen Artikel erwähnt werden, sondern Schlagzeilen machen; uns vermutlich tagelang beschäftigen.
Warum ist das so? Warum hängt unser Interesse, unser Mitgefühl, unser Entsetzen davon ab, ob Menschen an unterschiedlichen Orten sterben, oder gemeinsam am selben Ort?
Es ist also offenbar eine Frage der Häufigkeit und eine Frage des spektakulären Charakters, wie sehr uns ein solcher Vorfall interessiert oder wie sehr er uns kalt läßt. So hat es auch die wissenschaftliche Risikoforschung ergeben. Wie man zum Beispiel hier nachlesen kann, überschätzen wir die Gefährlichkeit von Ereignissen, deren Wahrscheinlichkeit gering ist, die aber einen dramatischen ("katastrophalen" Charakter haben). Umgekehrt unterschätzen wir die Gefährlichkeit von solchen Ereignissen und Sachverhalten, die häufig auftreten, die aber nicht spektakulär sind.
In einem drastischen Beispiel aus dem verlinkten Artikel: Das Risiko, daß ein Kind von einem Fremden auf dem Schulweg sexuell belästigt wird, ist extrem gering - viel geringer, als das Risiko für seine Gesundheit, wenn es nicht auf die Straße gelassen wird und aus Trägheit Fettleibigkeit entwickelt. Aber die Attacke durch einen Fremden ist eine schlimme, plastische Vorstellung, während ein schleichendes Risiko für die Gesundheit kaum wahrgenommen wird.
Diese Eigenarten der Wahrnehmung von Gefahren haben massive praktische Konsequenzen. Denn die Politiker bemühen sich ja, just jenen Gefahren besonders sorgsam zu begegnen, die von ihren Wählern als besonders groß wahrgenommen werden.
Kommt es zufällig einige Male nacheinander vor, daß ein Hund Kinder anfällt, dann löst das folgerichtig eine Welle von staatlichen "Hundeverordnungen" aus, samt Einrichtung einer wuchernden Bürokratie, deren es zu ihrer Durchsetzung bedarf. Tötet ein Junge mit einer Waffe, die er seinem Vater entwendet hat, in einem Amoklauf Menschen, dann wird alsbald die Waffenkontrollgesetzgebung verschärft.
Diese Maßnahmen bleiben, die aus ihnen hervorgehende Bürokratie bleibt, wenn der Anlaß längst vergessen ist. So steuern wir auf immer mehr Fürsorge des Staats für "seine Menschen", auf immer mehr Gesetze, Verordnungen, Regularien zu, die uns vor den Risiken des Lebens schützen sollen.
Und immer mehr Hirten wachen darüber, daß die wir, die beschützte Herde, keiner Gefahr ausgesetzt werden. Nur müssen wir, anders als diese Schafe, unsere Hirten auch noch alimentieren.
An diesem Wochenende, liest man heute in Spiegel-Online, sind mindestens sieben Menschen bei Badeunfällen zu Tode gekommen.
Bis Ende Juni waren es, laut dem DLRG-Sprecher Martin Janssen, bereits 250 Menschen in Deutschland, die beim Baden ertranken oder sonstwie umkamen. Das sind mehr Tote als in Jahren mit einem kühlen Sommer, aber nicht so sehr viel mehr. Im Durchschnitt sind es in der ersten Jahreshälfte ungefähr 175 Tote.
In französischen Zeitungen gibt es eine Rubrik "Faits Divers", Vermischtes. Und im Sommer haben darin viele dieser Zeitungen eine Unterkategorie: "Les Noyades" - die Ertrinkungen. Täglich wird über die - sozusagen - neuesten Ertrunkenen berichtet, in einer festen Rubrik.
Faits Divers - kleine, vermischte Meldungen. Man liest das, schüttelt den Kopf und ist nicht sonderlich erschüttert - es sei denn, der Unfall geschah in der eigenen Umgebung, oder das Opfer ist für den Leser aus einem anderen Grund persönlich interessant.
Nehmen wir an, die sieben Toten des jetzigen Wochenendes wären nicht an unterschiedlichen Stellen ertrunken, sondern, sagen wir, alle zugleich bei beim Untergang eines Ausflugsdampfers ums Leben gekommen. Dann würde das nicht in einem kleinen Artikel erwähnt werden, sondern Schlagzeilen machen; uns vermutlich tagelang beschäftigen.
Warum ist das so? Warum hängt unser Interesse, unser Mitgefühl, unser Entsetzen davon ab, ob Menschen an unterschiedlichen Orten sterben, oder gemeinsam am selben Ort?
Ein offensichtlicher Grund ist, daß das eine - die getrennten Einzelunfälle - häufig ist; während das andere - das gemeinsame Ertrinken einer Gruppe von Menschen - selten vorkommt. Nachrichtenwert hat das, was vom Gewohnten abweicht. Man Bites dog, nicht Dog Bites Man. Zweitens regt ein solcher größerer Unfall aber - eben aufgrund seiner Größe - auch unsere Vorstellungskraft mehr an als der gewöhnliche Badunfall, bei dem jemand einen Herzschlag bekommt oder sich beim Kopfsprung das Genick bricht. Von einem "schrecklichen", gar einem "tragischen" Unfall sprechen wir meist erst dann, wenn eine größere Zahl von Opfern zu beklagen ist. Es sei denn, der Einzelunfall trägt spektakuläre Züge - weil dem Tod des Opfers vielleicht ein dramatischer Rettungsversuch vorausging, weil es sich um eine prominente Person handelt oder dergleichen.
Es ist also offenbar eine Frage der Häufigkeit und eine Frage des spektakulären Charakters, wie sehr uns ein solcher Vorfall interessiert oder wie sehr er uns kalt läßt. So hat es auch die wissenschaftliche Risikoforschung ergeben. Wie man zum Beispiel hier nachlesen kann, überschätzen wir die Gefährlichkeit von Ereignissen, deren Wahrscheinlichkeit gering ist, die aber einen dramatischen ("katastrophalen" Charakter haben). Umgekehrt unterschätzen wir die Gefährlichkeit von solchen Ereignissen und Sachverhalten, die häufig auftreten, die aber nicht spektakulär sind.
In einem drastischen Beispiel aus dem verlinkten Artikel: Das Risiko, daß ein Kind von einem Fremden auf dem Schulweg sexuell belästigt wird, ist extrem gering - viel geringer, als das Risiko für seine Gesundheit, wenn es nicht auf die Straße gelassen wird und aus Trägheit Fettleibigkeit entwickelt. Aber die Attacke durch einen Fremden ist eine schlimme, plastische Vorstellung, während ein schleichendes Risiko für die Gesundheit kaum wahrgenommen wird.
Diese Eigenarten der Wahrnehmung von Gefahren haben massive praktische Konsequenzen. Denn die Politiker bemühen sich ja, just jenen Gefahren besonders sorgsam zu begegnen, die von ihren Wählern als besonders groß wahrgenommen werden.
Kommt es zufällig einige Male nacheinander vor, daß ein Hund Kinder anfällt, dann löst das folgerichtig eine Welle von staatlichen "Hundeverordnungen" aus, samt Einrichtung einer wuchernden Bürokratie, deren es zu ihrer Durchsetzung bedarf. Tötet ein Junge mit einer Waffe, die er seinem Vater entwendet hat, in einem Amoklauf Menschen, dann wird alsbald die Waffenkontrollgesetzgebung verschärft.
Diese Maßnahmen bleiben, die aus ihnen hervorgehende Bürokratie bleibt, wenn der Anlaß längst vergessen ist. So steuern wir auf immer mehr Fürsorge des Staats für "seine Menschen", auf immer mehr Gesetze, Verordnungen, Regularien zu, die uns vor den Risiken des Lebens schützen sollen.
Und immer mehr Hirten wachen darüber, daß die wir, die beschützte Herde, keiner Gefahr ausgesetzt werden. Nur müssen wir, anders als diese Schafe, unsere Hirten auch noch alimentieren.