2. Juli 2006

Eine Geschichte, die das Leben schrieb

Heute wird wahrscheinlich das Space Shuttle "Discovery" zu einem neuen Flug starten. Er dient hauptsächlich dem Test von Verbesserungen, die seit dem letzten Flug vorgenommen wurden, um die Sicherheit des Gefährts zu erhöhen. Alles über die Mission findet man auf der Shuttle-WebSite der NASA, der ich auch das Bild von der Besatzung entnommen habe.

Der Flug ist riskant. So riskant, daß, wie berichtet wird, Sicherheitsingenieure von ihm abgeraten haben.

Gestern ging eine andere Meldung, die auf die NASA zurückgeht, durch die Presse: Wie man zum Beispiel bei Space.com lesen kann, wurden die Namen für die neue Generation der Raketen festgelegt, die einmal wieder zum Mond und irgendwann vielleicht zum Mars fliegen sollen. Sie werden Ares heißen, also lateinisch Mars.

Zwischen den beiden Meldungen gibt es einen inneren Zusammenhang über den trivialen Umstand hinaus, daß es um NASA-Unternehmen der bemannten Raumfahrt geht: Das Shuttle-Programm ist ein außerordentliches Beispiel für das Scheitern eines glänzenden Konzepts, und das Programm, das mit den neuen Raketen realisiert werden soll, ist ein Beispiel dafür, wie am Ende das Alte, Bewährte, ja geradezu Antiquierte wieder hervorgeholt wird, als Konsequenz aus diesem Scheitern.



In den Anfangstagen der bemannten Raumfahrt hatte man bemannte Unternehmen im Grunde nicht anders gesehen als unbemannte Unternehmen, nur eben mit Menschen als zusätzlicher Nutzlast.

Die Aufgabe bestand darin, diese Nutzlast in den Orbit zu befördern und - das war das einzig Besondere bei den bemannten Unternehmen, wie anfangs auch bei Spionageunternehmen - sie auch wieder in Teilen zur Erde zurückzubekommen.

Die übrigen Satelliten konnten im Orbit bleiben, bis sie verglühten. Der Spionagesatellit aber mußte die belichteten Filme abwerfen (so geschah es beim Projekt "Discoverer"), und sie wurden von Flugzeugen aufgefangen. Die bemannten Satelliten kamen entweder in Form einer Landung im Wasser zurück (wie bei Mercury, Gemini und Apollo der Amerikaner), oder mittels einer manchmal recht harten Landung auf fester Erde (wie bei Wostok, Woschod und Sojus der Russen).


Ansonsten waren diese sogenannten "Raumschiffe" aber Satelliten wie die anderen auch; nicht zufällig wurden sie anfangs "Raumkapseln" genannt. Sie saßen beim Abschuß oben auf einer Rakete, wurden von dieser in den Orbit befördert, wobei die Rakete verlorenging, und kehrten selbst zwar (mehr oder weniger vollständig) zur Erde zurück, aber durch die Erhitzung beim Wiedereintritt waren sie so stark demoliert, daß sie nicht wieder verwendet werden konnten.



Mit dem Shuttle sollte das alles anders werden. Die konstruktive Idee war bestechend, und sie war alt: In ihrem Prinzip ging sie auf das Projekt "Dyna Soar" zurück, das der geniale deutsche Raumfahrtingenieur Eugen Sänger schon vor dem Zweiten Weltkrieg unter dem Namen "Silbervogel" entwickelt hatte: Ein Gefährt, das wie eine Rakete startet, wie ein Satellit fliegt und wie ein Flugzeug landet.

Eugen Sänger hatte daran gedacht, die Rakete von einem Flugzeug aus starten zu lassen, das gewissermaßen die erste Raketenstufe ersetzte und bereits einen Teil der Orbital- geschwindigkeit liefern sollte. Das wurde fallengelassen, als das Projekt in den fünfziger Jahren unter dem Namen Dyna Soar vom Pentagon vorangetrieben wurde; der Start sollte von einer bodengestützten Rakete aus erfolgen. Ansonsten blieben aber die Merkmale des Sänger-Projekts erhalten.



Aus Dyna-Soar wurde nichts, als man unter dem Druck der russischen Konkurrenz in den sechziger Jahren die bemannte Raumfahrt zu schnellen Erfolgen führen und deshalb möglichst auf Bewährtes setzen mußte. Als aber das Apollo- Mondlandeprojekt sich dem Ende näherte, wurde diese Idee wieder ausgegraben. Es entstand das Konzept des Shuttles.

Ein bestechendes Konzept, dessen riesige Vorteile gegenüber Mercury, Gemini, Apollo auf der Hand lagen: Das Shuttle war keine "Kapsel" mehr, sondern ein Raumflugzeug, das immer wieder eingesetzt werden konnte, über Jahrzehnte hinweg. Es hatte ein eigenes Antriebssystem, mit dem es auch im Raum navigieren konnte. Es landete wie ein Flugzeug, was nicht nur für die Crew ungleich angenehmer war als die Bergung aus der See, sondern auch viel billiger.

Das Konzept war so schlüssig, daß die Sowjets es mit ihrem "Buran" kopierten, der freilich nur ein einziges Mal flog, unbemannt und einmal um die Erde. Dann wurde das Projekt in der untergehenden Sowjetunion aus Geldmangel gestrichen.



Niemand hätte sich vermutlich Anfang der achtziger Jahre vorstellen können, daß dieses elegante, fortschrittliche Transportsystem sich am Ende als ein gigantischer Flop erweisen würde.

Vieles kam nicht so, wie man es sich gedacht hatte. Die Startvorbereitungen waren viel umständlicher, es waren viel mehr Sicherheitschecks erforderlich. Es erwies sich als hinderlich, daß auch für die Beförderung von Lasten in den Weltraum alle die Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden mußten, die bei bemannten Missionen unumgänglich sind. Die Kosten pro Flug lagen ungleich höher als kalkuliert.

Entscheidend war aber etwas scheinbar Nebensächliches: Schaum.

Ja, Schaum. Allerdings Hartschaum. Und zwar in Verbindung mit dem, was gerade als einer der großen Vorteile des Shuttle gesehen worden war: Daß es nicht als eine Kapsel oben auf einer Rakete hockte, sondern daß es selbst das Flugobjekt war, nur für die Startphase mit einem Tank versehen, und mit Feststoff-Zusatzraketen.

Dieses schwere, große Shuttle konnte man nicht oben auf den Tank setzen. Sondern umgekehrt - man hängte den Tank, ja nur eine mit Flüssigtreibstoff gefüllte Hülse, seitlich an das Shuttle. So, wie man die Feststoffraketen seitlich an ihm befestigte.



Und das - diese konstruktiv so logische, geradezu zwingende Lösung - erwies sich als Quelle all des Ärgers, als die Achillesferse des ganzen Projekt, als die Stelle, auf die das Lindenblatt gefallen war.

Denn ein solcher Tank muß isoliert werden, weil sein Inhalt auf sehr niedrige Temperaturen gekühlt werden muß. Dazu braucht man den Hartschaum. Andererseits entstehen bei jedem Raketenstart gewaltige Vibrationen, unvermeidlich, systembedingt.

Beides zusammen hat schon stets dazu geführt, daß beim Start Teile der Schaumstoffisolierung des Tanks abbrachen. Auf Filmen, die Raketenstarts zeigen, aus der fliegenden Rakete aufgenommen, ist das immer zu sehen.

Und nicht weiter schlimm, eigentlich völlig unproblematisch.



Auch in der bemannten Raumfahrt bis zum Shuttle. Denn die "Kapsel" sitzt ja oben auf der Rakete. Was von dieser abfällt, kann sie also nicht treffen.

Beim Shuttle aber hängt der schaumstoffisolierte Tank seitlich am Fluggerät, es sogar überragend. Was dort abplatzt, ist also in Gefahr auf das Shuttle zu fallen und es zu beschädigen. Und zwar just dort, wo es am empfindlichsten ist: An den Hitzekacheln, die auf seiner Bauchseite sitzen. Empfindlich wie der Bauch eines Reptils.

Auch das ist systembedingt, zwangsläufig: Denn das Shuttle kann bei der Rückkehr zur Erde aufgrund seiner Aerodynamik nur mit dem Bauch schräg nach unten in die Erdatmosphäre eindringen. Dort also müssen die Hitzekacheln sitzen. Und dort sind sie folglich in Gefahr, während des Starts von abplatzenden Schaumstoffbrocken getroffen zu werden.

Daran hauptsächlich ist das ganze, wunderbare Konzept Eugen Sängers gescheitert. Und die Raumfahrzeuge der neuen Generation, die CEVs (Crew Exploration Vehicles) werden wieder die gute alte Technik der "Kapseln" verwenden. In der Tat sieht alles im Prinzip wieder aus wie bei Apollo vor vier Jahrzehnten:







Ich finde, das ist eine nachdenkenswerte Geschichte.

Sie hat etwas Tragikomisches. Ein geniales Konzept scheitert an einer Kleinigkeit. Am Ende erweist sich das Althergebrachte, das Simple als überlegen.

Es ist eine lächerliche, also realistische Geschichte. Eine Geschichte, die das Leben schrieb.