13. Juni 2006

Schwarzrotgold allerorten

Die beiden einfachsten und folglich ältesten Arten, sich als Mitglieder einer Gruppe zu identifizieren, sind die Farbe und der Gesang. Daraus ergeben sich die Kriegsbemalung und der Schlachtgesang.

Mit fortschreitender Zivilisation trennt sich das in martialische und friedlichere Derivate: Die Uniform, die Soldatenlieder und das Zum-Angriff-Blasen der Clairons auf der einen Seite, die Nationalhymne, die Nationalflagge auf der anderen Seite.



Viele Staaten haben "ihre" Farben, die viel mehr sind als die Farben der Nationalflagge. Sie müssen noch nicht einmal in dieser vorkommen, wie das Orange der Holländer. Und sie reichen in ihrer Verbreitung weit über diese hinaus. Amerikanische Parteitage, ob der Demokraten oder der Republikaner, werden von den Farben Rot und Blau dominiert. Die Maskottchen der beiden Parteien sind halb rot, halb blau. Es gibt "rote" und "blaue" Staaten, je nach Dominanz der einen oder der anderen Partei.



Es gehört zu den Komplexitäten der deutschen Geschichte, daß wir unsere Nationalfarben sozusagen doppelt haben: Schwarzweißrot und Schwarzrotgold.

Schwarzweißrot, das waren die Farben des Norddeutschen Bundes, des Kaiserreichs und die Farben der Nazis, auch schon bevor sie die Macht okkupierten. Freilich dominierte in der Hakenkreuzfahne das Rot, nicht mehr das Schwarz und Weiß Preußens. Sie war eine der roten Fahnen, die im 20. Jahrhundert die Welt überschwemmten und deren Rot das Revolutionäre signalisierte und das Symbol darauf (mal Hakenkreuz, mal Hammer und Sichel) die Art von Revolution, der man anhing.

Schwarzrotgold - da sind dagegen die Farben des demokratischen Deutschland. Die Farben der Burschenschaften, des Hambacher Fests, der 1848er Revolution, der Weimarer Republik, der Bundesrepublik (freilich auch der DDR, aber dort durch Hammer und Sichel sozialisiert).

Seltsamerweise werden diese Farben Schwarz, Rot und Gold, die der Tradition des friedlichen, demokratischen Deutschland entstammen und unter denen niemals ein Krieg begonnen wurde, von manchen Kritikern dennoch mit Nationalismus in Verbindung gebracht. Man tut sich schwer mit der Nationalflagge. Was in Frankreich, den USA oder Italien selbstverständlich ist - daß an Feiertagen, vor allem am Nationalfeiertag, auch Private ihr Haus mit der Nationalflagge schmücken, ist in Deutschland noch immer die Ausnahme; und wer es tut, gerät leicht in den Ruch des Nationalismus.



Wenn man sich die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland anschaut, dann fällt ein Wechsel zwischen Perioden auf, in denen diese Farben häufig zu sehen waren, und Perioden, in denen sie im Hintergrund blieben.

Diese Wellen korrelieren aber nicht etwa mit Zeiten eines größeren oder geringeren Nationalismus - der ist in der Bundesrepublik immer ungefähr gleich gering gewesen. Wohl aber kann man sie mit der allgemeinen Stimmung in Zusammenhang bringen.

Ich erinnere mich an drei Zeiten, in denen man die schwarzrotgoldene Fahne sehr häufig sah oder sieht: Die Adenauer-Zeit, die Zeit der sozialliberalen Koalition und die Gegenwart.

Auffällig ist vor allem der gegenwärtige Boom von Schwarzrotgold. Gewiß, die Weltmeisterschaft ist der Anlaß, aber eben nur ein Anlaß.

Es ist fast, als sei ein gewisses Befreitsein spürbar - endlich ein lockerer, selbstverständlicher Patriotismus, wie er sich in jeder intakten Nation findet. Nicht nur deutsche Fahnen werden reichlich geschwungen, sondern die Nationalfarben tauchen, so wie das anderswo üblich ist, an mancherlei Stellen auf - auf Hüten, T-Shirts, Autos.



Und so war es auch in der Periode der sozialliberalen Koalition. Damals wurde ein Wahlkampf mit dem Slogan "Modell Deutschland" geführt, und zwar von der SPD. Auf den Plakaten wehte hinter diesem Spruch die schwarzrotgoldene Fahne; und auch von den anderen Parteien wurde Schwarzrotgold verwendet. Bis auf die NPD, die auch damals schon schwarzweißrot plakatierte, und natürlich die Kommunisten. Die Grünen gab es damals noch nicht.

Anhänger der CDU und der SPD identifizierten sich damals gern mit kleinen Ansteckern und mit Stickern auf ihren Autos. Die beider Parteien stellten die Nationalflagge dar - nur war die der SPD wehend und die der CDU ruhend, eckig.



Gemeinsam war der Adenauer-Zeit und der Zeit der sozialliberalen Koalition die Aufbruchstimmung. Der Wille, Deutschland neu zu gestalten, die Überzeugung, daß es aufwärts gehen werde.

Ob die jetzige dritte Welle von Schwarzrotgold also wieder eine solche Stimmung signalisiert? Das Ende der bleiernen Zeit unter Rotgrün, ein wieder nach vorn blickendes Deutschland?

Die Stimmung der Wirtschaft, die Stimmung der Konsumenten haben sich jedenfalls seit dem Regierungsantritt Merkels drastisch verbessert. Wenn jetzt auch noch die WM ein Erfolg wird - warum soll dann nicht dieses Jahrzehnt eines werden wie die Fünfziger und die Siebziger?

In beiden war Deutschland bekanntlich Fußball-Weltmeister geworden.