29. Juni 2023

Es muss rückgängig gemacht werden

Am Sonntag war es noch ein Witz: Nach der Wahl des ersten Landrates der AfD in dem beschaulichen Kreis Sonneberg in Thüringen, veralberten die Satiriker noch die die letzte große Wahl in Thüringen, die dann per Kanzleretten-Dekret rückgängig gemacht wurde. Ein bis dato wohl ziemlich einmaliger Vorgang, der vermutlich, auch wenn es dem politischen Mainstream nicht so ganz passt, wenigstens ein Sprach-Meme in der deutschen Sprache hinterlassen hat, welches das Unwohlsein vieler davon ausdrückt, dass das Merkel per Federstrich ganze Regierungen beenden konnte und das keinerlei negativen Folgen für sie hatte. 

Doch seit Deutschland sich dazu entschlossen hat politisches Kabarett zur Realität zu erklären (also so gut seit 20 Jahren) sollte man sich mit Witzen wohl doch eher zurück halten, denn wieder wurde ein zuvor recht müder Witz zur bitteren Realität. Die SPD bläst zum Halali auf den Kandidaten der AfD, den sie ernsthaft einem "Demokratie-Check" unterziehen möchte und tatsächlich einen Gummiparagraphen dafür im Kommunalwahlgesetz Thüringens gefunden hat, der ihr das scheinbar erlaubt. Dort wird verlangt, dass ein Landrat nicht gewählt werden kann, wenn er nicht die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die FDGO im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung einzutreten. Eine interessante Hürde, an der vermutlich dreiviertel der Bundesregierung wiederholt scheitern würde und die uns allen zumindest die letzten acht Jahre mit der Heimsuchung aus der Uckermark erspart hätte.


An diesem Vorgang ist so ziemlich alles daneben, was nur daneben sein kann. Das fängt schon damit an, dass man das Gewissen von Menschen ohnehin kaum ernsthaft prüfen kann (und wie schon gesagt, ein Großteil der derzeitigen "Spitzenpolitiker" deutlich daran scheitern würde). Aber selbst wenn man es könnte, so wäre es irgendwo zwischen absurd und grotesk einzuordnen, dass ausgerechnet das Innenministerium und von ihm eingesetzte politische Beamte, also Politiker und Parteien, diese Prüfung verantworten wollen. Ausgerechnet der politische Feind und Wahlverlierer soll nun über die Gesinnung des Wahlgewinners entscheiden. Was ein Witz.

Aber selbst das sind nur die Lächerlichkeiten. Erheblich wichtiger ist das demokratische Problem, denn eine solche Gesinnungsprüfung steht im eklatanten Widerspruch zum demokratischen Prinzip. Es gibt in Deutschland genau ein Prinzip, dass über dem demokratischen Prinzip steht, und das ist der Rechtsstaat wie er im Grundgesetz kodifiziert ist (und selbst davon nur ein Teil). Das ist das komische Ding, auf dem die Regierung seit drei Jahren rumtrampelt. 
Aber selbst unter Auslassung dessen, dass die Verfassung in Deutschland durch Merkel und ihre Helfershelfer schwer beschädigt worden ist, so gehört Kommunalwahlrecht explizit nicht zum Schutzumfang des Grundgesetzes. Wenn dort also Gesetze stehen, die dem demokratischen Prinzip zuwider laufen, dann darf man ihre Gültigkeit und rechtsstaatliche Anwendbarkeit zurecht bestreiten. So lange das Gummiparagraphen sind, die nie zur Anwendung kommen, weil sie eher Folklore als Gesetz sind, so ist das nicht schlimm. Aber sobald jemand versucht das ernsthaft anzuwenden, um eben die Demokratie auszuhebeln, steht er kaum mehr auf dem Boden einer Demokratie. 

Und was sollte am Ende dabei rauskommen? Wird der Kandidat bestätigt, so ist er zwar gedemütigt worden, aber der Rechtsstaat hat wieder etwas mehr gelitten, weil er wieder mal selektiv als Waffe gegen "die Anderen" eingesetzt wurde. Wird der Kandidat dagegen abgelehnt, so stehen wir vor einer massiven, eigentlich nicht auflösbaren, Verfassungskrise. Denn in dem Moment kann man wirklich nur noch zu dem Schluss kommen, dass die herrschenden Parteien die Macht ergriffen haben und demokratische Abhilfe nicht mehr möglich ist. In dem Falle liegt ein ziemlich eineindeutiger Fall von Artikel 20 vor. 

Und als ob diese rechtlichen wie politischen Gründe nicht reichen würden, gibt es ein handfestes praktisches Problem. Die Bürger haben den Kandidaten in deutlicher Mehrheit gewählt. Ich glaube nicht, dass die sich so veralbern lassen, wie das derzeit im Bundestag passiert, dass man einfach jeden neuen Kandidaten der AfD abblitzen lässt, bis die keinen mehr aufstellen. Die werden wütend werden. Und das zurecht. Denn sie sind der Meinung, das ist der Kandidat der sie vertreten soll. Nicht irgendein Kandidat, den die SPD für geeignet hält. Glaubt irgendjemand die werden alle ruhig bleiben? Oder demnächst etwas anderes wählen, wenn ihnen Robert Habeck nur deutlich genug erklärt, dass sie alle nur Nazis sind, die gefälligst anders wählen sollen? 
Ganz praktikabel glaube ich nicht, dass die AfD so einen Riesenwert auf ein Landratsamt legt. So viel wird da nicht bewegt und gemessen an Landtagswahlen oder gar Bundestagswahlen ist das ziemlich unwichtig. Aber der Boost, den sie aus der Aktion ziehen wird, der ist ungleich stärker. Björn Höcke kann sich derzeit keine bessere Wahlkampfhilfe wünschen. Das Narrativ der AfD, dass die etablierten Parteien einen undemokratischen Machtblock bilden, ohne das geringste für den Bürger zu empfinden, wird gerade massiv bedient. Wenn man bestätigen will, dass man den Begriff Demokratie nur als Lippenbekenntnis und als Waffe gegen Andersdenkende einsetzen will, dann hat die SPD gerade die Methode gefunden, wie man das am besten bewerkstelligt.

Man fragt sich wirklich was solche Vollidiotien sollen. Die Parteien haben die letzten Jahre durch bewiesen, dass sie sachlich im Wesentlichen inkompetent sind, aber politisches Gespür und Willen zur Macht war deutlich vorhanden. Das haben offensichtlich mehr und mehr verloren, umso größer die Angst davor wird, dass man für das eigene Handeln irgendwann Verantwortung wird übernehmen müssen. 

Geschickt wäre es gewesen, dass zu tun, mit dem alle eigentlich insgeheim gerechnet haben: Den Mann zu blockieren wo es geht, ihn zu behindern, Geld abzudrehen und jeden Einfluß zu verwenden, dass der Landkreis auf den Hund kommt. Nicht unbedingt ethisch, aber politisch logisch. Aber diese dämlich Frontalangriff auf die Demokratie ist einfach nur das: Dämlich. Man muss in Deutschlands Politik kein Demokrat sein. Aber man sollte es nicht so offen zeigen. 
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Llarian

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