11. Juni 2023

C. M. Kornbluth, "Die Sauregurkenzeit" (1950)





Es war ein heißer Sommernachmittag in unserer Abteilung der World Wireless-Nachrichtenagentur in Omaha, und die Zentrale in New York drängte auf neue Meldungen. Es gab aber nichts zu vermelden, weil des ein heißer Sommernachmittag war. Ein Bericht über die abgelaufenen Baseballsaison war vor einer Stunde rausgegangen, und damit hatte es sich. Außer Baseball fällt im Sommer nichts an. In den Hundstagen fahren die Politiker in die Wälder in Maine, um zu angeln und sich volllaufen zu lassen, Einbrecher sind zu erschöpft, um einzubrechen und Ehefrauen überlegen es sich noch einmal und schlagen ihren Männern erst später im Jahr den Schädel ein.

Ich blätterte einige Pressemitteilungen durch. Ein schludrig auf Matrize getipptes Blatt verkündete: „Wußten Sie, daß der sommergemäße Weg zu Erfrischung und Gesundheit durch Zitronen-Limonade von führenden Physiotherapeuten von Maine bis Kalifornien empfohlen wird? Der Bundesverband der Zitrusfruchtanbauer teilte heute mit, daß einer Umfrage unter 2500 Physiotherapeuten in 57 Städten mit mehr als 25.000 Einwohnern ergeben hat, daß 87 Prozent von ihnen zwischen Juni und September mindestens ein Glas Zitronenlimonade an Tag trinkt, und daß 72 Prozent von ihnen nicht das kühlende und köstliche Getränk nicht nur selbst genießen, sondern es auch verschreiben…“ ­

Der Fernschreiber spuckte wieder eine Botschaft aus New York aus. „960:HW EILMLDG? SND UMGHD.“

Damit teilte New York mit, daß sie eine knackige und interessante Meldung erwarteten, und zwar „umgehend.“ Ich setze mich an die Fernschreibertastatur und tippte ein: „96NY: KMT 40 MIN: OM.“

Mit der Zitronenlimonade war es Essig. Ich ging den Stapel weiter durch. Die Landesuniversität hatte den Gouverneur zu ihrer Sommerkonferenz über Methoden und Zeile beim zweiten Bildungsweg eingeladen. Das Landwirtschaftsministerium wollte, daß ich die Bauern davor warnen sollte, ihre Schweine nicht dem vollen Sonnenlicht auszusetzen. Der Manager eines fünftklassigen Lokalstars hatte ein Porträt seines Schützlings geschickt und ein paar gültige Presseausweise für seinen nächsten Auftritt in Omaha. Von der Schwartz-and-White-Bandagen-GmbH kam ein Hochglanzphoto im Format 20 auf 25 Zentimeter, das eine Blondine in einem Badeanzug zeigte, der aus zwei Erste-Hilfe-Verbänden improvisiert worden war.

Der begleitende Text: “Unser keckes Starlet Miff McCoy ist für jeden Notfall am Strand bereit. Sie trägt nicht nur einen aparten Badeanzug: zwei Allzweck-Bandagen aus der Produktion von Schwartz and White im Omaha. Sollte sich jemand beim Sport an Strand einen Rippenbruch zuziehen, dann kann Miffs Badeanzug erste Hilfe leisten.“ Ganz bestimmt. Der Rest des Stapels war noch dürftiger. Ich entsorgte ihn geschlossen in die runde Ablage und fing an, mir trotz der Hitze das Hirn zu zermartern.

Mir wurde klar, daß ich mir selbst etwas ausdenken mußte. Leider hate es in diesem Sommer noch keine große Sommerlochgeschichte gegeben – keine fliegenden Untertassen, keine Ungeheuer in den Everglades in Florida, oder Einbrecher mit Chloroform, die nachts die Großstädte unsicher machte. In diesem Fall hätte ich mich an den Trend anhängen können, aber so mußte ich mit etwas Neuem kommen, was um einiger schwieriger und riskanter ist.

Die fliegenden Untertassen? Die konnte ich nicht einfach wieder ausgraben – sie waren seit vielen Jahren in Vergessenheit geraten – außer bei älteren Journalisten. Auch von der Riesenschildkröte aus dem Huronsee hatte man seit Jahren nichts mehr gehört. Wenn ich Banditen mit Chloroform losschickte, würde zwar jede ältere Dame im Bundesstaat Stein und Bein schwören, daß sie die Gangster beim Versuch, einzubrechen, gehört und das Chloroform gerochen hatten, aber die Polizei würde das weniger spaßig finden. Mysteriöse Botschaften auf dem Weltraum, aufgefangen von Radarlabor an der Universität? Vielleicht. Ich spannte ein Blatt Papier in die Schreibmaschine, sah es an und verfluchte die Sauregurkenzeit.

Ich erhielt einen kurzen Aufschub: der Fernmeldedrucker von Western Union neben dem Schreibtisch klingelte und sein schwaches gelbes Lämpchen begann zu blinken. I tippte: „“WW GA PLA,“ und die Maschine begann, gelb beschichtetes Papier auszuspucken, auf dem mir dies mitgeteilt wurde:

„WW CO62 R-GSPRCH: FT HICK ARK AUG 22 105P – WORLDWIRE OMAHA – GEMEINDESHERIFF PINKNEY CRAWLES HEUTE GETÖTET SELTSAME UMSTÄNDE ANGELAUSFLUG OZARK DORF RUSH CITY. ANRUF N HICKS V EINW ‘ZU TODE VERBRANNT LEUCHTENDE KUPPELN LETZTE WOCHE ERSCH‘. LEICHE N HICKS GBRCHT. ANRUF RUSH PLZBEAMT P.C. ALLENBY: ‚SIEBEN GLASKUPPELN HAUSGROSS LICHTUNG 1 ML SÜDL V DORF. RUSHER HIELTEN ABSTAND. CRAWLES GWRNT HAT BERÜHRT UND STARB BRANDWUNDEN.‘ PS RUSH ANRUFKOSTEN $1.85. SLL ICH AM BALL BLBN? – BENSON – ANGELAUSFLUG RUSH HICKS LETZTE WOCHE HAUSGROSS 185 428P CLE“

Das war genau das, was ich brauchte. Ich bestätigte den Eingang und tippte in rasender Eile meine Meldung. Ich ließ den Streifen durch den Fernschreiber laufen, ehe New York noch weiter drängeln konnte. Der Empfänger in New York meldete sich sofort und gab meinen Bericht unverzüglich weiter:

“WW72 (EILMELDUNG)

FORT HICKS, ARKANSAS, 22 AUG – (WW) – AUF MYSTERIÖSE WEISE IST HEUTE IN EINEM WINZIGEN DORF IN DEN BERGEN DER OZARKS EIN POLIZEIBEAMTER UMS LEBEN GEKOMMEN. MARSCHALL PINKNEY CRAWLER AUS FORT HICKS BEFAND SICH AUF EINEM ANGELAUSFLUG ZU DEM DORF RUSH CITY UND ERLITT TÖDLICHE BRANDVERLETZUNGEN. BETROFFENE BEWOHNER VON RUSH CITY MACHTEN DAFÜR „LEUCHTENDE KUPPELN“ VERANTWORTLICH. IHREN AUSSAGEN ZUFOLGE SOLLEN DIE OBJEKTE VOR EINER WOCHE AUF EINER WALDLICHTUNG EINE MEILE SÜDLICH DES ORTES ERSCHIENEN SEIN. ES HANDELT SICH UM SIEBEN SOLCHR OBJEKTE, DIE JEWEILS DIE GRÖSSE EINES HAUSES AUFWEISEN SOLLEN. DIE EINWOHNER VON RUSH CITY WAGTEN ES NICHT, SICH IHNEN ZU NÄHERN. SIE WARNTEN MARSCHALL CRAWLES, ABER ER ACHTETE NIHT AUF IHRE WARNUNG. DER FÜR RUSH CITY ZUSTNÄDIGE POLIZEIBEAMTE P.C. ALLENBY WAR ZEUGE DES UNGLÜCKS. ER SAGTE SPÄTER: ‚DA GIBT ES NICHT VIEL ZU ERZÄHLEN. MARSCHALL CRAWLES GING ZU EINER DER KUPPELN UND BERÜHRTE SIE MIT DER HAND. ES GAB EINEN HELLEN BLITZ, UND ALS ICH WIEDER ETWAS ERKENNEN KONNTE, WAR ER SCHON VERBRANNT.‘ KONSTABLER ALLENBY IST DABEI, DIE LEICHE VON MARSCHALL CRAWLES NACH FORT HICKS ZU ÜBERFÜHREN. 602P220.“

Das müßte sie erst mal eine Weile beschäftigen, dachte ich bei mir. Mir fiel Bensons „PS“ ein und ließ einen Fernruf nach Fort Hicks durchstellen. Die Telefonistin in Omaha wollte die Rufnummer in Fort Hicks wissen, aber die war natürlich unbekannt. Die Telefonistin in Fort Hicks wollte wissen, mit wem sie verbinden sollte. Omaha ließ sich schließlich entlocken, daß wir Mr. Edwin C. Benson sprechen wollten. Fort Hicks stellte laut ein paar Überlegungen an und kam zu dem Schluß, daß Ed wahrscheinlich noch auf der Polizeiwache war, falls er nicht schon zum Abendessen nach Hause gegangen war. Sie verband uns mit der Wache und ich hatte Benson am Apparat. Er hatte eine angenehme Stimme, sie eher nicht nach einem Hinterwäldler aus Arkansas klang. Ich erzählte ihm das Übliche von sorgfältig recherchierten Meldungen, von Berufsethos und so fort. Er nahm das ziemlich reserviert auf, was mir seltsam vorkam. Normalerweise geht so etwas Landeiern runter wie Butter. Ich fragte ihm, wo er herkäme.

„Fort Hicks,“ sagte er. „aber ich bin ein bißchen in der Welt herumgekommen. Ich war Gerichtsreporter in Little Rock -“ – am dieser Stelle hätte ich fast laut gelacht, aber das Lachen blieb mir im Hals stecken, als er fortfuhr -„war dann für AP in deren Büro in New Orleans tätig und habs bis zum Agenturchef gebracht. Aber die Arbeit für Agenturen hat mir nicht zugesagt. Hab dann einen Posten in der Redaktion der Chicago Tribune gefunden. War nicht von Dauer – sie haben mich in ihre Redaktion in Washington versetzt. Also bin ich zur New York Times gegangen. Die haben mich als Kriegsberichterstatter eingesetzt, bis ich verwundet worden bin und jetzt wieder in Fort Hicks bin. Jetzt schreibe ich für Zeitschriften. Sitzen Sie an der Rush-City-Sache?“

„Ja,“ gab ich kleinlaut zu. „Bitte reden Sie ganz offen. Was denken Sie darüber? Ist das eine Ente?“

„Ich hab mir die Leiche von Pink beim Bestatter angesehen, und ich hab‘ mit Allenby aus Rush City gesprochen. Pink hatte Brandwunden, und Allenby hat seine Geschichte nicht erfunden. Soweit ich das beurteilen kann, stimmt die Sache so. Ich halte Sie auf dem Laufenden. Bitte denken Sie an die ausstehenden Einfünfundachtzig.“

Ich versprach es ihm und legte auf. Edwin C. Benson hatte mir einen ganz schönen Schreck eingejagt. Ich fragte mich, wie schwer er verwundet worden war, um eine glänzende Reporterkarriere aufzugeben und sich in den Ozarks zu verkriechen.

* * *

Dann bekam ich einen Anruf vom lieben Gott – oder vielmehr dem Aufsichtsratsvorsitzenden von World Wireless. Er befand sich auf Angelurlaub in Kanada, wie alle richtigen Aufsichtsratsvorsitzenden während der Sauregurkenzeit, aber er hatte Nachrichten im Radio gehört, in denen meine Rush City-Meldung gebracht worden war. Er hatte ein Mobiltelephon in seinem Wohnwagen und brauchte weniger als fünf Minuten, um meine Urlaubsplanungen und Vertretungen über den Haufen zu werfen. Ich sollte persönlich in Rush City vorbeischauen und mich vor Ort um die Sache kümmern. Ich sagte ja und setzte mich mit meinen Leuten zusammen. Mein Redakteur vom Nachtdienst wurde von seiner besseren Hälfte ausgenüchtert und in passablem Zustand im Büro abgeliefert. Ein Telegrafist auf Urlaub konnte erreicht und zu einer kurzen Unterbrechung überredet werden. Ich rief bei einem Taxiunternehmen an und bestellte ein Langstreckentaxi für die nächste Stunde aufs Dach. Ich bat ausdrücklich darum, daß sie ihren besten Fahrer schicken sollten und ihm Karten für Arkansas mitgeben sollten.

In der Zwischenzeit waren zwei weitere Depeschen „mit Kuppeln“ von Benson eingetroffen und weitergegeben worden. Ich verfolgte zwei Nachrichtensendungen. In der zweiten kam ein Bericht darüber, der von einer anderen Agentur kam. Ich wies des Nachtredakteur ein – und ging nach oben aufs Dach, um auf das Taxi zu warten.

Der Fahrer hob ab, während sich über uns ein Gewitter zusammenbraute. Wir mußten darüber aufsteigen, und als wir wieder tief genug fliegen konnten, um nach Sicht zu steuern, hatten wir die Orientierung verloren. Wir flogen fast die ganze Nacht im Kreis, bis der Fahre um halb vier morgens einen Peilsender empfing, der auf seinen Karten eingezeichnet war. Wir landeten in Fort Hicks, als die Sonne gerade aufging, in ziemlich gereizter Verfassung.

Der Flughafenbeamte in Fort Hicks erklärte mir, wo Benson wohnte, und ich machte mich zu Fuß auf den Weg. Es war ein Haus mit weißen Holzschindeln als Wänden. Eine stille Frau in mittleren Jahren macht mir auf. Es war seine verwitwete Schwester, Mrs. McHenry. Sie machte mir einen Kaffee und erzählte, daß sie die ganze Nacht über wach gewesen sei und darauf gewartet hätte, daß Edwin von Rush City zurückkommen würde. Er war um 8 Uhr abends aufgebrochen, und mit dem Auto waren es nur zwei Stunden. Sie machte sich Sorgen. Ich versuchte, sie über ihren Bruder auszuhorchen, aber sie meinte nur, er sei das Familiengenie. Über seine Arbeit als Kriegsberichterstatter wollte sie mir nichts erzählen. Sie zeigte mir ein paar der Reportagen, die er für Zeitschriften verfaßt hatte – Beziehungsgeschichten für größere Illustrierte. Er schien alle paar Monate eine davon zu verkaufen.

Uns war der Gesprächsstoff ausgegangen, als ihr Bruder hereinkam und ich entdeckte, was seine Reporterkarriere beendet hatte. Er war blind. Abgesehen von einer dicken braunen Narbe, die isch von seiner linken Schläfe über das Ohr hinweg bis in den Nacken zog, war er ein angenehm wirkender Mann Mitte der Vierzig.

„Wer ist das, Vera?” wollte er wissen.

“Das ist Mr. Williams, der Herr der dich heute aus Omaha angerufen hat – Entschuldigung: gestern.

“Wie geht’s, Williams? Bleiben Sie sitzen,“ setze er hinzu. Ich vermutete, daß es das leise Knirschen des Stuhls gehört hatte, als ich mich vorbeugte, um aufzustehen.

„Das hat so *lange* gedauert, Edwin,“ sagte seine Schwester, erleichtert und vorwurfsvoll.

„Howie, dieser Trottel – mein Chauffeur heute nacht,“ fügte er mit einem Seitenblick auf mich hinzu,“ hat sich auf den Anfahrt und auf dem Rückweg verfahren. Aber ich habe in Rush City länger gebraucht, als ich vorgehabt hatte.“

“Williams, hinsichtlich der leuchtenden Kuppeln gibt es unterschiedliche Ansichten. Die Leute in Rush City behaupten, es würde sie geben, und ich behaupte, es gibt sie nicht.“

“Was ist passiert?” fragte ich.

„Dieser Allenby hat mich und ein paar andere Wagemutige dahin gefahren, um sie uns anzusehen. Sie haben mir genau beschrieben, wie sie aussehen. Sieben Halbkugeln auf einer Waldlichtung, so hoch wie Häuser, in denen sich das Licht der Scheinwerfer spiegelt. Aber sie waren nicht da. Nicht für mich, und auch für keinen anderen Blinden. Ich weiß, wenn ich vor einem Haus stehe – oder etwas anderem von dieser Größe. Ich bemerke das, weil die Haut in meinem Gesicht leicht zieht. Das läuft unbewußt ab, aber an dem Vorgang ist nichts Geheimnisvolles.

„Die Blinden haben – notwendigerweise – einen akustischen Eindruck von der Welt um sie herum. Wir hören einen schwachen Luftzug, der bedeutet, daß wir uns an einer Häuserecke befinden, wir hören und fühlen die Turbulenzen in der Luft auf vielbefahrenen Straßen. Manche von uns können durch einen Hindernisparcours gehen und stoßen niemals irgendwo an. Ich bin nicht so gut darin, vielleicht weil ich noch nicht so lange blind bin wie sie, aber ich merke zum Kuckuck, wenn sich sieben hausgroße Objekte direkt vor mir befinden, und auf der Lichtung bei Rush City gab es keine.“

“Na dann.” Ich zuckte mit den Achseln. „Das wars dann mit einer guten Sommerlochgeschichte. Was für eine Nummer ziehen die Leute aus Rush City da ab, und wozu soll das dienen?“

“Keine Nummer. Mein Fahrer hat die Kuppeln auch gesehen. Und vergessen Sie nicht den Marschall. Pink hat sie nicht nur gesehen, er hat sie auch berührt. Ich weiß nur, daß andere Menschen sie wahrnehmen und ich nicht. Wenn sie existieren, dann auf eine Art und Weise, die mir noch nie vorher begegnet ist.

„Ich schaue mir das selbst an,“ entschied ich.

„Das ist das Beste,“ sagte Benson. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Sie können unseren Wagen nehmen.“ Er beschrieb mir den Weg, und ich schrieb ihm ein paar Termine auf. Wir brauchten das Ergebnis der Leichenschau, das heute vorliegen sollte, einen Augenzeugenbericht - der seines Fahrers würde ausreichen – ein paar Hintergrundinformationen über die Gegend hier und ein paar Stellungnahmen von den örtlichen Stellen.

* * *

Ich setzte mich in sein Auto und war in zwei Stunden in Rush City. Es erwies sich als winzige Ansammlung von unlackierten Blockhäusern mitten in den Kiefernwäldern, die für das Hügelland der Ozarks so typisch sind. Es gab einen Kramladen mit dem einzigen Telephon der ganzen Siedlung. Ich vermutete, daß die Nachrichtenagenturen und die eine oder andere Zeitungsredaktion den Draht zu Glühen gebracht hatte. Als ich eintrat, lehnte ein Polizist in einer geschniegelten Uniform der Theke für Rauchwaren, die mit Fliegendreck übersäht war.

„Ich bin Sam Willliams, von World Wireless,“ sagte ich zu ihm. „Wollen Sie sich die Kuppeln anschauen?“

„World Wireless hat die Geschichte doch zuerst gebracht, oder?“ fragte er und warf mir einen Blick zu, aus dem ich nicht recht schlau wurde.

„Richtig. Unser Korrespondent hat sie uns gekabelt.“

Das Telephon klingelte, und der Polizist hob ab. Anscheinend handelte es sich um einen Rückruf aus der Staatskanzlei, um den er gebeten hatte.

„Nein, Sir,“ sagte er in die Muschel. „Nein, Sir. Sie bleiben alle bei ihrer Geschichte, aber ich habe selber nichts gesehen. Verstehen Sie? Sie sind dort jetzt nicht mehr zu sehen, aber *sie* schwören, daß sie da waren.“ Nach einigen weiteren „Nein, Sir!“ legte er auf.

„Wann ist das passiert?“ fragte ich.

„Vor etwa einer halben Stunde. Ich bin gerade mit meinem Motorrad von da gekommen, um Rapport zu erstatten.“

Das Telephon läutete erneut, und ich schnappt mir den Hörer. Es war Benson, der mit mir sprechen wollte. Ich wies ihn an, ein Telegramm über das Verschwinden nach Omaha abzusetzen und machte mich auf die Suche nach Allenby. Er sah aus wie ein Bühnenheld im Provinztheater, mit einem vernickelten Sheriffstern und einem Revolver. Er steig gutgelaunt zu mir ins Auto und lotste mich zur Lichtung.

Mittlerweile führte ein gut erkennbarer Trampelpfad zu der Stelle im Wald, aber am Ende des Wegs wartete eine Enttäuschung. Die Lichtung war leer. Ein paar Jungs, die sich sichtlich nicht zu weit ins Freie hinaus wagten, erzählten uns ziemlich widersprüchliche Versionen vom Verschwinden der Kuppeln, und ich notierte mir ein paar der wildesten für meine Meldung. Darin kamen blaue Blitze und ein Gestank nach Schwefelkerzen vor. Das war alles.

Ich fuhr Allenby zurück. Mittlerweile war ein mobiles Fernsehteam von einem der großen Sender vor Ort. Ich sagte hallo, wartete, bis der Mann von A.O. am Telephon seinen Bericht durgegeben hatte und diktierte meine Meldung dann Omaha direkt in den Block. Das Dorf füllte sich allmählich mit Journalisten von den Agenturen, den großen Tageszeitungen, Rundfunk, den Fernsehanstalten und den Wochenschauen. Sie würden nicht viel davon haben. Die Geschichte war beendet – so dachte ich mir. Ich genehmigte mir an der Ecke des Kramladens mit den beiden Eßtischen einen Kaffee und fuhr dann nach Fort Hicks zurück. Benson gab unermüdlich Interviews am Telephon und setzte Telegramme noch Omaha ab. Ich sagte ihm, daß er es jetzt langsamen angehen lassen könnte, dankte ihm für seine gute Arbeit, bezahlte ihm das Benzin und marschierte zum meinem Taxi auf dem Flugplatz. Mittlerweile war für die Wartezeit ein ziemlicher Betrag aufgelaufen.

Auf dem Rückflug hörte ich mir die Radionachrichten an und war nicht wirklich überrascht. Die leuchtenden Kuppeln waren nach dem Baseball das alles beherrschende Thema. Leuchtende Kuppeln waren in zwölf Bundesstaaten gesichtet worden. Manche summten seltsam. Es gab sie in allen Größen und Farben. Eine trug unentzifferbare Inschriften. Eine war durchsichtig, und im Inneren hielten sich große grüne Männer und Frauen auf. In einer morgendlichen Quizsendung für weibliche Zuhörer riß der Quizmaster in einem fort Witze über die Kuppeln. Ich erinnere mich an eine neue Variante zum alten Witz über „Eierköpfe.“ Er machte daraus „Kuppelköpfe“ und die Gäste im Studio platzten fast vor Lachen.

Wir machten in Little Rock Zwischenlandung, um zu tanken, und ich besorgte mir zwei Nachmitttagausgaben der großen Zeitungen. In beiden waren die leuchtenden Kuppel der große Aufmacher. Die eine brachte den Bericht von World Wireless und hatte die Meldung über das Verschwinden der Kuppeln angefügt. Das andere Blatt gehörte nicht zu den Kunden von World Wireless, aber die Berichte der anderen Agenturen und ihrer „Sonderberichterstatter“ (im Klartext: Anrufe im Kramladen von Rush City), waren sie auf dem gleichen Stand wie wir. Beide Blätter brachten unter dem Leitartikel auf der Titelseite eine eilig hingeworfene Karikatur. Das eine, regierungskritisch eingestellt, zeigte den Präsidenten, der vorsichtig eine Hand nach der Kuppel auf dem Kapitol ausstreckte, die als Leuchtende Kuppel dargestellt war und die Aufschrift trug: „LEUCHTENDE KUPPEL DES KONGRESSES WEHRT GRIFF NACH DIKTATORISCHER VOLLMACHT AB.“ Am Rand der Zeichnung war ein kleines Männlein zu sehen, das als „Mr und Mrs. Normalo, ehrbare Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika“ ausgewiesen war und über dem die Sprechblase schwebte: „VORSICHT, MR. PRESIDENT! DENKEN SIE DARAN, WIE ES PINKNEY CRAWLES ERGANGRN IST!“

Das andere Blatt, regierungsfreundlich, zeigte eine leuchtende Kuppel, die die Gesichtszüge des Präsidenten trug. Eine Gruppe fetter kleiner Männlein in Gehröcken, Cowboy-Krawatten und breitkrempigen Hüten, die als „VERLEUMDER UND GEDUNGENE SCHWINDLER AUS DEM KONGRESS“ ausgewiesen waren, schlichen mit ausgestreckten Armen auf die Kuppel mit dem Antlitz des Präsidenten zu. Über der Zeichnung prangte die Zeile: „WER SICH DA WOHL WEHTUN WIRD?“

Wir landeten in Omaha. Im Büro liefen die Dinge wie geschmiert. Unsere Kunden rissen uns unsere Kuppelberichte aus den Händen und fragten telegraphisch nach mehr. Ich ließ mir aus unserem Archiv den Ordner zu den „Fliegenden Untertassen“ holen und die zu der „Riesenschildkröte im Huronsee“ und dem „Bayou-Vampir“ und noch ein paar weitere, die noch weiter zurückreichten. Ich breiteten die alten Zeitungsausschnitten vor mir auf dem Schreibtisch aus und versuchte sie so zu ordnen, daß sie eine halbwegs sinnvolle Geschichte ergaben. Ich sah mir die letzte Meldung an, die von Western Union aus dem Drucker gekommen war. Sie stammte von unserem Agenten in Owosso in Michigan, und teilte mit, wie Mrs. Lettie Overholtzer (61), um Mitternacht mitten in ihrer Küche eine leuchtende Kuppel gesehen hatte. Sie wuchs an wie eine Seifenblase, bis sie die Größe ihres Kühlschranks erreicht hatte, und verschwand dann.

Ích klopfte beim diensthabenden Redakteur an und erklärte ihm: „Am besten, wir bringen sowas wie die Lettie Overholtzer-Sache nicht. Wir können das sehr dosiert einsetzen, aber ich will die Story nicht abschießen. Da könnte noch mehr kommen, und dann bleibt uns kein Spielraum mehr. Dann glaubt uns niemand mehr ein Wörtchen.“

Er blickte mich leicht überrascht an. „Glaubst du wirklich, das an der ganzen Sache etwas ist?“

„Keine Ahnung. Vielleicht. Ich hab‘ selber nichts gesehen, und der Einzige, dem ich dort über den Weg traue, kann sich nicht entscheiden. Wenn unsere Kunden da mitmachen, sollten wir versuchen, den Ball möglichst flach zu halten.“

Ich fuhr nach Hause, um ein wenig Schlaf nachzuholen. Als ich wieder ins Büro kam, mußte ich feststellen, daß unsere Kunden nicht mitgemacht hatten. Bei den anderen Nachrichtenagenturen schien niemand ernsthaft daran zu glauben, daß in Rush City irgendetwas Außergewöhnliches passiert war, und so brachten sie fröhlich Meldungen über die Lettie Overholtzers dieser Welt und Karten, auf denen sämtliche Kuppelsichtungen eingetragen waren und Tabellen mit der Anzahl der gesichteten Kuppeln.

Uns blieb keine Wahl, als mitzumachen. Unsere Redaktion in Washington trat dem Pentagon und der Atomenergiekommission so lange auf die Füße, bis sie offizielle Stellungsnahmen abgaben, und zwischen der Marine und der Air Force kam es zu einem Wettlauf, wer als erster eine Untersuchungskommission nach Rush City schicken könnte. Anschließend ging es darum, wer zuerst einen Bericht veröffentlichen würde. Die Air Force gewann dieses Rennen. Bevor die Woche herum war, tauchten die ersten „Domies“ in den Geschäften auf – Kindermützen in Form leuchtender Kuppeln, die aus durchsichtigem Kunststoff gefertigt waren. Wir konnten nicht untätig zusehen. Ich hatte die Lawine losgetreten, jetzt war sie außer Kontrolle und rollte unaufhaltsam weiter.

Die World Series im Baseball, die beste seit langer Zeit, brachte schließlich das Aus für die Kuppeln. Unter den Nachrichtenagenturen kam es zu einem stillschweigenden Abkommen, nicht mehr jedes Mal eine Meldung zu bringen, wenn eine hysterische Hausfrau eine Kuppel sah oder ihren Namen in der Zeitung sehen wollte. Und natürlich hörten die Leute auf, Kuppeln zu sehen, wenn sie dafür nicht mehr in den Medien auftauchten. Es lohnte sich einfach nicht mehr. Brooklyn gewann die Meisterschaft, die internationalen Spannungen stiegen, je mehr die Temperaturen fielen, die Einbrecher gingen wieder ihren Geschäften nach und ein praller Aktenordner mit der Aufschrift „KUPPELN, LEUCHTENDE“ wanderte in unser Archiv. Die Leuchtkuppeln waren Geschichte, und bald würden Doktoranden der Psychologie anfragen und um Einsicht darin bitten.

Mir schien, daß das einzige Ergebnis war, daß wir wieder einmal einen Sommer ohne allzuviel Leerlauf hinter uns gebracht hatten, und daß Ed Benson und ich uns noch angelegentlich schrieben.

* * *

Das Journalistenjahr ging seinen gewohnten Lauf. Baseball wurde von Football abgelöst. Die im nächsten Jahr anstehenden Präsidentenwahlen hielten uns auf Trab. Weihnachten kam näher, mit den üblichen Berichten und Aufmacher über Santa Claus, Indiana. Weihnachten ging vorüber, und wir hakten die Berichte über Schnapsleichen zu Neujahr in New York ab und begannen mit der Planung für die großen Stories des kommenden Jahres. 103 Bowl Games im Football aus Anlaß des Jahreswechsels, Rekordschneefall in den Rocky Mountains und Rockise. Frühjahrsüberschwmmungen in Ohio und im Columbia River Valley, zwanzig schmackhafte Ostergerichte und Ostern in aller Welt. Baseball. Sommerzeitumstellung. Muttertag. Derby Day, und die Derbys der Preakness und Belmont Stakes im Mai.

Ungefähr zu dieser Zeit erhielt ich einen Brief von Benson, der mich alarmierte. Ich hatte den Eindruck, daß er den Kontakt zur Wirklichkeit verlor. Es war nicht so sehr das Thema, sondern weil er etwas schrieb, das kein Mensch bei normalem Verstand so äußern würde. Er erwähnte, daß er auf eine Wiederholung der Kuppelgeschichte warten würde, oder auf etwas Ähnliches. Er schrieb, daß „sie“ die Sache wahrscheinlich für einen vollen Erfolg halten und entsprechend weitermachen würden. Ich antwortete ihm in zurückhaltendem Ton, was ihn amüsierte.

Er schrieb zurück: „Ich würde mich nicht so äußern, wenn ich dadurch etwas zu verlieren hätte. Aber Sie wissen ja, wie es mir geht. Das hier ist einfach eine logische Vermutung, abgeleitet von dem, wie es im Leben zugeht und aus den Fabeln von Äsop. Und wenn es wieder losgeht, habt ihr es nicht mehr ganz so leicht wie beim letzten Mal, oder?“

Ich vermutete, daß er mich damit nur aufziehen wollte, aber ich war mir nicht sicher. Wenn jemand von „ihnen“ anfängt und davon, was „sie“ im Schilde führen, ist das in der Regel kein gutes Zeichen. Aber ob „logische Vermutung“ oder nicht, so etwas wie die Kuppeln tauchte Ende Juli auf, während einer fürchterlichen Hitzewelle.

Diesmal waren es schwarze Kugeln, die durch die Gegend rollten. DIe Kugeln wurden von einer Baptistengemeinde in Kansas gesichtet, die sich auf der Prärie versammelt, um für Regen zu beten. Etwa achtzig Baptisten schworen heilige Eide auf die Bibel, daß sie große schwarze Kugel gesehen hatten, etwa zehn Fuß hoch, die über die Prärie rollten. Einer von ihnen war nur um fünf Meter verfehlt worden. Die anderen hatten Reißaus genommen, nachdem sie sich sicher waren, daß die Kugeln wirklich da waren.

World Wireless brachte die Story nicht als erste, aber sobald wir davon Wind bekamen, hängten wir uns in die Sache rein. Da ich jetzt unser ausgewiesener Sommerlochexperte für den mittleren Westen war, machte ich mich auf den Weg nach Kansas.

Die Sache ließ sich fast genau so wie in Arkansas an. Die Baptisten waren felsenfest davon überzeugt, daß sie die Kugeln gesehen hatten – mit einer Ausnahme. Die Ausnahme war ein Greis mit einem Patriarchenbart. Er war derjenige, der kein Fersengeld gegeben hatte und an dem sie im kürzestem Abstand vorbeigerollt waren. Er war blind. Er erklärte mir mit ziemlichem Nachdruck, daß er bemerkt hätte, wenn ein paar große Kugel fünf Meter entfernt – oder auch fünfundzwanzig - an ihm vorbeigerollt wären.

Der alte Emerson erklärte mir nichts von Luftströmungen wie Benson. Für ihn war die Sache selbstverständlich. Der Herr hatte ihm das Augenlicht genommen, und ihm zum Ausgleich einen anderen Sinn geschenkt, der ihm im Notfall helfen würde.

„Das kannst du mir glauben, Söhnchen!“ schnarrte er verärgert. „Komm mal her, stell dich vor mich, warte ein bißchen und halt mir dann mal die Hand vors Gesicht. Ich sag dir, wenn du das machst, egal wie leise du bist.“ Was er auch tat, drei Mal, und dann nahm der mich mit auf die Hauptstraße seines kleinen Präriedorfs. Vor dem Getreideheber standen ein paar Traktoren mit hoch beladenen Anhängern, und er führte mir vor, wie er zwischen ihnen hindurch lief und sie umkreiste, ohne auch nur ein einziges Mal anzustoßen.

Das - und die Sached mit Benson – sah mir ganz danach aus, daß diese Dinger mit den Kuppeln zusammenhingen – was sie auch immer schein mochten. Ich schreib eine Meldung, in der ich auf den Aspekt der blinden Zeugen einging. Als ich wieder in Omaha war, mußte ich feststellen, daß dieser Bericht von uns freigegeben, aber von der Zentrale in New York abgewürgt worden war..

Wir zogen die Sache mit den schwarzen Kugeln in der üblichen Weise auf, aber sie hiel6t sich nicht lange. Die Karikaturisten ließen schnell wieder die Finger davon, und sie wurden nur von wenigen alten Jungfern gesichtet. Die Leute machten sie über sie als „typische Zeitungshysterie“ lustig, und einige anspruchsvolle Magazine brachten Artikel über „unverantwortlichen Tagesjournalismus.“ Nur die Rundfunkkomiker zogen sich wie üblich an dem Thema hoch, mußten aber feststellen, daß ihre Einschaltquoten einbrachen. Die Sender gaben eine Anweisung heraus, alle Witze darüber zu untersagen. Die Leute konnten das Thema schlicht nicht mehr hören.

„Es paßt,“ schrieb mir Benson. „Es regt die Phantasie an, wenn sie ab und zu mit Wundergeschichten gekitzelt wird, aber auf Dauer funktioniert das nicht. Dazu kommt noch der eingefleischte Zynismus, mit dem man in Amerika allen öffentlichen Verlautbarungen begegnet – das hat verhindert, daß die schwarzen Kugeln so begeistert aufgenommen worden sind wie die Kuppeln. Trotzdem sage ich voraus – und denken Sie daran, daß meine Vorhersagen bislang zu hundert Prozent eingetroffen sind! – daß wir im nächsten Sommer wieder ein Phänomen von der Art der Kuppeln und der schwarzen Kugeln bekommen werden. Und ich sage auch voraus, daß das neue Phänomen für jeden Blinden nicht existieren wird, wenn einer in der Nähe sein sollte.“

Falls er sich diesmal irren sollte, reduzierte das seine Trefferquote natürlich nur auf fünfzig Prozent. Ich schaffte es, die Wartezeit bis zum nächsten Sommer zu überstehen – der immergleiche Trott, den ich im Schlaf erledigen konnte. Manche Redaktionsmitglieder bekamen Magengeschwüre und hörten auf; Mitarbeiter lieferten schlechte Arbeit ab und wurden entlassen; Beleidigungsprozesse wurden eröffnet und beigelegt; einer unserer Redakteure erhielt ein Norman-Stipendium und ging nach Harvard; einem unserer Telegrafisten wurde die Hand von einer Autotür zerquetscht, sprang von der Brücke und mußte als Gelähmter weiterleben.

Mitte August, nachdem die Meteorologen seit 16 Tagen beständig “schönes und warmes Wetter“ angekündigt hatten, passierte es. Es war nichts, zu dem sich ein Blinder hätte äußern können, aber es trug „ihre“ Handschrift.

Ein Sommerseminar an unserer Landesuniversität war wegen der brütenden Hitze draußen abgehalten worden. Zwölf angehende Lehrer sagten aus, daß sich im Rasen vor ihnen ein Dutzend absolut kreisrunder Gruben auf dem Rasen vor ihnen auftaten, eine davon unter dem Pädagogik-Professor, der den Kurs leitete. Weiter sagten sie aus, daß der Professor mit verdutztem Gesichtsausdruck und einem herzzerreißenden Schrei in die absolut kreisrunde Grube gestürzt war. Des weiteren sagten sie aus, daß die Gruben eine halbe Minute lang zu sehen waren und dann wieder verschwanden. Das verbrannte Sommergras war wieder da, die Gruben waren fort, und ebenso der Professor.

Ich befragte jeden einzelnen von ihnen. Das hier waren keine Landeier, sondern erwachsene Männer und Frauen, jeder mit einem Universitätsabschluß, die den Sommer über an ihren Doktorarbeiten saßen. Ihre Geschichten stimmten so überein, wie ich das von erfahrenen und ausgebildeten Beobachtern erwartete.

Der Polizei hingegen war diese Einhelligkeit gleichgültig, weil sie daran gewohnt war, sich mit den weniger hellen Teilen der Bürgerschaft herumzuschlagen. Sie nahmen alle zwölf unter irgendeinem Vorwand fest – „Behinderung von Polizeibeamten bei der Ausübung ihrer Dienstpflichten,“ wenn ich mich recht entsinne – und waren drauf und dran, sie nach allen Regeln der Kunst in die Mangel zu nehmen, als ein Anwalt mit zwölf notariellen Ausfertigungen von Habeas Corpus auftauchte. Der Verdacht, den die Polizei im Stillen gehegt hatte, war, daß die Lehrer gemeinsame Sache gemacht hatten, um ihren Professor zu ermorden, obwohl niemand erklären konnte, warum sie so etwas tun sollten.

Das Verhalten der Polizei war typisch für die Reaktion der Öffentlichkeit. Die Zeitungen – die von den leuchtenden Kuppeln begeistert gewesen waren und etwa wenig weniger von den Kugeln – blieben vorsichtig. Manche griffen die Sache auf und brachten die schwarzen Löcher, aber sie erzielten damit keine höheren Verkaufszahlen. Die Leser beschwerten sich, daß die Presse ihren Verstand beleidigen würde. Und sie hatten von Wundergeschichten einfach die Nase voll.

Die wenigen Blätter, die die Gruben aufgriffen, wurden in den Zeitungen, die damit nichts zu schaffen haben wollten, in höchst gediegenen Leitartikeln heruntergeputzt.

Bei World Wireless schickten wir einen Vermerk an alle Korrespondenten: „Keine Meldungen in Sachen schwarze Löcher mehr schicken. Anfragen sind schriftlich an die nächste Redaktion zu richten, falls sich in Ihrem Bereich neue Entwicklungen ergeben.“ Wir erhielten etwa zehn schriftliche Anfragen, zumeist von Journalismusstudenten, die als Korrespondenten arbeiteten, und wir beschieden sie alle negativ. Alle alten Hasen verstanden sofort, woher der Wind wehte, und schickten uns erst gar keine Meldung, wenn irgendein Trunkenbold oder eine späte Jungfer jedem erzählte, daß sich vor der Dorfapotheke der Boden aufgetan hatte. Ihnen war klar, daß es wahrscheinlich gar nicht stimmte, und daß es niemanden im geringsten interessierte.

* * *

Ich berichtete Benson davon in meinen Briefen und fragte demütig nach seiner Vorhersage für den kommenden Sommer. Er antwortete, offensichtlich köstlich amüsiert, daß er ein weiteres Phänomen wie die letzten drei erwarte, möglicherweise auch zwei, und daß danach Schluß sein würde.

Jetzt, im Nachhinein, ist das so einfach zu erkennen, vorauszusehen, mit dem, was wir jetzt wissen!

Jeder Jugendliche könnte heute über Benson erklären: „Dieser verdammte Trottel! Jedem, der mehr Verstand als eine Laus hat, war doch klar, daß die das nicht noch zwei Jahre länger durchziehen konnten.“ Und irgendjemand hat es mir sogar wortwörtlich so zugeflüstert, als ich ihm davon erzählt habe. Und ich habe zurückgeflüstert, daß Benson alles andere als ein Trottel war, sondern im Gegenteil der einzige Mensch auf der Welt, von dem ich weiß, daß er die Bedeutung all dieser scheinbar zusammenhangloser Phänomene, über die ich hier schreibe, richtig erkannt hat.

Ein weiteres Jahr ging vorbei. Ich nahm drei Pfund zu, trank zuviel, zoffte mich unablässig mit meinen Mitarbeitern und erhielt eine ansehnliche Gehaltserhöhung. Ein unserer Telegrafisten bin bei unserer Weihnachtsfeier auf mich los und ich warf ihn raus. Im April kamen meine Frau und die Kinder nicht pünktlich aus den Ferien zurück. Ich rief in Florida an und bekam eine Entschuldigung über ein verpaßtes Flugzeug. Nach einigen weiteren verpaßten Flügen und Anrufen, erklärte sie mir schließlich, daß sie nicht zurückkommen *wollte*. Damit konnte ich leben. Ich spürte instinktiv, daß die kommende Sauregurkenzeit wichtiger war als die Frage, wer mit wem verheiratet blieb.

Im Juli kam ein Bericht über den Fernschreiber herein, als ein neuer Nachtredakteur eingeteilt worden war. Das Telegramm kam aus Hood River in Oregon. Unser Korrespondent teilte mit, daß mehr als einhundert „grüne Kapseln“ von gut fünfzig Meter Länge in einer Apfelplantage und der näheren Umgebung aufgetaucht waren. Der neue Man war schon lange genug bei uns, um sich an unsere Nachrichtensperren für das Sommerloch zu erinnern. Er gab die Meldung nicht weiter, ließ sie aber auf meinem Schreibtisch aufgespießt, damit ich mit am nächsten Morgen darüber amüsieren konnte. Ich vermute, daß das in jener in jeder anderen Nachrichtenagentur ebenso ablief. Ich kam um halb elf ins Büro und sah dem Stapel Notizen durch, die auf dem Zettelspießersteckten.Als ich die „grüne Kapsel“-Meldung sah, versuchte ich Portland anzurufen, bekam aber keine Verbindung. Dann klingelte das Telephon, und einer unserer Korrespondenten aus Seattle begann in den Hörer zu schrien, bevor die Verbindung unterbrochen wurde.

Ich zuckte die Achseln und reif Benson in Fort Hicks an. Er war auf dem Polizeirevier und fragte: „Ist es so weit?“

„Es ist soweit,“ sagte ich. Ich las ihm das Telegramm aus Hood River vor und setzte ihn über die ausgefallene Verbindung nach Seattle in Kenntnis.,

„Ach,“ sagte er erstaunt. „Ich hab‘ doch gesagt, daß es so kommen würde.“

„Daß es wie kommen würde?“

„Mit der Invasion. Ich wer nicht, wer sie sind – aber es ist die alte Geschichte vom Jungen, der ‚Wolf!‘ rief. Nur haben die Wölfe dieses Mal gemerkt…“ Dann war die Leitung tot.

Aber er hatte recht.

Die Menschen auf der Erde waren die Schafe.

Wir – die Journalisten, die Nachrichtenleute, von Radio, vom Fernsehen und den Nachrichtenagenturen – waren der Junge auf seinem Wachposten, der bereit sein sollte, Alarm zu schlagen.

Aber die gerissenen Wölfe hatten uns dazu verführt, so oft Alarm zu schlagen, daß die Dorfbewohner nicht mehr auf uns hörten, und zuhause blieben, als wirklich Gefahr drohte.

Die Wölfe, die sich jetzt ihren Weg durch die Ozarks brannten, ohne auf den geringsten Widerstand zu stoßen, waren die Marsbewohner – unter deren Joch wir jetzt unser elendes Dasein fristen.

* * *

Ich habe an dieser Stelle schon vor zwei Monaten eine Erzählung des „Berufszynikers“ der US-amerikanischen Science Fiction der fünfziger Jahre, dem heute ziemlich in Vergessenheit geratenen Cyril M. Kornbluth (1923-1958) übersetzt („Die Rakete von 1955,“ Zettels Raum vom 6. April 2023). „Aktueller Anlaß“ war vor neun Wochen der Konkurs des Raumfahrt-Startups Virgin Orbit von Robert Branson, nachdem der „erste Weltraumstart in Europa“ am 9. Januar 2023, der Versuch von einer umgebauten Boeing 747 über der irischen See mit einer zweistufigen methangetriebenen Rakete einen Satelliten in die Erdumlaufbahn zu befördern, fehlgeschlagen war, weil die zweite Stufe nicht zündete. Kornbluth malte sich schon 1939 die Inszenierung eines Raketenstarts als Bauernfängerei, als Spiel mit der Leichtgläubigkeit des Eintritt zahlenden Publikums aus. Mir liegt es fern, dem Unternehmer Branson oder anderen privaten Unternehmern bei der „Eroberung des Alls“ nichts als windige Geschäftemacherei zu unterstellen - schon gar nicht Elon Musk oder den Gründern der United Launch Alliance, Relativity Space oder ihren deutschen – genauer: bayerischen – Pendants Isar Aerospace oder RFA – das Kürzel steht für Rocket Factory Augsburg – die beide noch in diesem Jahr zum ersten Mal einen Raketenstart geplant haben. Aber wenn einem die Literatur hier eine solche Parallele anbietet, sehe ich mich zu sehr in Versuchung geführt, um ernsthaft widerstehen zu können (ganz nach dem bekannten Motto von Oscar Wilde: „I can resist everything except temptation“).

Auch dieser Beitrag ist einem solchen „aktuellen Anlaß“ geschuldet – nämlich der Meldung, die in der abgelaufenen Woche in zahlreichen englischsprachigen Medien verbreitet und auch bei uns aufgegriffen worden ist – so etwa in der „Computer-BILD,“ deren Netzauftritt ich meine folgenden Zitate entnehme. Dort konnte man am vergangenen Dienstag, dem 6. Juni, lesen, ein ehemaliger hochrangiger Mitarbeiter des amerikanischen militärischen Aufklärungsdienstes National Reconnaissance Office mit Namen David Charles Grusch habe vor dem amerikanischen Kongreß ausgesagt, die USA würden sich im Besitz von zwölf bis fünfzehn „funktionsfähigen Fluggeräten nichtmenschlicher Herkunft“ – vulgo: von UFOs oder „Fliegenden Untertassen“ – befinden, deren Technik sie seit Jahrzehnten erforschten und nachzubauen versuchten. Und weiter: es gebe seit Jahrzehnten zwischen den militärischen Großmächten einen Wettbewerb, in den Besitz solcher „außerirdische Technik“ zu kommen.

Mein heutiger Beitrag in Zettels Raum ist als erster Teil einer kleinen Reihe gedacht, in der ich im Lauf der nächsten ein oder zwei Wochen einmal auf die unterschiedlichen Aspekte einer solchen Behauptung eingehen möchte – und was davon zu halten ist. Zum einen möchte ich einen historischen Rückblick auf das Phänomen der „Fliegenden Untertassen“ werfen – das im Sommer 1947 mit einer Sichtung des amerikanischen Piloten Kenneth Arnold im Bundesstaat Washington seinen Anfang nahm und im Lauf der nächsten 45 Jahre um immer neue Facetten erweitert worden ist – bis Chris Carter mit seiner Fernsehserie um die FBI-Agenten Fox Mulder und Dana Scully in 10 Staffeln sämtliche dieser „neuzeitlichen Mythologeme“ gnadenlos als Steinbruch verwendete und allen „ernsthaften“ Medienberichten über Außerirdische, die den Erdlingen Visiten abstatten, in unschöner Regelmäßigkeit Bruchlandungen bauen und im Zusammenarbeit mit unseren Regierungen daran arbeiten, uns demnächst zu ihrer Strafkolonie zu degradieren. (Die Ausstrahlung der allerersten Folge von „The X Files“ mit dem Titel „Pilot“ in den USA jährt sich übrigens am 10. September zum 30. Mal.)

Ein solcher Rückblick auf die Entstehung und Evolution dieses „modernen Mythos“ (wie Carl Gustav Jung ihn 1958 in seiner symbolisch-tiefenpsychologischen Betrachtung zum Thema genannt hat) zeigt, daß es sich hier mitnichten um etwas Neues handelt. Die Meldungen, daß das amerikanische Militär solche „havarierten Flugobjekte“ im Verborgenen untersuchen – und ihre Technik nachbauen – würde, kann man seit dem Ende der 1950er immer wieder einmal lesen. Auch die vorletzte Entwicklung, die in „Ufologen-Kreisen“ umging, bevor Scully und Mulder auf den Bildschirmen erschienen, die sogenannten „Majestic“- oder „MJ-12“-Dokumente, die ab 1983 belegen sollten, daß die USA seit Ende der 1950er Jahre solche Forschungen betreiben würde, hatten genau solche Behauptungen zum Inhalt. Es war nur dumm, daß sich die „Majestic“-Akten als ausgesprochen plumpe Fälschungen erwiesen haben, bei denen die Merkmale, die tatsächliche Geheimdienstdokumente aufzuweisen haben, den Erstellern offenkundig nicht bekannt waren. (Die letzte neue Facette war dann 1987 die Behauptung des gescheiterten SF-und Horrorautors Whitley Strieber in seinem Buch „Communion,“ er sei schon als Kind nachts oft von „den Grauen“ an Bord einer fliegenden Untertasse entführt und dort körperlich mißhandelt worden.)

Neben einer solchen zeitgeschichtlichen und popkulturellen Einordnung werde ich aber in meinen nächsten Beiträgen auch einen anderen Aspekt in den Vordergrund rücken: nämlich was nach unserer Kenntnis der Naturgesetze, aus Sicht der Physik und Astronomie, von solch einer Behauptung, wie sie die weltberühmte und für ihre Seriosität bekannte Netzseite debrief.com (auf deren Eintrag sich sämtliche Medienmeldungen über Herrn Grusch beziehen) zu halten ist. Und er knapp und bündig vorwegzunehmen: NICHTS. NULL. NADA. Ich halte es nicht nur für unwahrscheinlich (aber immerhin denkbar), sondern für kategorisch ausgeschlossen, daß an der Meldung vom vergangenen Dienstag auch nur ein Faden, ein Körnchen Wahrheit sein könnte. Und für diese Einstellung brauche ich mich nicht auf die Erfahrung aus den letzten 75 Jahren zu berufen, in denen nicht ein EINZIGER belastbarer Hinweis, kein einziges Beweisstück vorgewiesen worden ist, es könnte sich bei den UFOs um mehr als Irrtümer, Inszenierungen und frei erfundene Sauregurkenmeldungen (ganz im Sinn Kornbluths) handeln. Ich kann dabei auch völlig von den Spekulationen der (ernsthaften) Naturwissenchaft im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit absehen, daß es an anderen Orten als auf dem dritten Planeten des Sonnensystems zur Entstehung von Leben und vielleicht technologischen Zivilisationen gekommen sein könnte. Diese Frage – und etwa die Auswertung der Daten von Radioteleskopen, ob eine solche Zivilisation ihre Existenz durch gezielte Signale mitteilt – ist etwas völlig anderes als solcher Sensationsjournalismus. Ganz kurz gesagt: wir können diese Frage nach dem Stand unseres heutigen Wissens in keiner Weise beantworten, weil wir nicht wissen, wie wahrscheinlich es ist, daß unter den geeigneten Bedingungen auf einem Planeten komplexes Leben (ein Oxymoron: „Leben“ ist auf jeden Fall eine hochkomplexe Angelegenheit) entstehen könnte – und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, daß im Lauf der Evolution solches leben auch noch Intelligenz, die wissenschaftliche Methode und die Technik entwickeln würde, um solch eine Kommunikation hervorzubringen. Eins ist aber unumstritten – auf galaktische Entfernungen, über Hunderte, Tausende oder gar Millionen Lichtjahren hinweg sind Radiowellen die einzige Möglichkeit, die überhaupt besteht, um „Kontakt aufzunehmen“ oder Informationen auszutauschen. Programme wie SETI, die „Suche nach Extraterrestrischer Intelligenz,“ gleichen der nächtlichen Suche nach dem verlorenen Schlüssel in dem Beriech, der von der Straßenlaterne beschienen wird: nicht weil es wahrscheinlich ist, daß er dort liegt – sondern weil es der einzige Bereich ist, in dem eine Suche überhaupt Erfolg haben kann.

Und das bringt mich zu den Gründen, die ich für meinen kategorischen Standpunkt vorweisen kann. Ich kann mir alle Spekulationen über die Vielzahl und die Nähe von galaktischen Zivilisationen sparen; ich kann mir à la „Star Trek“ eine von zahllosen Intelligenzen bewohnte Milchstraße vorstellen: es ändert nichts daran, daß es ganz handfeste Gründe gibt, die solche Stippvisiten beim Nachbarn ausschließen – und schon gar die glimpfliche Landung „funktionsfähiger Fluggeräte.“ Diese Gründe liegen in der Einrichtung unseres Raum-Zeit-Gefüges, in der ultimativen Geschwindigkeitsbegrenzung durch die Lichtgeschwindigkeit, in der Impulserhaltung, der Energieerhaltung und den Gesetzen der Thermodynamik -sowie der Himmelmechanik und den Distanzen zwischen den Sternen in unserer Milchstraße. Und an diesen Gesetzen kann auch der außerirdischste Außerirdische nichts ändern – er ist ihnen unterworfen – egal über wie viele Tentakel anstelle eines abspreizbaren Daumens er/sie/es/ens verfügen sollte. Aber eine solche Haltung bleibt natürlich noch ausführlich zu begründen. Das möchte ich in meinem nächsten Beitrag versuchen.

* * *



(Titelbild von George Salter)

„The Silly Season“ erschien im Herbst 1950 in der vierten Nummer des mittlerweile zwit-dienstältesten SF-Magazins, das heute noch – weltweit – erscheint: dem Magazine of Fantasy and Science Fiction. Die erste Ausgabe, im Herbst 1949 an die Kioske gekommen, trug noch den Titel „The Magazine of Fantasy,“ mit der Nummer 5 vom Dezember 1950 stellte das Magazin im Digest-Format auf zweimonatiges Erscheinen um, mit dem August 1953 auf einen monatlichen Turnus. Die aktuelle Nummer vom Juli-August 2023, die in der vorigen Woche als Totholz- oder elektronische Version an die Abonnenten verschickt worden ist, ist die 755. Ausgabe des Journals. Im folgenden Jahr wurde der Text in die im Februar 1952 beim Verlag Doubleday erschienene Anthologie „Tomorrow, the Stars“ aufgenommen. Nominell zeichnete Robert A. Heinlein als Herausgeber; in Wirklichkeit beschränkte sich sein Beitrag auf das Schreiben des Vorworts und die Erlaubnis, seinen Namen zu verwenden; die tatsächliche Auswahl der Geschichten besorgten Judith Merril und Fredrik Pohl, bei wie Kornbluth Anfang der 1940er Jahre Mitglieder des Fan- und späteren Autorenzirkels der Futurians in New York, deren Mitglieder zehn Jahre später einen erstaunlichen Prozentsatz der maßgeblichen Autoren, Herausgeber und Kritiker der aufblühenden amerikanischen SF-Szene stellten.



(Titelbild von Richard Powers)

Als Kornbluth Anfang des Jahres 1950 seine leine Erzählung schrieb (die Herbstausgabe von F&SF kam im September an die Kioske und die redaktionelle Vorlauf Vorlaufzeit zwischen Annahme und Veröffentlichung eines Textes betrug dort zwischen vier und sechs Monaten) war das „Sommerlochphänomen“ der „Fliegenden Scheiben“ gerade zwei Jahre alt. Nach den ersten Sichtungen im Juni 1947 (wie oben erwähnt) gab es zwar eine kleine Welle von Medienmeldungen über weitere „Begegnungen der ersten Art“ (wie der UFO-Chronist Jacques Vallée dies 20 Jahre später einteilte, aber erst 1948 etablierte es sich als Konkurrenz zum Ungeheuer von Loch Ness oder dem Abscheulichen Schneemenschen (die im Fall von Scully und Mulder zwei Generationen später das „Monster der Woche“ geben mußten). Zu diesem Zeitpunkt konnte der Autor noch nicht ahnen, daß sich die „Wellen“ der Sichtungshäufungen und der Medienberichte darüber auf einen gut 5-jährigen Rhythmus einpendeln würden – die nächste Welle gab es in den USA im Spätsommer 1952, mit der sogenannten „Invasion von Washington,“ als am 24 und 25. Juli hunderte von Radarechos in am Himmel über der Hauptstadt vermeldet wurden (die banale Erklärung, daß es sich um Reflektionen von Inversionsluftschichten gehandelt haben dürfte, wird natürlich keinen zum Glauben wild Entschlossenen überzeugen); dann im Sommer 1958, in den Jahren 1964 und 1968 und zuletzt im großen Maßstab 1974 – als die populäre Mythologie dahingehend erweitert wurde, die die Besucher aus den Tiefen des Alls nachts Rinder auf der Weide zerstückelten

„The Silly Season” ist ein schönes Beispiel dafür, wie SF-Autoren beim Blick in die Kristallkugel für die tatsächlichen anstehenden Entwicklungen blind sind. Kornbluth datiert seine Story nicht – aber sie spielt mindestens 20 Jahre in der Zukunft (die alten UFO-Wellen sind ja aus dem Gedächtnis des pp. Publikums verschwunden); es gibt „Flugtaxis“ ganz im Sinn von Dorothee Bär (CSU) – aber die Nachrichtenagenturen arbeiten noch mit Fernschreibern und die Fernsprechverbindung wird vom „Fräulein vom Amt“ geschaltet. Der Kleine Zyniker fühlt sich hier an A. E van Vogts ersten Roman „Slan“ erinnert – 1940 erschienen und genau ein Jahrtausend später, im Jahr 2940 spielend: dort begibt sich der Protagonist auf Lokalrecherche in ein amerikanisches Provinznest, in dem sich seit 10 Jahrhunderten absolut nichts verändert hat: im Radio spielt ein lokaler Radiosender, und Informationen über lokale Vorfälle sind nur im Zeitungsarchiv der beiden lokalen Tageszeitungen zu ermitteln.

(Eine Detailanmerkung: wenn sich ein Leser fragen sollte, ob es sich bei der „runden Ablage,“ in die Sam Williams am Anfang seine Agenturmeldungen entsorgt, um eine kreative Beigabe des Übersetzers handelt: keineswegs. Im Original ist von „the round file“ die Rede. Manchmal ist es schon erstaunlich, zu welchen Übereinstimmungen es in unterschiedlichen Sprachen kommen kann.)

* * *

Immerhin hat die jetzige Untertassenstory gestern mit einem Bericht der "Daily Mail" eine Wendung genommen, die 1:1 Kornbluths kleiner Geschichte entstammen könnte: danach soll der Rechtsanwalt Larry Sheehan der Mail von einem "Whistleblower" (der naturgemäß ungenannt bleiben möchte) berichtet haben, der ihm anvertraut habe, er sei in eins der geheimen, abgestürzten, funktionsfähigen" Flugobjekte eingelassen worden - es habe dort "Verzerrungen der Schwerkraft" gegeben, die Fliegende Untertasse habe von außen einen Durchmesser von 30 Metern aufgewiesen, sei aber von innen "viel größer" gewesen - "so groß wie ein Fußballstadion." Da es sich bei der Daily Mail um ene englische Zeitung handelt, liegt die Frage nahe, ob das Äußere einer Londoner Telephonzelle geglichen hat und es sich dabei realiter um die TARDIS von Dr. Who gehandelt hat. Ob es nach Schwefelkerzen gestunken hat, ist bislang noch nicht geklärt worden.

"EXCLUSIVE: Crashed UFO recovered by the US military 'distorted space and time,' leaving one investigator 'nauseous and disoriented' when he went in and discovered it was much larger inside than out, attorney for whistleblowers reveals"

Eines steht aber schon jetzt fest: Nachdem im Zuge der "X-Akten" kein Medium mehr die Fliegenden Untertassen als typisches Sommerlochthema aufgreifen wollte, haben sie sich jetzt, in der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts, wieder dazu gemausert. Der erste Fall war 2021, als der amerikanische Astrophysiker Avi Loeb in seinem Buch "Extraterrestrial: The First Sign of Intelligent Life Beyond Earth" (Houghton-Mifflin; dt. als "Ausseridisch: Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten" bei DVA erschienen) die Behauptung aufgestellt hat, bei dem kleinen Asteroiden Oumuamua, der im Oktober 2017 unserem Sonnensystem eine Stippvisite abgestattet hat*, hätte es sich um ein außerirdisches Raumschiff gehandelt - ohne die Spur eines Beweises natürlich. Der zweite Fall war im Sommer 2022 die Anhörung vor dem amerikanischen Kongress zum Thema "unbekannte Flugobjekte, die in der Nähe von Schiffen der US-Marine gesichtet worden sind." Allerdings blieb hier - vernünftigerweise - der Fokus einzig auf die Möglichkeit gerichtet, daß es sich dabei um russische oder chinesische Spionagedrohnen gehandelt haben könnte, nicht um Kleine Grüne Wesen von fernen Sternen. Genau dieser Fokus auf Irdisch-Machbare hat im vorigen Jahr auch dafür gesorgt, daß "das Thema" schlagartig "kein Thema" mehr war - schneller als ich das bei jeder Welle der letzten Jahrzehnte je gesehen habe.

(* "Schulzzug gesichtet!" - Zettels Raum vom 11. Dezember 2017)
U.E.

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