Es hat nicht lange gedauert. Im Unterschied zu seiner mehr oder minder dauerüberforderten Kollegin "aus dem Völkerrecht" hat Robert Habeck sich direkt ein paar Gedanken gemacht, wie man grüne Politik, bzw. die Folgen grüner Politik erfolgreich verschleiern kann. Dabei ist er zunächst darauf gestoßen, dass grüne Politik nicht allzu wirtschaftskompatibel ist, zumindest wenn man nicht von staatlich garantierten Monopolen für Windradbetreiber ausgeht. Und die Entwicklung der Wirtschaft wird gemeinhin gemessen am Wachstum des Bruttoinlandproduktes, was damit auch direkt mit dem Wohlstand einer Gesellschaft korreliert.
10. Januar 2022
Paul Scheerbart, „Das Ende der Fleischnot.“ Mit einem Abstecher ins Jahr 2022
Von den künstlerischen Ausmalungen der Zukunft, die es in das „kollektive Gedächtnis“ geschafft haben und deren Handlungen mit einer ganz konkreten Jahreszahl verbunden ist, in dem sie stattfindet, gibt es genau drei – und das aus dem schlichten Grund, weil dieses Jahr in ihrem Titel genannt wird. Bei denen das Geschehen also nicht vage „in naher“ oder „einer ferneren“ kommenden Zeit spielt, sondern der Zuschauer (und Leser), dem danach zumute wäre, einen Kalender befragen könnte. Dazu zählt George Orwells maßgebliche Anti-Utopie „1984“ – bei dem die Vertauschung der letzten beiden Zahlen des Jahres 1948, in dem das Buch entstand, die Wegmarke lieferte. Sodann das Original und die Fortsetzung zu Arthur C. Clarkes „2001 – A Space Odyssey“ (Buch und Filmfassung 1968), „2010 – Odyssey II“ (1981) samt ihrer Verfilmung durch Peter Hyams von 1984 (die deutsche Kinofassung trägt den Titel „Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen“) und nicht zuletzt das gerade angebrochene Kalenderjahr, das dadurch eine ikonische Unterfütterung erhielt, indem Richard Fleischer 1973 seinen Film „Soylent Green“ in eben diesem Jahr 2022 spielen ließ. (*)
(* Pophörer älteren Baujahrs mögen noch das "One-Hit-Wonder" von Zager & Evans aus dem Jahr 1966 dazuzählen: "In the Year 2525." Aber der kleine Schlager nutzt die Jahreszahl nur zu einem Schnelldurchlauf von Stichworten zur bevorstehenden abschüssigen Karriere von Homo Sapiens: "In the year 25-25 / if man is still alive / if woman can survive / they may fight..." Edward Bellamys "Looking Backward, from the Year 2000" aus dem Jahr 1887 war das Buch, das für die nächsten 110 Jahre das titelgebende Jahr als Zielmarke der Naherwartung aufgabe; und Louis-Sebastien Merciers "L'An 2440" war im Jahr 1771 die erste literarische Zukunftsschau überhaupt, die diesen Namen verdient - aber beide Texte sind längst dem kulturellen Gedächtnis entfallen.)
Harry Harrisons Roman „Make Room! Make Room!” aus dem Jahr 1966, der Fleischer und seinem Drehbuchautor Stanley Greenberg als Vorlage diente, spielt im New York des Jahres 1999, und endet mit dem Beginn des „neuen Jahrtausends“ auf dem Times Square, auf dem die berühmte Neon-Leuchtschrift an der Front der „New York Times“ triumphierend erklärt, die Bevölkerung der Vereinigten Staaten habe im abgelaufenen Jahr einen neuen Höchststand von 334 Millionen erreicht - von denen, wie wir zu Anfang des Films erfahren, sich ein Zehntel auf dem Terrotorium New Yorks drängt (in der Filmfassung sind daraus 40 Millionen geworden). Fleischer und Greenberg verlegten die Handlung ihres Films 23 Jahre in die Zukunft, um das Elend, den Niedergang, die trostlose, hoffnungslos übervölkerte Welt als Dauerzustand noch eindrücklicher zu vermitteln – vor allem aber, um den Protagonisten jede Erinnerung an bessere vergangene Zeiten zu verwehren. Einzig Sol Roth – gespielt von Edward G. Robinson in seiner letzten Filmrolle -, der in hohem Alter steht, erinnert sich noch an jene Zeit, als es noch Tiere und organische Nahrung gab. Es gibt natürlich einen Schwarzmarkt; auf dem ein Glas Erdbeermarmelade vor 150 Dollar zu haben ist. Sols kleine Bibliothek an Referenzwerken und seine Kontakte als früherer Archivverwalter der Polizei haben es Frank Thorn – gespielt von Charlton Heston – mit dem er sich einer heruntergekommenen Wohnküche teilt, ermöglicht, aus dem gewöhnlichen Polizeidienst und der Jagd auf solche Schmuggler zu entkommen und sich der Aufklärung „richtiger“ Verbrechen zu widmen.
8. Januar 2022
神秘小屋。Die geheimnisvolle Hütte auf der Rückseite des Mondes
I saw him through my telescope,
On a cloudless night in June,
As he rested between voyages
At his beach house on the moon.
There are windows to the galaxies
And hallways to the past.
There are trapdoors to the future
And a splintered ancient mast.
There are relics from Apollo trips,
When the earthmen came to play,
And a hammock from a distant star,
Out in the Milky Way.
- Jimmy Buffett, "Beach House on the Moon" (1999)
(Michael van Langrens Mondkrate von 1645)
Wenn es auf dem Mond „Meere“ gibt (die Bezeichnung geht auf den niederländischen Astronomen Michael Florent van Langren (1598-1675) zurück, der sie in seiner 1645 gedruckten Mondkarte, dem „Plenilunum,“ als erster für die dunklen Basaltebenen verwendeten, die für einen irdischen Betrachter das „Gesicht in der Mondscheibe“ bilden), mit weiteren maritimen Bezeichnungen wie Ozean („Oceanus“) und Bucht („Sinus“), ist es folgerichtig, daß dort auch Strandhütten zu finden sind. Und daß es auf dem Erdtrabanten Hasenköttel gibt, darf ab heute als wissenschaftlich nachgewiesene Tatsache gelten.
Vor einem Monat, am 7. Dezember 2021, setzte die nationale chinesische Raumfahrtbehörde, im Westen allgemein nicht als 国家航天局 (Guójiā Hángtiānjú), sondern nach dem Akronym ihrer englischen Bezeichnung CNSA bezeichnet, die Medien und sozialen Medien nicht nur in China, aber vor allem natürlich dort, mit einem Photo in Aufregung, das von dem Mondrover Yutu-2 aufgenommen wurde, der seit seit 3 Jahren, seit dem 3. Januar 2019 den 180 Kilometer durchmessenden Krater Von Kármán erkundet, der von uns aus „gesehen“ fast in der Mitte der uns abgewandten Hemisphäre, auf halber Strecke zum Mondsüdpol liegt. Das Bild, am Ende des 36. „Mondtags“ aufgenommen, zeigt am Horizont der geröllübersäten Ebene des Kraterbodens eine seltsam kompakte, blockige Struktur vor dem Himmelshintergrund. Das seltsame Gebilde, dem das Team, das für die Routenplanung und die Steuerung des Rovers zuständig ist, die Bezeichnung 神秘小屋 (Shénmì Xiǎowū, „Rätselhafte Hütte“) gab, traf den gleichen Nerv wie die vor Jahresfrist überall aus dem irdischen Kraut schießenden „Monolithen“ nach dem Vorbild von Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“ – nur daß es sich hier ersichtlich NICHT um einen Scherz von Erdlingen handeln konnte. In den chinesischen Medienberichten und sozialen Medien erhielt das Gebilde sehr schnell weitere Namen: 凯旋门 (Kǎixuán Mén, „Triumphbogen“), 外星基地 (Wàixīng Jīdì, „Basis der Außerirdischen“) oder 广寒宫 (Guǎng Hán Gōng, „Weiter Palast der großen Kälte“). Das letzte braucht vielleicht eine kleine Erläuterung: der „Palast der großen Kälte“ ist in der chinesischen Überlieferung der Wohnsitz der Mondgöttin Chang’e, nach der die Landesonden des chinesischen Mondprogramms ihren Namen tragen, und vor dem der Mond- oder Jadehase für sie unablässig das Elixir der Unsterblichkeit in einem Mörser zerstampft. Und nach diesem Jadehasen (玉兔 ,Yùtù, auch „Mondhase,“ Yuètù - der Gleichklang der Namen ist kein Zufall) ist auch der Rover benannt.
6. Januar 2022
Der Brummkreisel
Eigentlich - "eigentlich" - ist dies ein Job für den ArgoNerd, der an dieser Stelle vor kurzem im Zusammenhang mit dem Kurznachrichtenmedium Twitter erwähnt wurde. Andererseits ist dessen übliches Verfahren hier nicht mehr hinreichend, um dem Anlaß gerecht zu werden. Sein Verfahren besteht darin, fast immer ohne Erläuterung oder Überschrift zwei zeitversetzte öffentliche Äußerungen von Politikern nebeneinander zu setzen, die trefflich den Satz illustrieren, den die größte deutsche Kanzlerin in der Geschichte des Universums im Jahr 2008 getan hat: "Man kann sich nicht darauf verlassen, daß das, was vor den Wahlen gesagt wird, auch wirklich nach den Wahlen gilt, und wir müssen damit rechnen, daß das in verschiedenen Weisen sich wiederholen kann.“
Deshalb seien an dieser Stelle nur einige Aussagen hergesetzt, in denen sich Christian Lindner, Vorsitzender der Freien Demokratischen Partei und seit jetzt vier Wochen Finanzminister dieses Landes, im Lauf des letzten halben Jahres zum Thema "Impflicht" geäußert hat.
3. Januar 2022
"Von Schafen und Menschen"
Ein oberflächlicher Beobachter könnte ja zu dem Schluß kommen, der Berufsstand der Satiriker und der losen Vögel, die wider den Stachel löcken, sei in diesem Land nicht mehr auszuüben. Die Maßnahmen unserer Politik lassen sich nicht mehr durch Zuspitzung überbieten; die Obrigkeit hat das Ressort des Absurden und Irrlichternden selbst in Eigenregie übernommen, und unsere Medien, zumal die Staatsmedien, begnügen sich damit, sich unter der Kennung „Satire“ nur noch plumpe, brachiale Invektiven gegenüber Teilen der Bevölkerung herauszunehmen, die sich nicht zur Wehr setzen können („Meine Oma ist ‘ne alte Umweltsau!“ – sofern sie nicht als Politiker, religiös anders Orient-ierte, sexuell divers Gepolte oder Noch-nicht-lange-im-Land-Weilende den Stempel des Sakrosankten tragen. Außerdem gebe es längst nicht mehr hierzulande, über das man lachen könnte.
2. Januar 2022
Mircea Eliade, "Anno Domini" (1928)
Ich werde hier nicht über das abgelaufene Jahr (gemeint ist: 1927) schreiben. Für einen jungen Autor schickt es sich nicht, Bilanzen aufzustellen. Uns verbindet nichts mit dem ewiggleichen Ablauf der Tage und Nächte, mit den üblichen alltäglichen Sorgen und Nöten, den immergleichen Mühen und Ablenkungen. Für uns junge Leute ist anderes wichtig: sind wir damit zufrieden, uns mit dem zu beschäftigen, das uns in den Zeitungen vorgesetzt wird, mit dem was uns Schriftsteller in ihren Romanen über Alltagsorgen beschreiben? Warum sollen wir uns denn überhaupt mit Büchern abgeben und uns dazu äußern – zu neuen Büchern, zu kulturellen Ereignissen, neuen angesagten Namen? Solche Dinge können von nur uns verachtet werden; sie sind uns gleichgültig.
In diesem Jahr – 1927 – hat keine von uns Jungen dafür gesorgt, daß die Reputation eines Älteren wirklich verblasst ist. Keiner von uns Jungen hat etwas Neues, Tiefempfundenes hervorgebracht, daß unsere Seele anrührte. Wir haben uns alle nur – das sollten wir ehrlich eingestehen – am Rand des immergleichen Abgrunds amüsiert, mit denselben ererbten Gesten, den immergleichen Floskeln. Keiner hat geistig etwas riskiert und sich den ungewohnten, neuen Erfahrungen hingegeben, aus denen sich neue Diamanten für unser geistiges Dasein schürfen lassen.
Wir waren allesamt nur mittelmäßig, und stolz auf unsere erbärmlichen Vergnügungen. Wir dürfen uns nicht selbst betrügen und uns mit unseren Eltern und älteren Verwandten vergleichen, als sie im selben Alter wie wir waren. Uns darf es nur um unseren eigenen Weg gehen. Was kümmern uns die jugendlichen Irrtümer anderer Generationen, die in Paris Mode geworden sind, all die Kulturbanausen – wenn wir doch spüren, daß auch für uns das Mittelmaß zum Maßstab geworden ist, daß unsere Schwäche uns daran gehindert hat, zu Helden zu werden, und daß wir lieber die Trübsal und die matten Aufregungen eines ganzen Landes ertragen, anstatt unseren Geist zu stählen und klar zu halten?
1. Januar 2022
Ray Bradbury, "Der Spaziergänger" (1951)
In die Stille hinauszutreten, die die Stadt an einem nebelverhangenen Abend um acht Uhr im November ausfüllte, die Füße auf den unebenen Gehsteig zu setzen, über die grasbewachsenen Seitenstreifen zu gehen und mit den Händen in den Taschen durch das Schweigen zu gehen: das war es, was Leonard Mead über alles genoss. Manchmal blieb er an einer Straßenkreuzung stehen und blickte nach allen vier Richtungen die langen Straßenzüge hinab, wie sie im Mondlicht dalagen, bevor er sich für eine Straße entschied. Es war egal, wohin er sich wandte. Er war allein in dieser Welt, in diesem Jahr 2053 – oder so gut wie allein. Und sobald er seine Entscheidung getroffen hatte, setzte er sich in Bewegung, während sein Atem vor ihm wie Zigarrenrauch in die kalte Luft stieg.
Manchmal war er stundenlang unterwegs und kehrte erst um Mitternacht nach Hause zurück. Auf seinen Spaziergängen sah er die Häuser und Bungalows mit ihren dunklen Fenstern; es war fast, als ob er über einen Friedhof spazierte. Nur schwache Lichtschimmer blinkten wie Glühwürmchen hinter den Fenstern auf. Ab und zu erschienen graue Gespenster an Zimmerwänden, vor denen noch keine Vorhänge zugezogen waren, oder Flüstern und leise Stimmen waren zu hören, wo noch ein Fenster in einem der wie Grabsteine anmutenden Gebäude offenstand.
Dann blieb Leonard Mead stehen, neigte den Kopf, lauschte, sah genau hin und ging dann weiter, ohne ein Geräusch auf dem unebenen Gehsteig zu machen. Er hatte sich schon lange angewöhnt, bei seinen Gängen weiche Halbschuhe zu tragen, damit ihn nicht unverhofft das Gebell von Hunden begleitete, wenn er auf harten Sohlen unterwegs war, und die Außenlichter angingen und eine ganze Straße über die einsame Gestalt aufgeschreckt wurde, die da an einem frühen Novemberabend vorbeikam.
An diesem Abend hielt er sich zuerst in westlicher Richtung, dort, wo in der Ferne das Meer verborgen lag. Es lag eine gute, kristallklare Kälte in der Luft, die ihm in die Nase schnitt und ihn wie fast wie eine Weihnachtsbaumbeleuchtung in die Lungen fuhr: es fühlte sich an, als ob er das eisige Licht in sich aufleuchten und ausgehen fühlen könnte, als wenn sich seine Lungen mit unsichtbarem Schnee füllen würden. Das leise Rascheln, das seine Schuhe verursachten, als er auf das gefallene Herbstlaub trat, gefiel ihm, und er pfiff leise und kalt vor sich hin, hob ab und zu ein Blatt auf, besah sich das Muster der Blattskelette im Licht der wenigen Straßenlaternen und roch den an Rost erinnernden Geruch.
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