19. Januar 2022

Bruchlinien der Gesellschaft. Ein Gedankensplitter.

Das Simplifizieren von Menschen auf bestimmte Gruppen ist immer schwierig: Argumentativ begibt man sich grundsätzlich in die Falle, man würde Menschen Unrecht tun, man würde komplexe Probleme zu einfach darstellen, man würde einfache Lösungen für schwierige Probleme suchen. Alles richtig. Und doch oftmals zu kurz gesprungen. Das Leben an sich, wie auch die Menschen an sich, sind extrem komplex. Zu komplex, um ihnen wirklich in dem Sinne gerecht zu werden. Unser Verstand kann das (das kann man auch ziemlich trivial zeigen) nicht leisten, entsprechend sortieren wird die Dinge in Schubladen ein. Und das macht es uns dann doch einfacher Zusammenhänge zu verstehen. Auch wenn sie im Einzelnen nicht immer ganz gerecht sind.


Ich beschäftige mich schon eine ganze Weile mit gesellschaftlichen Bruchlinien, das sind im Prinzip Einteilungen in jeweils mindestens zwei Menschengruppen, die unterschiedliche Auffassungen, Lebenseinstellungen, Ideale oder Eigenschaften haben. Eine der interessantesten, die mir dabei immer wieder begegnet ist die Unterscheidung in "Konsumenten" und "Investoren". Oder anders formuliert in "Jetzt-Verbraucher" und "Sparer". Ich glaube, dass sich ein großer Teil unseres politischen Zirkusses, insbesondere der Zirkus vergangener Jahrzehnte auf diese zwei Prinzipien vereinfachen lässt. Es gibt die Fraktion, die meint, der gesellschaftliche Reichtum sei ja reichlich und es gäbe keinen Grund, ihn nicht genau jetzt zu verzehren. Ein guter Teil des klassischen linken Denkens kommt genau aus dieser Ecke. Die gegenüberliegende Fraktion sind dagegen die Investoren, die meinen der gesellschaftliche Reichtum solle noch ordentlich wachsen, daher sollte man ihn eben nicht verbrauchen. Das wäre die eher konservative Haltung der letzten Dekaden (so ungefähr bis Mitte Kohl) gewesen. Beide Sichtweisen lassen sich argumentieren und beide kommen in gewissem Sinne zu tragen. Allerdings haben auch beide Konsequenzen. Eine Gesellschaft, die ihren Reichtum aufzehrt, lebt in dem Moment sehr gut. Aber wird zukünftig nicht besser fahren. Eine Gesellschaft, die dagegen spart und investiert, lebt erst einmal nicht so gut, hat aber in der Zukunft mehr zu erwarten. Politik tut vielfach so, als würde sie beide Ziele verfolgen, aber das stimmt natürlich nicht. Wer Millionäre enteignet (die im Wesentlichen investieren) und das Geld an die Armen verteilt (die im Wesentlichen konsumieren), der steigert erst einmal die Lebenssituation der Menschen insgesamt. Aber er schwächt den Reichtum von morgen. Umgekehrt wird ein "Steuern runter, Staat runter" Politiker vermutlich eine bessere Zukunft schaffen, aber eben um den Preis derjenigen, die heute gerne mehr konsumieren würden. Wichtig erscheint mir zudem die Beobachtung, dass diese Bruchlinie sehr stark mit dem anderen Eigenschaften der Gruppe korreliert, am auffälligsten mit dem Alter. 

Diese Bruchlinie beschäftigt mich schon eine ganze Weile, aber vor einigen Tagen ist mir eine begegnet, die in der aktuellen politischen Situation fast noch wirksamer sein müsste: Es ist die Bruchlinie zwischen "Schissern" und "Mutigen", meinetwegen auch zwischen "Vorsichtigen" und "Leichtsinnigen" (das ist ein Framing, dass die Presse derzeit bevorzugt). Aber unabhängig von den Wörter selber gibt es diese beiden Gruppen, und zwar nicht nur im Bezug auf Corona, wobei Corona wie ein Vergrößerungsglas wirkt und uns deutlicher anzeigt wie stark diese Bruchlinie inzwischen verläuft. Da ist zum einen die Fraktion, die furchtbare Angst vor Corona hat, deren Extrembeispiele auf dem Fahrrad mit Maske unterwegs sind, die am Mittagstisch mit ihren Kindern eine Maske tragen, denen es gar nicht Lockdown genug sein kann. Sie haben schlicht Angst. Sie verbrämen das gerne (weil es als unschicklich gilt "Angst" zu haben), projizieren diese auf andere ("Die Coronaleugner sind an allem schuld!"), aber unterm Strich bleibt übrig, dass sie Angst haben. Und deshalb auch ein sehr angsterfülltes Leben führen. Ich hatte (hier wirds wieder anekdotisch, sorry) vor einigen Tagen eine sehr unangenehme Auseinandersetzung mit einem Bekannten aus diesem Bereich. Er hat offenkundig seit mehr als einem Jahr Angst, er nimmt nicht mehr an Freizeitaktivitäten teil, er leidet und am Ende bin ich daran schuld. Weil ich mich "so spät" hätte impfen lassen und immer noch nicht davon überzeugt bin, wie Recht der Staat mit seiner Abschaffung der Grundrechte doch hat. Was natürlich Schwachsinn ist, aber das Denken dahinter aufzeigt: Du bist schuld, dass ich Angst habe. Aber auch unabhängig von der Bewertung, man sieht dass der Mensch Angst hat. Und leidet. So blöd das klingen mag, aber die Lockdowner, denen es nicht China genug sein kann, die alles und jeden zwangsimpfen wollen und alle aus dem öffentlichen Leben aussperren wollen, mit allen rechtstaatlichen und auch faschistoiden Methoden, sind am Ende doof dran. Denn so aggressiv sie auch auflaufen, sie haben am Ende vor allem Angst. Und leiden darunter. Und nicht zu knapp. Angst macht keinen Spaß. Die Folgen von Angst machen noch weniger Spaß. Denn da, wo die "Leichtsinnigen" gegen ihren Willen mit Gewalt eingesperrt werden, sitzen die "Vorsichtigen" teilweise ganz freiwillig in ihrem Käfig. Sie haben den Schlüssel, aber Sie meinen es sei wichtig im Käfig zu sitzen. Aber der Käfig macht ihnen deswegen keinen Spaß!

Umgekehrt gibt es auch die Gruppe der Leichtsinnigen, die vielfach in Corona wirklich nur eine harmlose Grippe sehen (was sie für diese Gruppe oftmals auch ist) und vor allem frei leben wollen. Sie haben wenig Verständnis für die Ängstlichen und wollen einfach raus. Die Pandemie interessiert sie nicht, weil sie sich am Ende auch nicht für das interessieren, was mit den Leuten passiert, die oftmals gefährdeter sind. 

Natürlich ist kein Mensch rein binär aufgestellt und wird sind alle die Summe unserer Ängste und unseres Mutes. Aber die grundsätzliche Unterscheidung erscheint mir erst einmal sinnvoll, nicht zuletzt deswegen, weil sie die nach Olaf Scholz angeblich nicht existierende Spaltung, recht klar aufzeigen.

Und man kann etwas daraus lernen. Beispielsweise dass es nur sehr, sehr selten funktionieren wird, einen aus der einen Gruppe in die andere Gruppe zu befördern. Argumente, egal wie gut sie sind, ändern in aller Regel nicht die Lebenseinstellung eines Menschen. Einen ängstlichen Menschen von der Ungefährlichkeit einer Sache zu überzeugen ist unendlich schwer und einem mutigen Menschen kann man auch nicht beliebig Angst einjagen. D.h. die Versuche den jeweils anderen zu "bekehren", werden in aller Regel scheitern. Die Bruchlinie kann nicht dadurch geheilt werden, dass jetzt die "Mutigen" heim ins Reich der "Vorsichtigen" geholt werden. Umgekehrt noch weniger. Man kann die besten Argumente haben, jemanden die Angst auszureden ist unendlich schwer. Schon bei einem Kind ist das ein schwerer Prozess, bei einem Erwachsenen eine Herkulesaufgabe. 

Was wir dagegen lernen könnten wäre erst einmal, dass wir unterschiedlich sind. Das wird unterschiedliche Auffassungen an der Thematik haben und sich daran erst einmal nichts ändern wird. In einem solchen Fall, genauso wie bei der oben genannten, materiellen Bruchlinie, ist es notwendig einen Arbeitskompromiss zu finden, der uns, ohne unsere Auffassung aufgeben zu müssen, zusammen leben lässt. Das dumme ist, und hier komme ich dann doch zu einer Bewertung, die ich eigentlich nicht vornehmen will, dass die weit größere Gruppe der "Vorsichtigen" gar nicht nach einem solchen Kompromiss suchen möchte. Sie hat erkannt, dass sie in der Mehrheit ist und sucht nun ihre Vorstellung mit Gewalt durchzudrücken. Das passiert durch Gesetze, durch Medien aber auch durch ganz simple  moralische Attacken der Bürger untereinander. Nur löst das das Problem nicht. Eine Gruppe zu unterdrücken mag im praktischen erst einmal funktionieren, führt am Ende aber vor allem zu Hass und Zerwürfnis.  Es ist eine der vielen Versagensmomente der Regierung Merkel (und jetzt gefolgt von der Regierung Scholz), zu meinen man könne mit Gewalt gegen eine Minderheit vorgehen, wenn es opportun erscheint. So wird die Bruchlinie nur deutlicher. 

Ich halte diese Bruchlinien, oder ihren Shift, am Ende primär für die Folge der Überalterung der Gesellschaft, sekundär als eine Folge der politischen Linksverschiebung durch die Medien. Unser Angstverhalten nimmt im Laufe des Lebens zu und durch die einseitige Gefährlichkeit für Ältere von Corona wird dieser ohnehin schon blöde Effekt noch potenziert. Die Alten sind in Deutschland inzwischen in einer recht geräumigen Mehrheit. Sekundär greift Angstrethorik generell besser bei Leuten, die ihr halbes Leben damit erzogen worden sind (und linke Politik wird seit mehr als 30 Jahren mit Angstrethorik verbreitet).
Das dumme ist aber auch hier: Mehrheit hat deswegen noch lange nicht recht. Die Angst ist so groß geworden, dass sie die Grundpfeiler unserer Gesellschaft nicht nur erodiert sondern rundheraus einreißt. Die wirtschaftliche Misere wird deutlicher, die Bildungsmisere ist noch etwas verdeckt, streckt aber ihren hässlichen Kopf auch immer deutlicher aus dem Sumpf und die gesellschaftliche Bereitschaft zur Gewalt nimmt deutlich zu. Am schlimmsten aber noch ist, dass die gesellschaftliche Kohäsion flöten geht. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft hat nicht zuletzt deshalb so erfolgreich funktioniert, weil die Kohäsion sehr groß gewesen ist. Die Polizei kommt mit ihrer geringen Mannstärke aus, weil der Deutsche an sich, sich an Regeln hält. Man macht das eben so. Man kümmert sich um seine Alten, man wirft nix auf die Straße, man spendet Blut, man hilft Verletzten, man zahlt seine Steuern und begeht keine Verbrechen, eben weil man das so macht. Man kann deutlich beobachten welche Folgen es hat, wenn die Kohäsion abnimmt, beispielsweise nämlich dort, wo große Menge an Neubürgern dazu kommt, die diese Kohäsion nicht aufweisen. In diesem Fall nimmt die Kriminalität deutlich zu, das Straßenbild ändert sich, Ehrenämter gehen verloren, die Gesellschaft zerfällt. Und genau das, was wir beispielsweise in Neukölln oder Marxloh erleben, dehnt sich derzeit auf die ganze BRD aus. Und zwar nicht durch Zuwanderung sondern durch Abwanderung. Und zwar Abwanderung innerhalb(!) der Gesellschaft. Weil sich viele Menschen zunehmend fragen, warum sie einen Gesellschaftsvertrag einhalten sollen, der ihnen gegenüber gebrochen wurde. 

Demokratie ist ein schönes Prinzip, aber keins sehr stabiles, wenn sie benutzt wird um eine Minderheit zu unterdrücken. Das war den Vätern der Verfassung durchaus bewusst und deshalb haben sie versucht die Mehrheit (nicht die Minderheit!) mit Gesetzen einzuhegen, die ein allzu übergriffiges Verhalten verhindern. Das hat bis zur Regierung Merkel und dessen Unterwanderung des Verfassungsgerichtes auch ganz gut funktioniert. Heute funktioniert es nicht mehr. Und was wir sehen ist gesellschaftliche Auflösung. 
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Llarian

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