30. August 2021

"Mit Musik geht alles besser"





Entschuldigen Sie, ist das der Sonderzug nach Treptow?
Ich muß mal eben dahin, mal rüber nach Ostberlin.
Ich find das echt gut, mit euren Oberindianern,
Bei euch ist alles im Lot:
Das ist ein Top-Angebot!

Du fährst ganz easy um halb elf mit der Ringlinie los
Und die Fahrt gibt's für umme, ich find das famos,
Und den Schuß gibt's dazu
Und alle jubeln: juhuu!

Bei Halt und bei Fahrt:
Das ist die Berliner Art.
So erreicht man sein Soll
Und kriegt die Statistiken voll.
Man muß das einfach wollen
Denn die Räder müssen rollen.
(Und klappts damit nicht
Droht die Punktierungspflicht.)

Geht nach dem Motto: was muß, das muß!
Und Doktor Brinkmann himself, der setzt dir den Schuß.
Dit iss der helle Wahnsinn!
Ja sehnse: dit iss Berlin!

Aus gegebenem Anlaß hat „Zettels Raum“ sein aktuelles Musikprogramm geändert.

„Chattanooga Choo Choo,“ neben „In the Mood“ und “Pennsylvania 6-5000” eine der Erkennungsmelodien des Glenn Miller Orchestra, war einer der Höhepunkte des Musicalfilm „Sun Valley Serenade“ der Twentieth Century Fox, am 10 August 1941 in den amerikanischen Kinos angelaufen. Die Schallplattenveröffentlichung auf dem Label Bluebird der Plattenfirma RCA Victor war zwei Wochen vorher, am 25. Juli, erschienen, als B-Seite für den langsamen, getragenen Foxtrot („Slowfox“) „I Know Why (And So Do You“). Es war aber die B-Seite, die dazu führte, daß sich die 78er Schellackplatte bis zum Februar 1942 mehr als 1,2 Millionen Mal verkaufte und als erste Ausnahme überhaupt mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet wurde. Sonja Henie, die in „Sun Valley Serenade“ gewissermaßen sich selbst spielte – eine Geflüchtete aus dem fernen Europa – glänzte dort eher weniger (ihr Metier war eher der Eisschnelllauf; in dieser Hinsicht war sie so einiges mit „Tarzan“ Johnny Weissmuller gemein) – ironischerweise hatte sie vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und bevor sie 1940 die amerikanische Staatsbürgerschaft erwarb, eher Sympathien für die Machthaber des Dritten Reichs gezeigt. Die Tatsache, daß auf ihrem Konzertflügel in ihrem Heim im norwegischen Landoya ein handsigniertes Photo von Hitler einen Ehrenplatz einnahm, führt dazu, daß die deutschen Truppen nach der Besetzung Norwegen den Hof „off limits“ erklärten und von Beschlagnahmen und Zerstörungen ausnahmen.

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„Uns Udo“s Hommage an Honnis Lederjacke war übrigens nicht die erste Unterlegung der Melodie mit deutschen Versen. Die erfolgte 1947 durch Bully Buhlan und Peter Rebhuhn (ja, der hieß wirklich so) als „Kötzschenbroda-Express,“ mit einem Text, dem die gegenwärtigen Umstände erstaunliche Aktualität verliehen haben (wobei die „Kohle“ damals, zu Zeiten des Fringsens und der Hamsterfahrten, tatsächlich solche meinte, und nicht Asche, Schotter oder Moos, wie in Mack Gordons ursprünglichem Text: „I got my fare / and just a trifle to spare.“)



Verzeih'n Sie, mein Herr, fährt dieser Zug nach Kötzschenbroda?
Er schafft's vielleicht, wenn's mit der Kohle noch reicht.
Ist hier noch Platz in diesem Zug nach Kötzschenbroda?
- Das ist nicht schwer, wer nicht mehr steh'n kann, liegt quer.
Ja, für Geübte ist das Reisen heute gar kein Problem.
Auf dem Puffer oder Trittbrett steht man bequem.
Und dich trifft kein Fußtritt, fährst du auf dem Dach mit.
Obendrein bekommst du dort noch frische Luft mit!
Morgens fährt der Zug an Papestraße vorbei,
Mittags ist die Fahrt nach Halensee noch nicht frei.
Nachts in Wusterhausen lässt du dich entlausen
und verlierst die Koffer auch noch leider dabei.
So fährt man heut von Groß-Berlin nach Kötzschenbroda.
Und dann und wann kommt man auch wirklich dort an.
Nun stehn wir da, der schöne Traum vom Reisen ist jetzt aus.
Glück auf nach Kötzschenbroda - aber ich bleib zu Haus.

Die erste Transponierung in ein anderes Idiom war das nicht. 1942 sang Carmen Miranda, bekannt als „the lady with the flower hat,” eine Samba-Version im brasilianischen Portugiesisch in dem ebenfalls von der Twentieth Cenutry Fox produzierten Film „Springtime in the Rockies,“ in ihrer Rolle, die der brasilianische Verleihtitel des Films andeutet: „Minha Secretária Brasileira.“



Mehr als Frau Henie glänzte, wie erwähnt, die Glenn Miller Band, die sich ebenfalls selbst darstellte und deren erster Filmauftritt dies war; ein zweiter folgte ein Jahr später in dem Streifen „Orchestra Wives.“ Ein geplanter dritter Film kam wegen des Armeeeintritts von Bandleader Glenn Miller nicht mehr zustande.

Bei der Sichtung der achtminütigen Version des „Chattanooga Choo Choo“ in diesem Filmdebut kann an sich des Eindrucks nicht erwehren, daß jeder dieser „alten weißen Männer“ (und sie sind eben nicht ausschließlich weiß, noch rein männlich, wie man(n) am Auftritt von Dorothy Dandridge und den Nicholas Brothers sehen kann) vor 80 Jahren mehr Feuer und Verve im kleinen Finger hatte als alles, was heute rappt und den Hosenboden auf Höhe der Kniekehlen trägt.



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Die andere Signaturnummer der Band (ich erlaube mir einmal, den englischen Ausdruck „signature tune“ hier dem etwas altbackenen „Erkennungsmelodie“ vorzuziehen) ist, wie oben geschrieben, „In the Mood.“ Das war dieses Stück schon, als der Film produziert wurde: der erste große Hit des Glenn Miller Orchestra war im August 1939 herausgekommen. Für eine, oder zwei Generationen von Europäern – oder zumindest: Deutschen – stand diese Melodie, diese Phrasierung wie nichts für den „American way of life,“ das Versprechen von Demokratie und Freiheit, für die Befreiung des Lebensgefühls nach Krieg und Diktatur (daß sich das mit dem „Narrativ“ der „Helden von 68“ beißt, erst sie hätten die Lebensfreude erfunden und die Fifties seien mausgrau und muffig gewesen, ist eine weitere historische Ironie). Es stand wie kein anderes für den Bruch mit jener Zeit, „als Swingtanzen verboten war.“ Und hierin liegt nun eine weitere Volte genau dieser Ironie: denn „In the Mood“ gehörte während der Kriegsjahre zu den Stücken, die am häufigsten in den deutschen Radiosendern gespielt wurden – freilich nicht in der Version der Glenn Miller Band. Hier handelte es sich um das Arrangement, das von der Combo des belgischen Bandleaders Ernst van’t Hoft im Februar 1941 in Berlin für Telefunken eingespielt worden war, Seriennummer Polydor 47522 (Matrizennummer: 8925 GD-2).



Nach den Maßstäben unserer “nachgeholten Widerstandskämpfer,“ die aktuell sogar in München den Namen von Erich Kästner aus dem Straßenbild tilgen möchten, dessen Bücher zwar 1933 von den Nazis auf den Scheiterhaufen geworfen wurden, der ihnen aber nicht „widerständig“ genug erscheint, weil er das Land nicht wie andere Exilanten, denen keine andere Wahl blieb, verließ, müßte „In the Mood“ vor diesem Hintergrund als „Nazimusik“ kompromittiert und auf ewig verfemt sein. Freilich stellt sich für diese nachgeborenen dieses Problem nicht, da alles, was vor ihre Geburt zurückreicht, nicht mehr auf ihrem geistigen Horizont auftaucht.

Die erste Einspielung von „In the Mood“ im deutschprachigen Raum war dies nicht. Die erfolgte im April 1940 durch Teddy Stauffer und seinen Original Teddies in Zürich, mit einer kleineren Kombo und – man höre und staune – begleitet von einer elektrisch verstärkten Gitarre.



(Nachtrag: aus unerfindlichen Gründen weigert sich der Blogeditor, einige der auf YouTube verfügbaren Videosequenzen einzubinden, auch nach mehrmaligen Anläufen. :(( ( Ich bitte aus daher um einen kurzen Klick auf den stattdessen zu sehenden Link im schwarzen Feld.)
U.E.

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