Mein Lieblingszitat über den deutschen Rechtsstaat ist eine Statistik: 80% der Deutschen glauben an den Rechtsstaat. Die anderen 20% haben ihn schon kennen gelernt.
Es ist erstaunlich wie viele Leute, trotz permanent erlebtem Gegenteil, immer wieder darauf vertrauen, die Justiz werde die Kohlen, die von der Politik ins Feuer geworfen wurden, schon wieder heraus holen.
Aber wie sollte sie? Es sind die selben Leute. In Deutschland existiert die Gewaltenteilung nur in der Theorie, in der Praxis werden Richter bis zum obersten Verfassungsgericht durch die Legislative, bzw. da selbst diese nicht von der Exekutive getrennt ist, im Wesentlichen durch die Exekutive ernannt und bestimmt. Der derzeit amtierende Präsident des Verfassungsgerichtes, wie auch des ersten Senates, ist Stephan Habarth. Und Stephan Habarth ist kein politikfremder Gelehrter wie sein Vorgänger, sondern schlicht CDU Parteipolitiker. Und zwar mit allem drum und dran.
Er trat bereits als Jugendlicher in die Junge Union ein, absolvierte später die Ochsentour in der CDU und saß von 2009 bis 2018 als Abgeordneter im Bundestag. Während dieser enorm anstrengenden Tätigkeit konnte er dennoch, sozusagen nebenberuflich, etliche hunderttausend Euro pro Jahr in der Kanzlei verdienen, deren Partner er ist. Das diese Kanzlei im Wesentlichen die Großindustrie vertritt, war offensichtlich nie ein Interessenkonflikt für ihn (man fragt sich bei solcherlei Definition was denn überhaupt noch einen solchen Konflikt darstellen könnte). Er saß dann eben bis 2018 im Bundestag, bis Angela Merkel ihn speziell aussuchte und für das Verfassungsgericht auswählte. Er ist schlicht und einfach Merkels Mann in Karlsruhe und wurde dann entsprechend durch die Parteien auch 2020 zum Präsidenten bestimmt.
Gäbe es nicht den (kaum zu unterbietenden) Tiefpunkt Susanne Baer müsste man sagen, dass das die denkbar schlechteste und politisch einseitigste Wahl für einen Verfassungsrichter gewesen ist, die denkbar ist. Zumal der Mann noch jung ist, der wird seine 12 Jahre mit Sicherheit voll machen, es ist eine von den vielen Hypotheken, die uns noch lange nach Merkel begleiten werden.
Und dann soll man sich wundern, warum das Verfassungsgericht uns nicht helfen wird, den Rechtsstaat zu erhalten? Was der gute Mann von Kritikern der Regierung hält (nicht des Staates, sondern seiner akuten Regierung) hat er in den letzten Wochen ziemlich klar von sich gegeben. Ein schönes Zitat daraus lautet: „Wer die Gegenwart als ‚Diktatur‘ bezeichnet, relativiert die Naziherrschaft und diffamiert die beste Republik unserer Geschichte“.
Davon mal ab, dass Diktatur doch noch ein bischen was anderes ist als ein Äquivalent zur Naziherrschaft (aber ein Popanz ist ja auch was schönes), spricht hier der Spruch von der "besten Republik unserer Geschichte" einfach Bände. Das wir eine beispiellose Entkernung der Verfassung erleben, fällt dem obersten Verfassungshüter(!) nicht einmal im Nebensatz(!) auf. Übrigens ganz im Unterschied zu seinen Vorgängern, die da deutlich mehr Bauchschmerzen haben. Aber die stammen ja auch nicht aus der CDU und wurden auch nicht von der aktuellen Regierung ausgesucht oder gehörten ihr gar an.
Wir haben eine sehr, sehr gute Verfassung. Die Väter des Grundgesetzes haben sich damals viele kluge Gedanke gemacht und die meisten guten Ideen aus anderen Verfassungen übernommen. Aber das beste Dokument nützt überhaupt nichts, wenn es von Leuten ausgelegt wird, die nicht die Verfassung als Maßstab anlegen, sondern eine politische Agenda haben. Natürlich wird der Mann Merkel Politik machen, natürlich werden die Corona-Maßnahmen seine Zustimmung finden und die Klima Entscheidung der letzten Woche ist nur folgerichtig. Was will man denn anders erwarten? Ich behaupte nicht, dass wir schon in einer Diktatur leben (nur das wir uns in atemberaubenden Schritten in eine solche verwandeln), aber ich möchte zu bedenken geben, dass sich noch in allen Diktaturen grundsätzlich Juristen gefunden haben, die noch die größten Schweinereien für rechtmäßig erklärt haben. Um das augenfälligste Beispiel zu vermeiden, nehme ich mal das "zweitkanonische": Aus Sicht der DDR war die DDR ein Rechtsstaat.
Erlauben Sie mir, lieber Leser, mal folgenden Artikel zu zitieren:
Artikel 27(1) Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, den Grundsätzen dieser Verfassung gemäß seine Meinung frei und öffentlich zu äußern. Dieses Recht wird durch kein Dienst- oder Arbeitsverhältnis beschränkt. Niemand darf benachteiligt werden, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht.(2) Die Freiheit der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens ist gewährleistet.
Das klingt doch wunderbar, oder? Das ist ein Auszug aus der Verfassung der DDR von 1974. Aber glauben Sie, dass man sich in der DDR ernsthaft darauf hätte berufen können? Dann fragen Sie mal die Leute, warum sie nach Bautzen gekommen sind und ob es wirklich so eine gute Idee gewesen ist, in der DDR seine Meinung frei zu äußern.
Eine Verfassung ist nur so stark wie die Menschen, die sie verteidigen ansonsten ist es totes Papier. Und unser derzeitiges Verfassungsgericht beschäftigt sich lieber damit Grundrechte noch weiter einzuschränken, als die Aufhebung von solchen vielleicht zu kritisieren. Da ist nichts zu erwarten und da wird auch nicht viel kommen. Allenfalls noch ein paar mehr gecastete und vorbereitete Verfahren, die eben nicht nur die Schweinereien der derzeitigen Regierung decken, sondern schon zukünftige Regierungen zwingen sollen, den eingeschlagenen Weg weiter verfolgen zu müssen.
Eine kleine Schlußbemerkung sei mir noch gestattet. Herr Harbarth hat ja erst vor kurzem verkündet, dass das Widerstandsrecht derzeit nicht greife, weil es sich nicht ernsthaft vertreten lasse, dass derzeit versucht würde die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen. Das mag sein, das mag auch nicht. Aber eins ist ganz sicher: Ein Präsident eines Verfassungsgerichtes wird NIE erklären können, dass das Widerstandsrecht jetzt greife. Er ist entweder Teil des Systems, dass diese Beseitigung durchführt oder er ist kein Präsident mehr. Es wäre absurd, rundweg absurd, dass ein System sich selber in Frage stellt. Wir könnten morgen die Monarchie wieder einführen, die Kahane-Stasi mit offiziellen Polizeiaufgaben betrauen und die Bürger dazu zwingen, ihre Wohnungen nie wieder zu verlassen, der Präsident des Verfassungsgerichtes wird NIE eine Legitimation zum Widerstand zu sich selbst geben. Das ist ein logischer Widerspruch.
Oder simpel gesagt: Ob das Recht zum Widerstand greift oder nicht, ist juristisch zum einen irrelevant (weil Strafen von Siegern ausgesprochen werden), zum anderen wird es nicht von denen entschieden, die es selber verursachen. Und auch hier komme ich zur DDR: Aus Sicht der DDR-Justiz waren die Demonstranten, die das Unrechtsregime(!) am Ende zum Einsturz brachten, allesamt Verbrecher. Und der einzige Grund, warum sie nicht in Bautzen gelandet sind, lag darin, dass die DDR zusammengebrochen ist, nicht darin, dass sie ein Widerstandsrecht wahrgenommen hätten.
Llarian
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