Wenn man eine kompakte Beschreibung für den Zustand der politischen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland 2021, im 16. Jahr der Herrschaft Merkel, abgeben müsste, dann wären die Beschreibung der Vorgänge um die Aktion #allesdichtmachen kein schlechter Ansatz.
Was ist passiert? Eine kleine Gruppe von Initiatoren sprach eine Gruppe von Schauspielern an, ob sie sich nicht an einer Kunstaktion zum Thema Lockdown beteiligen wollten, wo man sich mit dem Stilmittel der Ironie mit dem Thema auseinandersetzt. Herausgekommen ist eine Sammlung von 53 Videos, eingestellt auf Youtube und jedes zwischen knapp einer und gut drei Minuten lang.
Die Videos sind gut. Sie sind sehr unterschiedlich. Sie befassen sich aus sehr unterschiedlichem Blickwinkel mit den Maßnahmen, einige mit dem Holzhammer, andere subtil, wieder andere sehr direkt, andere nur sehr indirekt. Es ist ein ziemlich wildes Potpourri unterschiedlicher Statements und es ist Kunst im eigentlichen Sinne, die den Betrachter dazu einlädt sich eigene Gedanken zu machen. Es hebt sich dabei wohltuend von der heute üblichen Brechtstangen-"Satire" diverser Staatssender ab, bei dem es zu 80% nur noch darum geht sich selber in einer Mehrheit zu empfinden, die sich gemeinsam über andere Minderheiten erhebt und diese verspottet.
Doch weit aussagekräftiger als diese Kunstaktion ist die Reaktion der Republik, bzw. die Reaktion des so "demokratischen" und "pluralistischen" Mainstreams auf eben diese. Die Schauspieler wurden und werden massiv unter Druck gesetzt, ihre Zukunft wird in Frage gestellt, sie werden beschimpft, beleidigt und bedroht. Auch wenn die Formulierung mittelalterlich ist, so erwartet man von den Künstlern, dass sie abschwören, zu Kreuze kriechen, Buße tun.
Und einige tun das. Man mag das als Zeugnis von characterlicher Schwäche verstehen (was es am Ende zu einem Anteil mit Sicherheit auch ist), aber es ist auch ein Zeugnis des Zustand der Bundesrepublik. Denn die Drohungen und Konsequenzen für die Künstler sind absolut ernst zu nehmen. Wenn SPD Politiker (Rundfunkrat(!) Garrelt Duin) den Künstlern offen drohen, dass der öffentliche Rundfunk sie nicht mehr beschäftigen solle, dann ist das für viele die ganz konkrete Androhung eines Berufsverbots. Die Sozialdemokratie des Jahres 2021 hält es umhin für völlig normal einem Künstler Berufsverbot zu erteilen, weil er staatliche Maßnahmen ironisch kommentiert. Das hatten wir schon einmal. Und es ist nicht einmal besonders lange her. In der DDR ging man genauso mit Künstlern um, die die "demokratische" Gesellschaft in Frage stellten oder deren Wirken ironisch kommentierten. Mit dem Unterschied, dass man das im Nachhinein als Unrechtsstaat verstanden wissen wollte, wobei die SED schon seit Jahren daran arbeitet diesen Begriff verschwinden zu lassen und die Sozialdemokratie von 2021 vermutlich kein Problem haben wird, daran mitzuwirken, wenn die SED ihr eine Machtoption verschaffen sollte.
Das lustige, oder je nach Blickwinkel, tragische, ist, dass die Schauspieler genau das tun, was Künstler eigentlich tun sollten. Fragen stellen. Standpunkte in Frage stellen. Verhalten in Frage stellen. Kommentieren. Alternativen ansprechen. Sie tun genau das, was so selten geworden ist, in dieser sich so pluralistisch gebenden Gesellschaft, sie versuchen wirklich Diskussion anzustoßen, zu reflektieren und zum Nachdenken anzuregen. Aber das hat offenkundig(!) keinen Platz in der Gesellschaft, die das Wort Pluralismus wie eine Monstranz vor sich her trägt, aber den Inhalt des Wortes nicht nur nicht ertragen kann, sondern jeden bis zur Existenzvernichtung bedroht, der es versucht anzuwenden. Mitunter ist man erinnert an die heilige Inquisition, die zwar Jesus und seine Worte vor sich her trug, aber seine Worte nicht nur nicht ertragen konnte, sondern auch jeden, der diese Worte aufgriff oder gar einforderte nicht nur mit dem Tode bedrohte, sondern das auch durchaus umsetzte. So weit sind wir nicht. Noch nicht. Aber der Weg von der beruflichen Vernichtung bis zur persönlichen Vernichtung ist mit Sicherheit kürzer, als den meisten lieb sein dürfte.
Wenn die Reaktionen der Republik eins aufzeigen dann genau das Gegenteil: Wir sind das eben nicht. Wir sind keine(!) pluralistische Gesellschaft (mehr). Vielleicht waren wir es auch nie, auf jeden Fall sind wir es jetzt nicht. Genauso wenig wie die mittelalterliche Kirche besonders christlich war, sie war das Gegenteil davon. Wenn Menschen, wie eben besagter SPD Mann Duin (hier stellvertretend für viele seiner Art), die offenkundig ein totalitäres Verständnis von Meinung einem pluralistischen vorziehen, in die Position eines Rundfunkrates erhoben werden, dann sagt das viel über unsere Gesellschaft aus.
Und das sich natürlich sofort ganze Meuten von lieben "Kollegen" der Schauspieler finden, die sich moralisch erheben und die Kollegen in den moralischen Dreck werfen (damit ihnen auch mal wieder jemand zuhört) macht das Bild dann komplett. Künstler, die dem Staat zuarbeiteten und dafür nach ihrem Platz an der Sonne hechelten, gab es auch zu DDR Zeiten schon genügend.
Und ich glaube, damit sind wir auch genau dort angekommen. Die BRD hat sich, was ihre politische Kultur angeht, mehr und mehr Richtung DDR entwickelt. Ja, wir haben noch kein Bautzen aufgebaut, Selbstschussanlagen liegen auch noch im Keller und die Stasi in Form der Kahane-Stiftung ist zwar schon mit staatlicher Kohle aber noch nicht mit Polizeigewalt ausgestattet. Alles richtig. Aber kulturell sind wir inzwischen fast da angekommen, wo die DDR 1989 aufgehört hat. Künstler müssen sich staatskonform geben, Berufsverbote werden angedroht und wenn sich einer gegen das Regime stellt, wird aller moralischer Kompost über ihm ausgekübelt, bis er abschwört. Vielleicht sind wir dank moderner Technik sogar schon einen Schritt weiter. So wurden einige Schriften von Künstlern aus der DDR noch rausgeschmuggelt und dann im Westen veröffentlicht, um dann wieder ihren Weg, spätestens über den Rundfunk, in die DDR zurück zu finden. Dank dem Rückgriff auf Google, Facebook, Twitter und Konsorten, finden die Meinungen heute selbst keinen indirekten Weg mehr zum gemeinen Volk (so hat Youtube die 53 Videos aus seiner Suchfunktion entfernt. Soviel zum Thema "Do no evil".)
Prinzipiell kann man einen Polizeistaat gut finden. Man kann Totalitarismus gut finden. Man kann staatlichen Zwang gut finden, Meinungsfreiheit ablehnen und erzwungenen Konformismus richtig. Kann man alles machen. Aber dann nennt euch nicht "pluralistisch", "liberal", "offen" oder sonst irgendwelchen Quatsch, um Euch besser zu fühlen. Ihr seid es nicht!
Die DDR war kein demokratischer Staat, sie war kein offener Staat, sie war kein liberaler Staat, sie war kein pluralistischer Staat, sie war kein gerechter Staat, sie war ein dickes Freiluftgefängnis und Unrechtssystem. Wenn ihr das haben wollt, dann steht wenigstens dazu.
Llarian
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