20. April 2021

Der Fluch des Irrtums und der Lüge. Ein Gedankensplitter.

"Was wird man im Leben schwer los? Lügen. Sie prägen einen fast ein Leben lang."

                                                                                                --- Sinan Gönül

Ein Mann beobachtet einen brutalen Überfall, ein großer Mann überfällt eine Frau, schlägt sie brutal zu Boden und verletzt sie dabei erheblich. Einen Tag später verhaftet die Polizei einen Verdächtigen und führt den Zeugen zu einer Gegenüberstellung. Der ist sich überhaupt nicht sicher und hadert mit sich. Der Polizist weist ihn darauf hin, dass die Frau nicht nur schwerstens verletzt worden ist, sondern auch drei kleine Kinder hat, die nun furchtbar leiden. Der Zeuge windet sich und entschließt sich schließlich für den größten Mann, in der Hoffnung den richtigen identifiziert zu haben. Der Polizist lobt ihn, das wird er wohl sein. Zwei Tage später gibt es dann einen Termin beim Haftrichter, der Zeuge identifiziert den Täter, dieser wird angeklagt. Vier Wochen später dann die Verhandlung, der Zeuge ist sich inzwischen sicher, dass es sich um den Täter handelt. Er identifiziert ihn zweifelsfrei und dieser wird, da die Frau inzwischen verstorben ist, zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Nach einem Jahr im Gefängnis wird ein zweiter Verdächtiger verhaftet, der im Besitz von vielen Dingen ist, die beim Überfall erbeutet wurden. Es kommt zu einem weiteren Verfahren. Der Zeuge ist sich absolut und ohne Zweifel sicher den richtigen Täter benannt zu haben und das sagt er auch. Selbst als der zweite Verdächtige den Überfall gesteht, bleibt der Zeuge dabei, dass es sich dabei um eine Lüge handeln muss. Er weiß, was er gesehen hat.

­Übertrieben? Nein, überhaupt nicht. Solche Verfahren sind gar nicht so selten. Das Projekt "Innocence" hat seit 1992 bisher die Aufhebung von gut 350 Urteilen erwirkt, in 70% der Verfahren kam es zu falschen Identifizierungen durch Augenzeugen. Die meisten Juristen wissen, dass es kaum etwas unzuverlässigeres gibt als Zeugenaussagen. Bleibt die Frage: Wie kommt es dazu? 

Im Wesentlichen sind es zwei Effekte, die hier eine Rolle spielen, wobei nur einer die Basis für den folgenden Artikel sein soll. Der erste Effekt, der hier nur der Vollständigkeit halber wiedergegeben sein soll, ist das Problem der nicht statischen Erinnerung. Viele Menschen unterliegen der Illusion,  die menschliche Erinnerung sei wie ein Telefonbuch, die Erinnerung liege in diesem Buch und wenn sie gebraucht wird, wird sie abgerufen und entsprechend jedes Mal genau gleich wahrgenommen. Das ist, schlicht gesprochen, Unsinn. Die menschliche Erinnerung gleicht eher eine Theaterbühne, das Script wird abgerufen, die Bühne spielt, und danach wird eine Abschrift des Spiels als neues Script abgelegt. Oder anders gedrückt: Das Erinnern verändert die Erinnerung, denn jedes Mal, wenn wir uns erinnern, ist diese nicht vollständig, wird aber von unserem Gehirn logisch (zumindest im Rahmen was jemand für logisch hält) ergänzt. Diese Ergänzungen sind aber Teil des neuen Spiels und werden ebenso als absolut wahr wieder abgelegt.  Genau das ist dem oben erwähnten Zeugen passiert: Jedes Mal, wenn er sich erinnert hat, hat sein Gehirn Ergänzungen vorgenommen, so dass es immer mehr zum Äußeren passte und am Ende ist er sich absolut sicher, den Mann gesehen zu haben. Wichtig: Er lügt nicht bewusst. Er erinnert sich wirklich. 

Der zweite Effekt ist unehrlicher und am Ende noch verheerender, denn im Unterschied zum ersten sind sich die wenigsten Menschen seiner Existenz bewusst: Es handelt sich um konzeptionellen Konservatismus (der englische Ausdruck belief perseverance trifft es meiner Meinung nach besser). Es ist die kognitive Verzerrung Dinge, die wir einmal für richtig gehalten haben, weiter zu glauben, auch wenn inzwischen deutliche Widersprüche aufzeigen, dass wir einem Irrtum aufgesessen sind. Dieser Effekt ist umso stärker, wenn jemand diese Überzeugung nicht nur innerlich formuliert sondern auch artikuliert hat, extrem vor allem dann, wenn er sie sogar niedergeschrieben hat.  Abstrakt formuliert bedeutet das, das jemand, der nur ein bischen über etwas nachgedacht hat, durchaus bereit ist seine Meinung zu modifizieren, ist er dagegen zu einem Urteil gekommen, ist es deutlich schwieriger. Hat er dieses Urteil sogar noch artikuliert oder argumentiert, fällt es den allermeisten Menschen extrem schwer noch von dieser Meinung abzurücken. Und selbst das ist noch steigerungsfähig, denn wenn jemand sogar im Namen dieser Meinung in einer Art gehandelt hat, die ohne die Richtigkeit dieser Meinung zu veurteilen wäre, dann ist eine Abkehr davon praktisch ausgeschlossen.

Da das sehr theoretisch ist, ein Beispiel: Eine Person, die mir mal gut vertraut war, war auch Soldat im zweiten Weltkrieg. Er war bis zu seinem Tode der festen Meinung, als Soldat richtig gehandelt zu haben und das die Wehrmacht eine saubere Organisation war. Und das trotz erdrückender Wissenslage, welche Verbrechen die Wehrmacht begangen hatte und was sie angerichtet hatte. Es war ihm nicht möglich sich von seiner ursprünglichen Meinung zu lösen. Es geht dabei auch nicht um persönliche Schuld, sondern die nicht vorhandene Möglichkeit etwas, für das man bereit war zu sterben, anders zu bewerten. Es ging schlicht nicht. Es ist nicht nur die klassische kognitive Dissonanz oder Denkfäule, es war diesem Menschen tatsächlich nicht möglich seinen Standpunkt zu ändern. Und damit ist er auch gestorben. Andere, die vielleicht nicht überzeugt von dem waren, was die Wehrmacht tat, waren in der Lage sich zu lösen. 

Man muss sich an der Stelle auch nicht auf die Wehrmacht einschiessen (no pun intended). Auch die RAF Terroristen waren im Wesentlichen nicht in der Lage sich von dem zu trennen, was sie einmal für richtig gehalten haben. Ein Lippenbekenntis hier und da, auch und gerade um wieder in Freiheit zu kommen, aber die tatsächliche Umkehr findet sich eher sehr, sehr selten. Ein Mörder, der sich während und nach seiner Tat bewusst ist, falsch zu handeln, kann tatsächlich irgendwann seine Tat bereuen. Jemand der aus Überzeugung getötet hat, kann das in aller Regel nicht. 

Bei all dem handelt es sich um das, was ich im Titel versucht habe auszurücken: Den Fluch des Irrtums oder besser den Fluch der Lüge. Umso stärker man selber einen Irrtum oder eine Lüge vertritt, umso unmöglicher wird es aus dieser wieder herauszufinden. Man ist im Irrtum oder eben in der Lüge für immer gefangen.

Ein weit griffigeres Beispiel, und jetzt komme ich zu etwas aktuelleren Themen, ist das Waldsterben. In den 80er Jahren waren in Deutschland nicht wenige Menschen vom Waldsterben überzeugt. Nicole feierte einen Erfolg nach dem anderen, die Umweltschutzbewegung wuchs kräftig an, die Grünen formierten sich und in der Presse erschienen Artikel, die uns erzählten, der deutschen Wald habe keine 20 Jahre mehr. Das meiste war am Ende Unsinn, bzw. es gab eine technische Lösung, die nichts mit den Lösungen der Umweltbewegten zu tun hatte. Die Rauchgasentschwefelung beseitigte das Problem fast vollständig und heute haben wir deutlich mehr Waldfläche als vor 40 Jahren. Aber genau hier greift der konzeptionelle Konservatismus. Wer in den 80er Jahren eher still war, der kann damit leben, dass der Wald nicht gestorben ist, aber wer in den 80er Jahren um die Bäume weinte und das auch jedem erzählte, wer Wahlkampf damit führte oder gar mit Gewalt versuchte den Wald zu schützen, der glaubt auch heute noch feste an das Waldsterben. Er sieht überall Belege dafür und ist sich ganz sicher schon immer recht gehabt zu haben. Und er wird auch weiter daran glauben bis er tot ist.

Solche Beispiele gibt es einige. Rein aus sachlicher Perspektive wissen die meisten Menschen, dass Kernkraftwerke erstaunlich sichere Technologien sind. Gemessen an ihrem gewaltigen Nutzen sind die Risiken erstaunlich klein und selbst linke Politiker und Technokraten haben den Nutzen der Kernenergie begriffen, siehe China, aber siehe auch Frankreich. Nicht so in Deutschland. Deutschland wird immer noch dominiert von Menschen, die so sicher gegen die Kernenergie zu Felde gezogen sind, dass sie ihren Standpunkt nicht mehr ändern können. In den 80er und 90er Jahren, als in Deutschland die große Atomdiskussion stattfand (Tschernobyl war 1986), hatte man im Ausland schlicht andere Sorgen. Und 20 Jahre später war die Wahrnehmung eine andere und so konnte sich im Ausland vielfach keine so atomfeindliche Stimmung mehr ausbreiten. Die Anwendung der Problematik auf die Klimaerwärmung überlasse ich dem Leser als Übung.

Aber mein Zielpunkt ist heute ein anderer, er ist -Überraschung- dieser Tage natürlich Corona. Bzw. die Machtergreifung im Namen von Corona, die derzeit stattfindet. Ich lese jede Woche Dutzende Artikel in denen unterschiedlich detailliert gezeigt wird, dass Corona selbst das Prädikat schwere Grippe zunehmend weniger verdient. Es handelt sich um eine zunehmend gebannte Gefahr, die ohnehin massiv übertrieben aufgenommen und beschrieben wurde, am Ende ein Scheinriese, der bei Licht betrachtet kaum als guter Schachtelteufel taugt. Und vielfach wundern sich die Autoren, dass jetzt, wo das alles ans Licht kommt, nicht die Panik zurück gefahren wird, warum nicht die Ratio wieder einsetzt und wir uns alle mal fragen, wie es sein konnte, das wir in diese Massenpsychose gefallen sind. Sondern stattdessen eine Machtergreifung stattfindet, wie wir seit dem zweiten Weltkrieg nicht gesehen haben, wie die Panik mehr und lauter hochgefahren wird und das Land zunehmend in innere Konflikte gerät, die das Potential haben mehr Schaden anzurichten, als je zuvor in der Bundesrepublik. 

Ich kann Ihnen sagen, warum das nicht passiert: Weil die Menschen, die Panik empfunden und artikuliert(!) haben, nicht zurück können. Sie sind gefangen im Fluch der Lüge. Als die Seuche neu und unbekannt war, haben sich die meisten kaum eine Meinung bilden können. Informationen gab es wenig, Unsicherheit dominierte die Republik. Im Zweifelsfall vorsichtig sein. Im Zweifelsfalls etwas mehr Angst haben als nötig. Und so haben sich immer mehr Leute festgelegt. Gerade in der Politik wird das nicht erst seit heute von jedem erwartet. Da eine Opposition in Deutschland dank des Medien-Mobs nicht mehr stattfindet, war die Festlegung dann auch sehr schnell abgeschlossen. Und in einem Wettstreit wer den besten gibt, haben sich bestimmte Herrschaften (und Damenschaften) immer mehr gesteigert. Das ging dann am Ende zu Maßnahmen, die einem Rechtstaat nicht würdig sind. Aber genau darin lag und liegt dann die Crux: Umso extremer die Maßnahmen wurden und umso extremer dieser auch verteidigt werden mussten, umso extremer bildet sich der konzeptionelle Konservatismus heraus. Und das nicht nur bei Politikern. Wer einmal seiner Angst nachgegeben hat und auf Bürgerrechte gepfiffen hat, der KANN nicht mehr zurück. Insbesondere wenn er anderen Gegenüber diese Meinung geäußert, sie argumentiert und debattiert hat. Wie auch? Er müsste dann vor sich selbst zugeben die Misere mit angerichtet zu haben. Und damit sind wir bei dem Soldaten von oben. Einzugestehen, dass die Wehrmacht verbrecherisch handelte, ist identisch damit sich selber eine Schuld dafür zu geben, da mitgemacht zu haben, sie verteidigt zu haben, ja für sie getötet zu haben. Die heutige Panikerfraktion müsste zugeben, dass sie die Existenz von hunderttausenden ruiniert hat, dass sie 11 Millionen Schüler aus der Schule verbannt und Teilen ihrer Lebensfreude beraubt hat. Das sie mehr Schulden und Kosten verursacht hat, als wir in 10 Jahren zurückzahlen können, eine Wirtschaftsvernichtung, die das letzte mal in so konzentrierter Form 1926 das letzte mal statt fand. Und das alles für Nüsse.  

Das geht nicht. Angela Merkel kann(!) nicht zurück. Markus Söder kann(!) nicht zurück. Karl Lauterbach kann(!) nicht zurück. Christian Drosten kann(!) nicht zurück. Sie alle sind für immer(!) im Fluch der Lüge gefangen. Selbst wenn sich Corona als Schnupfen herausstellen würde, sie könnten nie zurück. Und das sollten wir auch nicht von Ihnen erwarten. Die Republik wird erst dann zur Ruhe kommen, wenn sie nichts mehr zu sagen haben. 

Die Erkenntnis, dass Corona am Ende ein Fall von Massenhysterie war und die Maßnahmen in einem absurden Missverhältnis zur Gefahr gestanden haben, wird in Deutschland Jahre, wenn nicht Jahrzehnte auf sich warten lassen. Einfach weil die Protagonisten, aber auch die einfachen Menschen in ihrem Glauben gefangen sind, dass sie real bedroht waren und die Maßnahmen wenig Schaden angerichtet haben. Albert Einstein hat mal treffend bemerkt, dass es nicht die falschen Theorien sind, die aussterben, sondern diejenigen, die sie vertreten. War nicht das einzige mit dem er Recht hatte. 

Llarian

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