伏园兄:
北京近日多雨,你在长安道上不知也遇到否,想必能增你旅行的许多佳趣。雨中旅行不一定是很愉快的,我以前在杭沪车上时常遇雨,每感困难,所以我于火车的雨不能感到什么兴味,但卧在乌篷船里,静听打篷的雨声,加上欸乃的橹声以及“靠塘来,靠下去”的呼声,却是一种梦似的诗境。
倘若更大胆一点,仰卧在脚划小船内,冒雨夜行,更显出水乡住民的风趣,虽然较为危险,一不小心,拙劣地转一个身,便要使船底朝大。二十多年前往东浦吊先父的保姆之丧,归途遇暴风雨,一叶扁舟在白鹅似的波浪中间滚过大树港,危险极也愉快极了。我大约还有好些“为鱼”时候--至少也是断发文身时候的脾气,对于水颇感到亲近,不过北京的泥塘似的许多“海”实在不很满意,这样的水没有也并不怎么可惜。你往“陕半天”去似乎要走好两天的准沙漠路,在那时候倘若遇见风雨,大约是很舒服的,遥想你胡坐骡车中,在大漠之上,大雨之下,喝着四打之内的汽水,悠然进行,可以算是“不亦快哉”之一。但这只是我的空想,如诗人的理想一样的靠不住,或者你在骡车中遇雨,很感困难,正在叫苦连天也未可知,这须等你回京后问你再说了。
我住在北京,遇见这几天的雨,却叫我十分难过。北京向来少雨,所以不但雨具不很完全,便是家屋构造,于防雨亦欠周密。除了真正富翁以外,很少用实垛砖墙,大抵只用泥墙抹灰敷衍了事。近来天气转变,南方酷寒而北方淫雨,因此两方面的建筑上都露出缺陷。一星期前的雨把后园的西墙淋坍,第二天就有“梁上君子”来摸索北房的铁丝窗,从次日起赶紧邀了七八位匠人,费两天工夫,从头改筑,已经成功十分八九,总算可以高枕而卧,前夜的雨却又将门口的南墙冲倒二三丈之谱。这回受惊的可不是我了,乃是川岛君“佢们”俩,因为“梁上君子”如再见光顾,一定是去躲在“佢们”的窗下窃听的了。为消除“佢们”的不安起见,一等大气晴正,急须大举地修筑,希望日子不至于很久,这几天只好暂时拜托川岛君的老弟费神代为警护罢了。
前天十足下了一夜的雨,使我夜里不知醒了几遍。北京除了偶然有人高兴放几个爆仗以外,夜里总还安静,那样哗喇哗喇的雨声在我的耳朵已经不很听惯,所以时常被它惊醒,就是睡着也仿佛觉得耳边粘着面条似的东西,睡的很不痛快。还有一层,前天晚间据小孩们报告,前面院子里的积水已经离台阶不及一寸,夜里听着雨声,心里胡里胡涂地总是想水已上了台阶,浸入西边的书房里了。好容易到了早上五点钟,赤脚撑伞,跑到西屋一看,果然不出所料,水浸满了全屋,约有一寸深浅,这才叹了一口气,觉得放心了,倘若这样兴高采烈地跑去,一看却没有水,恐怕那时反觉得失望,没有现在那样的满足也说不定。幸而书籍都没有湿,虽然是没有什么价值的东西,但是湿成一饼一饼的纸糕,也很是不愉快。现今水虽已退,还留一种涨过大水后的普通的臭味,固然不能留客坐谈,就是自己也不能在那里写字,所以这封信是在里边炕桌上写的。
这回的大雨,只有两种人最喜欢。第一是小孩们。他们喜欢水,却极不容易得到,现在看见院子里成了河,便成群结队的去“趟河”去。赤了足伸到水里去,实在很有点冷,但是他们不怕,下到水里还不肯上来。大人们见小孩玩的有趣,也一个两个地加入,但是成绩却不甚佳,那一天里滑倒了三个人,其中两个都是大人--其一为我的兄弟,其一是川岛君。第二种喜欢下雨的则为蛤蟆。从前同小孩住高亮桥去钓鱼钓不着,只捉了好些蛤蟆,有绿的,有花条的,拿回来都放在院子里,平常偶叫几声,在这几天里便整日叫唤,或者是荒年之兆,却极有田村的风味。有许多耳朵皮嫩的人,很恶喧嚣,如麻雀蛤蟆或蝉的叫声,凡足以妨碍他们的甜睡者,无一不痛恶而深绝之,大有欲灭此而午睡之意,我觉得大可以不必如此,随便听听都是很有趣味的,不但是这些久成诗料的东西,一切鸣声其实都可以听。蛤蟆在水田里群叫,深夜静听,往往变成一种金属音,很是特别,又有时仿佛是狗叫,古人常称蛙蟆为吠,大约也是从实验而来。我们阶了里的蛤蟆现在只见花条的一种,它的叫声更不漂亮,只是格格格这个叫法,可以说是革音,平常自一声至三声,不会更多,唯在下雨的早晨,听它一口气叫上十二三声,可见它是实在喜欢极了。
这一场大雨恐怕在乡下的穷朋友是很大的一个不幸,但是我不曾亲见,单靠想象是不中用的,所以我不去虚伪地代为悲叹了,倘若有人说这所记的只是个人的事情,于人生无益,我也承认,我本来只想说个人的私事,此外别无意思。今天太阳已经出来,傍晚可以出外去游嬉,这封信也就不再写下去了。
我本等着看你的秦游记,现在却由我先写给你看,这也可以算是“意表之外”的事罢。
十三年七月十七日在京城书。
* * *
Lieber Bruder Fuyuan (1):
In den letzten Tagen hat es in Beijing ausgiebig geregnet. Ich weiß nicht, ob du auf deinem Weg nach Chang'an in diese Schauer geraten bist. Falls doch, so dürfte das den Reiz der Reise durchaus erhöht haben. Ich will damit nicht sagen, daß Reisen bei Regen stets angenehm sind. Als ich noch oft mit dem Zug von Hangzhou nach Shanghai fuhr, regnete es oft, und der Regen bedrückte mich. Aus diesem Grund kann ich Zugfahrten bei Regen nichts abgewinnen. Aber auf der Sitzbank eines schwarzüberdachten Bootes (2) zu liegen, dem Rauschen des Regens auf dem Schutzdach zuzuhören und den heiseren Rufen des Fährmanns, "kào táng lái, kào xiàqù - halt dich am Ufer, fahr weiter!" - das hat etwas von traumhafter Poesie. Wenn man wagemutiger ist und nachts im Regen auf dem Rücken liegend das Boot mit den Füßen rudert, erfährt man noch hautnäher die Aufregung, die das Leben auf dem Wasser mit sich bringt; auch wenn es riskanter ist, weil eine unvorsichtige Bewegung das Boot zum Kentern bringen kann. Als wir vor mehr als zwanzig Jahren zum Begräbnis der Amme meines Vaters nach Dongpu (3) hinausfuhren, gerieten wir auf der Rückfahrt in einen Sturm; unser Boot tanzte wild auf den Wellen des Dashugang-Kanals, die wie ein weißer Schwarm auffliegender Gänse wirkten; es war äußerst gefährlich und zur gleichen Zeit auch angenehm aufwühlend. Ich scheine mir etwas aus der Zeit bewahrt zu haben, als unsere Vorfahren noch wie Fische im Wasser lebten (4) - oder als sie zumindest noch tätowierte Wilde waren - das sich in meinem Hang zum Wasser ausdrückt. Allerdings gefallen mir viele der Schlammpfützen, die in Beijing als "Seen" gelten, gar nicht. Es wäre kein großer Verlust, wenn es sie nicht gäbe. Auf dem Weg nach Shaanxi führt dein Weg zwei Tage lang durch trockenes, wüstenähnliches Gebiet. Dort könnte es ganz erfrischend sein, in einem Sturm zu geraten. Ich stelle mir vor, wie du im Maultierkarren sitzt, unter dir der Wüstensand, über dir der Wolkenbruch, und eine Dose Sodawasser nach der nächsten aufmachst. Aber das ist nur meine Phantasie, und die ist so unzuverlässig wie bei allen Dichtern. Wahrscheinlich ist dir ein Sturzregen nur unangenehm, oder ihr bleibt gar auf dem Weg stecken. Selbst wenn du dann den Himmel anklagst, wird er sich taub stellen. Aber danach kann ich dich erst fragen, wenn du wieder in Beijing bist.
Was mich hier in Beijing betrifft, so haben mich die letzten Tage voller endlosem Regen bedrückt. In Beijing regnet es normalerweise nicht viel. Als Folge davon besitzen nicht nur die meisten Leute keine geeignete Regenkleidung, auch die Häuser sind nicht entsprechend gebaut. Mit Ausnahme wirklich reicher Bürger verwendet man hier keine massiven Ziegelmauern, sondern zumeist nur getrocknete Lehmziegel mit Verputz. Vor ein paar Tagen hat sich die Wetterlage umgekehrt: jetzt gibt es im Süden bittere Kälte und im Norden Regenfluten, und die Baumängel sowohl bei den Häusern im Süden wie im Norden zeigen sich drastisch. Vor einer Woche hat der Regen die Mauer an der Westseite unseres Gartens hinter dem Haus zum Einsturz gebracht, und am Tag darauf erhielten wir Besuch von ein paar ehrenwerten Herrn aus der Branche der Seiteneinsteiger (5), die die Stärke der Fenstergitter an der Nordseite des Hauses überprüften. Am nächsten Tag erschienen sieben oder acht Maurergehilfen, die wir in Eile beauftragt hatten. Nach zwei Tagen war der gröbste Schaden behoben, und wir konnten wieder beruhigt schlafen. Aber der Starkregen der letzten Nacht hat die Südmauer neben dem Haupteingang auf ein oder zwei Zhang (6) einstürzen lassen. Diesmal bin nicht ich beunruhigt, sondern das Ehepaar Chundao, denn wenn uns die "Herren vom Dach" noch einmal beehren, stellen ihre Fenster jetzt das erste Ziel da. Es ist dringend nötig, hier umfangreiche Reparaturen durchzuführen, sobald das Wetter wieder dauerhaft aufklart, was hoffentlich bald der Fall sein wird, um die Chundaos zu beruhigen. Bis dahin werde ich wohl Herrn Chundaos jüngeren Bruder (7) bitten, ein paar Nächte lang Wache zu halten.
Vor zwei Tagen regnete es die ganze Nacht hindurch heftig, und ich wurde dadurch immer wieder aufgeweckt. Beijing ist nachts immer sehr ruhig, außer wenn ein paar Übermütige Feuerwerksköprer zünden. Ich bin das laute Rauschen des Regens nicht gewöhnt, so daß ich immer wieder aus dem Schlaf aufschrecke. Selbst wenn ich einschlafen kann, ist es, als ob mir etwas die Ohren verstopfen würde. Das Gefühl, die Ohren voller klebriger Nudeln zu haben, bringt mich um jeden tiefen Schlaf. Außerdem hatten die Kinder am Abend berichtet, daß das Wasser im Innenhof weniger als einen Zoll unter der Türschwelle (8) stand. Während ich im Dunkeln auf das Geräusch des Regens lauschte, stellte ich mir vor, daß das Wasser über die Schwelle gestiegen wäre und mein Bücherzimmer im Westflügel überschwemmt hätte. Um fünf Uhr morgens stand ich endlich auf und lief barfuß, mit einem Schirm in der Hand, zum Westtrakt hinüber. Wie erwartet war das Wasser über die Schwelle getreten und hatte das ganze Gebäude etwa einen Zoll unter Wasser gesetzt. Ich mußte vor Erleichterung seufzen. Ich war so angespannt, daß ich Enttäuschung empfunden hätte, wenn ich losgelaufen wäre und die Zimmer trocken vorgefunden hätte. Glücklicherweise waren die Bücher nicht naß geworden. Sie besitzen zwar keinen großen Wert, aber selbst bei billigen Büchern ist es sehr unschön, wenn sie zu einem Klumpen fester Masse zusammengebacken sind. Mittlerweile ist das Wasser wieder abgelaufen, aber der Gestank, den eine Überschwemmung hinterläßt, ist noch geblieben. Zurzeit kann ich dort keine Gäste empfangen; ich kann dort nicht einmal schreiben. Diesen Brief schreibe ich an dem Tisch, den neben dem Ofen (9) im Haupthaus steht.
Es gibt überhaupt nur zwei Gruppen von Leuten (10), die diese Art von starkem Regen wirklich schätzen. Das eine sind die Kinder. Sie lieben Wasser, aber sie können selten darin herumtollen. Jetzt, nachdem sich der Hof in einen Fluß verwandelt hat, kamen sie alle an, um darin umherzuplanschen. Sie waten mit bloßen Füßen durch das Wasser, und lassen sich von der Kälte nicht beeindrucken und wollen gar nicht mehr damit aufhören. Ein paar von den Erwachsenen, die sahen, wieviel Spaß die Kinder dabei haben, haben sich anstecken lassen und sind ebenfalls darin herumgeplanscht, aber mit weniger Glück. Von den drei Erwachsenen, die sich daran versucht haben, sind zwei der Länge nach im Schlamm gelandet: mein jüngerer Bruder und Herr Chuandao. Bei der zweiten Gruppe, die den Regen liebt, handelt es sich um die Frösche. Vor einiger Zeit war ich mit den Kindern bei der Gao Liangqiao-Brücke (11), um zu angeln. Wir haben keinen einzigen Fisch gefangen, aber dafür jede Menge Frösche, grüne und gestreifte (12). Wir nahmen einige davon mit nach Hause und setzten sie im Hof aus. Üblicherweise quaken sie nur ab und zu, aber in den letzten Wochen haben sie in einem fort gequakt. Für die Ernte gilt das ja als ein schlechtes Omen, aber wir kommen uns hier vor, als ob wir mitten auf dem Land leben würden. Es gibt ja viele Menschen mit empfindlichem Gehör, die das Lärmen von Spatzen, von Fröschen und das Zirpen der Grillen stört, die einen leichten Schlaf haben und alle diese Störungen aus tiefster Seele hassen und am liebsten all diese Tiere ausrotten würden, um umgestörte Nachtruhe genießen zu können. Ich halte das für Unsinn. Es macht Spaß, diesen Geräuschen entspannt zuzuhören. Nicht nur jenen Lauten, die seit alters her als poetisch bezeichnet werden, sondern allen Tierlauten, die nachts zu hören sind. Wenn Frösche in großer Menge nach in einem Reisfeld quaken, während ringsherum Stille herrscht, nimmt ihr Chor oft einen harten, metallisch wirkenden Klang an - und dann wieder klingt es, als ob Hunde bellen würden. In der Antike hieß es oft, daß Frösche "bellen"; wahrscheinlich entstammt dieser Ausdruck der Erfahrung. Die Frösche, die in unserem Hof übrig geblieben sind, zählen jetzt alle zur gestreiften Art; ihr Ruf ist auch nicht schöner: sie rufen nur ein schlichtes Ge-Ge-Ge; man könnte das ihr Mantra nennen, oder ihre Tonleiter (13). Üblicherweise quaken sie nicht mehr als zwei oder drei Mal hintereinander, aber an diesen verregneten Morgen rufen sie ein dutzendmal oder öfters in einem fort; das zeigt, daß sie sich wirklich wohlfühlen.
Ich fürchte, daß diese schweren Regenfälle für die armen Bauern auf dem Land draußen ein Unglück darstellen, aber ich habe selber nicht gesehen, wie es dort steht, und meine Phantasie allein nützt hier nichts; ich werde hier jetzt keine scheinheiligen Wehklagen für sie hinsetzen. Falls mir jemand vorwirft, daß ich nur Persönliches geschrieben habe und nichts von allgemeinem Interesse, dann hat er recht. Ich hatte nie vor, über anderes zu schreiben. Das Wetter hat jetzt aufgeklart, und ich kann jetzt einen Spaziergang unternehmen, um den Abend zu genießen; also schließe ich diesen Brief hier.
Ich wollte dir eigentlich erst schreiben, wenn ich deinen Bericht von der Reise nach Qin kenne. Jetzt bin ich dir zuvorgekommen. Ich nehme dies einmal als ein Beispiel für "das Unerwartete" (14).
Beijing, am 17. Juli im 13. Jahr der Republik (1924)
* * *
1. "Lieber Bruder Fuyuan". Der Addressat des (fiktiven) Briefs ist Sun Fuyuan, 孙伏园 (1894-1966), ein alter Freund Zhuos, der während seiner Schulzeit zwei Jahre lang von Lu Xun unterrichtet wurde. 1912 wurde er Herausgeber der Literaturbeilage der Pekinger Tageszeitung "Morgennachrichten", 《晨报》 (Chenbao), in der Lu Xuns "Durchbruchserzählung" 《阿Q正传》 (“Ah Q zhèng zhuàn” / "Die wahre Geschichte des Ah Q") in Fortsetzungen zwischen dem 4. Dezember 1921 und dem 12. Februar 1922 zuerst veröffentlicht wurde.
伏园兄:
北京近日多雨,你在长安道上不知也遇到否,想必能增你旅行的许多佳趣。雨中旅行不一定是很愉快的,我以前在杭沪车上时常遇雨,每感困难,所以我于火车的雨不能感到什么兴味,但卧在乌篷船里,静听打篷的雨声,加上欸乃的橹声以及“靠塘来,靠下去”的呼声,却是一种梦似的诗境。
倘若更大胆一点,仰卧在脚划小船内,冒雨夜行,更显出水乡住民的风趣,虽然较为危险,一不小心,拙劣地转一个身,便要使船底朝大。二十多年前往东浦吊先父的保姆之丧,归途遇暴风雨,一叶扁舟在白鹅似的波浪中间滚过大树港,危险极也愉快极了。我大约还有好些“为鱼”时候--至少也是断发文身时候的脾气,对于水颇感到亲近,不过北京的泥塘似的许多“海”实在不很满意,这样的水没有也并不怎么可惜。你往“陕半天”去似乎要走好两天的准沙漠路,在那时候倘若遇见风雨,大约是很舒服的,遥想你胡坐骡车中,在大漠之上,大雨之下,喝着四打之内的汽水,悠然进行,可以算是“不亦快哉”之一。但这只是我的空想,如诗人的理想一样的靠不住,或者你在骡车中遇雨,很感困难,正在叫苦连天也未可知,这须等你回京后问你再说了。
我住在北京,遇见这几天的雨,却叫我十分难过。北京向来少雨,所以不但雨具不很完全,便是家屋构造,于防雨亦欠周密。除了真正富翁以外,很少用实垛砖墙,大抵只用泥墙抹灰敷衍了事。近来天气转变,南方酷寒而北方淫雨,因此两方面的建筑上都露出缺陷。一星期前的雨把后园的西墙淋坍,第二天就有“梁上君子”来摸索北房的铁丝窗,从次日起赶紧邀了七八位匠人,费两天工夫,从头改筑,已经成功十分八九,总算可以高枕而卧,前夜的雨却又将门口的南墙冲倒二三丈之谱。这回受惊的可不是我了,乃是川岛君“佢们”俩,因为“梁上君子”如再见光顾,一定是去躲在“佢们”的窗下窃听的了。为消除“佢们”的不安起见,一等大气晴正,急须大举地修筑,希望日子不至于很久,这几天只好暂时拜托川岛君的老弟费神代为警护罢了。
前天十足下了一夜的雨,使我夜里不知醒了几遍。北京除了偶然有人高兴放几个爆仗以外,夜里总还安静,那样哗喇哗喇的雨声在我的耳朵已经不很听惯,所以时常被它惊醒,就是睡着也仿佛觉得耳边粘着面条似的东西,睡的很不痛快。还有一层,前天晚间据小孩们报告,前面院子里的积水已经离台阶不及一寸,夜里听着雨声,心里胡里胡涂地总是想水已上了台阶,浸入西边的书房里了。好容易到了早上五点钟,赤脚撑伞,跑到西屋一看,果然不出所料,水浸满了全屋,约有一寸深浅,这才叹了一口气,觉得放心了,倘若这样兴高采烈地跑去,一看却没有水,恐怕那时反觉得失望,没有现在那样的满足也说不定。幸而书籍都没有湿,虽然是没有什么价值的东西,但是湿成一饼一饼的纸糕,也很是不愉快。现今水虽已退,还留一种涨过大水后的普通的臭味,固然不能留客坐谈,就是自己也不能在那里写字,所以这封信是在里边炕桌上写的。
这回的大雨,只有两种人最喜欢。第一是小孩们。他们喜欢水,却极不容易得到,现在看见院子里成了河,便成群结队的去“趟河”去。赤了足伸到水里去,实在很有点冷,但是他们不怕,下到水里还不肯上来。大人们见小孩玩的有趣,也一个两个地加入,但是成绩却不甚佳,那一天里滑倒了三个人,其中两个都是大人--其一为我的兄弟,其一是川岛君。第二种喜欢下雨的则为蛤蟆。从前同小孩住高亮桥去钓鱼钓不着,只捉了好些蛤蟆,有绿的,有花条的,拿回来都放在院子里,平常偶叫几声,在这几天里便整日叫唤,或者是荒年之兆,却极有田村的风味。有许多耳朵皮嫩的人,很恶喧嚣,如麻雀蛤蟆或蝉的叫声,凡足以妨碍他们的甜睡者,无一不痛恶而深绝之,大有欲灭此而午睡之意,我觉得大可以不必如此,随便听听都是很有趣味的,不但是这些久成诗料的东西,一切鸣声其实都可以听。蛤蟆在水田里群叫,深夜静听,往往变成一种金属音,很是特别,又有时仿佛是狗叫,古人常称蛙蟆为吠,大约也是从实验而来。我们阶了里的蛤蟆现在只见花条的一种,它的叫声更不漂亮,只是格格格这个叫法,可以说是革音,平常自一声至三声,不会更多,唯在下雨的早晨,听它一口气叫上十二三声,可见它是实在喜欢极了。
这一场大雨恐怕在乡下的穷朋友是很大的一个不幸,但是我不曾亲见,单靠想象是不中用的,所以我不去虚伪地代为悲叹了,倘若有人说这所记的只是个人的事情,于人生无益,我也承认,我本来只想说个人的私事,此外别无意思。今天太阳已经出来,傍晚可以出外去游嬉,这封信也就不再写下去了。
我本等着看你的秦游记,现在却由我先写给你看,这也可以算是“意表之外”的事罢。
十三年七月十七日在京城书。
* * *
Lieber Bruder Fuyuan (1):
In den letzten Tagen hat es in Beijing ausgiebig geregnet. Ich weiß nicht, ob du auf deinem Weg nach Chang'an in diese Schauer geraten bist. Falls doch, so dürfte das den Reiz der Reise durchaus erhöht haben. Ich will damit nicht sagen, daß Reisen bei Regen stets angenehm sind. Als ich noch oft mit dem Zug von Hangzhou nach Shanghai fuhr, regnete es oft, und der Regen bedrückte mich. Aus diesem Grund kann ich Zugfahrten bei Regen nichts abgewinnen. Aber auf der Sitzbank eines schwarzüberdachten Bootes (2) zu liegen, dem Rauschen des Regens auf dem Schutzdach zuzuhören und den heiseren Rufen des Fährmanns, "kào táng lái, kào xiàqù - halt dich am Ufer, fahr weiter!" - das hat etwas von traumhafter Poesie. Wenn man wagemutiger ist und nachts im Regen auf dem Rücken liegend das Boot mit den Füßen rudert, erfährt man noch hautnäher die Aufregung, die das Leben auf dem Wasser mit sich bringt; auch wenn es riskanter ist, weil eine unvorsichtige Bewegung das Boot zum Kentern bringen kann. Als wir vor mehr als zwanzig Jahren zum Begräbnis der Amme meines Vaters nach Dongpu (3) hinausfuhren, gerieten wir auf der Rückfahrt in einen Sturm; unser Boot tanzte wild auf den Wellen des Dashugang-Kanals, die wie ein weißer Schwarm auffliegender Gänse wirkten; es war äußerst gefährlich und zur gleichen Zeit auch angenehm aufwühlend. Ich scheine mir etwas aus der Zeit bewahrt zu haben, als unsere Vorfahren noch wie Fische im Wasser lebten (4) - oder als sie zumindest noch tätowierte Wilde waren - das sich in meinem Hang zum Wasser ausdrückt. Allerdings gefallen mir viele der Schlammpfützen, die in Beijing als "Seen" gelten, gar nicht. Es wäre kein großer Verlust, wenn es sie nicht gäbe. Auf dem Weg nach Shaanxi führt dein Weg zwei Tage lang durch trockenes, wüstenähnliches Gebiet. Dort könnte es ganz erfrischend sein, in einem Sturm zu geraten. Ich stelle mir vor, wie du im Maultierkarren sitzt, unter dir der Wüstensand, über dir der Wolkenbruch, und eine Dose Sodawasser nach der nächsten aufmachst. Aber das ist nur meine Phantasie, und die ist so unzuverlässig wie bei allen Dichtern. Wahrscheinlich ist dir ein Sturzregen nur unangenehm, oder ihr bleibt gar auf dem Weg stecken. Selbst wenn du dann den Himmel anklagst, wird er sich taub stellen. Aber danach kann ich dich erst fragen, wenn du wieder in Beijing bist.
Was mich hier in Beijing betrifft, so haben mich die letzten Tage voller endlosem Regen bedrückt. In Beijing regnet es normalerweise nicht viel. Als Folge davon besitzen nicht nur die meisten Leute keine geeignete Regenkleidung, auch die Häuser sind nicht entsprechend gebaut. Mit Ausnahme wirklich reicher Bürger verwendet man hier keine massiven Ziegelmauern, sondern zumeist nur getrocknete Lehmziegel mit Verputz. Vor ein paar Tagen hat sich die Wetterlage umgekehrt: jetzt gibt es im Süden bittere Kälte und im Norden Regenfluten, und die Baumängel sowohl bei den Häusern im Süden wie im Norden zeigen sich drastisch. Vor einer Woche hat der Regen die Mauer an der Westseite unseres Gartens hinter dem Haus zum Einsturz gebracht, und am Tag darauf erhielten wir Besuch von ein paar ehrenwerten Herrn aus der Branche der Seiteneinsteiger (5), die die Stärke der Fenstergitter an der Nordseite des Hauses überprüften. Am nächsten Tag erschienen sieben oder acht Maurergehilfen, die wir in Eile beauftragt hatten. Nach zwei Tagen war der gröbste Schaden behoben, und wir konnten wieder beruhigt schlafen. Aber der Starkregen der letzten Nacht hat die Südmauer neben dem Haupteingang auf ein oder zwei Zhang (6) einstürzen lassen. Diesmal bin nicht ich beunruhigt, sondern das Ehepaar Chundao, denn wenn uns die "Herren vom Dach" noch einmal beehren, stellen ihre Fenster jetzt das erste Ziel da. Es ist dringend nötig, hier umfangreiche Reparaturen durchzuführen, sobald das Wetter wieder dauerhaft aufklart, was hoffentlich bald der Fall sein wird, um die Chundaos zu beruhigen. Bis dahin werde ich wohl Herrn Chundaos jüngeren Bruder (7) bitten, ein paar Nächte lang Wache zu halten.
Vor zwei Tagen regnete es die ganze Nacht hindurch heftig, und ich wurde dadurch immer wieder aufgeweckt. Beijing ist nachts immer sehr ruhig, außer wenn ein paar Übermütige Feuerwerksköprer zünden. Ich bin das laute Rauschen des Regens nicht gewöhnt, so daß ich immer wieder aus dem Schlaf aufschrecke. Selbst wenn ich einschlafen kann, ist es, als ob mir etwas die Ohren verstopfen würde. Das Gefühl, die Ohren voller klebriger Nudeln zu haben, bringt mich um jeden tiefen Schlaf. Außerdem hatten die Kinder am Abend berichtet, daß das Wasser im Innenhof weniger als einen Zoll unter der Türschwelle (8) stand. Während ich im Dunkeln auf das Geräusch des Regens lauschte, stellte ich mir vor, daß das Wasser über die Schwelle gestiegen wäre und mein Bücherzimmer im Westflügel überschwemmt hätte. Um fünf Uhr morgens stand ich endlich auf und lief barfuß, mit einem Schirm in der Hand, zum Westtrakt hinüber. Wie erwartet war das Wasser über die Schwelle getreten und hatte das ganze Gebäude etwa einen Zoll unter Wasser gesetzt. Ich mußte vor Erleichterung seufzen. Ich war so angespannt, daß ich Enttäuschung empfunden hätte, wenn ich losgelaufen wäre und die Zimmer trocken vorgefunden hätte. Glücklicherweise waren die Bücher nicht naß geworden. Sie besitzen zwar keinen großen Wert, aber selbst bei billigen Büchern ist es sehr unschön, wenn sie zu einem Klumpen fester Masse zusammengebacken sind. Mittlerweile ist das Wasser wieder abgelaufen, aber der Gestank, den eine Überschwemmung hinterläßt, ist noch geblieben. Zurzeit kann ich dort keine Gäste empfangen; ich kann dort nicht einmal schreiben. Diesen Brief schreibe ich an dem Tisch, den neben dem Ofen (9) im Haupthaus steht.
Es gibt überhaupt nur zwei Gruppen von Leuten (10), die diese Art von starkem Regen wirklich schätzen. Das eine sind die Kinder. Sie lieben Wasser, aber sie können selten darin herumtollen. Jetzt, nachdem sich der Hof in einen Fluß verwandelt hat, kamen sie alle an, um darin umherzuplanschen. Sie waten mit bloßen Füßen durch das Wasser, und lassen sich von der Kälte nicht beeindrucken und wollen gar nicht mehr damit aufhören. Ein paar von den Erwachsenen, die sahen, wieviel Spaß die Kinder dabei haben, haben sich anstecken lassen und sind ebenfalls darin herumgeplanscht, aber mit weniger Glück. Von den drei Erwachsenen, die sich daran versucht haben, sind zwei der Länge nach im Schlamm gelandet: mein jüngerer Bruder und Herr Chuandao. Bei der zweiten Gruppe, die den Regen liebt, handelt es sich um die Frösche. Vor einiger Zeit war ich mit den Kindern bei der Gao Liangqiao-Brücke (11), um zu angeln. Wir haben keinen einzigen Fisch gefangen, aber dafür jede Menge Frösche, grüne und gestreifte (12). Wir nahmen einige davon mit nach Hause und setzten sie im Hof aus. Üblicherweise quaken sie nur ab und zu, aber in den letzten Wochen haben sie in einem fort gequakt. Für die Ernte gilt das ja als ein schlechtes Omen, aber wir kommen uns hier vor, als ob wir mitten auf dem Land leben würden. Es gibt ja viele Menschen mit empfindlichem Gehör, die das Lärmen von Spatzen, von Fröschen und das Zirpen der Grillen stört, die einen leichten Schlaf haben und alle diese Störungen aus tiefster Seele hassen und am liebsten all diese Tiere ausrotten würden, um umgestörte Nachtruhe genießen zu können. Ich halte das für Unsinn. Es macht Spaß, diesen Geräuschen entspannt zuzuhören. Nicht nur jenen Lauten, die seit alters her als poetisch bezeichnet werden, sondern allen Tierlauten, die nachts zu hören sind. Wenn Frösche in großer Menge nach in einem Reisfeld quaken, während ringsherum Stille herrscht, nimmt ihr Chor oft einen harten, metallisch wirkenden Klang an - und dann wieder klingt es, als ob Hunde bellen würden. In der Antike hieß es oft, daß Frösche "bellen"; wahrscheinlich entstammt dieser Ausdruck der Erfahrung. Die Frösche, die in unserem Hof übrig geblieben sind, zählen jetzt alle zur gestreiften Art; ihr Ruf ist auch nicht schöner: sie rufen nur ein schlichtes Ge-Ge-Ge; man könnte das ihr Mantra nennen, oder ihre Tonleiter (13). Üblicherweise quaken sie nicht mehr als zwei oder drei Mal hintereinander, aber an diesen verregneten Morgen rufen sie ein dutzendmal oder öfters in einem fort; das zeigt, daß sie sich wirklich wohlfühlen.
Ich fürchte, daß diese schweren Regenfälle für die armen Bauern auf dem Land draußen ein Unglück darstellen, aber ich habe selber nicht gesehen, wie es dort steht, und meine Phantasie allein nützt hier nichts; ich werde hier jetzt keine scheinheiligen Wehklagen für sie hinsetzen. Falls mir jemand vorwirft, daß ich nur Persönliches geschrieben habe und nichts von allgemeinem Interesse, dann hat er recht. Ich hatte nie vor, über anderes zu schreiben. Das Wetter hat jetzt aufgeklart, und ich kann jetzt einen Spaziergang unternehmen, um den Abend zu genießen; also schließe ich diesen Brief hier.
Ich wollte dir eigentlich erst schreiben, wenn ich deinen Bericht von der Reise nach Qin kenne. Jetzt bin ich dir zuvorgekommen. Ich nehme dies einmal als ein Beispiel für "das Unerwartete" (14).
Beijing, am 17. Juli im 13. Jahr der Republik (1924)
* * *
1. "Lieber Bruder Fuyuan". Der Addressat des (fiktiven) Briefs ist Sun Fuyuan, 孙伏园 (1894-1966), ein alter Freund Zhuos, der während seiner Schulzeit zwei Jahre lang von Lu Xun unterrichtet wurde. 1912 wurde er Herausgeber der Literaturbeilage der Pekinger Tageszeitung "Morgennachrichten", 《晨报》 (Chenbao), in der Lu Xuns "Durchbruchserzählung" 《阿Q正传》 (“Ah Q zhèng zhuàn” / "Die wahre Geschichte des Ah Q") in Fortsetzungen zwischen dem 4. Dezember 1921 und dem 12. Februar 1922 zuerst veröffentlicht wurde.
(Sun Fuyuan)
2. "Schwarzgedecktes Boot". 乌篷船里 (Wūpéng chuánlǐ), eben "Boot mit schwarzer Überdachung", auch Wu-Peng-Boot genannt. Schmales, hochbordiges Ruderboot mit einer gebogenen Schutzdachkonstruktion, oft aus Schilfgras. Die in Zhaos Heimatstadt Shaoxing benutzten Boote stellen eine nur dort verwendete Sonderkonstruktion dar: es werden zwei Ruder verwendet, wobei das lange Ruder, das mit den Füßen bewegt wird, für den Vortrieb sorgt, während das kürzere Steuerruder mit beiden Händen bedient wird. ("Das Boot mit den Füßen rudern", 仰卧在脚划, bezieht sich auf diesen "Tretantrieb".) Diese Boote gelten als das chinesische Pendant der Gondeln in Venedig.
(Wu-Peng-Boote in Shaoxing)
3. Dongpu, 东浦, Kleinstadt etwa 8 km vom Stadtzentrum von Shiaoxing gelegen, seit 1950 eingemeindeter Bezirk mit 42.000 Einwohnern. Berühmt für die Häuser der Ming- und Qing-Zeit, die den Hauptkanal säumen.
(Dongpu. Blick von der Huangxi-Straße, 环西路)
4. "Wie Fische im Wasser lebten". Wortreiche Paraphrase für das lakonische "wie Fische'" “为鱼” (wèi yú) des Originals. Thomas Henry Huxleys Evolution and Ethics (1893) gehörte zu den Lieblingsbüchern Zhuos.
5. "Ehrenwerte Herrn aus der Branche der Seiteneinsteiger". 梁上君子 (liángshàng jūnzǐ): 君子, tatsächlich "Adlige", "Gentlemen", freilich vom "Dachbalken". Eine gängige ironische Bezeichnung für Einbrecher.
6. "Ein oder zwei Zhàng". Ein 丈, zehn chinesische Fuß, entspricht etwa 3,30 m.
7. "jüngerer Bruder". Das Mandarin unterscheidet fakultativ zwischen 弟, dì, "jüngerem Bruder" und 哥, gē, "älterem Bruder". Zhaos Ausdruck 老弟, lǎo dì, "alter junger Bruder," zeigt an, mit durchaus ironischem Ton, daß der Altersunterschied sehr gering ist..
8. "einen Zoll unter der Türschwelle". 寸 (cùn) kurzes Längenmaß. Ein Zehntel eines Fußes, 尺 chǐ. Es unterscheidet sich je nach Ort. Seit der Maßvereinheitlichung in den 1950er Jahren beträgt die Fußlänge in der Volksrepublik exakt ein Drittel eines Meters, das Cùn somit 3,33 cm. Das "klassische" Beijinger 寸 maß 3,4 cm; das Hongkonger Maß beläuft sich immer noch auf 3,7 cm.
9. "der Ofen im Haupthaus". 炕 (kàng) ist strenggenommen kein "Ofen", sondern eine traditionelle Schlafplattform aus Backsteinen, die in den bitterkalten Wintern im Norden Chinas mit Kohlen beheizt werden kann. Ältere Leser Otfried Preußlers werden sich vielleicht erinnern, daß der starke Wanja "sieben Jahre auf dem Ofen schlief." Beim russischen печь, den es selbstredend nirgendwo sonst gibt, handelt es sich um das gleiche Konstruktionsprinzip, wenn auch das chinesische Ofenbett wesentlich flacher gemauert ist. Beide dienen dazu, auch das Zimmer im Winter zu heizen.
(печь)
10. "zwei Arten von Leuten". Zhou schreibt 两种人 (liǎng zhǒng rén), wobei das 人 eindeutig Menschen bezeichnet, sodaß das neutralere "Wesen" dem Original weniger entspricht.
11. "Gao Liangqiao-Brücke". 高梁桥. Brücke im Stadtbezirk Haidian, 1292 auf Anordnung Kublai Khans errichtet. Während der Ming- und Qing-Zeit führte die Ausfallstraße in die Westberge darüber. Der Name läßt sich wahlweise als "hohe Brücke" lesen (mit Duplikation des Substantivs) oder als "Hirse-Brücke," weil sie über den 高梁河 (liáng gāohé), den "Hirsefluß" führt. Einer populären Legende nach soll sich der Name nicht auf das Getreide bzw. den Fluß beziehen, sondern auf den Namen von Zhe Gao, der auf Geheiß von Liu Bowen an dieser Stelle den Drachenkönig - den Flußgott - zur Zeit der Etablierung der Ming-Herrschaft im Zweikampf stellte und den Kürzeren zog.
11. "Gao Liangqiao-Brücke". 高梁桥. Brücke im Stadtbezirk Haidian, 1292 auf Anordnung Kublai Khans errichtet. Während der Ming- und Qing-Zeit führte die Ausfallstraße in die Westberge darüber. Der Name läßt sich wahlweise als "hohe Brücke" lesen (mit Duplikation des Substantivs) oder als "Hirse-Brücke," weil sie über den 高梁河 (liáng gāohé), den "Hirsefluß" führt. Einer populären Legende nach soll sich der Name nicht auf das Getreide bzw. den Fluß beziehen, sondern auf den Namen von Zhe Gao, der auf Geheiß von Liu Bowen an dieser Stelle den Drachenkönig - den Flußgott - zur Zeit der Etablierung der Ming-Herrschaft im Zweikampf stellte und den Kürzeren zog.
(Gao Liangqiao-Brücke)
12. "gestreifte Frösche". Pelophylax plancyi. Im Nordosten Chinas, in Jiangxi und dem Norden Fujians, weit verbreitet. Ich sehe, daß die Spezies im Deutschen über keinen eigenen Namen verfügt, deshalb sei an dieser Stelle gemäß dem chinesischen Namen 金线侧褶蛙 (jīnxiàn cèzhě wā) die Bezeichnung "Goldstreifenfrosch" vorgeschlagen.
13. "ihre Tonleiter". Im Original ist dies ein Wortspiel, daß das lautmalerische Ge! des Froschquakens, 格 (gé), neben die Klasse der Töne auf einer Tonleiter 革音 (gé yīn) setzt.
14. "das Unerwartete". Zhao zählt zu den Pionieren des "modernen Essays", der "kleinen Form", die ab dem Ende des 19. Jahrhunderts die strenggebaute, unveränderliche achtgliedrige Form des "klassischen Aufsatzes", vor allem des Aufsatzes bei den Staatsprüfungen, 八股文 (bāgǔwén, auch ganz wörtlich "achtgliedriger Aufsatz"). Der 小品文 (xiǎopǐnwén), der in den zwanziger und dreißiger Jahren seine "klassische Blüte" erlebte, zeichnet sich durch den Plauderton, das Informelle, Zwanglose und eben das Unerwartete aus; das Wort Causerie trifft es recht gut.
* * *
《苦雨》 (kǔ yǔ) erschien zuerst in der Beilage der 《晨报》 (Chenbao; sh. Anm. 1) und in Buchform in dem Sammelband 《雨天的书》 (yǔtiān de shū), der im Dezember 1925 als seine zweite Buchveröffentlichung im Beijinger "Verlag der Buchhandlung Beixin", 北新书局, erschien und 52 Texte aus den Jahren 1921 bis 1925 umfaßte. Ich habe den Titel bereits mit "Das Buch vom Regen" wiedergegeben; der Titel läßt sich genausogut als "Ein Buch für einen Regentag" lesen.
Der Hochsommer 1924 war für China (und nicht nur für die "nördliche Hauptstadt") in der Tat von katastrophalen Niederschlägen gekennzeichnet. Die Chenbao (die regelmäßige Tagesausgabe, nicht die Literaturbeilage des Wochenendes) meldete Überschwemmungen für Fuzhou am 5. und 10. Juli und den 10. August, für Jiangxi am 7., 11., 12., 16. und 22. Juli; für Hunan am 16. und 23. Juli und den 8. August; für Zhili, einschließlich Tianjin und Beijing, vom 16. bis zum 18. Juli und anschließlich bis zur Mitte des Augusts; für Zhangjiakou jeden Tag vom 16. August bis ebenfalls Mitte August, für Shandong am 1. und 9. August. Henan am 5. August, Sichuan am 1. und 9. August, Suiyuan in der Inneren Mongolei (dem heutigen Huhehaote) am 8. August und für Guangdong am 13. August.
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(Badaowan Hutong: die zentrale Gasse)
Bei dem in Zhaos Text erwähnten Gebäudekomplex (das Wort ist mit Vorbedacht gewählt) handelt es sich um den Badaowan Hutong (八道湾) im nördlichen Beijinger Stadtbezirk Xicheng (西城; wörtlich "Weststadt"; aber Xicheng unterteilt sich in Nord-Xicheng und Süd-Xicheng). "Hutongs" stellen die "klassische" Beijinger Bebauungsform dar; Gebäudekomplexe von mehreren Dutzend Wohnhäuser in ein- oder zweistöckiger Bauweise, nach außen hin von fensterlosen Mauern abgeschirmt, von einer oft verwinkelten und schmalen Gasse durchzogen, die sich zu drei oder vier Innenhöfen weitete, in denen sich mitunter Zugbrunnen befanden. Die Art der Anlage geht noch auf die Zeit zurück, als die Mongolen unter Kublai Khan die Herrschaft über China eroberten und Beijing den Rang einer Provinzhauptstadt erhielt. Ursprünglich gab es einmal dreitausend Hutongs, mittlerweile ist ihre Zahl durch Abrißarbeiten und Neubauten auf sechshundert geschrumpft. (Sie gelten als pittoreskes Kennzeichen des "alten Peking", aber man sollte nicht übersehen, daß die primitiven Wohnverhältnisse nicht für sich sprechen.) Zhuo Suoren (oder "Lu Xun", als der er heute nur noch bekannt ist) hatte 1919 für die Familie Zhao das im Badaowan gelegene Anwesen Nr. 11. gekauft, nachdem die Verhältnisse in der Heimatstadt der Zhaos, Shaoxing, im Lauf der chaotischer werden politischen Entwicklung der Zeit der Kriegsherren immer unsicherer wurden und durch den Zustrom von Flüchtlingen aus dem Umland mit nur Güterknappheit, sondern auch eine heftige Inflation einsetzten. Badaowan lad nördlich des Qiangong Hutong; im West West verlief er längs der Zhao-Dengyu-Straße; die gewundene Mittelgasse hatte eine Länge von 190 Metern. Im August 2002 stellte die Stadtteilverwaltung von Xicheng das Anwesen Nr. 11 unter Denkmalsschutz; heute ist es als 鲁迅著书处, als "ehemalige Residenz der Brüder Zhou" eine kleine Gedenkstätte - nicht zu verwechseln mit dem Lu-Xun-Museum Beijing, 北京鲁迅博物馆, das sich an der Addresse Fuchengmen Nr 21 im Stadtzentrum befindet, in der Nähe des Tempels der weißen Pagode, und in dem Haus eingerichtet ist, das Lu Xun nach seinem Zerwürfnis mit seinem jüngeren Bruder bezog. Heute ist von diesem Hutong nur noch dieses Gebäude erhalten; der Rest des Geländes wurde Anfang des 2010er Jahre planiert; im Jahr 2014 wurde dort der Neubau des Campus der Beijinger Mittelschule Nr. 35, 北京市第三十五中学高, eingeweiht; die Gedenkstätte ist Teil dieses Komplexes.
(Badaowan Hutong, Nr. 11; Lu Xun bewohnte mit seiner Familie den vorderen Trakt; der jüngste der drei Brüder, Zhou Jianren, den mittleren, und Zhou Zuoren den rückwärtigen.)
(Die Gedenkstätte heute)
Lu Xun hatte den Gebäudekomplex Anfang 1919 erstanden, um seiner "erweiterten Familie" - seinen beiden jüngeren Brüdern, ihren Frauen und Kindern und seiner Mutter, ein gemeinsames Heim bieten zu können. 1903 und 1906 hatte er ihnen formal versprochen, daß die Familie zusammenbleiben und ihre Löhne in die Familienkasse zahlen sollten. In Shaoxing war nach dem Tod des Vaters Zhou Boyi 1896 die Mutter der Brüder, 鲁瑞 (Lu Rui, 1858-1943, aus Anquiatou in der Nähe von Shaoxing stammend), de facto Familienvorstand gewesen; nach dem Umzug nach Beijing übernahm Shuren diese traditionelle Rolle. Der Kaufpreis betrug 3500 Yuan; die Renovierungskosten für die schlecht instandgehaltenen Gebäude belief sich auf noch einmal gut zweitausend Yuan. Lu Xuns Biographen vermuten, daß er den Löwenanteil dieser Kosten trug und das Geld dazu aus den Rücklagen angespart hatte, die er zwischen 1912 und 1917 als Strohwitwer von seiner Familie getrennt auf Verwaltungsposten verbracht hatte; aus dem Verkauf des Familiensitzes in Shaoxing, dessen Erlös auf sechs Parteien verteilt wurde, waren für die Familie Zhou von den 12.000 Yuan nur 1600 geblieben. Sowohl Lu Xun als auch Zuoren verdienten überdurchschnittliche Löhne: Lu Xun als Verwaltungsbeamter im höheren Dienst 300 Yuan pro Monat; sein Bruder als Universitätsdozent 280 Yuan (zum Vergleich: die Monatslöhne für Schullehrer in der oberen Gehaltsklasse lagen in Beijing in den zwanziger Jahren bei 80 Yuan pro Monat.)
Eine der Folgen der kleinen Causerie (und des Titels des "Buchs vom Regen" war, daß das Anwesen, beziehungsweise Zhuos Studiolo als das "Bittere-Regen-Studio" (oder "Studierzimmer", wie es in so vielen Textsammlungen auftaucht, etwa in Pu Song Lings bekannter Sammlung von Geistergeschichten, 聊斋志异, Liáozhāi zhìyì, zuerst wohl 1740 gedruckt, wörtlich "Seltsame Geschichten aus einem Gelehrtenzimmer") bekannt wurde: 苦雨斋 (Kǔyǔ zhāi)
(Kalligraphie von Shen Yimno (1883-1971) von 1929. Deutlich zu sehen, daß hier noch die "alte", tradionelle Form des Schriftzeichens mit 17 Strichen, 齋, verwendet wird.)
(Neujahrsfeier 1929 im "Studierzimmer zum Bitteren Regen", u.a. mit 张凤举, Zhang Fengju und
沈尹默, Shen Yinmo. Zhuo ist der 5. von links.)
* * *
(吴山明 - "周氏三兄弟". "Die drei Brüder Zhou", Zeichnung von Wu Shanming, *1941)
Als Zhuo Zuoren seine kleine Causerie über den Dauerregen verfaßte, war es ziemlich genau ein Jahr her, daß der Haussegen in gemeinsamen Hausstand der Familie Zhuo in die Brüche gegangen war und fünf Wochen, daß es zwischen Zuoren und seinem älteren Bruder Shuren zu einer letzten, aus dem Ruder laufenden Konfrontation gekommen war. Ich habe in meinem ersten Beitrag zu Zhuo auf die Parallelen mit dem Verhältnis der Brüder Mann hingewiesen: auch in dem Bruch zwischen den beiden Dioskuren läßt sich hier eine erstaunliche Engführung ausmachen. Freilich ist es aufgrund der Lebensumstände später nie zu einer Aussöhnung gekommen (die im Fall von Thomas und Heinrich Mann den Bedingungen des kalifornischen Exils, angesichts von Heinrichs notorischer Lebensuntüchtigkeit, geschuldet war und keinerlei Tiefgang hatte). Auch im Fall der Zhuo-Brüder gilt bei der Ursachenforschung die Losung des Inspektor Jackal aus den Mohicans de Paris: "Cherchez la femme!"
Shuren (im Folgenden nicht nur aus Gründen der Klarheit, sondern auch den Gebräuchen der Philologie und der Journalisten folgend mit seinem nom de plume "Lu Xun" genannt) hatte seit 1902 in Japan, zumiest in Tokyo vermittels eines kaiserlichen Stupendiums studiert. Sein vier Jahr jüngere Bruder folgte ihm 1906; die beiden Brüder wohnten stets in denselben wechselnden kleinen Pensionen, die der wachsenden Zahl der Studenten aus China Obdach boten, die nach der Niederlage im ersten chinesisch-japanischen Krieg "die Moderne" aus erster Hand studieren wollten (1909 plante Lu Xun, seine Studien in Heidelberg fortzusetzen, dazu kam es aber nicht). In ihrem letzten gemeinsamen Studienjahr in Tokyo, 1908-09, lernten die Brüder am 8. April 1908 die damals zwanzigjährige Tochter einer Familie aus bescheidenen Mittelstandsverhältnissen, Hata Nobuko, kennen, die für die studentischen Untermieter kochte und ihre Zimmer sauberhielt.
(Ein Beiseit zu den Namenskonventionen: Hata Nobukos Name, nach japanischen Konvention mit Kanji, also chinesischen Schriftzeichen, geschrieben - 羽太信子 - wurde "sinisiert", indem dieselben Zeichen mit der Mandarin-Aussprache verwendet wurden: Yu Taixinzi. Diese Konvention unterscheidet sich grundsätzlich von der, die bei westlichen "Expats" gebräuchlich ist, deren "chinesischer" Name entweder eine klanglich ähnlich Transposition darstellt oder einen frei gewählten "chinesischen Namen", wie etwa beim deutschen Übersetzer und Verleger Vincenz Hundhausen (1878-1955), dem Betreiber des Beijinger Pappelinsel-Verlags, der als 洪涛生, Hong Taosheng, firmierte.)
Lu Xun mußte seine Studien in Japan abbrechen, nachdem seiner Mutter Gerüchte zu Ohren gekommen waren, er würde ein Liebesverhältnis mit einer Japanerin unterhalten. (Daß sich die finanziellen Umstände der Familie Zhou in den Jahren zuvor verschlechtert hatten, spielte wohl auch hinein.) Lu Xu war seit dem 6. Juni 1906 mit Zhan An verheiratet, einer absolut reizlosen und für chinesische Begriffe mit 28 Jahren schon ältlichen Braut (die Beschreibungen aus Lu Xus Bekanntenkreis reichen bis ins Groteske), in einer Ehe, die seine Mutter seit 1899 für ihn arrangiert hatte und gegen die er sich gewehrt hatte, so gut er konnte, ohne die Familienbindungen zu Bruch gehen zu lassen. Nach seiner Rückkehr nahm Lu Xun einen Posten in der Stadtverwaltung von Shaoxing und konnte seinem Bruder das Studium in Japan weiter finanzieren. Zwischen Nobuko und Zuoren entwickelte sich das Verhältnis, das Mutter Rui für ihren ältesten Sohn befürchtet hatte; sie heirateten 1909 und kehrten 1911 nach China zurück (Zhuo arbeitete anschließend als Dozent für Englisch an der fünften Bezirkshochschule in Shaoxing). Während dieser Zeit unterhielt Lu Xun eine lebhafte Korrespondenz mit der Familie Hata, unterstützte sie regelmäßig mit finanziellen Zuwendungen und zahlte das Schulgeld für die jüngste Tochter der Familie, die 1900 geborene Fukuko. Vor der Geburt der ersten Sohns von Habuko und Zuoren am 16. Mai 1912 (周豐一, Zhou Fengyi, 1912-1997, der später als Bibliothekar in der Beijinger Staatsbibliothek arbeitete) arrangierte Lu Xun, daß die mittlere Tochter der Hatas, Yoshiko, 羽太芳子 (geb. 1897, im Chinesischen dann, mit den gleichen Hanzi 芳子 geschrieben, "Fangzi" genannt), mitsamt ihrem vier Jahre älteren Bruder Shigehisa, nach China kommen sollte, um ihrer Schwester als Kindermädchen zur Seite zu stehen. Beide trafen am 17. Mai in Shaoxing ein. Zwischen der 15-jährigen Yoshiko und dem jüngsten der drei Zhuo-Brüder, dem 24-jährigen Jianren, passierte dasselbe wie zwischen Zuoren und Nobuko. Zhuoren und Nobuko drängten sie, ebenfalls den Bund der Ehe einzugehen. Lu Xuns Tagebucheintrag vom 17. Februar 1914 (er hatte inzwischen eine Stelle in der Beijinger Stadtverwaltung inne) lautet:
下午得二弟函,附芳子笺,十三日发。芳子于旧历二月四日与三弟结婚,即新历二月二十八日。
und zwei Tage später:
下午得三弟与芳子照相一枚。
("Erhielt einen Brief von meinem zweiten Bruder, zusammen mit einer Notiz von Fangzi. Fangzi hat am 4. Februar des alten Kalenders, der dem 28. Februar des Neuen Kalenders entspricht, den dritten Bruder geheiratet." - "Erhielt eine Photographie des dritten Bruders und Fangzis.")
(Die Familie Zhou auf einer Photographie von 1912. Hintere Reihe v.l.n.r. Jianren, Shuren, Zuoren, vordere Reihe Yoshiko, Mutter Lu Rui und Nobuko.)
Jianren war der erste, der die Wohn-und Finanzgemeinschaft verließ. Zwischen Mai 1915 und dem Februar 1922 hatte das Paar vier Kinder. Nach dem Umzug nach Beijing studierte Jianren Biologie und verfaßte gelegentlich Fachartikel für die Zeitschrift 新青年 (Xīn qīngnián, "Neue Jugend"), einer der wichtigsten Reformpublikation für die "Bewegung des 4. Mai", trug aber nichts zum Familieneinkommen bei. Nach zwei Jahren wandte sich Zhuo Zuoren an seinen alten Freund 胡适, Hu Shi (1891-1962) und einer der Mitherausgeber von "La Jeunesse" (so der in Französisch gehaltene Untertitel der Zeitschrift), der Jianren eine mit 60 Yuan dotierte Stelle beim Shanghaier Verlag 商务印书馆有限公司 (Shāngwù Yìnshūguǎn) vermittelte, der im Englischen wie im Deutschen nur als The Commercial Press firmiert und 1897 als erster moderner chinesischer Verlag nach westlichem Vorbild gegründet worden war. Jianren verließ den Badaowang Hutong im September 1921.
Das Verhältnis zwischen Hata Nobuko und den älteren Familienmitgliedern darf als durchaus problematisch bezeichnet werden. Mutter Lu Rui hatte lange gebraucht, um ihrem zweiten Sohn den "Verrat" zu verzeihen, eine Ausländerin geheiratet zu haben; sowohl Zuoren wie Nobuko fühlten sich eingeengt durch Lu Xuns traditionell geprägten Anspruch, das Leben der jüngeren Familienmitglieder bis in jede Einzelheit bestimmen zu wollen. Nobokus Lebensstil wird als extravagant bezeichnet; sie benutzte bei jeder Gelegenheit japanische Importartikel, deren Preise in Beijing exorbitant waren. Nach vier Jahren wachsender Spannungen kam es zur Explosion. Was genau im Juli 1923 vorgefallen ist, wird sich nie rekonstruieren lassen, da die drei Hauptbeteiligten sich nie näher darüber geäußert haben und die wenigen schriftlichen Quellen nur zum Raten einladen. In Zhuo Tagebuch ist der Eintrag herausgeschnitten worden, als er in den 1950er Jahren seine Tagebücher dem Lu-Xu-Archiv übergab; In Lu Xuns Tagebuch findet sich unter dem Datum des 14. Juli nur dies:
是夜,始改在自室吃饭,自具一肴,此可记也。
("Nachts. Ich habe reagiert und nehme ab jetzt meine Mahlzeiten allein ein. Das verdient, festgehalten zu werden.") (Bis dahin hatte die Familie jede Mahlzeit gemeinsam eingenommen.)
Als Lu Xun fünf Tage später, am Morgen des 19. Juli, von einem Besorgungsgang zurückkam, fing ihn Zuoren am Eingang ab und überreichte ihm wortlos einen Brief, dessen Umschlag an 鲁迅先生亲启 addressiert war: "An Herrn Lu Xun persönlich". (Daß er ihn förmlich mit "Herr", 先生, xiānshēng, anredete und mit seinem Schriftstellernamen, macht den Abbruch der persönlichen Beziehungen schon deutlich.) Der Inhalt lautete:
鲁迅先生,我昨天才知道,但过去的事不必再说了。我不是基督徒,却幸而尚能担受得起,也不想责难——大家都是可怜的人,我以前的蔷薇的梦原来都是虚幻,现在所见的或者才是真正的人生。我想订正我的思想,重新入新的生活。以后请不要再到后边的院子来,没有别的话。愿你安心、自重。7月18日,作人
("Herr Lu Xun: ich habe die Wahrheit erst gestern erfahren, aber ich werde die Vergangenheit ruhen lassen. Ich bin kein Christ, aber trotzdem verfüge ich über die Gabe, etwas ertragen zu können. Ich will niemandem Vorwürfe machen - wir sind allesamt fehlbare Sterbliche. Meine rosigen Träume haben sich als Illusionen erwiesen; jetzt sehe ich das Leben, wie es wirklich ist. Ich werde in mich gehen und ein neues Leben beginnen. Meine einzige Bitte ist: betritt nie mehr im Leben dieses Haus. Ich wünsche dir Seelenfrieden und daß du mit dir selbst leben kannst. 18. Juli. Zuoren")
Lu Xuns Biographen sind sich uneins, ob sie die Tatsachen, daß Lu Xun dieser Aufforderung Folge leistete, als ein Schuldeingeständnis werten sollen. Genausogut ist es möglich, daß er, obwohl er der Hausherr war, den Schaden begrenzen wolle: der Hinauswurf von Zuorens Familie hätte auch den Hinauswurf von Nobukos Schwester Yoshiko und ihren vier Kindern nach sich gezogen, die immer noch ihren Gebäudetrakt bewohnten. Lu Xun und seine Frau Zhu An verließen den Badaowang Hutong Nr. 11 zwei Wochen später; als sie eine neue dauerhafte Bleibe gefunden hatten, in der oben erwähnten Fungchinmen, zog Mutter Lu Rui zu ihnen.
Die letzte traurige Volte dieses Bruchs erfolgte ein Jahr später. Lu Xuns Tagebucheintrag für den 11. Juni 1924 lautet:
下午往八道湾宅取书及什器,比进西厢,启孟及其妻突出骂詈殴打,又以电话招重久及张凤举、徐耀辰来,其妻向之述我罪状,多秽语,凡捏造未圆处,则启孟救正之,然终取书、器而出。
("Am Nachmittag ging ich zum Badaowan-Haus, um ein paar Bücher und kleine Utensilien zu holen. Als ich den Westtrakt betrat, wurde ich von Qi Meng (Lu Xuns Spitzname für seinen Bruder) beleidigt und geschlagen. Dann rief er Zhong Jiu, Zhang Fengjiu und Xu Yaochen an und ließ sie als Zeugen kommen, und seine Frau erzählte ihnen von meinen Vergehen. Es fielen eine Menge obszöner Ausdrücke. Jedes Mal, wenn ich das richtigzustellen versuchte, verlangte sie Beistand von Meng, und am Ende nahm er mir die Bücher und die anderen Gegenstände ab.")
Lu Xuns Freund 许寿裳, Xu Shoushang (1883-1948) schrieb in 《亡友鲁迅印象记》 ("Erinnerungen an meinen toten Freund Lu Xun") über diese Episode:
“说起他的藏书室,我还记得作人和信子抗拒的一幕。这所小屋既成以后,他就独自个回到八道湾大宅取书籍去了。据说作人和信子大起恐慌,信子急忙打电话,唤救兵,欲假借外力以抗拒;作人则用一本书远远地掷入,鲁迅置之不理,专心检书。一忽儿外宾来了,正欲开口说话,鲁迅从容辞却,说这是家里的事,无烦外宾费心。到者也无话可说,只好退了。”这里的“外宾”和“到者”就是徐祖正等人,徐祖正当然不好介入鲁迅兄弟之间的家务事,他最后如许寿裳所说“只好退了”。
("Was seine Bibliothek angeht, erinnere ich mich noch an die Auseinandersetzung, zu der es mit Zuoren und Xinzi kam. Nachdem das neue kleine Haus bezogen worden war, ging er zum Badaowan, um seine Bücher zu holen. Wie es heißt, sollen Zuoran und Xinzi außer sich geraten sein. Xinzi rief in Eile Freunde an und wollte ihn mit Gewalt hinauswerfen. Schließlich fing sie an, mit Büchern nach ihm zu werfen. Lu Xun ignorierte sie und fuhr in aller Ruhe fort, seine Bücher einzupacken. Als ich eintraf, versuchte ich mäßigend einzugreifen, aber Lu Xun hielt mich davon ab und erklärte, daß es sich hier um eine Familienangelegenheit handele.")
Da sich in Lu Xuns Diariumseintrag die 秽语 (huìyǔ), die "unanständigen Ausdrücke" nicht nur auf vulgäre Ausdrücke, sondern auch auf die Erwähnung "schmutziger", "unsittlicher" Handlungen beziehen kann und er sie nur "richtigstellen" wollte, hat dies zu Spekulationen Anlaß gegeben, Lu Xun habe sich womöglich seiner Schwägerin Freiheiten erlaubt (etwa ihr voyeuristisch nachgestellt) bis zur Vermutung, er habe in Japan mit ihr eine Beziehung gehabt und sie gewissermaßen an seinen jüngeren Bruder "weitergegeben". Dafür dürfte es keinen Anlaß geben. Das Zerwürfnis mit Zuoren führte nicht zu einem Abbruch der Beziehungen zur Familie Hata. Lu Xun selbst begann die wahrscheinlich einzige wirkliche Liebesbeziehung seines Lebens ab dem Mai 1926 mit seiner früheren Studentin 許廣平, Xu Guangping (1898-1968), mit der er im Oktober 1927 in Guangzhou zusammen zog, 1929 nach Shanghai zog und dort mit ihr bis zu seinem Tod an Tuberkulose im Alter von 54 Jahren im Frühjahr 1936 zusammenlebte. Formell war er weiterhin mit Zhan An verheiratet, die mit ihrer Schwiegermutter Lu Rui in jenem "kleinen Haus" in Beijing wohnte. Diese Ehe wurde nie geschieden (formelle Ehescheidungen, wie etwa im Fall von Xu Shimo, konnten im immer noch traditionell fundierten China der dreißiger Jahre zur gesellschaftlichen Ächtung führen, während Zweitfrauen und Kebsverhältnisse von alters her toleriert waren), aber es war eine arrangierte Konventionsehe ohne jede gegenseitige Zuneigung. Lu Xun hatte nach der Hochzeitsnacht im Juni 1906 für die nächsten zwanzig Jahre auf getrennten Schlafzimmern bestanden. Die Publikation der Liebesbriefe von Lu Xun und Xu Guangqiong 1933 unter dem Titel 两地书 (Liǎng dì shū, "An zwei Orten") wurde von beiden als ein Treueschwur vom Rang einer Eheschließung angesehen (Zuoren nannte die Publikation "irrational").
Hata Nobukos zentrale Rolle bei der Zerrüttung des Verhältnisses zwischen den Brüdern hat ihr bei den Verehrern von Lu Xun (als DEM namhaften Begründer der chinesischen literarischen Moderne sind dies nicht wenige) einen ausgesprochen negativen Leumund eingebracht: als eine "japanische Hexe" nimmt sie hier die Position ein, die im Westen Yoko Ono unter den Fans der Fab Four aus Liverpool zukommt. (Xianren schrieb über ihre Verschwendungssucht übrigens “挥金如土” (huījīn rú tǔ): im Chinesischen gibt man nicht Geld wie Heu aus, sondern "verschwendet es wie Staub".) Bleibt festzuhalten, daß sie am 8. April 1962 in Beijing im Alter von 74 Jahren an einem Herzinfarkt starb. Zhou Jianren verließ Yoshiko 1925 endgültig; als er mit 王蕴如, Wang Yunru, zusammenzog; er hatte mit ihr drei gemeinsame Töchter, 1926, 1927 und 1936, es ist freilich nicht bekannt, ob er sie geehelicht hat. Er lehrte Biologie in Shanghai, Shenzhou, Jinan und Anhou, trat 1948 in Xibaipo, wo sich damals im Zug des ausgehenden Bürgerkriegs die Parteizentrale befand, der Kommunistischen Partei bei. Von 1958 bis 1966 war er Präfekt der Privinz Zhejiang. Yoshiko versuchte ihn nach der Gründung der Volksrepublik 1951 wegen Bigamie vor Gericht zu ziehen, mußte aber feststellen, welche Aussicht in Einparteiendiktaturen Klagen gegen Parteifunktionäre haben. Sie starb 1964; Jianren 1984 im Alter von 95 Jahren.
* * *
Eine letzte Adnote zum "dritten Bruder" Jianren. Unmittelbar im Vorfeld des "Großen Sprungs nach vorn", der irrsinnigen Umstellung aller Aktivitäten in der Landbevölkerung zur Gewinnung primitiven Eisens, samt dem Einschmelzen sämtlicher Eisengegenstände auf den Landkommunen, um die reine Zahl der "Metallproduktion" an die Weltspitze zu katapultieren, die in der größten Hungersnot der Weltgeschichte mündete (Frank Diekötter schätzt in seinen letzten Arbeiten anhand der Akten in der betroffenen Provinzen selbst die Anzahl der Toten zwischen 1959 und 1962 auf über 50 Millionen), erfolgte ein halbes Jahr vorher, im Frühjahr 1958, die Ausrufung der "Kampagne gegen die vier Schädlinge", 除四害, Chú sì hài, wörtlich "Rottet die vier Übel aus". Diese "Übel" waren Ratten, Fliegen, Mücken (oder Moskitos), und Spatzen. Der letzte Teil, auch als 打麻雀运动, dǎ máquè yùndòng ("Erschlagt die Spatzen-Bewegung") oder 消灭麻雀运动, xiāomiè máquè yùndòng ("Rottet die Spatzen aus-Bewegung") führte dazu, daß beginnend mit der Provinz Sichuan, wo vom 20. bis zum 22. März 15 Millionen Vögel von den organisierten Brigaden vom Kindergartenalter an erschlagen wurden. Bis zum November fielen laut den (unvollständigen) Statistiken im ganzen Land 1,96 Milliarden Tiere dem barbarischen Wüten zum Opfer. Anfang 1960, als die desaströsen Folgen dieser Kampagne sichtbar wurden, wechselte die Parteiführung den "Feind" von den Spatzen auf Kakerlaken um. Bis dahin hatte die Losung gegolten, Spatzen würden die Ähren auf den Feldern fressen, die eingebrachten Ernten in den Lagerhäusern vernichten. Der öffentliche Widerspruch des Biologen 朱洗, Zhu Xi, hatte hier wesentlichen Einfluß, als er darauf hinwies, daß die blindwütigen tagelangen Lärmaktionen, mit denen die Brigaden dafür sorgten, daß alle aufgescheuchten Vögel tot vom Himmel fielen, die wahllose Vernichtung sämtlicher Gelege und Nester und das Feuern auf die Vogelschwärme dazu führte, daß gerade die natürlichen Freßfeinde der tatsächlichen Schädlinge ausgerottet wurden. Für diesen öffentlichen Widerspruch gegen die Weisheit des Großen Steuermanns gruben die Roten Garden während der Kulturrevolution 1968, sechs Jahre nach seinem Tod, seine Leiche aus, schändeten sie und vernichteten seine Grabstätte.
(Propagandaposter zur "Antispatzenkampagne", 1958)
Ausgelöst hatte diesen speziellen Aspekt des "Kampfes gegen die vier Schädlinge" ein Artikel des damaligen stellvertretenden Erziehungsministers der Volksrepublik, der am 18. Januar in der Parteizeitung 《北京日报》, Beijing ribao (Beijinger Tageszeitung) erschien. Unter dem Titel 《雀是害鸟无须怀疑》 ("Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Spatz ein Schädling ist") hieß es dort:
麻雀是害鸟,害鸟应当扑灭,不必犹豫。
("Spatzen sind ohne jeden Zweifel Schädlinge, und Schädlinge müssen vernichtet werden. Es gilt, dabei keine Zeit zu verlieren.")
Bei dem Verfasser dieses Artikels handelte es sich um Zhou Jianren.
U.E.
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