Was waren das für schöne Zeiten!
In Ecclesia mulier taceat!
Jetzt, da eine Jegliche Stimme hat,
Was will Ecclesia bedeuten? (Goethe)
Es heißt, der Protest gegen den Zwang zur Heteronormativität habe Teile der Queerbewegung mit dem postmodernen Feminismus verbunden. Auch in der katholischen Kirche wird jetzt weit heftiger die Öffnung aller Ämter für Frauen gefordert.
Ich wähle als Zugang daher die zwei Fragen: Warum will jemand alles beide abwechselnd selber in seiner Person sein, Mann und Frau? Und warum muss oder will man nicht mehr die spannungsreiche Ergänzung durch einen Zweiten, eben gerade einen Anderen? Mein Beitrag:
Versteckt wurde in der Kirche nicht nur der Missbrauch, sondern verborgen blieb auch ihr alter Ur-feminismus, den man wie einen Schatz heben muss. Ich bin nicht Zoologe, sondern Theologe; daher prüfe ich für die Diskussion der Zeiterscheinungen meine Gedanken an den Erfahrungen aus der innerjüdisch-christlichen Geschichte.
Wir Normalos, deren Geschlechtsidentität mit unserem angeborenen biologischen Geschlecht übereinstimmt, wurden (vom Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch) mit einem neuen Begriff bedacht: Zissexualität. Wir sind Cisgender (lateinisch cis: ‚Diesseits‘ - Geschlecht).
Die auf dem anderen Ufer, Transmänner, Transfrauen und genderqueer people sind weniger als wir, bestimmen aber mehr das journalistische Interesse.
Mercedes-Benz warb am 11. Februar 2019 mit einem vierseitigen Glanzpapierumschlag um die Zeitung „Die Welt“ mit einem bärtigen Vater im hellblauen bodenlangen Frauenkleid mit Schößchen an den Hüften und dem Töchterchen auf den Schultern; die Schlagzeile dazu: „Erfüllt mehr als drei Wünsche“. Die anderen Seiten zeigen, dass das Auto bis an den Strand fahren darf und drei große Pudel plus Stühle und Surfbretter hinten reinpassen. Das Trans und die Tierwelt sind nach den Werbefachleuten derzeit wirksamer als das Nackte.
Nicht dass ich darin ein Menetekel oder Sodom und Gomorra sehe. In der westlichen Gesellschaft gilt die Geschlechtsverwandlung aus innerer Notwendigkeit als berechtigt, Transsexualität wird als medizinisch behandlungsbedürftiger Zustand gesehen.
Bei den Katholiken hat von den paar hundert Männern einer Gemeinde nur einer das Priesteramt und die anderen fühlen sich nicht diskriminiert, - aber die paar hundert Frauen. Warum? Viele verstehen dieses Amt nicht: Einer für alle in der Rolle Jesu, als Diener nämlich und nicht als bloßer Schauspieler. Er ist mit der Kirche verheiratet, nicht mit einer Frau für sich (bei vielen Mängeln und auch vielen Fällen des Scheiterns). Wirkungslos blieb der anti-paternalistische Vorschlag Jesu: „Ihr sollt niemand auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel“ (Mt 23,9). Unbekannt oder verkannt ist, innen wie außen, der alte katholische Urfeminismus, der wie ein Mahn- und Reformbild die kirchliche Männerwelt, als diese noch in wirklicher Macht blühte, kritisierte und die Sensiblen faszinierte.
Ist das eine Missachtung der Frau?
Erhalten geblieben in der heutigen römisch-katholischen Praxis sind für die Augen der Aufgeklärten vom Urfeminismus in der Bibel bloß arme Bröselchen: dass große Texte der Päpste mit einer Anrufung der Gottesmutter Maria enden, als gehe jeder Weg zu Gott immer über diese Vorzimmerdame (in der Tat, aber das war in der Geschichte der reale Weg über das alte Israel, dessen Symbol Maria ist). Oder die nicht aussterbenden Marien-Erscheinungen, Visionen von dafür Empfänglichen (über die sich sofort Geschäftsleute stürzen). Dieses Phänomen bestätigt, dass nicht überall und zuhause beim Pfarrer dasselbe aktuelle Wort Gottes erwartbar ist.
Die vielen Marienfeste im Jahr, die Maiandachten zu Maria und die Kräuterweihe im Sommer galten der Ablösung der religiösen Fruchtbarkeits-Göttinnen durch eine jüdische geschichtliche Frau und Mutter. Als im Mittelalter die Ecclesia selber, das Gottesvolk, in seiner Macht und Verweltlichung nicht mehr als Vorbild empfunden wurde, musste offenbar das Symbol der Ecclesia und Sonnenfrau mit den 12 Sternen (für die Stämme Israels und die Kirche der Apostel) gereinigt, das heißt auf die eine vorbildliche Frau zugespitzt werden, auf Maria. So dürfte in der Kunstgeschichte die „schöne Maria“ als Gegenstück zur Minnelyrik der Ritter entstanden sein.
Diese Frau stand über den Aposteln, über dem Papst, über den Bischöfen. Sie war für die Kirche die neue Eva. Die alte Eva war aus der Rippe Adams gemacht (also immerhin ihm ebenbürtig), die neue war ursprünglich die Ecclesia, bildlich gesprochen geboren aus der Seite Jesu beim Lanzenstoß am Kreuz, als Blut und Wasser herausflossen (Bild für Taufwasser und Wein beim Abendmahl). Der Blick auf die gläubige Maria als „Mutter der schönen Liebe“ und als Mitte der Gemeinde, auf die nach der Apostelgeschichte der Geist kam, sollte die Kirche in ihrer reinen Gestalt zeigen.
Jüdisch-biblischer und kirchlicher Feminismus
Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat (die Vaterschaft war früher nicht sicher feststellbar). Jesus hatte eine jüdische Mutter. Die großen Theologen der Kirche diskutierten jahrhundertelang, wann Maria von der so genannten Ursünde der Ureltern Adam und Eva befreit wurde: Schon im Mutterschoß nach einigen Wochen , wie man es bei Jeremia (schon im Mutterschoß berufen) und beim Täufer Johannes empfand (weil er im Bauch strampelte, als die schwangere Maria zu Besuch kam, also den Messias erkannte)? Oder schon ganz von der Zeugung an? Aber das kollidierte mit dem Axiom, Jesu Tod habe alle erlösen müssen. Nach langem Ringen entschied Rom: Maria ist eine Ausnahme, die Vorauserlöste. Das hat aber gewaltige Konsequenzen, die das Kirchenvolk leider kaum realisierte: Das Dogma von der ursündefreien Zeugung der kleinen Maria (auch geistreiche Journalisten verwechselten das schon wiederholt mit der Zeugung Jesu) ist ein Dogma über die Großeltern Jesu.
Es besagt: Sie zeugten ein Mädchen ohne Erbsünde. Aus der bildhaften Sprache in die Historie geholt: Das war mindestens 16 Jahre vor der Geburt Jesu. Die Mutter Jesu ist also schon neues erlöstes Paradies, das bedeutet: Jesus hatte eine Vorbereitung durch eine anbahnende Geschichte, und diese war bei seiner Geburt schon 1500 Jahre unterwegs. Dann ist Maria das Symbol für den Rest der Guten in Israel, den es immer gab. Israel ist das Volk, das gegen die „Sünde der Welt“ kämpfte. Die Theologen des Mittelalters stellten übrigens auch die Beschneidung der Juden vor Jesus der Taufwirkung in der Kirche gleich. Das ist der vom katholischen Dogma anerkannte jüdische Feminismus, verbindlich als feministische Urkirche für alle Zeiten.
Warum wurde die Frau als Vorbild gewählt? Grundlage war schon die jüdische Deutung der Schöpfungsweisheit Gottes: „Als er den Himmel baute, war ich dabei, als er den Erdkreis abmaß, … da war ich als geliebtes Kind bei ihm. Ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdenrund, und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein“ (Spr 8,27-31. Michelangelo hat in der Sixtina diese junge Frau dem Schöpfer unter den linken Arm geschmiegt gemalt).
Die biblische Geschichte betont nicht die Frau, sondern es ist wegen bestimmter Frauen, weil sie in einer geschichtlichen Stunde gläubiger handelten als die Männer: Mirjam erkannte die Rettung am Schilfmeer als Tat Gottes und Wille zur Befreiung aus der Sklaverei und besang dies vor Mose in einem Tanzlied. Die Stammesrichterin Debora hatte im Unterschied zu den Männern den Mut, die Stämme im Bergland von dem Würgegriff der Kanaanäer zu befreien. Die poetischen Bücher Judit und Ester (gerade war das Purimfest) feiern ebenfalls Retterinnen. Nicht der Priester Zacharias (der verstummte), aber seine Frau Elisabet glaubte an ihren Sohn, den künftigen Reformer, Bußtäufer und Lehrer, Meister zuerst auch für Jesus.
Matthäus nahm aus einem anderen Motiv vier bestimmte Frauen in den Stammbaum Jesu auf, eine echte Hure (Rahab in Jericho) und eine aus List (Tamar), eine Ehebrecherin (Batseba mit David) und die Ausländerin Rut, - um zu zeigen, dass auch das Volk Gottes aus Menschen besteht und dennoch den Messias und seine Sache trägt.
Lukas schrieb in seinem Evangelium: „dass er [Jesus] von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf zog und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes; und die Zwölf waren mit ihm, dazu etliche Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, genannt Magdalena, von der sieben Dämonen ausgefahren waren, und Johanna, die Frau des Chuza, eines Verwalters des Herodes, und Susanna und viele andere, die ihnen dienten mit ihrer Habe.“ (8,1-3) Auch an Ostern waren die Frauen die ersten, die begriffen. Papst Franziskus erhöhte das Fest für Maria Magdalena: sie ist der 13. Apostel, aber einen noch viel größeren Titel verlieh ihr schon um 600 Papst Gregor der Große: „Apostolin der Apostel“.
„Die Frauen sind das schönste, was Gott gemacht hat. Die Kirche ist Frau. Kirche ist ein weibliches Wort. Man kann ohne diese Weiblichkeit keine Theologie betreiben.“
Papst Benedikt XVI.
„Der Geist ist in großer Verlegenheit, wenn er keine Gemeinde hat, in der er wohnen kann, und wenn er in der Gemeinde wohnt, so ist er der Geist der Gemeinde. Darum steht in der Schrift nicht, das Mädchen soll Vater und Mutter verlassen, nein, dort steht, der Mann soll Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen. Daher kann nichts ein so schönes Bild der Gemeinde sein wie eine Frau.“
Sören Kierkegaard
Meine Kirche kann, wenn sie nach vorne schauen will, auf einen Schatz zurückblicken. Sie muss es aber auch mit harter Selbstkritik. In unserer Zeit des Pluralismus und Relativismus muss sie zu ihrer Einzigartigkeit zurück: Ecclesia sein, ‚Stadt auf dem Berg‘, Jerusalem aus ‚Gold‘.
Wo das Christentum gelebt wird, wird es die Ecclesia, die Gemeinde. Das abstrakte Christentum gibt es nicht, sondern: Wo es konkret wird, entsteht Gemeinde, Gottesvolk. Gleichheit ist hier ein zu schwaches Ideal. Im Staat muss jeder das gleiche Recht haben, in der Kirche soll das Amt ein Dienen, soll der Erste der Letzte sein -, das meint: hier gilt ein Miteinander und Füreinander in Verschiedenheit, Vielfältigkeit.
Das blinde Reform-Denken wird lieber eine Gleichberechtigung im Amt fordern (und lieber enttäuscht werden, um seine Waffen zu erhalten?) und weder das Prinzip Ergänzung des Ich durch das Andere anerkennen noch die revolutionäre Symbolik der Mariengestalt für das Volk Gottes erneuern, muss man fürchten. So viel an Wille und Kraft ging verloren. Nach Matthäus wollte Jesus, dass seine Jünger niemanden auf Erden „Vater“ nennen (23,9), und auch Markus ließ in seiner Liste über den Lohn der hundertfachen neuen Familie Gemeinde bewusst die Väter aus (Mk 10,29f). Die Kirche überspielte das leichtfertig, jetzt zahlt sie dafür.
Nur eines vom Alten blieb und das ist gut und sticht: Man urteilt zu Recht strenger über den Missbrauch mitten in der Kirche als den in der Gesellschaft.
Motto: Goethes Gedichte in zeitlicher Folge, Frankfurt: Insel 1982, 1112. „Frauen sollen in der Versammlung schweigen“ (1 Kor 14,34) gilt als unpaulinische spätere Interpolation, weil es 11,5 widerspricht, wo Paulus prophetisch redende Frauen voraussetzt.
Papst Benedikt XVI: Joseph Ratzinger, Interview in Il messaggero/rv 29.06.2014.
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder, dtv-bibliothek, München 1975, 890-891.
© Ludwig Weimer. Für Kommentare bitte hier klicken.